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Test auf Downsyndrom bei SchwangerenEin Tröpfchen Blut

Liv kam mit Trisomie zur Welt. Die Mutter würde wieder so entscheiden – andere Frauen nicht. Werden Menschen mit Beeinträchtigung künftig aussortiert?

Den Test für Trisomie müssen Schwangere bisher selber bezahlen Foto: dpa

Berlin taz | Fünf Jahre versuchte Sabine Hahn zusammen mit ihrem Mann Christian, schwanger zu werden. Überall, erzählt sie, habe sie Frauen mit dicken Bäuchen gesehen, und je länger sie nicht zu ihnen gehörte, desto mehr setzte sich das Paar mit dem Gedanken auseinander, ungewollt kinderlos zu bleiben. Ganz unerwartet war der Schwangerschaftstest dann eines Tages positiv. „Von dem Moment an war ich verknallt“, sagt Hahn. „Liv war ein absolutes Wunschkind.“

Ihre Frauenärztin wies sie darauf hin, dass sie aufgrund ihres Alters zur Gruppe der sogenannten Risikoschwangeren gehöre. „Was für ein abwertender Begriff“, sagt Hahn, eine schlanke Frau mit rotblonden Haaren, und schüttelt den Kopf. „Das ganze Leben ist ein Risiko.“

Die heute 44 Jahre alte Grafikdesignerin und ihr Mann sprachen zwar darüber, was wäre, wenn ihr Kind eine Behinderung bekäme. Mehr als die üblichen Vorsorgeuntersuchungen wollten sie aber nicht in Anspruch nehmen. Auch Bluttests auf das Downsyndrom, die vor Livs Geburt schon auf dem Markt waren, machte Sabine Hahn nicht. „Nach der langen Wartezeit fühlte ich mich sehr befreit“, sagt sie. „Ich wollte die Schwangerschaft einfach genießen.“

Sabine Hahn entschied sich gegen den Trend. Denn schon seit 2012 gibt es Tests, mit denen unter anderem Trisomie 21 vorgeburtlich bestimmt werden kann – nicht wie früher durch einen mit Risiken behafteten Eingriff wie eine Fruchtwasseruntersuchung, sondern ganz gefahrlos durch einen Bluttest der Schwangeren. Trisomie 21, das auch Downsyndrom genannt wird, verursacht kognitive Beeinträchtigungen und zum Teil Organprobleme. Praxen berichten, dass die Tests auf großes Interesse stoßen. „Nach dem fragen jetzt alle“, sagt die Sprechstundenhilfe einer gynäkologischen Praxis in Berlin-Kreuzberg am Telefon.

Bundestag debattiert über die Bluttests

Was das bedeutet, darüber will am Donnerstag der Bundestag debattieren. „Vorgeburtliche Bluttests – wie weit wollen wir gehen?“ fragen zehn ParlamentarierInnen von Grünen, CDU, SPD und Linkspartei in ihrem Positionspapier, mehr als 100 ParlamentarierInnen unterstützen die Initiative. „Derartige Tests“, schreiben die Abgeordneten, würden angeboten, „ohne dass die gesellschaftlichen Auswirkungen und ethischen Fragen, die sich durch ihre Anwendung ergeben, von irgendeiner Instanz geprüft und bewertet wurden“.

Eine Frage ist, wie die Gesellschaft mit Menschen mit Beeinträchtigung, speziell mit Downsyndrom, umgeht – und ob für Menschen mit Downsyndrom überhaupt ein Platz vorgesehen ist. Denn von den Frauen, bei deren Föten das Downsyndrom festgestellt wird, entscheiden sich viele für den Abbruch der Schwangerschaft. Die Zahlen werden in Deutschland nicht erfasst. Aber in Dänemark, wo seit 2005 allen Schwangeren eine Risikoabschätzung auf Trisomie angeboten wird, hat sich die Zahl der mit dem Downsyndrom geborenen Kinder seitdem halbiert.

Sollen die Krankenkassen die Tests bezahlen?

Eine weitere Frage ist, ob die Krankenkassen diese Bluttests bezahlen sollen. Erst Ende März beriet der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), in dem ÄrztInnen und Krankenkassen vertreten sind, ob die Kassen die sogenannten nichtinvasiven Pränataltests (NIPT), wie die Tests korrekt heißen, künftig übernehmen sollen. Das Ergebnis: Für alle Schwangeren wird das wohl nicht der Fall sein. Bei Schwangerschaften mit „besonderem Risiko“ allerdings sieht der GBA die Tests als „im Einzelfall mögliche Leistung“ an, sagte GBA-Vorsitzender Josef Hecken.

Allein das Alter der Schwangeren soll dabei zwar kein ausreichendes Risiko sein. Was eines wäre, müsse individuell entschieden werden, heißt es auf Nachfrage aus dem GBA. Wenn wissenschaftliche Fachgesellschaften wie der Deutsche Ethikrat, die Gendiagnostik-Kommission und zahlreiche weitere Organisationen ihre Stellungnahmen zum Verfahren abgegeben haben, will das Gremium im August über den Beschlussentwurf zur Kostenübernahme durch die Kassen beraten und entscheiden.

„Einen Schockmoment gab es bei mir nicht“

Bei Hahn kam die Geburt früh, ging schnell, die Kinderärztin legte Hahn ihre Tochter auf die Brust. „Ich hab sie angeschaut, und irgendwie war’s mir da klar“, sagt Hahn. Kinder mit Downsyndrom haben häufig leicht schräg stehende Augen. „Den Schockmoment, von dem immer gesprochen wird, gab es bei mir nicht“, sagt Hahn. „Was ist das auch für ein scheußlicher Start ins Leben, wenn deine Eltern von dir geschockt sind.“

Sabine Hahn mit Tochter Liv und ihrem Mann Foto: Julia Baier

Liv Hahn ist eine lebhafte Fünfjährige mit rotblonden Haaren wie ihre Mutter, sie schaut gern Baustellen und Bagger an, bekommt gern vorgelesen und mag Musik. Bei StraßenmusikantInnen müsse man immer stehenbleiben und Münzen in den Hut werfen, sagt Christian Hahn. Beim Gespräch in der Altbauwohnung der Hahns im Berliner Stadtteil Charlottenburg, wo sie seit einem halben Jahr wohnen, spielt Liv mit ihrer Ukulele, auch ihren Vater fordert sie auf, für ihr Spiel zu bezahlen. Der Alltag in der Familie, sagen die Eltern, sei mit allen Freuden und Ärgernissen derselbe wie bei anderen auch. Aber die Welt jenseits der Familie sei auf Menschen mit 46 Chromosomen zugeschnitten.

Den Schockmoment gab es bei mir nicht. Was ist das auch für ein scheußlicher Start ins Leben, wenn deine Eltern von dir geschockt sind

Sabine Hahn, Mutter eines Mädchens mit Downsyndrom

Trisomie 21 ist die häufigste Auffälligkeit, nach der bei vorgeburtlichen Bluttests gesucht wird. Auf 700 Schwangere aller Altersstufen kommt ein Fötus, bei dem das Chromosom 21 dreifach vorhanden ist. Nach Livs Geburt ging ein Untersuchungsmarathon los. „Ich hatte keine Ahnung vom Downsyndrom“, sagt Hahn, „und dann sind lauter Stereotype auf mich eingeprasselt.“ Doch Herz und Organe sind bei Liv intakt, wie etwa bei rund zwei Dritteln der Kinder mit derselben Diagnose. Auch sonst ist jenseits der Trisomie nichts auffällig.

Doch dass Liv die Diagnose anzusehen ist, drückt ihr einen Stempel auf, wie Sabine Hahn sagt. Mal wird Liv angestarrt, mal sie selbst – manchmal allerdings auch angelächelt oder angesprochen, oft von Fremden, die ebenfalls ein Kind mit Downsyndrom haben. In ihrer Kita ist sie das erste Kind mit Inklusionsstatus, sie geht gern hin, auch die Kitaleitung ist zufrieden. Nur Freundinnen ohne Downsyndrom, wie sie sie an ihrem vorherigen Wohnort hatte, hat sie noch nicht gefunden. Auch manche Eltern in der Kita oder auf dem Spielplatz wüssten nicht genau, wie sie mit Liv umgehen sollten, sagt Hahn. „Die meisten üben vornehme Zurückhaltung.“ Ihr sei es lieber, wenn gefragt werde. „Sonst ist das wie ein Vakuum: Es kommt keine Luft rein.“

Mit den Bluttests, befürchtet Hahn, könnte sich dieses Vakuum ausdehnen. Schon das Vokabular, das oft verwendet wird, findet sie schwierig: „Es soll ‚nichts Schlimmes‘ bei dem Test herauskommen – was impliziert, dass Downsyndrom etwas Schlechtes ist“, sagt Hahn. Sie verurteile Menschen nicht, die sich für den Test oder auch den Abbruch der Schwangerschaft entscheiden. Und von sogenannten LebensschützerInnen, die versuchten, Frauen zu kontrollieren, distanziere sie sich. „Aber die Tests und die oft mangelhafte Beratung der ÄrztInnen bedeuten, dass Kinder mit Downsyndrom möglichst aussortiert werden.“

Der Gynäkologe: Keine Frau macht sich die Entscheidung leicht

Kai-Sven Heling sieht das anders. Heling ist Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, seine Praxis für Pränataldiagnostik Friedrichstraße liegt nur wenige Meter von der Spree entfernt in Berlin-Mitte. Auch wenn die Möglichkeiten, immer mehr und immer bessere Tests zu machen, stetig zunehmen, sei die Sorge, es könnten Designerbabys entstehen, „realitätsfern“, sagt Heling. In 25 Jahren Berufserfahrung habe er noch keine Frau erlebt, die sich die Entscheidung für die Beendigung einer Schwangerschaft leicht mache: „Die Entscheidung wird zum Teil ihres Lebens, so oder so.“

Die Flure in der Praxis des 52-Jährigen sind mit grauem Teppich ausgelegt, an den Wänden hängt abstrakte Malerei. In seinem Büro quillen die Bücherregale vor medizinischer Fachliteratur über. Heling arbeitet mit dem Pränatest, der von der Firma LifeCodexx AG in Konstanz produziert und vertrieben wird. Die AG war die erste Firma, die einen solchen Test in Deutschland anbot – und die, die beim Gemeinsamen Bundesausschuss den Antrag auf Kassenzulassung stellte.

