piwik no script img

Vermeintliches Pogrom nach FußballspielMediale Zerrbilder in Amsterdam

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Bei den Ausschreitungen haben Medien und Politik vorschnell einseitige Deutungen übernommen. Auch israelische Hooligans haben Grenzen überschritten.

In der Innenstadt von Amsterdam zünden israelische Maccabi-Tel Aviv-Anhänger Leuchtraketen an Foto: Michel Van Bergen/reuters

L angsam lichtet sich der Nebel um das angebliche Pogrom von Amsterdam. Immer klarer wird, dass viele Medien einseitig berichtet, Falschbehauptungen verbreitet und damit ein Zerrbild gezeichnet haben.

Vergangenen Freitag tauchten in den sozialen Medien verstörende Bilder aus Amsterdam auf. Handyvideo-Aufnahmen zeigten verängstigte junge Männer, die von Männern mit arabischem Akzent bedroht, drangsaliert und misshandelt wurden. Junge Täter auf Mopeds hätten israelische Fans in der Nacht verfolgt, geschlagen und getreten, berichtete die Polizei später.

Israels Regierung dramatisierte die Übergriffe sofort. Staatspräsident Isaac Herzog sprach von einem „Pogrom“, und Premierminister Benjamin Netanjahu kündigte an, Sonderflüge in die Niederlande zu schicken, um seine Landsleute auszufliegen. Israelische Stellen verbreiteten Gerüchte über angebliche Vermisste, und pro-israelische Influencer schlossen sich dieser Panikmache an. Inzwischen liegt ein Bericht der Stadt Amsterdam, der Justiz und der Polizei vor, der die Ereignisse rund um das Fußballspiel minutiös beschreibt. Demnach wurden 62 Menschen verhaftet, darunter 10 Israelis. 5 Menschen wurden für einige Stunden im Krankenhaus behandelt, 20 bis 30 leicht verletzt. Für ein Pogrom ist das eine eher glimpfliche Bilanz.

Nichts rechtfertigt die Gewalt gegen israelische Fußballfans. Und die verstörenden Bilder und Berichte über antisemitische „Hetzjagden“ beunruhigen nicht nur Jüdinnen und Juden. Doch das kriminelle Verhalten israelischer Hooligans deswegen als „übliche Fanscharmützel“ abzutun, ist falsch. Bereits vor dem Spiel hatten sie in der Innenstadt Menschen angegriffen. Hunderte sangen freudig, dass es „keine Schulen und keine Kinder in Gaza mehr“ gebe oder grölten „Fuck the Arabs!“, doch das blieb ungestraft.

Von der Panikmache profitieren rechte Kräfte in Israel und den Niederlanden

Im Stadion störten sie – wohl aus Unmut über Spaniens linke Regierung – eine Schweigeminute für die Opfer der Flutkatastrophe von Valencia. Nach dem Spiel bewaffneten sie sich mit Eisenstangen und Latten, warfen Steine auf Taxis und wurden deshalb von der Polizei eingekesselt. Doch kein Politiker hat ihre Gewalt verurteilt. Von der einseitigen Panikmache profitieren rechte Kräfte.

Mit dem Finger auf Muslime

Für Israels in Teilen rechtsradikale Regierung war es eine willkommene Gelegenheit, sich als Beschützer ihrer Bürger zu inszenieren und zu suggerieren, nur sie allein könne für die Sicherheit von Juden in aller Welt sorgen. Die in Teilen ebenfalls rechtsradikale Regierung der Niederlande nutzt es nun, um erneut mit dem Finger auf Muslime und Migranten zu zeigen und mehr Härte zu verlangen.

Wie schnell Politik und Medien eine völlig einseitige Erzählung übernahmen, lässt für die kommenden Jahre mit Donald Trump in den USA nichts Gutes erwarten. Denn Aufgabe von Journalisten ist nicht nur, empörte Aussagen von Politikern wiederzugeben. Sondern Behauptungen und Fakten sorgfältig zu überprüfen. Darin haben sie versagt. Ihre Fehler sollten sie selbstkritisch aufarbeiten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
Mehr zum Thema

23 Kommentare

 / 
  • Endlich mal ein sinnvoller Kommentar zu den ganzen Ereignissen! Und wieder wird deutlich, dass das Argument gegen Antisemitismus mittlerweile oft dazu missbraucht wird, rassistische Einstellungen zu verstecken.

  • Wichtig scheint mir in diesem Zusammenhang die Differenzierung Juden/Israelis.

    overton-magazin.de...smus-in-amsterdam/

  • Wenn es Daniel Bax nicht gäbe, müsste man ihn erfinden.

