Weihnachten und Einsamkeit: Die neue Volkskrankheit
Immer mehr Menschen auf der ganzen Welt fühlen sich einsam. Die Politik kann etwas dagegen tun, so wie das schon Großbritannien und Japan machen.

E s ist Weihnachtszeit, und Familie, Beisammensein, Liebe und Güte spielen – regelmäßig einmal im Jahr – eine große Rolle. In ebenso schöner Regelmäßigkeit ploppen in den letzten Wochen des Jahres medial Texte über Einsamkeit auf. Doch, doch, Familie und Einsamkeit haben durchaus etwas miteinander zu tun. Nicht nur, dass man sich auch im Beisein der Familie einsam fühlen kann. Nämlich dann, wenn sie dysfunktional ist und die Harmonie – wegen des jährlich wiederkehrenden Pflichtgefühls – unecht ist.
Einsam sind insbesondere jene Menschen, die erst gar keine Familie oder etwas Ähnliches haben. Waren das hierzulande früher hauptsächlich ältere Menschen, trifft das mittlerweile vor allem Alleinerziehende, Frauen, Menschen mit wenig Geld und Jüngere. So jedenfalls besagt es das erste Einsamkeitsbarometer, das Familienministerin Lisa Paus (Grüne) im Sommer herausgegeben hat. Aktuell bekräftigt das eine Studie der Bertelsmann Stiftung, die die gesamte EU unter die Lupe nahm: Die Hälfte der jungen Menschen in Europa fühlt sich mehr oder weniger einsam.
Doch keine Studie ohne die – ebenso wiederkehrenden – Forderungen, was jetzt endlich mal gegen die Einsamkeit getan werden müsse: Vernetzen in der Nachbarschaft, der Gang zu einem Verein mit Leidensgenoss:innen, Nottelefon nutzen, einen Hund kaufen, Sport machen, Musik hören, mit anderen kochen. Es ist nicht falsch, was Politik, Sozialvereine, Krankenkassen, Therapeut:innen da vorschlagen, nur: Nutzt das am Ende was?
Wer es wirklich ernst meint mit dem Kampf gegen Einsamkeit, belässt es nicht bei wohlmeinenden Ratschlägen, erweitert die Befugnisse eines anderen Ministeriums oder gründet ein eigenes Ministerium, das sich mit nichts anderem beschäftigt als mit dem Gefühl vieler Menschen, von der Welt verlassen zu sein. Das haben bisher nur Großbritannien 2018 und Japan 2021 getan.
Überall auf der Welt wächst die Zahl einsamer Menschen. Vielleicht sollte man Einsamkeit als das bezeichnen, was sie ist: eine neue Volkskrankheit. Darauf kann die Politik reagieren – mit einer weniger unsozialen Politik.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, in Großbritannien gibt es ein Einsamkeitsministerium. Das ist nicht korrekt, stattdessen wurden die Aufgaben des Ministeriums für Kultur, Digitales, Medien und Sport um den Themenkomplex Einsamkeit erweitert.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!