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Wahl der Bun­des­ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nenEx-CDU-Politiker Müller kritisiert Spahn

Der Ex-Verfassungsrichter sieht ein „Führungsversagen“ beim Unionsfraktionschef. Die Union setzt dennoch auf ein baldiges Einvernehmen mit der SPD. Die hält an Frauke Brosius-Gersdorf fest.

Ex-Verfassungsrichter und Ex-CDU-Politiker Peter Müller: „So etwas darf nicht passieren“ Foto: Uli Deck/dpa

Berlin afp/dpa | Nach der geplatzten Wahl von drei Verfassungsrichtern setzt die Union auf ein baldiges Einvernehmen mit der SPD. „Ich bin sicher, dass die Koalitionsfraktionen über den Sommer eine tragfähige Lösung finden werden“, sagte Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) der Neuen Osnabrücker Zeitung. In der SPD ist der Unmut über die gescheiterte Wahl unterdessen weiter groß. Sie hält an ihren beiden Kandidatinnen für das Bundesverfassungsgericht fest.

Wegen massiven Widerstands in der Unionsfraktion gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf waren die Abstimmungen über die insgesamt drei Vorschläge für das Bundesverfassungsgericht kurzfristig von der Tagesordnung des Bundestags genommen worden. Hintergrund sind eine liberale Haltung der Professorin zu Abtreibungen, aber auch ihre Forderung nach einer Impfpflicht während der Corona-Pandemie. Zusätzlich Dynamik in die Debatte kam durch den Hinweis des österreichischen Plagiatssuchers Stefan Weber auf Übereinstimmungen zwischen der Dissertation Brosius-Gersdorfs und der Habilitationsschrift ihres Ehemanns.

Außer Brosius-Gersdorf hatte die SPD noch die Münchner Juraprofessorin Ann-Katrin Kaufhold nominiert und die Union den vom Verfassungsgericht empfohlenen Arbeitsrichter Günter Spinner.

SPD steht zu Frauke Brosius-Gersdorf

SPD-Fraktionschef Matthias Miersch ließ seinem Unmut in einer persönlichen Erklärung zum Beginn der parlamentarischen Sommerpause noch einmal freien Lauf. „Was wir heute aber auch erleben mussten, ist die bewusste Demontage unseres höchsten deutschen Gerichts und unserer demokratischen Institutionen. Das ist brandgefährlich“, schrieb Miersch und verwies auf den gemeinsamen Vorschlag und die erfolgte Zweidrittelmehrheit im Richterwahlausschuss. In gefetteter Schrift stellte Miersch klar: „Wir halten an unseren Kandidatinnen fest. Ich erwarte, dass die Mehrheit steht.“

Nach Berichten von Bild und Tagesspiegel-Bericht schalteten sich am Abend Parteivorstand und Bundestagsfraktion der SPD zu einer Videokonferenz Sitzung zusammen. Aus Teilnehmerkreisen hieß es laut Tagesspiegel, Brosius-Gersdorf stehe für ein offenes und klares Gespräch mit der Spitze der Union bereit. Bild berichtete über den Vorschlag von Miersch, dass sich die Professorin in der Unionsfraktion Fragen von Abgeordneten stellt.

Der SPD-Politiker Ralf Stegner sprach beim Redaktionsnetzwerk Deutschland von einem „Debakel“. „Wenn wir bei so kleinen Dingen schon anfangen zu scheitern, dann ist das Schiff in schwerer See, und zwar ziemlich schnell“, sagte der Bundestagsabgeordnete. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese, zeigte sich verwundert, dass die Unionsfraktion weder der ursprünglichen Empfehlung ihres Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn gefolgt sei noch der von Kanzler Friedrich Merz. „Da gibt es ein Autoritätsproblem“, schlussfolgerte Wiese.

Ex-Verfassungsrichter Peter Müller übt scharfe Kritik an Spahn

Auch der frühere Verfassungsrichter und Ex-CDU-Politiker Peter Müller übt nach der gescheiterten Richterwahl im Bundestag scharfe Kritik an Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU). Der Vorgang zeige „ein eklatantes Führungsversagen der Union“, sagte Müller der Süddeutschen Zeitung vom Samstag. „So etwas darf nicht passieren.“ Müller war von 2011 bis 2023 Richter am Bundesverfassungsgericht. Davor war er Ministerpräsident des Saarlands.

Müller äußerte die Sorge, „dass die politische Mitte in Deutschland nur noch begrenzt handlungsfähig ist“. Dass es Vorbehalte gegen Personalvorschläge für Karlsruhe gebe, sei zwar nichts Neues, sagte der 69-Jährige. „Nur: Bisher wurde das im Vorfeld geklärt“ – und hier habe es Versäumnisse auf Seiten der von Spahn geführten Unionsfraktion gegeben.

Man könne nicht der SPD zusagen, die Wahl einer Richterkandidatin mitzutragen, „um später festzustellen, dass die notwendigen Mehrheiten in der eigenen Fraktion dafür nicht vorhanden sind“, kritisierte Müller.