    Danke für die wieder mal neutrale und informierte Stellungnahme!

    Es ist immer wieder bemerkenswert, dass man so etwas in deutschen Medien viel zu selten findet und sich im Ausland informieren muss. In deutschen Gazetten und Kanälen kommen die richtigen Sachverhalte oft gar nicht, unpräzise und/oder mit großer Verzögerung an.

    Warum eigentlich?

  • Fragwürdige Parolen zu gröhlen ist nicht dasselbe wie gewalttätige Hetzjagden - auch wenn das Antisemiten-Versteher wie Daniel Bax nicht wahr haben wollen.

  • Die Schlusssätze könnte Herr Bax gern bei sich anwenden.

    Auf die Verabredung zur Judenjagd, die vorher von einigen am Krawall Beteiligten erfolgte, geht Herr Bax nicht ein.

    Und ganz wichtig: Es könnte den Rechten nützen. Mit dieser Totschlagbehauptung wird linker und migrantischer Antisemitismus gern unter den Teppich gekehrt.

  • Die israelischen Hooligans haben vor den pogromartigen Ausschreitungen also provoziert, und die Bilder, die wir davon gesehen haben, waren teilweise falsch zugeordnet. Das die Szenen dennoch stattgefunden haben, bestreitet nicht mal Herr Bax, und nutzt Kniffe, die ich interessant finde.

    Die abschätzige Bemerkung, 20 bis 30 leicht Verletzte seien für ein Pogrom eine eher "glimpfliche Bilanz", ist bemerkenswert. Ja, sollen sich die "Zionisten" halt mal nicht so haben, sie haben es ja auch irgendwie provoziert, und am Ende war es alles eben doch nicht so schlimm. Kann man so sehen. Ich habe aber Zweifel, ob man z.B. bezüglich der Hetzjagden in Chemnitz, bei denen weniger Menschen verletzt wurden, ähnliche Maßstäbe anwenden würde - und ich hielte dies auch nicht für richtig.

  • Mir fällt das Wording „in Teilen rechtsradikal“ auf… habe nochmal recherchiert und frage mich nun: Welcher Teil Israels Regierung ist NICHT rechtsradikal? Vielleicht weiß das jemand? Danke

  • Hooligans jeglicher Ethnie,Religion,Hautpigmentierung,Geschlecht usw. tun Hooligan-Dinge und müssen selbstverständlich für Straftaten zur Verantwortung gezogen werden.Sie können meiner Meinung nach auch gerne von anderen Hooligans etwas auf ihre Schnuffelnasen bekommen,wenn sie das nun unbedingt wollen.

    Es ist jedoch eine vollkommen andere Situation,Straßensperren aufzubauen,die Pässe ganz normaler Passanten zu kontrollieren,und sie,sofern sie als jüdische/israelische Menschen zu erkennen sind, zu verfolgen und misshandeln;teilweise mit Motorrollern usw..



    Hier einen Zusammenhang herstellen zu wollen,ist meiner Meinung nach unredlich.

    "Israels Regierung dramatisierte die Übergriffe sofort."



    Wenn ich mich in die Opfer hineinversetze,meine ich,die Situation war durchaus "dramatisch" und finde es gut,dass die israelische Regierung schnell reagiert hat.Besser als bei unserer Kölner Silvsternacht,als Medien und Politik erst einmal so taten,als wäre da nichts.



    Ich werde noch recherchieren,ob es stimmt, dass Verfolgte in Amsterdam konkret die Polizei angesprochen haben und diese Hilfe verweigert hat.

    "Junge Täter auf Mopeds hätten ..."



    Hätten oder haben?

  • Danke, Herr Bax, für die notwendige Einordnung!

  • Ah, sie haben "Fuck the Arabs" gesagt und das blieb ungestraft.

    Nun, ist in den Niederlanden vermutlich genauso wenig eine Straftat wie in Deutschland.

    Besonders chwache Proargumente haben natürlich immer eine Aussagekraft.

    • @rero:

      Ich bin selten einer Meinung mit Herrn Bax. Ich halte ihn auch oft latent parteisch wenns um Israel-Themen geht.



      Aber hier hat er Recht. Es wurde bei Weitem nicht nur "f*ck the arabs" gerufen, steht sogar im gleichen Satz. Es gab vor dem Spiel auch gewalttätige Aktionen aus dem Maccabi Lager heraus. Und das war auch nicht das erste Spiel, wo Maccabi Fans so auftreten. Man muss sich nicht gar nicht tief mit der Fußballszene in Israel auskennen, um zu erkennen, dass da Leute unterwegs sind, die genau solche Eskalationen suchen.



