Wendung im Fall Gelbhaar/Grüne: Multiples Organversagen
Die Intrige gegen den Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar ist ein Desaster – für ihn, für die Grünen, für die MeToo-Bewegung und den Journalismus.
D er Fall Stefan Gelbhaar ist ein Desaster für die Grünen, für den Journalismus und für die feministische Bewegung. Nach allem, wie es bislang aussieht, hat eine Grünen-Lokalpolitikerin mit erfundenen Vorwürfen der sexuellen Belästigung einen grünen Bundestagsabgeordneten und engagierten Verkehrspolitiker zu Fall gebracht. Daran ändert nichts, dass es Anschuldigungen mehrerer Frauen gibt, die noch der Klärung harren. Die schwersten Vorwürfe – diejenigen, die zum Karriereabbruch führen mussten – waren offensichtlich erfunden.
Indem er die Aussagen seiner Informantin nicht ausreichend überprüfte, hat der RBB erneut den Ruf (mindestens) des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschädigt. Die Grünen-Bundesspitze konnte es angesichts der Gemengelage im Wahlkampf vermutlich nur falsch machen. Jedenfalls aber war es vorschnell und rächt sich jetzt entsprechend, Gelbhaar zum Rückzug gedrängt zu haben. Die Ombudsstelle der Grünen muss sich fragen lassen, welchen Beitrag sie denn bitte in der Sache geleistet hat. Gelbhaar wochenlang im Unklaren zu lassen, was gegen ihn vorliegt, wenn der Rundfunk schon berichtet, hat jedenfalls den Schaden vergrößert.
Alle, die wissentlich an der Intrige beteiligt waren, haben schwere Schuld auf sich geladen. Sie haben es Frauen, die sich gegen sexuelle Belästigungen zur Wehr setzen wollen, wieder schwerer gemacht. Dabei war so viel erreicht: Die MeToo-Kampagne hatte nicht nur Aufmerksamkeit und Aufklärung zum Thema ertrommelt. Es wurden auch Methoden gefunden und Anlaufstellen eingerichtet, damit Frauen mit verstörenden Erlebnissen endlich nicht mehr allein bleiben, damit Übergriffigkeiten auch unterhalb juristischer Schwellen nicht mehr folgenlos sind.
Womöglich aber sind die geschaffenen Strukturen zu missbrauchsanfällig und verdienen Verbesserung. Anonyme Behauptungen sind eben keine veritablen Zeugenaussagen, und manchmal ist ein Gerücht auch nur ein Gerücht. Ombudsstellen wie die der Grünen müssen verlangen können, dass es zu Anschuldigungen auch Leute gibt, die dazu stehen und ihren Namen dafür hergeben. Einer Frau erst einmal glauben zu wollen, heißt nicht, dass die Unschuldsvermutung zugunsten des Beschuldigten sofort außer Kraft gesetzt ist.
Ja, das erschwert die Arbeit aller, die mit solchen Vorwürfen umgehen sollen und wollen – auch die der JournalistInnen. Aber es reicht eben nicht zu sagen, wir glauben jeder Frau, halten jeden Beschuldigten erst einmal für einen Täter und gleichen damit ein paar Jahrtausende Patriarchat aus. Die Verantwortung gegenüber allen Seiten ist immens.
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