Das Bundesverfassungsgericht sei allerdings arbeitsfähig, stellte Müller klar. Dies sei so, weil „die drei Richter, deren Amtszeit zu Ende ist, so lange bleiben, bis die gewählten Nachfolger übernehmen können“. Nun müsse die politische Mitte „umsichtig“ nach einem neuen Kompromiss suchen.

Grünen sehen fehlenden Respekt vor Karlsruhe

Die Grünen sehen in den Vorgängen fehlenden Respekt vor dem obersten deutschen Gericht. Parteichefin Franziska Brantner kritisierte in den Zeitungen der Mediengruppe Bayern, das Vertrauen in das höchste Gericht werde „fahrlässig beschädigt“. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte im „heute journal up:date“ des ZDF, das Verfassungsgericht, die drei Kandidaten und auch das Parlament hätten „massiven Schaden genommen“. „Dafür trägt Jens Spahn die Verantwortung“, sagte sie.

Haßelmann bekräftigte die Forderung ihrer Fraktion, für die Wahl schon kommende Woche in einer Sondersitzung des Bundestags einen Neuanlauf vorzunehmen. Dazu könne jederzeit eingeladen werden. „Wir wollen doch keine Hängepartie über den ganzen Sommer“, sagte sie. Dem Tagesspiegel zufolge gibt es in der SPD Überlegungen zu einer Bundestags-Sondersitzung im August.

Bundestag tagt regulär erst am 10. September wieder

Am Freitag ist der Bundestag eigentlich in die parlamentarische Sommerpause gestartet. Parlamentsvizepräsident Omid Nouripour (Grüne) hatte den Bundestag planmäßig für den 10. September einberufen und zugefügt, er „hoffe, das stimmt“.

Auch aus FDP-Sicht ist das Ansehen des obersten deutschen Gerichts beschädigt worden. „Die aggressive Politisierung der Richterwahl ist eine Gefahr für das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts“, sagte der frühere Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Er befürchtet zugleich eine abschreckende Wirkung der Vorgänge „auf herausragende Wissenschaftler, um sich künftig für ein Richteramt zur Verfügung zu stellen“.

Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof, sieht durch die geplatzte Wahl auch Folgen für die Arbeit des Gerichts. Zwar seien dessen Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit nicht gefährdet, weil ausscheidende Richter ihr Amt fortführen müssen, bis ein Nachfolger gewählt ist, wie er bei ZDF heute live sagte. Jedoch werde das Gericht voraussichtlich nur noch kurze Verfahren durchführen können, denn „Richter müssen immer in derselben Besetzung in einer Sache entscheiden, von Anfang bis zu Ende“. „Die schwierigen, die langen Verfahren werden aufgeschoben und erst wieder gestartet, wenn der Senat in neuer Besetzung vollständig ist.“

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5 Kommentare

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  • Ich dachte jeder Abgeordnete ist bei seiner Entscheidung seinem Gewissen verantwortlich.

  • Wenn die SPD glaubwürdig bleiben will, sollte sie an Brosius-Gersdorf festhalten. Der Frau ist nichts vorzuwerfen. Und einem Untersuchungsausschuss gegen Jens Spahn wegen der Maskenaffäre sollte die SPD auch zustimmen. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt. Und damit täte sie Merz sogar einen Gefallen, denn Spahn scheint ja eher gegen ihn als für ihn zu arbeiten. Ein Rücktritt ist eigentlich das einzig richtige für Spahn.

  • „Was wir heute aber auch erleben mussten, ist die bewusste Demontage unseres höchsten deutschen Gerichts und unserer demokratischen Institutionen. Das ist brandgefährlich“,

    Das könnte man halt auch über die SPD sagen, da sie zwingend an der Personalie festhalten will.

    In anderen Zusammenhängen haben das alle Parteien gemacht. Und je nach dem wie nah man an einer Partei steht, ist es entweder ein Affront das der eigene Kandidat abgewählt wurde oder eine bewusste provokantation.

    Man kann die Politik heute nicht mehr ernst nehmen, gleicht sie doch einem kleinen Verein mit eitlen Gockeln und Hühnern

    • @Hitchhiker:

      Die SPD hält nicht pp., sie hat einen Vorschlag gemacht. Dass diese Partei für Konservative ein rotes Tuch ist, weil die SPD offen gegen Hitler, der von Konservativen unterstützt wurde, eintrat, ist mir nicht verschlossen.

  • Spahn hat also der SPD Kandidatin Brosius usw im Wahlausschuss ohne irgendwelche Nachfragen bei seinen Bundestagskollegen zugestimmt. Das wirft natürlich die Frage auf, warum? Hatt er nicht genügend Zeit weil er mit der Maskenaffäre beschäftigt ist, oder wollte er sich bei der SPD und den Grünen guten Willen bei er Behandlung derselben erkaufen?