      Dass das noch lange keine Hetzjagden rechtfertig und dass es zu verurteilende, antisemtische Gewalt auf der anderen Seite gab, schreibt auch Herr Bax. Es geht um die einseitige Berichterrstattung zu diesen Vorfällen, die teilweise kritiklos und unrecherchiert die Worte rechter Politiker übernommen haben. Worte wie Progrom, die für die schlimmsten Verbrechen an Minderheiten stehen im Kontext dieser Vorfälle zu benutzen, halte ich für sehr schwierig.



      Und ich versteh wirklich nicht, wie man anhand der zahlreichen Aufnahmen, so einäugig auf das Geschehen schauen kann.

    • @rero:

      Könnte schon Volksverhetzung sein? Aber haben Sie den Satz davor im Artikel überlesen? "Bereits vor dem Spiel hatten sie in der Innenstadt Menschen angegriffen." Das ist doch in jedem Fall strafbar und das Argument dann nach Ihrer Logik eigentlich ziemlich stark?

    • @rero:

      Sie haben auch Menschen mit Eisenstangen attackiert, Häuser mit Steinen beworfen, "wir ficken eure Mütter/Schwestern" etc gerufen, einen Taxifahrer angegriffen etc. Ist auch alles international durch die Presse gegangen und kann nur in Deutschland geleugnet werden weil nur in Deutschland die ganze Berichterstattung in Bezug auf den Nahostkonflikt schlicht und ergreifend nicht stattfindet und wenn dann nur in sehr verdaulichen Häppchen

    • @rero:

      Es geht eher über das singende abfeiern eines Völkermords, oder hast du nur das Ende des Satzes gelesen? Wer so provoziert muss sich nicht wundern, wenn es nachdem Spiel knallt. Und später so tun als wären man friedlich aus der Synagoge gekommen.

  • Natürlich gibt es üble, wohl auch rechtsradikale, rassistische israelische Fußballfans. Und diese haben in Amsterdam rassistische Parolen gerufen und Gewalt angewendet.

    Ungeachtet dessen haben Antisemiten ihre Hetzjagd im Internet vorbereitet und koordiniert. Ganz normale Passanten wurden gezwungen, sich auszuweisen.

    Diese beiden Sachverhalte gleichzeitig wahrzunehmen, das ist Herrn Bax wohl nicht gegeben.

    • @Jim Hawkins:

      Und die Ultras von MAccabi haben das genauso gemacht. Auf Insta war nach dem Spiel ein Post, in dem sie zugaben gezielt Stunk in Amsterdam gesucht zu haben.

      Und dass ausgerechent Sie jemanden vorwerfen er könne die beiden Sachverhalte nicht gleichzeitig wahrnehmen ist der Witz des Tages! Oder schließen Sie immer von sich auf andere?

    • @Jim Hawkins:

      Auf den Punkt gebracht.



      Sie beide, auch @Fran Zose.

    • @Jim Hawkins:

      Was bis heute noch nicht genannt wurde, in sozialen Netzwerken gab es vor dem Spiel etliche Warnungen an arabische Niederländer, dass IOF Soldaten als Hooligans nach Amsterdam kommen würden. Ob Propaganda oder nicht, es wurde einiges schon im Vorfeld getan um die Stimmung aufzuheizen.

    • @Jim Hawkins:

      Nun, Herr Bax ist eher Aktivist den Journalist. Zumindest kann man zu keinem anderen Schluss kommen, wenn man sich seine an Einseitigkeit und Relativierung kaum zu überbietenden Ergüsse hier so zu Gemüte führt.

      • @Fran Zose:

        Der wohl der korrekteste Artikel, der zu diesem Thema in einer deutschen Zeitung erschienen ist.

      • @Fran Zose:

        "wenn man sich seine an Einseitigkeit und Relativierung kaum zu überbietenden Ergüsse" .Man schlägt sich auf eine Seite und verteufelt alle Gegenargumente, wie stichhaltig sie auch sein mögen, und das selbstverständlich mit herabsetzenden Plakatierungen. MAGA lässt grüßen

  • Danke für diesen Artikel. Eine Stimme der Klarheit und Vernunft im Chor der Wirren.

    • @Trabantus:

      Eine Stimme, die so einseitig ist und in einer Monotonie immer nur ein Schuldigen kennt und nur die Verfehlungen einer Seite beklagt, kann keine Stimme der Vernunft sein. PS: Wenn man schon anhand der Überschrift den Autor errät....