Wahlverhalten junger Menschen: Misstrauensvotum gegen die Alten
Viele junge Menschen wollen Die Linke wählen, zuletzt bekam die AfD viele ihrer Stimmen. Die Parteien der Mitte haben sie enttäuscht.
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E twa 19 Prozent der 18- bis 29-Jährigen wollen laut einer Umfrage die Linkspartei wählen, bei den nicht wahlberechtigten unter 18-Jährigen wären es noch mehr. Und auch ein paar Ältere aus dem altlinksgrünen Wechselwählermilieu wollen das offenbar auch wieder tun. Als Gründe gelten, dass sich Sahra Wagenknecht selbstständig gemacht hat, dass die Partei glaubwürdiger als andere für soziale Gerechtigkeit und Antifaschismus stehe und dass ein Video der Spitzenkandidatin Millionen Mal geklickt wurde.
Die verbesserten Umfragewerte werden als Zeichen dafür verstanden, dass die gerade noch mumifizierte Partei eine großartige Wiederauferstehung als Partei der Jungen erlebe. Wenn man sich das Wahlverhalten der Jungen anschaut, manchmal in der Altersgruppe 18 bis 24, manchmal 18 bis 29 gemessen, so ist die eine zentrale Erkenntnis, dass es sehr volatil ist. Die Grünen sind konstant vorn und mit vorn, ansonsten war bei der letzten Bundestagswahl die FDP stark, bei der EU-Wahl die AfD und neuerdings die Linkspartei.
Auch die „übrigen“ Parteien sind bei den unter 30-Jährigen deutlich stärker als bei Älteren. Entscheidend für dieses Wahlverhalten ist, dass die Jüngeren in einer anderen Welt leben als die Älteren. Letztere sind bei allen Krisen noch auf die „Normalität“ der Bundesrepublik konditioniert, dass im Großen und Ganzen alles ordentlich läuft und zwei sehr ähnlich agierende Volksparteien gottgegeben politisch zuständig sind.
Die Jüngeren, speziell die 2000er Jahrgänge, sind in einer Welt der Krisen aufgewachsen und haben beim politischen und familiären Umgang damit den Eindruck gewonnen, dass die Erwachsenen es nicht mehr auf die Reihe kriegen. Sie haben sich in der Folge eben nicht nach rechts (EU-Wahl) oder nach links (nun) orientiert, sondern weg von der alten Bundesrepublik. Sie gehen – vermutlich zu Recht – davon aus, dass die jahrzehntelang bewährten Politikmethoden von Sozialdemokratie und Christdemokratie nicht in der Lage sind, die sich potenzierenden Krisen zu bewältigen.
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Sie bevorzugen daher zum einen nicht im Parlament vertretene Kleinstparteien, zum anderen systemkritische und bundesrepublikferne Parteien, also AfD und Linkspartei. Dass die Linkspartei mit ihrer Außen- und Sicherheitspolitik, ihren Nato- und EU-Positionen sowie dem Putin-Lavieren überhaupt nicht auf Höhe der realen Problemlagen ist, ist ihnen im Moment offenbar egal [ernsthaft? d. säzzer]. Da die liberale Demokratie für diesen Teil der Jungen keinen Schutz und keine Zukunft zu bieten scheint, wählen sie die oppositionellen Ränder. Das heißt: Wir haben auch keine Ahnung, wie es besser gehen könnte, aber so nicht.
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