Heling, dunkle Jeans, blauer Rollkragenpullover, ist ein Mann, der schnell zum Punkt kommt. Zwar sei es eine gesellschaftliche Debatte, wie mit Downsyndrom umzugehen sei, sagt er. „Aber die Frau bekommt das Kind, nicht die Gesellschaft.“ Aus Schwangerschaften, findet Heling, solle sich der Staat weitgehend heraushalten: Ob eine Frau ein Kind austrage oder nicht, sei die „individuelle Entscheidung der Frau und Teil von Pluralismus und Demokratie“. Da habe ihr niemand reinzureden.

Ohnehin befürchtet Heling, dass sich die Debatte um die Tests nur zum Teil um die Tests drehe – und zum Teil von Menschen instrumentalisiert werde, die „andere Interessen verfolgen“, wie er sagt. „Die Gesellschaft wird wieder konservativer. Frauen sollen unter Druck gesetzt werden, keine Abbrüche mehr zu machen.“

Zu Heling, der selbst drei Töchter hat, kommen überwiegend Frauen, die von ihren GynäkologInnen zur Feindiagnostik überwiesen werden, also zur „Beschreibung der normalen Anatomie, dem Nachweis organischer Fehlbildungen oder dem Nachweis mütterlicher Erkrankungen in der Schwangerschaft“, wie er sagt.

Schätzungsweise ein Drittel seiner Patientinnen macht den Bluttest. Etwa die Hälfte aller Frauen, die zu ihm kommen, sind 35 Jahre und älter. Je älter die Schwangere, desto größer sei das Risiko, ein Kind mit Downsyndrom zu bekommen, sagt Heling. „Damit ist es die häufigste und eine klassisch altersabhängige Krankheit – oder wie auch immer man das nennen mag“, sagt er. „Ein zusätzliches Chromosom bedeutet auf jeden Fall: nicht normal, nicht komplett gesund.“

Der Test ist preiswert und liefert gute Ergebnisse

Die Tests, mit denen das festgestellt werden kann, haben sich rasant entwickelt. „Aus medizinischer Sicht ist der nichtinvasive Pränataltest ein exzellenter Screen“, sagt Heling. Auf Trisomie 21 bezogen liegt die Entdeckungsrate mittlerweile bei bis zu 99 Prozent. Allerdings screent der Test nicht nur auf das Downsyndrom, sondern auch auf die beiden Trisomien 13 und 18, die mit überdurchschnittlich hohen Säuglingssterblichkeiten und schweren Behinderungen einhergehen. Bei diesen Trisomien liegen die Entdeckungsraten bei Weitem nicht so hoch wie für das Downsyndrom. Heling fordert deshalb, dass zusätzlich zu den Tests ein Ultraschall gemacht werden müsse.

Die Bluttests sind deutlich günstiger geworden. Kosteten sie zu Beginn noch um die 1.200 Euro, sind sie mittlerweile für 130 Euro bis 300 Euro zu haben. Schon durch die gesunkenen Kosten sei die Akzeptanz stark gestiegen, sagt Heling. Und dennoch: „Wenn man ihn nicht bezahlt, schafft man eine Zwei-Klassen-Medizin“, befürchtet er. „Die, die es sich leisten können, machen den Test. Und die anderen eben nicht.“

Die Gesellschaft wird wieder konservativer. Frauen sollen unter Druck gesetzt werden, keine Abbrüche mehr zu machen

Kai-Sven Heling, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe

In den Untersuchungszimmern in Helings Praxis stehen eine Liege und ein Ultraschallgerät, auf einem Flatscreen kann die Frau oder das Paar die Bilder verfolgen. Falls Auffälligkeiten entdeckt werden, gibt es weitere Räume mit einem roten Ledersofa und einer bequemen Liege für die Schwangere. Heling beschreibt, was Sabine Hahn für sich verneint: „Wenn Frauen ein Ergebnis bekommen, mit dem sie nicht rechnen, sind sie oft vor den Kopf geschlagen, traurig, unsicher.“ Zunächst folgen dann Gespräche, mit ÄrztInnen und einer psychologischen Psychotherapeutin. Die Empfehlung in solchen Fällen ist, die Auffälligkeit, die der Test angezeigt hat, mit einer Fruchtwasseruntersuchung endgültig abzuklären. Erst diese sei die Grundlage, um über weitere Schritte zu reden: „Schwangerschaft austragen, Startchancen durch Geburten mit angebundener Kinderklinik verbessern“ – oder eben die Schwangerschaft beenden.

Die Fruchtwasseruntersuchung, schätzt Heling, nehmen rund 90 Prozent der Frauen in seiner Praxis in Anspruch, bei denen der Bluttest auffällig war. Und nur wenige entscheiden sich wiederum dafür, das Kind trotz Downsyndromdiagnose auszutragen. Drei oder vier Frauen begleite er momentan, sagt Heling, die Babys mit Downsyndrom erwarten. Schätzungsweise sechs bis sieben von zehn Frauen in seiner Praxis entscheiden sich bei Diagnose Trisomie 21 zum Abbruch.

Die Abgeordnete: „Der Test hat keinen Nutzen“

Warum das so ist, dürfte Teil der Debatte werden, wenn am Donnerstag der Bundestag zusammenkommt. „Unserer Erfahrung nach wird es immer schwieriger für Frauen zu sagen, sie möchten diese Tests nicht machen oder auch Babys mit Downsyndrom austragen“, sagt Corinna Rüffer, behindertenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag und Initiatorin der fraktionsübergreifenden Debatte. „So werden gesellschaftliche Erwartungen auf dem Rücken von Frauen ausgetragen.“

Persönlich spreche sie sich gegen eine Kassenübernahme der Tests aus, sagt die 43-Jährige am Telefon: „Schlicht aus dem Grund, dass die gesetzlichen Krankenkassen Leistungen finanzieren sollten, die einen medizinischen Nutzen haben. Dieser Test hat keinen. Es gibt nichts, was man heilen könnte oder müsste.“

Die Frage nach der Kassenübernahme sei eine Nuance der Debatte. „Wir sind momentan dabei, eine Situation zu schaffen, in der durch vorgeburtliche Tests immer mehr herausgefunden werden kann“, sagt Corinna Rüffer, die selbst eine Tochter mit Downsyndrom hat. „Wir müssen uns fragen: Was macht das mit einer Gesellschaft, wenn sie darauf geeicht ist, dass möglichst leistungsfähige Kinder auf die Welt kommen?“

Die Frage, ob eine solche Debatte nicht viel zu spät komme, verneint sie. „Trends können sich verändern“, sagt sie. „Und unser Auftrag ist es, die Gesellschaft so zu gestalten, dass sich im Idealfall die Frage nach Downsyndrom gar nicht mehr stellt – weil das Kind als Bereicherung angesehen wird und nicht als Risiko.“

Das Kind Downsyndrom – ein Risiko für Berufstätige

Dafür allerdings, sagt Pränataldiagnostiker Heling, müsse sich einiges ändern. Auch er fordert gute Rahmenbedingungen für diejenigen, die Kinder mit Downsyndrom austragen wollen. Denn denen, das habe sich in der Vergangenheit gezeigt, würden Steine in den Weg gelegt. Eine Frau, erzählt er, habe in der Tourismusbranche gearbeitet und musste ihren Job wechseln, weil sie keine Krankenkassen gefunden habe, die eine Auslandsversicherung für Kinder mit Downsyndrom abschließe. „Da muss der Staat handeln“, sagt er. „Er lässt die Frauen viel zu sehr allein.“

An dieser Stelle entsprechen sich die Perspektiven von Heling und Hahn. Die Möglichkeiten für Menschen mit Downsyndrom müssten verbessert werden, fordert auch Hahn. Viele Kitas und Schulen lehnten Inklusion ab, später arbeite die überwiegende Mehrheit der Menschen mit Downsyndrom in Behindertenwerkstätten, obwohl viele auch im ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen könnten. Oft hängt das davon ab, ob die Leuten sich offen zeigten – oder eben nicht. „Menschen mit Downsyndrom, sagt Sabine Hahn, „fallen einfach schnell aus dem Raster.“

Doch Liv, sagt sie, werde von ihr nie das Gefühl bekommen, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmt. „Mit ihr“, sagt Hahn, „stimmt alles.“

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102 Kommentare

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  • Komisch, wenn es um das Downsyndrom geht scheint es hier im Forun plötzlich mehr Abtreibungsgegner zu geben.

  • „Werden Menschen mit Beeinträchtigung künftig aussortiert?“

    Die Frage stellen sich auch andere schon länger, z.B.die kath. Kirche: www.taz.de/!5513660/

    • @Rudolf Fissner:

      Die wenigstens konsistent ist, indem sie jede Abtreibung verurteilt. Davor habe ich mehr Respekt als vor dem Schwachsinn linker Feministen, die Abtreibung aus egoistischen Gründen gutheißen, und Abtreibung zur Vermeidung von schwerem Leid in die Nähe von Nazi-Verbrechen rücken.

  • Die Optimierung ist nicht mehr aufzuhalten. Ich finde es total schlimm, wir näher uns immer schneller den Zuständen, die Aldous Huxley schon 1932 in "Schöne Neue Welt" beschrieb. Die Optimierung im Reagenzglas ist nicht mehr weit. Mögen sich die Politiker auch heute noch echauffieren! Es ist bald so weit.

    • @Wilfried Bergmann:

      Ich wusste noch nicht, dass ich ein optimaler Mensch bin, nur weil ich nicht das Down-Syndrom habe. Ich dachte immer, dass ich genügend andere Fehler und Probleme habe, und keine schwere Behinderung brauche, damit das Leben interessant bleibt.

      Angenommen, Sie würden nach Ihrem Tod wiedergeboren werden und hätten die Wahl. Würden Sie sich für ein Leben mit Down-Syndrom entscheiden? Ein IQ von 50, dazu Herzfehler, Darmverschlüsse, Augenprobleme, Schlafapnoe, Immunschwäche und Alzheimer ab 40. Klingt das verlockend?

      • @Thomas Friedrich:

        Lesen Sie doch bitte den Beitrag, bevor sie was von Herzfehler etc. schreiben.

        Und ja, ich würde mich bei Wiedergeburt auch für ein Leben mit Trisomie 21 entscheiden. Meines Wissens nach gibt es auch Studien, die besagen, dass diese Menschen vergleichsweise glücklicher sind.

