Ukraine-Krieg: Heilsamer Realitätsschock
Die Ampel-Regierung hat bei Waffenlieferungen und Sanktionen eine dramatische Kehrtwende hingelegt. Doch das macht die Fehler nicht ungeschehen.
S ie ist nicht einmal 100 Tage im Amt und hat bereits einen brutalen Realitätsschock erlitten. Am Samstagabend hat die Ampel-Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz daraus in einer bemerkenswerten Kehrtwende die Konsequenzen gezogen und Waffenlieferungen an die Ukraine sowie harten SWIFT-Sanktionen zugestimmt. Die Zeit der Phrasen, Appelle und Peinlichkeiten in Gestalt von 5000 Helmen ist vorbei – endlich.
Für Deutschland beginnt damit ein außen- und sicherheitspolitisch neues Zeitalter. Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hat die edle Haltung, dass Krisen nur diplomatisch gelöst werden können und Reden immer besser ist als Schießen, ad absurdum geführt. Wladimir Putin hat die Bundesregierung und den Westen insgesamt mit ihrer gutgemeinten Krisendiplomatie vorgeführt.
Nicht nur die Koalitionäre, auch die anderen Parteien und weite Teile der Öffentlichkeit haben nun erlebt, was Zurückhaltung bedeutet: Mitansehen zu müssen, wie Neugeborene in die Luftschutzkeller getragen werden, Ukrainer sich russischen Panzern mit nichts als ihren Körpern entgegenstellen und der Präsident den EU-Regierungschefs per Zoom sagt, es sei vielleicht das letzte Mal, dass sie ihn lebend sehen. Das ist die schockierende Realität.
Nichtstun hat Folgen. Und niemand sollte sich einbilden, dass nun, da Deutschland sich besonnen hat, alles wieder gut wäre. Die ukrainischen Städte sind weiterhin unter Beschuss, Kiew wird höchstwahrscheinlich über kurz oder lang fallen. Putin ist weit davon entfernt, seine Pläne aufzugeben. Und ja, auch für Europa, für Deutschland wird diese militärische Eskalation weitreichende Folgen haben – vor allem in Form von Energiepreisen oder erheblichen Engpässen.
Die jetzige Kehrtwende kann die Fehler der Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Die Bundesregierung hat in ihrer ersten großen Krise keine gute Figur gemacht und sich erst auf nationalen und internationalen Druck hin und unter dem Eindruck der Bilder aus Kiew besonnen. Dass vor allem die SPD ein Bremsklotz war, dürfte außer Frage stehen.
Vizekanzler Robert Habeck hat schon vor einem Jahr erkannt, dass die Ukraine „nicht nur für sich selbst kämpft, sondern auch die Sicherheit Europas verteidigt“. Für seine Forderung nach Defensivwaffen wurde er niedergemacht und verspottet – von den Grünen ebenso wie von anderen Parteien. Jetzt will er durchsetzen, dass Energiepolitik Teil der Sicherheitspolitik wird. Seine Kolleg*innen im Kabinett sollten auf ihn hören. Habeck ist in dieser Krise klarsichtiger gewesen als der Kanzler. Auch das wird man so schnell nicht vergessen.
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