Wagenknecht und die Linke: Was wird aus Lady Voldemort?
Die „progressiven Linken“ denken über eine Zukunft der Partei ohne Sahra Wagenknecht nach. Gregor Gysi spricht sich für einen gemeinsamen Weg aus.
![Porträtfoto Sahra Wagenknecht Porträtfoto Sahra Wagenknecht](https://taz.de/picture/5953654/14/211422379-1.jpeg)
Dass es so nicht weitergehen kann, darin waren sich die rund 100 Linkenmitglieder, die sich in der Jugendherberge Berlin-Ostkreuz zum Krisentreffen versammelt hatten, einig. „Wir stecken in einer tiefen Krise, für deren Lösung nicht mehr lange Zeit ist“, sagte die Bundestagsabgeordnete Cornelia Möhring.
Etliche Teilnehmer:innen berichteten von schmerzhaften Austritten in ihren Kreis- und Landesverbänden. Immer öfter bekämen sie zu hören: „Ihr seid für uns unwählbar geworden.“ Das alles vor allem wegen „der, deren Namen wir nicht nennen wollen“. Es ist ein Running Gag, eine nicht nur scherzhaft gemeinte Anlehnung an Harry Potters bösen Zauberer: Wagenknecht sei wie „Lady Voldemort hier im Raum“, so der stellvertretende Parteivorsitzende Lorenz Gösta Beutin, einer der Einlader:innen des Treffens.
Es müssten endlich Grenzen gezogen werden, forderte der Bremer Landesvorsitzende Christoph Spehr von der Partei- und Bundestagsfraktionsführung. So sei die „Denunziation“, die soziale Frage wäre der Linken wurscht geworden, nicht länger hinnehmbar. „Das kann man finden, aber eigentlich nicht in dieser Partei“, so Spehr. Das gelte auch für die lauten Gedankenspiele über die Gründung einer anderen Partei. Wer über einen anderen Laden nachdenke, sollte nicht mehr für die Partei oder die Fraktion auftreten und sprechen.
Wagenknecht liebäugelt mit neuer Partei
Beides zielt auf Wagenknecht ab, die seit langem schon kein gutes Haar mehr an der eigenen Partei lässt. Dass es in ihrem Umfeld intensive Diskussionen über eine Abspaltung gibt, ist ein offenes Geheimnis. Wagenknecht selbst liebäugelt zwar seit Wochen demonstrativ mit einer neuen Partei, zögert aber noch. So bekundete sie Mitte Oktober bei einer Veranstaltung in Zwickau, es gebe „eine große Leerstelle im politischen System“, es sei „nur so, dass es keine einfache Geschichte ist, mal eben eine Partei zu gründen“. Sie sage nicht, „dass das generell nicht möglich ist, aber man muss sich das sehr überlegen“.
Aus ihrer Sicht besteht kein Grund zur Hektik. Als mögliches Szenario gilt, erstmal weiter die Partei von innen zu zermürben und noch die hessische Landtagswahl im Herbst 2023 abzuwarten, bei der der Linkspartei der Verlust ihrer letzten Mandate in einem westdeutschen Flächenland droht. Das könnte als Signal genommen werden, um mit einem alternativen Wahlbündnis gegen die Linkspartei bei der Europawahl im Frühjahr 2024 anzutreten.
Für die Linkspartei wäre das ein Horrorszenario. Doch wie dem begegnet werden kann, darüber gehen die Auffassungen stark auseinander: Sollen Wagenknecht und ihr Anhang schon vorher dazu getrieben werden, in den Sack zu hauen, um dann noch genug Zeit zu haben, sich wieder zu sammeln? Oder soll alles unternommen werden, um zusammenzuhalten, was nicht mehr zusammenzuhalten ist?
Gysi kämpf um Wagenknecht
Vor allem der Parteigrande Gregor Gysi kämpft darum, seine einstige Intimfeindin auf Biegen und Brechen in der Partei zu halten. Er glaubt, dass im Falle einer Spaltung seine alte wie Wagenknechts neue Partei schlechte Karten hätten. Deswegen sollten jetzt alle „mal ihre Widersprüche beiseitelassen und sagen: Aber was wollen wir denn eigentlich gemeinsam“, forderte er jüngst in einem Interview mit dem MDR.
Erst kürzlich hat Gysi ein längeres Gespräch mit Wagenknecht geführt, um sie zu einer Zusammenarbeit zu bewegen. Auch die Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan haben sich gemeinsam mit den Fraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch mit ihr getroffen. Herausgekommen ist dabei allerdings nichts. Wie bei ihren öffentlichen Auftritten soll Wagenknecht nur stoisch und unversöhnlich ihre Grundsatzkritik wiederholt haben, heißt es. Und sie habe keinen Zweifel daran gelassen, keine Perspektive mehr für die Partei zu sehen. Gleichwohl soll es demnächst noch eine weitere Zusammenkunft des geschäftsführenden Parteivorstandes mit Wagenknecht geben. Es ist nicht zu erwarten, dass dabei mehr herauskommen wird.
Die aus unterschiedlichen Parteiströmungen stammenden progressiven Linken halten solche Bemühungen für Zeitverschwendung. Grundsätzliche Widersprüche dürften nicht beiseitegelassen, sondern müssten entschieden werden. „Die Linke ist eine politische Errungenschaft, die wir verteidigen“, heißt es in ihrer „Berliner Erklärung“, die am Samstagabend einstimmig verabschiedet wurde. „Wir gehen aber davon aus, dass die Sicherung ihrer Existenz nur mit klaren Richtungsentscheidungen möglich ist.“
Im öffentlichen Bewusstsein werde „insbesondere die in der Bundestagsfraktion hartnäckig tolerierte Koexistenz unvereinbarer Positionen zu Recht als unwählbare ‚Zerstrittenheit‘ reflektiert“. Das müsse schnellstmöglich geändert werden. Gerade weil dadurch die gesamte Partei erodiere, dürfe „weder sie sich noch eine ihrer Vertretungen in den Parlamenten durch Spaltungsdrohungen erpressen lassen“, verlangen die progressiven Linken. Wer dauerhaft nicht bereit sei, Beschlüsse und Grundwerte der Linken zu respektieren, solle diese nirgends vertreten. „Wir wollen, dass in dieser Frage Klarheit geschaffen wird.“
Eine Gelegenheit dazu würde ein Krisengipfel bieten, zu dem sich die Partei- und Fraktionsvorsitzenden aus dem Bund und den Ländern am kommenden Wochenende in Leipzig treffen. Doch wie zu hören ist, dürfte es wieder einmal nur dazu reichen, sich auf unverbindliche Allgemeinplätze zu verständigen. Die Hängepartie geht weiter.
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