    • @Wilfried Bergmann:

      Welche Optimierung? Wenn Eltern sich ein gesundes Kind wünschen, was hat das mit Optimierung zu tun?

      Mir sind noch keine Paare begegnet die sagen: " Ja geil, hoffentlich kommt unser Sohn/Tochter mit Trisomie 21, zur Welt, die sind immer so fröhlich..."

  • 9G
    93559 (Profil gelöscht)

    Ergänzung: Leider gibt es ja ethische Dilemmata, die nicht so einfach und alternativ zu beantworten sind.



    Die Eltern, die sich gegen die schwerst behinderte Tochter entschieden haben und eine Spätabtreibung vornehmen ließen, also eigentlich eine Geburt mit vorheriger Tötung, empfanden Schuld und Trauer, obgleich sie ihre Entscheidung richtig fanden und nach wie vor finden.



    Man kommt halt nicht schuldlos durchs Leben.

  • 9G
    94797 (Profil gelöscht)

    "Eine Frage ist, wie die Gesellschaft mit Menschen mit Beeinträchtigung, speziell mit Downsyndrom, umgeht – und ob für Menschen mit Downsyndrom überhaupt ein Platz vorgesehen ist"



    Klare Antwort- nicht meine Antwort- wohlgemerkt.



    Nö.Sind sie nicht.Darum ja auch die grosse Nachfrage nach den Tests.



    Im hegemonialen, alternativlosen Wirtschaftssystem sind sie überflüssig.-> eben "behindert "

    • 9G
      94797 (Profil gelöscht)
      @94797 (Profil gelöscht):

      Oder eben:



      "Behindernd"

      • @94797 (Profil gelöscht):

        Die „gesunden“ Föten auch schon?

        Irgendwie schleichen sich ja nun die Abtreibungsgegner von janz links hier rein :-)

        • 9G
          94797 (Profil gelöscht)
          @Rudolf Fissner:

          Die habens- leider mal wiedet nich begriffen. Das fiel mir schon öfter auf.



          Ich bin's müde, Ihnen den Prediger zu machen.

  • 9G
    93559 (Profil gelöscht)

    Es ist einzig die Entscheidung der Frau, die ihr gesamtes Leben dann mit einem womöglich behinderten Kind zu tun haben wird, das wahrscheinlich ständiger Unterstützung bedarf. Mir gehen diese rosigen Schilderungen hier ziemlich auf den Geist. Es gibt auch die schwierigen Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die eben nicht Psychologie studieren. Eine Freundin von mir, Pädagogin in einer Behindertenwohngruppe, wurde von einem Downsyndrom-Mann schwer gewürgt. Es gibt eine Doku von einer alleinerziehenden Sozialpädagogin, deren Sohn das Downsyndrom hat und letztlich seiner Mutter keinerlei Raum lässt, sich der gesunden Tochter zu zu wenden. Ein ewiges Geschrei und Hineingefuhrwerke. Dass gut betuchte Mittelstandseltern da noch andere Möglichkeiten haben als z.B. einkommensschwache Menschen, ist auch klar. Die können dann als Bereicherung empfinden, was für andere, die immer an der Grenze leben müssen, eine ziemliche oder kaum tragbare Last ist, bei aller Liebe für das Kind.



    Ich bin nicht der Ansicht, dass Behinderungen unter Artenschutz gestellt werden müssen im Sinne von geradezu Befördern. Wenn sie geboren werden oder es bei der Geburt werden oder im Laufe des Lebens, gibt es genug Gelegenheit, die Inklusionsfähigkeit und -bereitschaft der Gesellschaft zu fördern und zu fordern.

    Eine Kollegin, deren behinderte Schwester mit 13 Jahren starb, als sie, die Kollegin 18 Jahre alt war, lehnte es ab, ihre eigene Tochter in einen Inklusionskindergarten zu geben, weil sie, wie sie sagte, für ihr Leben genug mit Behinderung zu tun hatte. Und sie hat ihre Schwester geliebt.



    Insofern stimme ich dem Arzt zu: Die Frau bekommt das Kind und nicht die Gesellschaft und nur sie hat zu entscheiden. Niemand macht sich das dann leicht.Da habe ich zu viel aus meiner Umgebung mit gekriegt. Vom Leben mit Behinderten, aber auch von der Entscheidung gegen ein behindertes Kind.

    • @93559 (Profil gelöscht):

      "Es ist einzig die Entscheidung der Frau..."

      Da muss ich Ihnen als Betroffener ausdrücklich widersprechen. Es kann, zumindest in Fällen von gemeinsam intendierter Schwangerschaft, nicht einzig die Entscheidung einer Frau sein, ob sie abtreibt oder nicht.

      • @Trango:

        Doch schon. Zumindest in letzter Konsequenz. Ich empfehle Ihnen, Ihrer Partnerin beizustehen und sie in ihrer Entscheidung zu unterstützen, denn es ist ihr und nicht Ihr Körper.



        Wo ich Ihnen beipflichten möchte ist, dass die Partnerin die Entscheidung nicht ohne Ihre Beteiligung fällen sollte. Also sowas wie "Ach Schatz, ich hab heute übrigens abgetrieben, wollte ich dir nur kurz mitteilen" ist in einer vertrauensvollen Partnerschaft inakzeptabel, weil so das Fundament der Beziehung zerstört werden kann. Aber letztendlich sollte die Frau hier immer die letzte Entscheidung haben. Der Mann kann sich ggf. aus dem Staub machen, wenn es ihm zu viel wird, die Frau kann das nicht so ohne Weiteres.



        (Nein, ich möchte Ihnen persönlich das nicht unterstellen.)

    • @93559 (Profil gelöscht):

      Schließe mich an (außer dem Satz mit dem Es-Sich-Leichtmachen; eine Entscheidung ist ethisch OK oder sie ist es nicht, und das ist völlig unabhängig davon, wie lange und intensiv die entscheidende Person vor der Entscheidung darüber nachgedacht hat).

      • 9G
        93559 (Profil gelöscht)
        @Budzylein:

        Ich schrieb das, weil ja immer unterstellt wird, dass sich das die Frauen dann so leicht machen würden und unbedingt das Designerbaby haben wollen. Das ist albern. Die Frauen, die einen solchen Test machen, wollen unbedingt das Kind und deshalb werden sie es sich nie leicht machen, sich dagegen zu entscheiden. Wie gesagt, in meiner Bekanntschaft gibt es eine solche Familie. Ich habe die Qualen mit gekriegt.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Die meisten Frauen oder Eltern, die sich in diesen Fällen für eine Abtreibung entscheiden, fürchten sicher das gesellschaftliche Stigma und möglicherweise zu erwartende medizinische Probleme.

    Das ist verständlich.

    Vor einigen Jahrzehnten arbeitete ich als Student als eine Art Freizeitbetreuer mit Jugendlichen die Trisomie 21 hatten.

    Und ich muss sagen, dass ich weder davor noch danach derartig empathische, soziale, neugierige und freundliche Menschen kennengelernt habe. Natürlich alles etwas kindlich, das gehört zum Bild, aber trotzdem.

    Und ich bin keiner der sagt, Hurra, Behinderung ist was Tolles und wir alles sowas von gleich.

    • @88181 (Profil gelöscht):

      Ich denke eher, die meisten Frauen/Paare, die sich in diesen Fällen für eine Abtreibung entscheiden, fürchten weniger das gesellschaftliche Stigma als die mit einer schweren Behinderung des Kindes verbundenen Belastungen, z. B. dass das Kind immer betreut werden muss und sich das ganze weitere Leben nur noch um das Kind dreht. Diese Befürchtung ist auch verständlich.

      Und ob das mit dem gesellschaftlichen Stigma stimmt, ist fraglich. In den letzten Jahren berichten Medien gern und oft anhand einzelner Familien, wie "bereichernd, "erfüllend" usw. das Leben mit behinderten Kindern sein kann; betroffene Eltern, die das weniger bereichernd finden, hüten sich meist, das öffentlich so zu sagen.

      Ihrem letzten Satz kann ich nur zustimmen. In der letzten Zeit wird in der veröffentlichten Meinung häufig so getan, als seien Menschen mit bestimmten Behinderungen wegen ihrer Behinderung so etwas wie eine putzige Tierart, die durch Verweigerung des Zugangs zu vorgeburtlicher Diagnostik vor dem Aussterben gerettet werden müsste. Ich finde das ziemlich widerwärtig, zumal es die betreffenden Individuen auf ihre Behinderung reduziert. Ich bin selbst schwerbehindert und kann damit gut leben, aber ich könnte noch viel besser ohne die Behinderung leben und wäre dann auch kein anderer Mensch. Und wenn man z. B. Menschen mit Trisomie 21 medizinisch so behandeln könnte, dass die damit ggf. verbundene Behinderung entfiele, dann müssten diejenigen, die in Behinderungen eine schützenswerte "Vielfalt" erblicken, den Betroffenen konsequenterweise den Zugang zu dieser Behandlung verwehren - eine absurde Konsequenz. Dass Menschen mit Behinderungen so weit, wie es geht, gleichwertige Teilhabe zu ermöglichen ist, sollte selbstverständlich sein, aber eine Politik, die darauf hinarbeitet, dass mehr behinderte Kinder zur Welt kommen, ist zynisch.

      • 9G
        93559 (Profil gelöscht)
        @Budzylein:

        Sehr treffend Ihre Antwort.

  • Die uneindeutige Haltung zu diesem Thema ist mir ein Rätsel. Wer für Wahlfreiheit ist der sollte sich besser im Vorhinein über die möglichen Folgen im Klaren sein. Das behinderte Kinder von Abtreibungen in besonderem Maße betroffen sein würden hätte jedem Menschen klar sein müssen, der es bis zur dritten Klasse geschafft hat.

    Und was denken sich denn bitte Abtreibungsbefürworter, die angesichts solcher Tests nun moralische Bedenken haben? Ungebohrene Kinder werden hier doch regelmäßig als Zellhaufen bezeichnet, warum regt man sich dann bitte über die Abtreibung von Zellhäufen auf, aus denen sonst mal behinderte Kinder würden? Weil die als benachteiligte (das passiv stimmt hier _ausnahmsweise_ sogar) mal zu den "Protected Groups" der neuen Linken zählen würden oder was?^^

    Ich bin für Abtreibungen, kann aber auch gut damit leben das behinderte Kinder besonders häufig abgetrieben werden. Meiner Meinung nach ist das einer der besten Gründe abzutreiben. Auf jeden Fall nachvollziehbarer als romantische Lifestyle-Entscheidungen von Menschen, die zu dämlich zum Verhüten sind.

