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Wahlrecht in DeutschlandKlöckner will Reform der Reform

Die Bundestagspräsidentin mahnt die Regierungsparteien zu einer Änderung des Wahlrechts. Eine Politikwissenschaftlerin sieht drängendere Probleme.

Möchte eine Reform der Reform: Julia Klöckner, Bundestagspräsidentin, CDU Foto: Katharina Kausche/dpa

Berlin taz | Bundestagspräsidentin Julia Klöckner erteilt der Koalition eine Hausaufgabe für die sitzungsfreie Zeit. In einem Interview forderte sie am Montag eine erneute Reform des erst in der vergangenen Legislatur geänderten Wahlrechts. „Ich habe die Fraktionen gebeten, sich des Themas anzunehmen“, sagte die CDU-Politikerin der Nachrichtenagentur dpa. Klöckner kritisierte die „Entwertung“ der Erststimme durch die von der Ampelkoalition eingeführte Reform. Gleichzeitig begrüßte sie, dass der Bundestag durch den Wegfall von Überhang- und Ausgleichsmandaten kleiner geworden sei.

„Es muss doch möglich sein, das Ziel der Wahlrechtsreform – eine deutliche Verkleinerung des Bundestags – mit einem verständlichen und gerechten Wahlrecht zu verbinden“, sagte die Bundestagspräsidentin. Dabei wollte sie keine eigenen Vorschläge für eine neuerliche Reform machen. Es lägen genügend Ideen auf dem Tisch.

Der parlamentarische Geschäftsführers der SPD-Fraktion, Johannes Fechner, sah die Äußerungen der CDU-Politikerin deshalb skeptisch. „Frau Klöckners Vorstoß, das Wahlrecht ändern zu wollen, ohne einen eigenen Vorschlag zu machen, ist schon etwas dünn“, sagte er der taz. „Das heutige Wahlrecht wurde nicht nur vom Bundesverfassungsgericht abgesegnet, sondern hat sich auch bewährt.“

Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP hatte mit einer Änderung des Bundestagswahlrechts eine Verkleinerung des Parlaments von zuletzt 735 auf 630 Sitze erreicht. Dies gelang durch das Streichen von Überhang- und Ausgleichsmandaten. Eine Folge davon war jedoch, dass nach der Bundestagswahl 23 Wahl­kreis­sie­ge­r*in­nen ihr errungenes Direktmandat nicht erhielten, weil ihrer Partei die nötige Zweitstimmendeckung fehlte. Drei Wahlkreise in Baden-Württemberg und einer in Hessen sind sogar überhaupt nicht mit einem Abgeordneten im Bundestag vertreten.

Kommission soll auch Wahlrecht ab 16 prüfen

Die Union hatte die Wahlrechtsreform der Ampel immer wieder als ein einseitig gegen CDU und CSU gerichtetes Vorhaben kritisiert. So war es auch CDU-Chef Friedrich Merz, der in der Vergangenheit eine Korrektur gefordert hatte. Ein Vorschlag aus den Reihen der Union lautete, weniger und größere Wahlkreise einzurichten.

In ihrem Koalitionsvertrag hatten Union und SPD vereinbart, das Wahlrecht wieder zu ändern und dazu eine Kommission einzusetzen. Diese soll noch in diesem Jahr Vorschläge vorlegen mit dem Ziel, dass alle Wahl­kreis­ge­win­ne­r*in­nen wieder in den Bundestag kommen. Außerdem soll das Parlament „grundsätzlich bei der aktuellen Größe verbleiben“.

Im Zuge der neuen Reform soll laut Koalitionsvertrag auch geprüft werden, wie die gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen im Parlament gewährleistet werden kann und ob das Wahlalter auch für Bundestagswahlen auf 16 Jahre gesenkt werden sollte. Dies hat die Union bislang abgelehnt. Hier könnte sie bei der Suche nach einem Kompromiss der SPD entgegenkommen.

Politikwissenschaftlerin Britta Rehder hält die andauernden Diskussionen über Wahlrechtsreformen für ein Problem. „Die Akteure im Bundestag vermitteln den Eindruck, dass sie vor allem mit sich selbst und mit ihren eigenen Interessen befasst sind und nicht damit, die Probleme der Leute auf der Straße zu lösen“, sagte die Professorin für Politikwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum der taz. Keine Schwierigkeiten sieht sie allerdings in dem Vorgang, dass Klöckner als Bundestagspräsidentin einen Vorstoß macht. „Ja, sie ist befangen“, sagte sie. „Aber das sind alle anderen Parteien in der Frage auch.“

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4 Kommentare

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  • „Es muss doch möglich sein, das Ziel der Wahlrechtsreform – eine deutliche Verkleinerung des Bundestags – mit einem verständlichen und gerechten Wahlrecht zu verbinden“

    Das aktuelle Wahlrecht ist leicht verständlich. Nur scheinbar nicht für Frau Klöckner 😀

  • Wenn 23 Wahlkreisgewinner ihr Mandat nicht antreten dürfen, sind auch 23 Wahlkreise ohne parlamentarische Vertretung und nicht nur 3 Wahlkreise.



    Nur zufällig ein erfolgreicher Listenkandidat in einem Wahlkreis wohnt, ist er noch lange kein Vertreter des Wahlkreises.



    Ganz im Gegenteil, mache davon wurden ja im Wahlkreis als Direktkandidaten explizit nicht gewählt.

  • Die Kritik der Politikwissenschaftlerin halte ich für etwas flach. Wenn direkt gewählte Kandidaten nicht in den Bundestag einziehen, dann sehe ich darin schon ein gewichtiges Problem, dass es anzugehen gilt.

  • Logisch dass eine Partei versucht das Wahlrecht so auszustatten dass es ihr nützten könnte, hat die Ampel ja auch versucht.