Umgang mit Krankheiten: Stärke mit Schwäche verwechselt
Betroffene, die wie Margarete Stokowski öffentlich über Long Covid sprechen, werden attackiert. Nach einem immer gleichen Muster.
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Wie gerne will man glauben, dass wir diese ungesunden Narrative einer Leistungsgesellschaft langsam ablegen. Wie weit der Weg dahin noch ist, zeigten exemplarisch in der vergangenen Woche der Hass und die vielen negativen Kommentare gegen Spiegel-Kolumnistin Margarete Stokowski. Wer öffentlich über eine Erkrankung spricht, der ist weiterhin oft Ungläubigkeit, Hass und Häme ausgesetzt.
Gemeinsam mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) saß Stokowski am 14. Oktober in der Bundespressekonferenz und sprach über ihre Long-Covid-Erkrankung. Lauterbach wollte eigentlich seine Impfkampagne „Ich schütze mich“ bewerben. Die Debatte in den vergangenen Tagen wurde aber nicht über angepasste Impfstoffe geführt, sondern war von Kritik und Lob an sowie Solidarität mit Stokowski geprägt.
Manche erwarteten von ihr, dass sie erklärt, warum ausgerechnet sie als Mehrfachgeimpfte an Long Covid erkrankte. Die Annahme, Stokowski müsse darauf Antworten haben, ist falsch. Das müssen Studien, die teilweise bereits laufen, erforschen. Das muss Lauterbach in Angriff nehmen. Ob Stokowski die geeignetste Person für eine neuaufgelegte Impfkampagne ist, ist streitbar. So oder so kann sie nur leisten, was sie tat: Von ihrer Erkrankung erzählen, wie sie es seit Monaten auf ihren Social-Media-Kanälen tut. Persönlich und mit Appellcharakter.
Stokowski kennt Angriffe auf ihre Person
Für die Aufmerksamkeit, die sie dadurch schafft, sind ihr viele Menschen dankbar. Menschen, die keine Reichweite haben, die mit ihrer Langzeiterkrankung in der öffentlichen Wahrnehmung kaum vorkommen. Doch Stokowski wird ihr Engagement nicht nur gedankt. Stattdessen wird sie immer wieder dafür angegriffen.
Das antizipierte Stokowski bereits im Vorfeld der Pressekonferenz. Die Vorwürfe sind so wenig kreativ wie überraschend: Sie sei nur zu faul zum Arbeiten. Sie wolle sich wichtig machen. Nach der Pressekonferenz schreibt sie auf Instagram, dass sie ein Stück weit froh sei, dass sie es ist, die den Hass abbekommt, niemand, der bislang wenig Erfahrung damit hat.
Stokowski nutzte die Bühne der Pressekonferenz und stellte politische Forderungen für sich und all jene, die jetzt oder in Zukunft von Long Covid betroffen sind. Sie kritisierte die Behandlungsmöglichkeiten als unzureichend und plädierte für schnellere Arzttermine, damit Menschen nicht – wie sie es tat – selbst rumprobieren müssen, ob irgendwas hilft.
Damit hat sie recht. Es braucht eine Aufklärungskampagne für Long Covid und das Post-Covid-Syndrom. Denn immer noch werden Betroffene nicht ernst genommen oder erhalten zu wenig Unterstützung. Das mussten besonders Menschen, die zu Beginn der Pandemie an Long Covid oder Post-Covid erkrankten, schmerzhaft erfahren. Ihre Symptome wurden zunächst abgetan. Dass sie weder ihrer Arbeit wie gewohnt nachgehen noch an sozialen Aktivitäten teilnehmen konnte, isolierte sie. Schaffte finanzielle Notlagen. Aus den Berichten der Betroffenen haben einige Menschen jedoch offensichtlich nicht gelernt.
Stigmatisieren ist einfacher als begreifen
Denn statt der Thematisierung der eklatanten Versorgungslücken folgte nach der Bundespressekonferenz ein absurdes Stokowski-Bashing auf der Grundlage ihrer Social-Media-Kanäle. Wie, sie hat es gewagt, sich trotz ihrer Krankheit die Nägel zu lackieren? Aha, sie war ja sogar mal draußen. Und: Sie hat sogar ein Bananenbrot gebacken. Wie krank kann man sein, wenn man all diese Dinge tut? Diese Logik zeugt nicht nur von engstirnigem, stigmatisierendem Denken, sondern offenbart fehlendes Mitgefühl. Sie folgt aber auch der Argumentationslinie, die Coronaleugner*innen anwenden: Corona ist nicht schlimm, also kann es so etwas wie Long Covid gar nicht geben.
Das ist herrlich bequem: Sie lenken von der Kritik am Gesundheitssystem ab, indem sie Effekthascherei unterstellen. Persönliche Angriffe und das Anzweifeln von Glaubwürdigkeit sind leicht. Soll die chronisch kranke Person erstmal beweisen, wie krank sie wirklich ist. Als wäre eine Erkrankung weniger belastend, wenn es dazwischen auch gute Tage gibt.
In dieser exemplarischen Debatte, die Menschen mit chronischen Krankheiten im Alltag immer wieder erleben, wird das Weltbild der funktionierenden Leistungsgesellschaft, bei der alle Menschen die mahnenden Schiedsrichter*innen der anderen sind, reflexartig bemüht. Wie oft fallen hinter vorgehaltener Hand Äußerungen, jemand sei „bestimmt nicht wirklich krank“ und habe „keine Lust mehr auf Arbeiten.“ Beim Sprinten im Hamsterrad kann das Gehirn wohl nicht komplexer denken. Die Stärke, für die eigene Gesundheit einzustehen, wird immer noch zu oft mit Schwäche verwechselt.
Natürlich wird bei Angriffen und Stigmatisierungen, wie sie etwa Long-Covid-Betroffene erfahren, auch eine Ablehnung deutlich, sich mit Krankheiten auseinanderzusetzen. Atemnot, Wortfindungsstörungen, ständige Erschöpfung sind einige Symptome des extrem variierenden Krankheitsbilds. Auch junge, sportliche Menschen erkranken und die Therapiemöglichkeiten werden erst nach und nach erforscht. Das klingt nicht gut. Das klingt anstrengend.
Doch das Thematisieren der Krankheit mit Panikmache gleichzusetzen, ist plump. Dadurch sammelt man vielleicht gefällige Zustimmungen von Coronaleugner*innen, schafft sich selbst eine Distanz und kann das Thema entspannt wegschieben. Man entsolidarisiert sich aber auch. Oder wie es Stokowski treffend zusammenfasst: „Mich gruselt die Vorstellung, wie diese ekligen Leute, die jetzt mich beschimpfen, mit Menschen aus ihrem Umfeld umgehen, die krank sind.“
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