    • @Januß:

      Ihr Ton klingt ein bisschen respektlos gegenüber eigentlich allen und wenn Sie jemals in Ihrem Leben Sex hatten, dann würde ich an Ihrer Stelle nicht von Menschen reden, die zu blöd sind, zu verhüten. Die hundertprozentig sichere Methode gibt es nicht und es gibt auch keine sichere moralische Position zur Abtreibung von eventuell behinderten oder nichtbehinderten Kindern. Es ist gut, wenn man die Wahl hat und es ist wichtig, dass darüber geredet wird. Auch, wie wir über Menschen und Föten reden, die von der Norm abweichen.

    • @Januß:

      Stimme ich ihnen in Teilen zu,so scheint es doch,dass Sie sich mit Verhütung nicht so gut auskennen.

      So nehm ichmir die Zeit,sie ein bisschen aufzuklären:

      Verhütungsmittel sind nicht zu 100% sicher.



      Sie können versagen.



      Jemand, der ungewollt schwanger wird,ist nicht „zu dumm zum Verhüten“.

      • @pippilotta_viktualia:

        Mir ist klar das Verhütungsmittel nicht zu 100% sicher sind, habe auch nie etwas anderes gesagt. Gemeint waren von mir natürlich nur diejenigen, die durch Eigenverschulden in solch eine Situation gelangt sind.^^

      • @pippilotta_viktualia:

        Nicht zwangsläufig, die Fraktion zu blöd zum Verhüten existiert.



        In welchem Anteil die "Verhütung hat nicht geklappt" zu "war zu blöde zum verhüten" steht, wäre aber mal interessant zu wissen

      • @pippilotta_viktualia:

        Richtig, Verhütungsmittel sind nicht zu 100% sicher...und deswegen: Bitte keine sexuellen Praktiken bei denen im Falle eines Verhütungsmittelversagens jemensch schwanger werden könnte praktizieren wenn auch nur eine_r der Beteiligten auf gar keinen Fall Elter werden möchte...so handhabe ich das seit ich einen Sohn habe (auf den ich auch sehr stolz bin, aber ich möchte keinesfalls noch mehr Kinder)!

  • "„Unserer Erfahrung nach wird es immer schwieriger für Frauen zu sagen, sie möchten diese Tests nicht machen oder auch Babys mit Downsyndrom austragen“, sagt Corinna Rüffer, behindertenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag und Initiatorin der fraktionsübergreifenden Debatte. „So werden gesellschaftliche Erwartungen auf dem Rücken von Frauen ausgetragen.“"



    Andersherum doch auch. Wenn sich die Position durchsetzen würde, dass Föten mit Beeinträchtigungen nicht abgetrieben werden dürften, bedeutet das, dass gesellschaftliche Erwartungen ebenfalls auf dem Rücken von Frauen ausgetragen würden.



    An sich bin ich der Meindung, dass nicht die Entscheidungsmöglichkeiten für schwangere Personen eingeschränkt werden sollten, sondern die Gesellschaft in Hinblick auf Behinderung radikalen Veränderungen bedarf - u.a. einer "wahrhaftigen" Inklusion und kein Sparmodell wie es derzeit ist. Eine Gesellschaft, in der Menschen unabhängig ihrer Fähigkeiten inmitten der Gesellschaft eingebunden sind und gleichberechtigt an Bildung, Kultur, Arbeit usw. teilhaben können.

    • @Uranus:

      Das wird auch nicht gegen die Abtreibungs-Entscheidungen ausrichten, in denen ein Kind mit bspw. Down für die Schwangere nicht das Dreamkid ist.

      • @Rudolf Fissner:

        Ich denke schon. Denn das würde auf lange Sicht für mehr Gleichheit, Berührungspunkte und Beziehungen führen. Sicherlich müssten Veränderungen in der Konsequenz noch tiefgreifender sein, als ich zuvor schrieb. Behindertenfeindlichkeit sehe ich in der Leistungsgesellschaft und im Kapitalismus verwurzelt. Wer gegen Behindertenfeindlichkeit ist, muss meiner Ansicht nach gegen Kapitalismus sein.

        • @Uranus:

          Na ja; wenn man sich die bisherigen realen Versuche ansieht, den Kapitalismus abzuschaffen und eine sozialistische Gesellschaft zu errichten, muss man leider feststellen, dass die Verhältnisse in den sozialistischen Ländern nicht weniger behindertenfeindlich waren als die im Kapitalismus, zumal auch eine nicht am Profit orientierte Ökonomie auf Leistung angewiesen ist, wenn sie über die Runden kommen will. Ich denke, die Voraussetzungen für umfassende Teilhabe sind dort am ehesten gegeben, wo die Produktionsverhältnisse Überfluss schaffen und nicht große Teile der Bevölkerung ums Überleben kämpfen. Und das sind zurzeit allenfalls die reichen kapitalistischen Länder mit gut ausgebautem Sozialstaat. Ob das mal anders sein wird, werden Sie und ich wohl nicht mehr erleben.

          • @Budzylein:

            Meine Kritik am Kapitalismus bedeutet weder, dass ich keine Kritik am Staatskapitalismus/realexistierenden Sozialismus habe, noch dass ich diesen verteidigen würde.

            • @Uranus:

              So habe ich Sie auch nicht verstanden.

              Das Problem ist aber: Der Kapitalismus ist gekennzeichnet durch Privateigentum an Produktionsmitteln und das Profitprinzip. Schaffen Sie beides ab, und Sie haben eine nichtkapitalistische Wirtschaft und Gesellschaft. Damit haben Sie aber noch lange keine Verhältnisse, in denen Leistungsfähigkeit keine Rolle spielt. Und es ist sehr zweifelhaft, ob es je solche Verhältnisse geben wird. Auch in einer nichtkapitalistischen Gesellschaft muss nämlich, wenn darin ein menschenwürdiges Leben möglich sein soll, gearbeitet und etwas produziert werden, z. B. Nahrung, sauberes Trinkwasser, Energie, Wohnraum, medizinische Versorgung usw. Und damit sind nun mal Tätigkeiten verbunden, die zum einen korrekt und bedarfsgerecht ausgeführt werden müssen und zum anderen nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig sind. Und wenn Sie Menschen ohne Zwang dazu kriegen wollen, diese Arbeiten auszuführen, dann müssen Sie ihnen Anreize in Form irgendwelcher Vorteile bieten, und zu diesen Vorteilen haben dann nur diejenigen Zugang, die die erforderliche Leistung bringen. Insofern wird es immer eine Form von Leistungsgesellschaft geben. Ob die "behindertenfeindlich" ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt.

              Es gibt ja die These, dass der Mensch an sich gern arbeitet, um seinem Leben einen Sinn zu geben (oder setzen Sie hier einen ähnlichen Schmonzes ein). Ich halte das für Unfug. Die meisten Leute, auch die, deren Arbeitsbedingungen (im Vergleich zu den Jobs z. B. in der Lebensmittelproduktion oder in der Altenpflege) höchst angenehm sind, hören erfahrungsgemäß sofort auf zu arbeiten (oder fangen gar nicht erst damit an), sobald sie in der Lage sind, auch ohne Arbeit dauerhaft in relativem Wohlstand zu leben.

              • @Budzylein:

                "... Damit haben Sie aber noch lange keine Verhältnisse, in denen Leistungsfähigkeit keine Rolle spielt."



                Einen Automatismus würde ich hieraus auch nicht schlussfolgern. Habe ich auch nicht gemacht. Generell stimme ich der ersten Hälfte Ihrer Ausführungen zu, allerdings nicht Ihrem pessimistischen Schluss bezüglich der Leistungsgesellschaft und Zwang zur Privilegierung zu.

        • @Uranus:

          Eine Abtreibung eines Zellklumpens mit Trisomie muss keine Behindertenfeindlichkeit sein. Genauso wenig wie ein Abtreibung generell nicht Menschenfeindlichkeit bedeutet oder Abtreibungen ein Merkmal des Kapitalismus sind.

          • @Rudolf Fissner:

            Was meine ich mit folgendem?



            "Behindertenfeindlichkeit sehe ich in der Leistungsgesellschaft und im Kapitalismus verwurzelt. Wer gegen Behindertenfeindlichkeit ist, muss meiner Ansicht nach gegen Kapitalismus sein."



            Im Kapitalismus werden Menschen nach Verwertbarkeit sortiert und entlohnt. Es sei denn sie besitzen Kapital und können sich diesem entziehen. Hat der Mensch nun eine Beeinträchtigung, die seine Leistungsfähigkeit einschränkt, so führt das im Kapitalismus zu einer grundlegenden Benachteiligung.

            • @Uranus:

              Eine Frage. Besteht da ein Zusammenhang zum Artikel bei ihrem Kommentar.

              Besteht ein Zusammenhang zu ihrer Aussage „Behindertenfeindlichkeit“ und Abtreibung nach genetischer Untersuchung?



              Ist solch eine Abtreibung für Sie „Behindertenfeindlichkeit“

              • @Rudolf Fissner:

                In dem Artikel geht es auch um strukturelle Behindertenfeindlichkeit und wie diese schwangere Personen beeinflusst. Siehe bspw. hier: „Unserer Erfahrung nach wird es immer schwieriger für Frauen zu sagen, sie möchten diese Tests nicht machen oder auch Babys mit Downsyndrom austragen“



                ... und, wie sie Menschen mit Trisomie 21 negativ betrifft. Siehe hier: "Viele Kitas und Schulen lehnten Inklusion ab, später arbeite die überwiegende Mehrheit der Menschen mit Downsyndrom in Behindertenwerkstätten, obwohl viele auch im ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen könnten. Oft hängt das davon ab, ob die Leuten sich offen zeigten – oder eben nicht. „Menschen mit Downsyndrom, sagt Sabine Hahn, „fallen einfach schnell aus dem Raster.“"



                Es werden also gesellschaftliche Bedingungen und Diskurse benannt. Und diese lassen sich auch mit weiteren gesellschaftlichen/systemischen Merkmalen/Prozessen in Verbindung setzen.

  • Seit über 30 Jahren gibt es die Fruchtwasseruntersuchung als Kassenleistung. Und niemand regt sich darüber auf. Jetzt kommt ein Bluttest, der Vorstufe der - riskanten - Fruchtwasseruntersuchung sein soll, und auf einmal wird so getan, als sei die vorgeburtliche Untersuchung etwas Neues.

