Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen: Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Die Tochter wolle einziehen, behaupten Vermieter etwa – und schmeißen die Mieter raus. Tausende in Berlin sind betroffen. Jetzt stärkt ein Urteil ihre Rechte.
Anderthalb Jahre nach ihrem Auszug – mit ihrem Einspruch vor dem Amtsgericht war die WG gescheitert – scheint sich Stachs Vermutung zu bewahrheiten. Der Vermieter teilte die Wohnung auf. In der einen Hälfte wohnen jetzt neue Mieter, die andere steht weiterhin leer. Von der Tochter, deren Bedarf nach großem Wohnraum in Kreuzberg so dringend schien, keine Spur. Alles spricht dafür: Der behauptete Eigenbedarf war vorgeschoben.
Doch vor Gericht waren die Aussichten auf Wiedergutmachung bislang überschaubar. Das Recht, die Wohnung, aus der man rechtswidrig geworfen wurde, wieder in Besitz zu nehmen, findet in der Praxis keine Anwendung. Das wird durch die neuen Mieter:innen verunmöglicht. Stattdessen können Mieter:innen in Fällen, in denen sich nicht vorher schon auf einen Vergleich geeinigt wurde, die Differenz zu ihrer neuen, höheren Miete einklagen, allerdings wird diese im Regelfall nur für dreieinhalb Jahre gewährt. Der Schaden für die Getäuschten bleibt.
Doch genau das könnte sich jetzt ändern: mit einem Urteil der 66. Zivilkammer des Berliner Landgerichts, zuständig für Kreuzberg und Lichtenberg. Erstmals entschied ein Gericht, dass durch behaupteten Eigenbedarf getäuschten, ehemaligen Mieter:innen nicht nur ein zeitlich begrenzter Schadenersatzanspruch zusteht, sondern auch der Gewinn aus der neuen, höheren Miete.
Hintergrund ist ein Fall, ganz ähnlich dem von Stach: Ein Vermieter hatte einem Mieter gekündigt, weil seine Tochter einziehen sollte. 2018 musste er ausziehen, drei Jahre später waren dann neue Mieter eingezogen, nicht aber die Tochter. Der Altmieter hatte zunächst nur Schadenersatz für die Umzugskosten geltend machen können.
Mietdifferenz abgeschöpft
Das Landgericht aber geht nun darüber hinaus. Weil dem ehemaligen Mieter die Wohnung zwar weiterhin zustünde, dies aber nicht durchzusetzen sei, entschied es zunächst für dessen Auskunftsanspruch über die neue Miete. Auf dieser Grundlage zwingt das Gericht den Vermieter, die unrechtmäßig erzielten Gewinne an den früheren Mieter herauszugeben.
Das Jura-Portal Legal Tribune Online, das zuerst über die Entscheidung berichtete, schreibt: „Für Mieter eröffnen sich so neue Wege, um sich gegen rechtswidrige Kündigungen zur Wehr zu setzen.“ Die Rede ist von einem „bedeutsamen Schritt im Mietrecht“ mit möglichen „Signalwirkungen auf die gängige Praxis der vorgetäuschten Eigenbedarfskündigungen“.
Erst Streit, dann Kündigung
Wie gängig Eigenbedarfskündigungen sind, weiß Sebastian Bartels, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Allein bei seinem Verein landen jährlich bis zu 1.000 dieser Kündigungen auf dem Tisch; für ganz Berlin rechnet er mit schätzungsweise 10.000 pro Jahr – „ein gleichbleibend hohes Niveau seit vielen Jahren“ mit „existenzbedrohenden Folgen“ für Mieter:innen. Vorgeschoben sei der Eigenbedarf laut Bartels in „einem Viertel bis einem Drittel der Fälle“. Oftmals folgten Kündigungen unmittelbar auf Streitigkeiten zwischen Vermieter und Mieter:innen, schon da dränge sich ein entsprechender Verdacht auf.
Potenziell können alle Mieter:innen von Eigenbedarfskündigungen betroffen sein, oftmals passiert dies nach dem Verkauf eines Hauses oder einer Wohnung. Wurde eine bisherige Miet- in eine Eigentumswohnung umgewandelt, gibt es eine sieben- bis zehnjährige Frist, in der niemand anderes als der bisherige Mieter die Wohnung kaufen darf.
Danach aber kann ein Käufer sofort den Eigenbedarf anmelden – unabhängig davon, ob sich eine Wohnung in einem Milieuschutzgebiet befindet. Seit 2021 kommt es aufgrund einer bis Ende 2025 befristeten Gesetzesänderung kaum noch zu solchen Aufteilungen ehemaliger Mietshäuser. Allerdings sind seit 2005 etwa 200.000 Berliner Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt worden. Viele davon stehen in den nächsten Jahren zum freien Verkauf.
„Ein bisschen revolutionär“
Die Entscheidung des Landgerichts findet Bartels „schon ein bisschen revolutionär“. Nun gelte es abzuwarten, „ob sich andere Kammern des Landgerichts der Einschätzung anschließen“. Eine endgültige Entscheidung werde erst der Bundesgerichtshof treffen. Zumindest Mieter:innen in Friedrichshain und Lichtenberg aber „können sich jetzt freuen“, sagt Bartels. Wenn sie in zweiter Instanz vor dem Landgericht landen, könnten auch sie den Gewinn abschöpfen, der dem Vermieter aus der neuen Miete entsteht.
Im Fall von Eigenbedarfskündigungen ist die jüngste Entscheidung das dritte mieterfreundliche Urteil in diesem Jahr. Im Juli hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass Cousins nicht zum Kreis der Familienangehörigen zählen, für die Eigenbedarf geltend gemacht werden kann. Wichtiger noch war ein Urteil der 67. Kammer des Berliner Landgerichts vom Jahresanfang. Damals wurde einer gekündigten Mieterin eine jahrelange Schonfrist eingeräumt, weil zwar die Kündigung rechtmäßig sei, ein Auszug aber eine unzumutbare Härte darstelle. Die Frau habe glaubhaft machen können, dass sie sich erfolglos um eine geeignete und bezahlbare Ersatzwohnung bemüht habe.
Sebastian Bartels vom Berliner Mieterverein plädiert unterdessen für Gesetzesänderungen. Am liebsten würde er Eigenbedarfskündigungen ganz verbieten lassen, zumindest aber für betagte Menschen oder solche, die schon lange in ihren Wohnungen leben. Möglich sei zudem, eine Karenzzeit ins Gesetz zu schreiben und den Kreis der Familienangehörigen auf wenige enge Verwandte zu beschränken. Grund zum Optimismus aber gibt es nicht: „Die Nöte der Menschen, die von Eigenbedarfskündigungen betroffen sind, sind in der Bundespolitik überhaupt nicht angekommen“, so Bartels.
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