Überreichtum in Deutschland: Ende der Schonzeit
Es wird mehr berichtet über Vermögensteuer, Erbschaftsteuer und eine globale Mindeststeuer. Eine handlungsfähige Regierung könnte diese Aufmerksamkeit nutzen.
A uf einem dieser Empfänge, mit denen sich der Medien- und Politikbetrieb in Berlin durch den Sommer hangelt, traf ich einmal Gerhard Schick. Der hatte Ende 2018 sein Grünen-Bundestagsmandat niedergelegt, um die Bürgerbewegung Finanzwende zu gründen, was ich bedauerte, denn linke Finanzexperten werden im Bundestag dringend gebraucht, also meckerte ich ihn an: Gerade mit einer Ampelregierung könne er doch wohl etwas bewegen! Er lächelte milde und sagte sinngemäß, er sei eigentlich ganz zuversichtlich, dass seine Arbeit auch außerhalb von Partei und Fraktion sinnvoll sei.
Diesen Sommer denke ich, dass er wahrscheinlich recht hatte. Die Berichterstattung über das ökonomische, ökologische und demokratische Problem, das der Überreichtum in Deutschland und anderswo produziert, hat sich enorm verstärkt, ist breiter geworden und gleichzeitig präziser. Das ist jetzt erst einmal meine Privatempirie (vielleicht fühlt sich für eine wissenschaftliche Erhebung jemand aus all den Medienstudiengängen angesprochen – das Semester fängt bald an!).
Aber die Zahl der Beiträge über die Vermögensteuer, eine wirksamere Erbschaftsteuer, eine globale Mindeststeuer, über alles Mögliche also, um der Vermögenskonzentration in wenigen Händen etwas entgegenzusetzen, ist doch auffällig.
Auch Capital berichtet mit kritischem Unterton (sieh an, da schreibt ein Ex-taz-Kollege), dass gerade in Deutschland die Über-100-Millionen-Dollar-Superreichen in letzter Zeit noch reicher wurden (plus 10 Prozent in einem Jahr) und damit die bloß Ein-bis-fünf-Millionen-Dollar-Reichen (plus 5 Prozent im selben Jahr) weiter hinter sich lassen.
Endlich Leben eingehaucht
Die Berichtsanlässe liefern hierbei oft die „Wealth Reports“ etwa der Boston Consulting Group – von dort stammen die eben zitierten Zahlen – oder auch von Oxfam. Anders aber als noch vor wenigen Jahren gibt es jetzt eine ganze Reihe von Organisationen, die sich zu solchen Routineterminen äußern und eigene Recherchen, Vorschläge und überhaupt ein paar Ideen beisteuern: Das Netzwerk Steuergerechtigkeit erwähnte ich letztes Mal an dieser Stelle, die abgabewilligen ErbInnen der Initiative taxmenow, aber auch Gerhard Schicks Bürgerbewegung Finanzwende gehören dazu.
Es sieht aus, als hätten diese Initiativen es vermocht, dem Thema endlich Leben einzuhauchen. Das bedeutet, dass die drängendsten Fragen sich herumsprechen: Wie kann es sein, dass in Deutschland Reichtum nicht messbar sein soll? Wer genau ist eigentlich diese Stiftung Familienunternehmen, die in Deutschland offenbar die Gesetzesvorlagen mitverfassen darf?
Auch der Sprachgebrauch und sein kultureller Resonanzboden werden aufgelockert. Reiche, Superreiche, Überreiche – der ganze Reichtumsbegriff wirkt plötzlich ganz frisch und ist vielfältiger geworden. Seit Jahrzehnten grübeln die SoziologInnen, wie sich in Deutschland das Gerücht aus den 50er Jahren halten kann, man sei eine „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ und irgendwie gleicher als das europäische Umland.
Der Historiker Hans-Ulrich Wehler hat dazu mal gesagt, dieses immer schon falsche Selbstbild habe sein „Unterfutter“ in den Jahren vor 1945: „Es gab eine erstaunliche Sehnsucht nach der Mitte, die auch von der Volksgemeinschaftsideologie angesprochen worden war.“
Ohne Reste dieser irrigen Vorstellung einer Mittelstandsgesellschaft in allzu vielen Köpfen hätte die Jahrzehnte währende Steuerverschonung der Vermögenden durch wechselnde Koalitionen nicht so gut funktioniert. Wenn diese ideologische Ära jetzt zu einem Ende kommen sollte, braucht’s nur noch eine handlungsfähige Regierung, um … – ach, Mist. Ich vergaß.
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