    Und dass gegen die Übernahme des Bluttests durch die Krankenkassen sprechen soll, dass irgendwelche behindertenfeindlichen Arschlöcher dadurch ein neues (Schein-)Argument dafür bekommen, den Eltern behinderter Kinder die Vermeidbarkeit der Behinderung vorzuhalten, ist schlicht Unsinn. Zum einen gibt es dieses "Argument" längst, weil es ja die Fruchtwasseruntersuchung seit langer Zeit auf Kassenkosten gibt. Und zum anderen kann es sowieso nicht sein, dass das, was sich in den Köpfen von Leuten abspielt, die die Eltern behinderter Kinder anfeinden, irgendeine Rolle bei der Beantwortung der Frage spielt, ob der Bluttest Kassenleistung wird oder nicht.

    • @Budzylein:

      Zumal die alternative Punktion ein hohes Risiko für gesunde Föten bedeutet. Vermutlich wird der Bluttest sogar Föten „retten“.

  • Es versteht sich von selbst, dass betroffene Eltern und Kinder unseren vollen Respekt verdienen.



    Was mir bei dieser Art Diskussion jedoch ganz grundsätzlich immer zu kurz kommt, ist die Auseinandersetzung mit folgender Frage:



    Wie würde das betroffene Kind sich entscheiden; Leben, oder lieber doch nicht?



    Denn es ist das Kind, was dann mit den Folgen der Krankheit ein Leben lang zurechtkommen muss.



    Umgekehrt habe ich bei diesen und ähnlichen Diskussionen häufig den Eindruck, dass die Belange der betroffenen Eltern ganz wesentlich im Vordergrund stehen, und die Entscheidung für das Kind zu wenig unter Berücksichtigung dieser lebenslangen Last für das betroffene Kind getroffen wird.



    Deutschland mit seiner auch Euthanasie-Geschichte tut sich natürlich ganz besonders schwer mit einem solchen Thema. Doch vielleicht gerade deshalb sollten wir die Belange des betroffenen Kindes deutlich mehr bei einer solch "lebenslang" wirkenden Entscheidung in den Vordergrund stellen.

    • @tazeline:

      Verstehe ich Sie richtig? Menschen sollten sich selbst fragen, ob sie leben wollten oder nicht? Dazu muss gesagt werden, dass Menschen Leben nur aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen einschätzen können und nicht aufgrund Erfahrungen Anderer. Die Perspektiven sind verschieden. Die einen besteigen den Mount Everest, Andere stehen bei Thikwa auf der Bühne, die einen freuen sich auf die Aktivitäten in der Tagesförderstätte die anderen studieren "trotz" Down Syndrom Psychologie und moderieren eine spanische Fernsehsendung ...



      Schwierig wird es allenfalls, wenn das Selbstwertgefühl sehr niedrig ist. Aber das ist ja keinesfalls die Regel und betrifft Menschen mit verschiedenen Lebensentwürfen.



      Ein anderer Punkt ist, dass eigene Erfahrungen und hieraus auch das entstehende Selbstwertgefühl von der Gesellschaft beeinflusst werden. Behinderte Menschen haben es da schwerer als nichtbehinderte aufgrund der strukturell behindertenfeindlichen Gesellschaft. Das bedeutet aber nicht, dass viele jener die von Ihnen gestellte Frage mit nein beantworten würden - würde ich meinen.



      Tatsächlich auf (junge) Kinder oder Ungeborene übertragen finde ich Ihre Frage hingegen noch absurder, als auf jene "ältere" Menschen bezogen, die ich beim Kommentarschreiben im Sinn hatte ...

      • @Uranus:

        Es lag und liegt mir fern - gerade in solch einer Frage - zu urteilen.



        Doch @URANUS beschreibt es treffend.



        Das Leben vieler behinderter Mensch ist einfach ein sehr sehr mühsames und trauriges Leben. Und man sollte sich daher sehr ernsthaft die Frage stellen, ob das "unbedingte JA" zum Leben zu dem Preis "erkauft" werden darf und sollte, den letztlich zum ganz überwiegenden Teil das behinderte Kind "lebenslang" zu bezahlen haben wird.

        PS: Ich kenne behinderte Menschen, welche bewundernswert mit ihrer Situation umgehen, wofür ich vollsten Respekt empfinde. Aber der überwiegende Teil führt leider ein sehr beschwerliches und eingeschränktes Leben. Ich würde dies für mein Kind nicht haben wollen; FÜR MEIN KIND!



        Doch das ist eine persönliche Entscheidung.

        • @tazeline:

          Sie haben meiner Ansicht nach ein falsches Bild von behinderten Menschen.



          Ein Problem ist bereits, dass Behinderung nichts wirklich über die Menschen sagt. Es ist ein sehr pauschaler Begriff. Unter die Einordnung Behinderung fallen viele, sehr verschiedene Menschen.



          Dann sollte bedacht werden, dass der Großteil von Behinderung im Laufe des Lebens "erworben" wird, als Ergebnis von bspw. Unfällen und Krankheiten.



          Wesentliche Herausforderung ist, wie die Gesellschaft mit behinderten Menschen umgeht. Derzeit werden sie (trotz Bemühungen von Integration) immer noch an den Rand gedrängt und in vielerlei Hinsicht benachteiligt. Die Gesellschaft ist strukturell



          behindertenfeindlich. Das müsste sich ändern. Dann würde es den behinderten Menschen besser gehen. Sie hätten mehr Möglichkeiten der Teilhabe, was sie im Durchschnitt glücklicher machen würde.



          Andererseits heißt das nur, dass ihr Leben bisher in Teilen erschwert wird, nicht das alle jene unglücklich wären oder ihr Leben als trauriger oder mühsamer als andere Menschen beurteilen würden.

          • @Uranus:

            Bei einem solchen Thema ist ganz grundsätzlich ein Foren-Format eher problematisch, da es zu unvollständig verkürzten Aussagen zwingt.

            Ihren gesellschaftlichen Hinweisen im wesentlichen folgend, halte ich an meinen Ausführungen dennoch fest, zumal diese ja nicht in Widerspruch dazu stehen.

            Denn "wir" als Gesellschaft allgemein, bzw. Eltern im jeweiligen Einzelfall entscheiden sicherlich vielfach aus sehr ehrenwerten Überlegungen heraus für "das Leben"; aber diese Entscheidung bedeutet eben auch in sehr vielen Fällen ein "lebenslanges" Leben mit sehr großen Beschwernissen, Einbußen an Lebensqualität, gesellschaftlicher Ausgrenzung, etc. .



            UND was Traurigkeit und Glück angeht, so konzentriert sich eine neuerere Forschung auf eine aus dem 21ten Genpaar abgeleitete Gensequenz, welche besonders im Verdacht steht, z.B. für Depressionen mit verantwortlich zu sein, wenn man ganz grundsätzlich eine endogene Ursache dafür als möglich kausale Ursache für z.B. Depression in Betracht zieht. Und daraus leitet sich auch die Vermutung einiger Wissenschaftler ab, dass die Ursache dafür, warum Trisomie21-PatientInnen überdurchschnittlich häufig an Depressionen leiden, eben darin begründet liegt, was die Lebensqualität der Betroffenen also überdurchschnittlich auch von dieser Seite her schmälert; und dies nicht selten sehr beträchtlich!

            • @tazeline:

              Okay. Dass so ein Forum Unzulänglichkeiten mitsichbringt, sehe ich auch.



              Ihre geschilderte Sichtweise in Ihrem dritten Absatz sehe ich auf jeden Fall. Elternteile sollten eben nicht gesellschaftliche Verhätlnisse (hier Behindertenfeindlichkeit) mit ausbaden müssen. U.a. deswegen bin ich für eine Entscheidungsfreiheit. Der Fokus bezüglich Veränderungsbedarfe sollte in diesem Fall auf die Gesellschaft gerichtet sein, nicht auf das Individuum.



              Der Inhalt Ihres letzten Absatzes ist mir so nicht bekannt. Haben Sie dazu noch eine Artikelverlinkung?

        • @tazeline:

          Doch @Thomas Friedrich beschreibt es treffend.

          muss es natürlich heißen.

      • @Uranus:

        "die anderen studieren "trotz" Down Syndrom Psychologie und moderieren eine spanische Fernsehsendung "

        Ist die Frage, ob dieser Mensch mehr oder weniger durchgeschleust wurde, oder ob er den gleichen Anforderungen genügen und sich in Statistik mit Häufigkeitsverteilung und linearer Regression herumschlagen musste...

        Aber selbst wenn es so extreme Ausreißer geben sollte: Über das Leben normaler Menschen mit Down-Syndrom sagt das nichts aus. Die meisten haben einen IQ um die 50 und bleiben lebenslang auf dem geistigen Niveau eines Kindes. Das heißt nicht, dass ihr Leben nicht lebenswert ist, aber man lehnt sich wohl nicht zu weit aus dem Fenster mit der Aussage, dass es besser ist, nicht das Down-Syndrom zu haben.

        • @Thomas Friedrich:

          Bevor Sie da weitere Vermutungen über die Person anstellen, seine Leistungen anzweifeln (Vorurteile gegenüber behinderte Menschen!?), belesen Sie sich doch erst einmal über ihn. Das eine Beispiel "Psychologie-Absolvent und Fernsehrmoderator", was ich nannte, bezieht sich auf Pablo Pineda, der in der Verfilmung seiner Lebensgeschichte "Me Too - Wer will schon normal sein?" sogar sich selbst spielt. Siehe:



          de.wikipedia.org/wiki/Pablo_Pineda



          Meine Intention ist es nicht, für eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheiten bezüglich Schwangerschaft zu argumentieren. Wenn allerdings die Gesellschaft inklusiver (barriefrei, inklusive Bildung, konsequenter Nachteilsausgleich (kein Anrechnen der Behinderung und daraus abzuleitender Hilfsmittel und Assistenz), Vermittlung von Unterstützungsmöglichkeiten der Elternteile, Ausbau der Unterstützungsmöglichkeiten, Teilhabe...) werden würde, nichtbehinderte Menschen von Geburt an mehr Beziehungen zu behinderten Menschen hätten, sie als gleichwertig erlebten, dann würde ich meinen, würden sich auch mehr schwangere Menschen für eine Geburt eines Menschen mit Down Syndrom entscheiden.

          • @Uranus:

            Wie gesagt: Der durchschnittliche IQ eines Erwachsenen mit Down-Syndrom ist 50. Wenn Herr Pineda einen Abschluss in Psychologie besitzt, dann ist er ein seltener Ausreißer, der über die Perspektiven normaler Kinder mit Down-Syndrom nichts aussagt. Ein Mensch mit fetalem Alkoholsyndrom, der einen Hochschulabschluss erwirbt, wäre ja auch kein Beleg für die Harmlosigkeit von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft.

            "dann würde ich meinen, würden sich auch mehr schwangere Menschen für eine Geburt eines Menschen mit Down Syndrom entscheiden."

            Selbst in einer idealen Gesellschaft hätte das Down-Syndrom zahlreiche Nachteile für die Betroffenen. Zum Beispiel wären sie immer noch von den meisten Berufen ausgeschlossen, weil ihre Intelligenz einfach nicht ausreicht. Dazu kommen die gesundheitlichen Probleme: Herzfehler, Darmverschlüsse, Immunschwäche, Schlafapnoe, Epilepsie, Alzheimer ab 40 usw.



            Ich glaube, man kann nicht ernsthaft bestreiten, dass es besser ist, ohne Down-Syndrom zu leben. Und wenn man versteht, dass eine Abtreibung an sich kein Problem ist, dann weiß ich nicht, was dagegen spricht, einen behinderten Fötus abzutreiben und es noch mal zu versuchen. Diese Vorgehensweise führt, dass ein Kind mit einer wesentlich besseren Lebensperspektive geboren wird. Als Utilitarist halte ich diese Vorgehensweise für vernünftig.

            • @Thomas Friedrich:

              Die Frage nach Beruf stellt sich, wenn mensch diesen herausgreifen will, allen Menschen. Extremsportler*innen oder Mathematiker*innen werden die wenigsten Menschen, dennoch würde mensch nicht meinen, dass jene schlechtere Lebensperspektiven hätten oder sich daraus ein weniger an Glück ableiten ließe. Und ja, Glück hat, wie ich darzustellen versuchte, auch damit zu tun, wie die Gesellschaft den jeweiligen Menschen gesonnen ist und wie sie diese unterstützt.



              Aber ja, bezogen bspw. auf Autonomie, bzw. von Geburt an eine Chance auf das Erreichen eines hohen Grades an Autonomie zu besitzen, kann ich Ihren Gedankengang nachvollziehen - gerade in diesen Verhältnissen und angesichts der Klimakrise.

              • @Uranus:

                "Die Frage nach Beruf stellt sich, wenn mensch diesen herausgreifen will, allen Menschen. Extremsportler*innen oder Mathematiker*innen werden die wenigsten Menschen"

                Es ist aber die Frage, ob man von 10% der Berufe oder von 90% der Berufe ausgeschlossen ist. Ich arbeite hauptberuflich mit kognitiv eingeschränkten Auszubildenden, deren mittlerer IQ so ca. 20-30 Punkte über dem mittleren IQ von Menschen mit Downsyndrom liegt (das sind beim IQ Welten).



                Selbst die haben erheblichste Schwierigkeiten, Berufe wie Gärtner, Tischler oder Fachlagerist zu erlernen. Die dadurch bedingte Abbrecherquote ist erheblich. Je weiter wir beim IQ herunter gehen, desto seltener wird die Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt. Einen völlig ungeförderten Einstieg auf diesem für Personen mit einem IQ von weniger als 80 ist schon Glückssache. Oft endet es dann so, dass diese Menschen nach einer Übernahme wie die heißen Kartoffeln fallen gelassen werden, sobald die staatliche Förderung ausbleibt.



                Für Menschen mit dem mittleren IQ von Downsyndrom-Betroffenen ist die Endstation nur zu oft eine Form von Behindertenwerkstatt und eine Lebensgestaltung auf Hartz-IV-Niveau.

                • @Liberal:

                  Die Frage nach Glück, was einen Menschen glücklich macht, sollte doch keine normative sein, sondern sich aus den Individuen heraus stellen. Zunächst einmal ist es demnach egal, welche Tätigkeiten ausgeführt werden, würde ich meinen. Etwas anderes ist, wie die Gesellschaft materiellle Teilhabe einrichtet, d.h. wem werden welche Tätigkeiten ermöglicht auszubilden, wem nicht und wie ist der Zugang zu Dienstleistungen und Gütern organisiert/gewährleistet. Aktuell sind die Perspektiven behinderter Menschen massiv durch die Gesellschaft eingeschränkt.



                  Sie beschreiben den Ist-Zustand. Ich gehe der Frage nach den Ursachen nach und setze dann mit Kritik und Hinterfragung an. Insofern müssen ich und Sie hier nicht unbedingt unterschiedlicher Auffassung sein, sondern Ihre und meine Kommentare ließen sich auch als Ergänzungen verstehen.

                  • @Uranus:

                    "Die Frage nach Glück, was einen Menschen glücklich macht, sollte doch keine normative sein, sondern sich aus den Individuen heraus stellen."

                    Könnte man grundsätzlich nicht vorhersagen, was einen Menschen glücklich macht, dann hätten Frauen keinen Grund, in der Schwangerschaft auf Alkohol zu verzichten. Der Verzicht auf Alkohol beruht ja auf der Annahme, dass ein Leben ohne geistige Behinderung im Interesse des Kindes liegt. Und warum wird Contergan nicht mehr verschrieben? Weil man davon ausgeht, dass ein Leben mit normalen Extremitäten besser ist als ein Leben mit Conterganschäden. Auch bei Impfungen berufen sich Eltern auf das mutmaßliche Interesse des Kindes an einem gesunden Leben.

                    Ich glaube nicht, dass man sich dabei zu weit aus dem Fenster lehnt. Menschen unterscheiden sich nicht grundlegend in ihren Bedürfnissen. Praktisch jeder ist lieber gesund als krank oder behindert. Auch wäre es für niemanden ein Problem, wenn sein IQ ab morgen 20 Punkte höher wäre. Dagegen wäre es für jeden ein Alptraum, wenn ein Neurochirurg seinen IQ um 20 Punkte verringern würde. Man kann also davon ausgehen, dass man im Interesse eines Kindes handelt, wenn man sicherstellt, dass es ein Leben ohne geistige Behinderung führen kann.

                    • @Thomas Friedrich:

                      Ich würde Ihre Ausführung nicht gänzlich in Abrede stellen, jedoch von dem Fokus von Leistung und Fähigkeiten wegkommen. Abstraktionsfähigkeit ist auch nicht alles. Es gibt verschiedene Begabungen bspw. musische/kreative, emotionale. Es kann Menschen auch negativ beeinflussen, wenn sie sich an den weltbesten menschlichen Leistungen messen und nicht an den eigenen.

                    • @Thomas Friedrich:

                      "Aktuell sind die Perspektiven behinderter Menschen massiv durch die Gesellschaft eingeschränkt."

                      Die Gesellschaft ist nicht die Ursache dafür, dass Menschen mit Down-Syndrom für die allermeisten Berufe nicht in Frage kommen. Natürlich sind die Betroffenen auch nicht schuld, aber die Ursache ihrer beruflichen Perspektivlosigkeit liegt nun mal in ihrer extremen Schwachbegabung und nicht in einer gesellschaftlichen Benachteiligung.

                      • @Thomas Friedrich:

                        Ich blende individuelle Begabung nicht aus. Mein Fokus habe ich hier allerdings auf Inklusion und Bildung gelegt. Dieser Kontext ist nicht weitgenug ausgebaut. Behinderte Menschen werden teils an Regelschulen nicht genügend unterstützt und viele noch in extra Schulen geschickt und damit ausgegrenzt. Das vermindert ihre Bildungschancen und behindert die Akzeptanz seitens der Nichtbehinderten. Die Erlangung einer Ausbildung ist auch schwierig ebenso wie die eines Arbeitsplatzes auf dem sogenannten ersten Arbeitsplatz. Viele arbeiten deswegen in extra Einrichtungen (WfbM). Segregation ist Realität.

  • "Werden Menschen mit Beeinträchtigung künftig aussortiert?"

    Natürlich werden sie, wenn es möglich ist, aussortiert!



    Naiv wer glaubt, dass dem nicht so sei.

    Die Kosten für den Test fangen bei 200 Euronen. Er wird durchgeführt werden, zumindestens von jenen mit Geld, auch dann wenn die KK nicht zahlt.

    Die Diskussion über KK ist daher nur noch geplänkel nebenbei.

    Und die Test werden sicher noch günstiger. Und es werden neue hinzukommen. Die Anzahl und Gründe für das Aussortieren werden daher auch zunehmen.

  • 8G
    83492 (Profil gelöscht)

    "Schlicht aus dem Grund, dass die gesetzlichen Krankenkassen Leistungen finanzieren sollten, die einen medizinischen Nutzen haben. Dieser Test hat keinen. Es gibt nichts, was man heilen könnte oder müsste."

    Nach dieser Logik sollten dann auch alle Schwangerschaftsabbrüche ohne medizinische Indikation nicht mehr von den gesetzlichen Kassen gezahlt werden.

    • @83492 (Profil gelöscht):

      Das werden sie auch jetzt schon nicht - und das seit Jahrzehnten. Lesen Sie mal § 24b Absatz 4 SGB V.

  • "Viele Kitas und Schulen lehnten Inklusion ab, später arbeite die überwiegende Mehrheit der Menschen mit Downsyndrom in Behindertenwerkstätten, obwohl viele auch im ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen könnten."

    Das mit dem Ablehnen in Schle/Kindergarten haut ned hin, weiß ned, ob das von BL zu BL verschieden ist, hier in Thüringen müssen die inkludieren. Die Praxis sieht dann aber so aus, daß es an Personal, Räumlichkeiten etc. fehlt und somit die beeinträchtigten Kinder die Ärsche sind, wenns dann klemmt und hakelt oder aus anderen Gründen Stunden ausfallen.

    Übrigens gabs mal die Hauptschule, heute gibts die wohl nur noch theoretisch. Da waren/sind auch die, wo es ned so mit Konzentration haben und/oder halt doch auf der Wurstsuppe (in Bayern Brennsuppn) hergepaddelt sind (auch wenn deren Eltern die stur für die neue Marie Curie ode den neuen Einstein halten). Manche sind aus anderen Gründen ned richtig schulkompatibel.

    Also meine ich, den Test natürlich für alle, die das wollen von der Kasse finanziert, Ergebnisse nach Absprache mit den Eltern.



    Ganz "frei" von Leuten mit Beeinträchtigungen wird die Welt nie sein, so ein Kind kann bei der Geburt zuwenig Luft kriegen und was so alles an Unfällen, Schlaganfällen, Hirnhautentzündung.... passieren kann, führt jetzt auch nicht zwangsläufig zum endgültigen Frühableben...

  • "Schlicht aus dem Grund, dass die gesetzlichen Krankenkassen Leistungen finanzieren sollten, die einen medizinischen Nutzen haben. Dieser Test hat keinen."

    Ich erwarte bei dieser Haltung den sofortigen Antrag der Grünen im Bundestag, Homöopathika als Kassenleistung auszuschließen.

    • @Sven Günther:

      die sind keine kassenleistung. ob einzelne kassen bestimmte leistungen (homoepathiscge veratung, nicht die globuli!, ostepathie etc) bezahlt, liegt in deren ermessen.

  • Harte, aber weise Worte.



    So sieht es halt aus, da kann man noch so viele Beispiele bringen. Ich finde es sehr positiv und bewundernswert, wenn die Eltern diese Herausforderung annehmen. Gut, beim Downsyndrom mag es einfacher sein als bei deutlich gravierernden Behinderungen, aber der Versuch, das irgendwie als "normal" oder "bereichernd" darzustellen, ist tatsächlich Selbstbetrug.



    Das bedeutet natürlich nicht, dass diese Menschen nicht den gleichen Respekt verdienen wie alle anderen auch. Das rechtfertigt auch nicht, dass die Eltern einem permanenten Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sein dürfen bzw. sollten.



    Dennoch habe ich auch noch nie gehört, dass jemand gesagt hätte, dass das Beste, was in seinem Leben passiert sei, war, ein Kind mit Downsyndrom bekommen zu haben.

    • @Katharina Reichenhall:

      Elternsein ist zuallererst subjektiv, würde ich meinen. Und ja, warum sollen Elternteile, die ihr Kind akzeptieren, ihr Elternsein nicht als erfüllend/bereichernd empfinden können? Zumal Schwangerschaft und Geburt an sich eine "besondere" Erfahrung/Empfindung ist, woraus eine enge Verbundenheit zum Baby entstehen kann.

      • @Uranus:

        Klar.



        Das hat die Natur gut eingerichtet.



        Aber wünschen Sie sich ein Kind mit Down-Syndrom?



        Oder einem Ihrer Mitmenschen?



        Oder stellen Sie sich vor, werdende Eltern bekämen von Gott oder sonstwem die Wahlmöglichkeit "Soll dein Kind das Down-Syndrom haben? ja / nein".



        Sehen Sie, worauf ich hinaus möchte?

        • @Katharina Reichenhall:

          Ich sehe schon, worauf Sie hinaus möchten. Ich würde aber eher folgenden Wunsch für angemessen halten: dass die Menschen, die Eltern werden möchten, das Kind bekommen, dass sie glücklich macht, ihr Leben bereichert und dass das Kind glücklich wird. Und ich würde, auch wenn ich mich tendenziell wiederhole, hinzufügen, dass es wohl kein "Standard-Kind" gibt.

    • @Katharina Reichenhall:

      Das war eigentlich an Thomas Friedrich gerichtet ;-)

  • „Und unser Auftrag ist es, die Gesellschaft so zu gestalten, dass sich im Idealfall die Frage nach Downsyndrom gar nicht mehr stellt – weil das Kind als Bereicherung angesehen wird und nicht als Risiko.“

    Ich halte das für Selbstbetrug. Wäre es bedeutungslos, ob ein Kind behindert ist, dann hätten Ärzte nie aufhören müssen, Contergan zu verschreiben und Frauen hätten keinen Grund, in der Schwangerschaft auf Alkohol zu verzichten. In Wirklichkeit will niemand ein Leben mit Behinderung - weder für sich noch für seine Kinder.

  • Wenn man die Diskussion umdreht, wird vieles deutlicher:

    Nehmen wir mal an, es wäre bereits so, wie "befürchtet": Krankenkassen bieten die Bluttests an, Schwangere treiben mehrheitlich ab, Mütter von Down-Syndrom-Kindern haben Schwierigkeiten, Kitas und Freundinnen zu finden.

    Der Vorschlag wäre dann, alle Schwangeren über finanziellen Druck (Vorenthaltung der Tests als Kassenleistung) in den Blindflug Richtung behinderter Kinder zu zwingen, damit es mehr Down-Syndrom-Leute gibt, damit es gesellschaftlich "normaler" wird, damit es leichter ist, Kitas zu finden, die damit zurecht kommen und damit die Mütter von Down-Syndrom-Kindern leichter Freundinnen finden.

    Klingt völlig absurd? Das ist es auch!

  • Diese Tests werden schnell zu einer impliziren sozialen Verpflichtung und Behinderungen sind als "Kostenfaktor" dann nicht mehr "zulässig". Es steht zu erwarten, dass in wenigen Jahren die Frage aufkommt: "Warum die Allgemeinheit für eine persönliche Entscheidung zahlen solle.



    Diese brutale neoliberale Denke zieht sich ja immer stärker durch die Gesellschsft.

    • @J_CGN:

      Umgekehrt: ... das Vorenthalten des Tests für Kassenpatientinnen führt für diese Frauen zur Verpflichtung ein behindertes Kind zu bekommen. Während die Wohlhabenden frei entscheiden können ...

      So wie immer: unter Ideologien und Religionen leiden immer die Schwächsten.

  • Es geht doch lediglich darum, ob alle Frauen eine Chance auf den Test haben oder ob der Geldbeutel hierüber entscheidet. Es ist doch sozial unethisch, das Risiko einer ungewollten Behinderung allein von den Ärmsten der Gesellschaft tragen zu lassen.

    Wenn sich die ältere Mittelstands- oder Oberschichtsfrau am Ende ihrer Fertilität für ein behindertes Kind entscheidet, ist das eine andere Sache.

    Unabhängig davon: sobald ein Mensch auf der Welt, müssen ihm alle Möglichkeiten der Teilhabe offen stehen ... mit und ohne Behinderung/Handicap/besondere Merkmale ...

  • Ich finde es nicht in Ordnung, dass man in einer Debatte wie dieser stets ganz schnell beim sogenannten "Designerbaby" ist.



    Wir leben in einer freien Gesellschaft, in der jede Frau, im Idealfall gemeinsam mit ihrem Mann / Lebenspartner / whatever, darüber entscheiden kann, ob sie ein Kind bekommt oder sich für eine Abtreibung entscheidet. Und wenn es ein maßgeblicher Grund für die Entscheidung ist, dass das Kind "gesund" ist, dann ist das so. Ich finde, das sollte man respektieren und wenn die medizinischen Möglichkeiten da sind, sollte man diese auch nutzen.



    Diese Form der Bevormundung gegenüber den werdenden Eltern finde ich äußerst unangenehm und übergriffig, schließlich müssen diese beiden Personen - und ja, in erster Linie betrifft es die Frau - diese Entscheidung für ihr weiteres Leben treffen. Als wenn die Entscheidung zu einer Abtreibung leichtfertig getroffen werden würde...

    • 9G
      97287 (Profil gelöscht)
      @Katharina Reichenhall:

      Nein, es betrifft nicht nur die Frau. Wenn die Eltern alt werden und nicht mehr in der Lage sind dieses Wesen zu beschützen, muss die Gesellschaft dafür Sorge tragen. Daran gilt es zu arbeiten, an der Akzeptanz und Teilhabe.

      • @97287 (Profil gelöscht):

        Sie argumentieren anders herum als ich es tue. Ich sage, keine Frau sollte sich dafür rechtfertigen müssen, wenn sie sich gegen ein Kind mit Down-Syndrom entscheidet. Sie scheinen sagen zu wollen, dass sich Frauen dafür rechtfertigen sollten, dass sie Kinder mit Down-Syndrom bekommen, weil sie möglicherweise irgendwann nicht mehr für das Kind sorgen können.



        Diese Argumentation halte ich allerdings für etwas abwegig. Es kann immer passieren, dass sich Eltern nicht mehr um ihre Kinder kümmern können. Dabei ist es auch nicht wichtig, ob das Kind dann zu diesem Zeitpunkt 5, 15 oder 35 ist. Das ist dann eine gesellschaftliche Aufgabe. Dass ein Mensch mit Down-Syndrom permanent auf Hilfe angewiesen sein wird, ist ja keinesfalls sicher.



        Trotzdem bleibt es die ureigene Entscheidung der Frau, ob sie ein Kind bekommen will oder nicht, egal ob es nun einfach einen Verhütungsunfall gab, in die Lebenslage der Frau gerade kein Kind passt oder ob die Frau ein Kind mit Down-Syndrom bekommen möchte oder nicht. Die Gesellschaft kann nur ein entsprechendes Klima schaffen, die Entscheidung hat bei der Frau zu liegen.

        • 9G
          97287 (Profil gelöscht)
          @Katharina Reichenhall:

          Es ist leider so , dass ein Mensch mit Down- Syndrom immer auf Hilfe angewiesen ist, im Alter sogar besonders. Es gibt in Berlin sogar Einrichtungen , z.B. Heillpädagogisches Zentrum, die sich dann um diese Menschen kümmern, wenn die Gesellschaft sich abwendet. Eventuell habe ich mich unklar ausgedrückt. Es liegt eben nicht nur in der Verantwortung der Frau, sondern in der Verantwortung der Gesellschaft diesen Menschen mit Empathie zu begegnen. Die Mutter wird irgendwann verschwinden, oder das Kind löst sich von der Mutter, dann muss die Gesellschaft die Verantwortung tragen.

          • @97287 (Profil gelöscht):

            Ich stimme Ihnen in soweit zu, wie ich nachvollziehen kann, worauf Sie genau hinauswollen: Ja, es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, sich um die pflegebedürftigen Menschen zu kümmern, die keinen (mehr) haben. Das ist ja unumstritten.



            Aber in wiefern betrifft das jetzt die Entscheidung der Frau, das Kind zu bekommen oder nicht? Wer soll ihr da reinreden dürfen? Dass sich eine Frau Gedanken darüber machen sollte, was aus ihrem möglicherweise / wahrscheinlich dauerhaft pflegebedürftigen Kind wird, wenn sie einmal nicht mehr da ist, ist klar.



            Ich verstehe nicht ganz, worauf Sie letztendlich hinauswollen.

            • 9G
              97287 (Profil gelöscht)
              @Katharina Reichenhall:

              Nun ja, zumindest Betroffene sollten mitreden können, und es betrifft ja nicht nur dieFrau. Eventuell liegt es ja an der Autorin, die diesen Artikel so formuliert hat, daß Widerspruch erfolgt. Wenn diese Mutter Meint ein Risiko ausschalten kann, indem man das Wort Risikoschwangerschaft als schrecklich empfindet, dann kann man die ganze Schwangerschaftsvorsorge und Kontrolle gleich abschaffen.



              Mir scheint , dass mit diesem Kinderwunsch im fortgeschrittenen Alter, trotz der bekannten Risiken, ein Loch im Ich gefüllt werden sollte. Ich wehre mich dagegen, dies zu einem Problem der Gesellschaft zu machen.



              Natürlich soll der Test Kassenleistung werden, eben wegen der bekannten Risiken bei Spätgebärenden, und wegen der bekannten Risiken bei Fruchtwasserpunktionen.

              • @97287 (Profil gelöscht):

                Naja klar, der Vater des Kindes soll natürlich mitreden dürfen. Auch lohnt es sicherlich unter bestimmten Voraussetzungen, möglicherweise bereits vorhandene Kinder miteinzubinden. Und natürlich der Arzt. Aber ansonsten? Ungefragt und ungebeten? Da sehe ich eher keinen.



                Aber wir sind uns ja in dem entscheidenen Punkt einig, nämlich dass dieser Test Kassenleistung werden soll.



                Eben weil eine Entscheidung für oder gegen ein Kind auf Grundlage aller verfügbaren Informationen getroffen werden sollte. Das gilt für Leute, die die Kosten für den Test aus der Portokasse zahlen könnten und auch für, die sich das nicht leisten könnten, daher Kassenleistung.

      • @97287 (Profil gelöscht):

        Man nenne das Wesen beim Namen Mensch und die Akzeptanz wird schon etwas greifbarer.

        • 9G
          97287 (Profil gelöscht)
          @Hampelstielz:

          Wenn sie 30 Jahre diese Menschen betreut haben , werden sie demütig und suchen nach Begriffen. Hauptsache sie begegnen Ihnen mit Respekt.

  • Schon interessant, bei der §218/219 Diskussion hieß es noch "Selbstbestimmung" jetzt auf einmal "Selektion".



    Aber schon klar wer ein Kind abtreibt weil sie gerade kein Bock auf so Bälger hat ist feministisch, selbstbestimmt. Wer eine Schwangerschaft aufgrund einer Behinderung abbricht muss sich den Vorwurf gefallen lassen man halte Kinder mit Behinderung als nicht lebenswert. Was für eine eklige Doppelmoral.

  • "Werden Menschen mit Beeinträchtigung künftig aussortiert?"

    Nein. Diese Menschen werden nicht aussortiert. Im ganzen Artikel geht es auch nicht darum. Es geht im Artikel um Früherkennung, bzw. um die Entscheidung dagegen. Leben mit Trisomie 21 ist längst in der Gesellschaft angekommen.

    Die Wortwahl in der Überschrift ist falsch, weil, wenn sich gegen das Austragen des Fötus entschieden wird, damit per Definiton kein Mensch aussortiert wird. Die Wortwahl hätte man in anderen Medien eher erwartet.

    • @fly:

      In der Tat. Ich wundere mich auch über Feministen, die gegen §219a auf die Straße gehen, aber beim Thema Down-Syndrom wie christliche Pro-Lifer klingen.

      Wenn ein zehn Wochen alter Fötus keine Rechte oder Interessen hat und aus beliebigen Gründen abgetrieben werden darf, dann kann die Abtreibung nicht zu einem Problem werden, wenn sie auf der Absicht beruht, eine schwere Behinderung zu vermeiden. Ein Wesen, das nicht Opfer einer Tötung werden kann, das kann auch nicht Opfer einer Diskriminierung werden.

  • Ein Fötus im Frühstadium ist keine Person, sondern eine empfindungslose Zellformation. Aus diesem Grund ist die jährliche Abtreibung von 100.000 größtenteils gesunden Föten kein Massenmord und die Abtreibung von Föten mit Chromosomenstörung keine Aussortierung behinderter Menschen. Einen Menschen, den man aussortieren könnte, gibt es zum fraglichen Zeitpunkt noch nicht.

    Wäre es anders, dann müsste Abtreibung insgesamt auf den Prüfstand und nicht nur die Abtreibung von Föten mit schweren Chromosomenfehlern.

    • @Thomas Friedrich:

      Sie haben recht: Zum Zeitpunkt des Abbruchs gibt es den Menschen mit Trisomie 21 noch nicht. Aber das ist hier nicht der Punkt. Behandelt wurde die Frage, was es bedeutet, wenn es Menschen wie Liv auch später nicht gibt. Was heißt es für uns andere, für die, die als gesund gelten, weil sie kein drittes Chromosom 21 haben? Und was bedeutet es für das Zusammenleben in der Gesellschaft, wenn Menschen wie Liv fehlen?

      Hier muss ich Kai-Sven Heling widersprechen: Ob eine Frau ein Kind austrägt oder nicht, ist in Fällen, in denen die Frauen nicht frei und allein aus ihrer Lebenssituation heraus entschieden haben, gerade KEINE rein individuelle Entscheidung. Es ist eine Entscheidung, die in die Gesellschaft zurückwirkt. So, wie die Gesellschaft zuvor in die Entscheidung der Frau hineingewirkt hat.

      Wer unter Druck selektiert, schafft keinen Pluralismus. Auch dann, wenn sich das Müssen eher wie ein Dürfen anfühlt. Nein, es ist nicht demokratisch, wenn Möchtegern-Rechthaber ihr persönliches Ego auf dem Rücken von Frauen, Kindern und überhaupt allen pflegen, die nicht in ihre winzig kleine Spießerwelt passen. Niemand hat den Frauen „reinzureden“ in ihre Entscheidung. Vorher nicht und danach auch nicht.

      Und doch passiert es. Unter dem Deckmantel der Freiheit etablieren Alphatiere Ideale, die nur ihnen und ihren Anhängern nutzen. „Die Wissenschaft“ und „die freie Wirtschaft“ schaffen dann Fakten. „Der Konsument“ passt sich unkritisch an. „Die Politik“ reagiert mehr oder weniger autoritär/kopflos. Und am Ende braucht weder „der Russe“ noch „der Chinese“ Europa überfallen, weil wir Europäer uns selber und freiwillig gleichschalten. Das kann nicht das Ziel sein, oder?

      Wer wirklich Vielfalt will, der muss sie möglich machen. Der muss z.B. solche Nachteile ausgleichen, die mit der Entscheidung dafür verbunden sind. Von „der Wirtschaft“ ist das nicht zu erwarten. Und von der Politik derzeit auch nicht. Die unterstützt lieber die ohnehin (zu) starken. Was ist mit Ihnen?

      • @mowgli:

        "Was heißt es für uns andere, für die, die als gesund gelten, weil sie kein drittes Chromosom 21 haben? Und was bedeutet es für das Zusammenleben in der Gesellschaft, wenn Menschen wie Liv fehlen?"

        Dasselbe wie das "Fehlen" von Kindern mit Kinderlähmung und Conterganschäden: Etwas weniger Leid auf der Welt, und etwas weniger Menschen, die ein Leben mit schweren Einschränkungen führen müssen.

        Das Down-Syndrom ist keine Bereicherung und auch keine harmlose Variation wie rote Haare, sondern eine Chromosomenstörung, die neben der geistigen Behinderung auch zu schweren gesundheitlichen Problemen führt. Jeder zweite Betroffene hat einen Herzfehler. Leukämie und Epilepsie sind 20 mal häufiger. Die meisten bekommen ab 40 Alzheimer. Alles Dinge, die mehr oder weniger verschwiegen werden, weil nur die Klischee-Bilder von glücklich lächelnden Kindern in die Öffentlichkeit gelangen.

        Wenn man seinem Kind dieses Leid ersparen kann, warum sollte man es nicht tun? Wenn man voraussetzt, dass ein zehn Wochen alter Fötus keine menschliche Person ist, und eine Abtreibung zu diesem Zeitpunkt in sich kein Problem darstellt, was unterscheidet die Abtreibung eines Fötus mit Trisomie 21 von dem Verzicht auf Alkohol in der Schwangerschaft? Beides sind Maßnahmen zur Vermeidung von Behinderungen, und beide schaden keiner menschlichen Person.

      • @mowgli:

        "Ob eine Frau ein Kind austrägt oder nicht, ist in Fällen, in denen die Frauen nicht frei und allein aus ihrer Lebenssituation heraus entschieden haben, gerade KEINE rein individuelle Entscheidung."



        Doch, ist es. Bzw. sollte es sein. Es ist nicht mein Leben und auch nicht Ihr Leben, das durch diese Entscheidung nachhaltig und unumkehrbar beeinflusst wird sondern das der möglichen Mutter. Und deswegen kann und darf es nur eine individuelle Entscheidung sein.

      • @mowgli:

        Dann darf ich in Zukunft auch erwarten dass Frauen das Kind der letzten Partybekanntschaft austragen...der Vielfalt wegen, mehr ungewollte Kinder bitte!



        Man kann nicht hingehen und sagen dass im Fall X ein Schwangerschaftsabbruch eine total individuelle Angelegenheit ist und im Fall Y nicht, nur weil es gerade nicht in das ideologische Schema passt.

    • @Thomas Friedrich:

      Ich wollte fast das gleiche schreiben. Dazu würde ich noch ergänzen, dass ich bereits mehrere Eltern von Kindern mit Downsyndrom und anderen Behinderungen kenne. Alle Lieben Ihre Kinder über alles und würde Ihr Kind niemals weggeben. Aber genau die gleichen Leute sagen auch, dass es Ihre härteste und schwierigste Aufgabe in Ihrem Leben war und ist, und das Sie das nicht noch einmal machen würden. Ich finde Eltern haben ein Recht auf ein gesundes Kind. Und dieser Bluttest verschafft verlässliche Informationen und damit eine Basis für die Entscheidungsfindung.

    • @Thomas Friedrich:

      Völlig korrekt!

  • Man kann als Staat Nichtwissen nicht verordnen. Die Konsequenzen sind einfach zu groß. Als Einzelner kann ich mich zwar für Nichtwissen entscheiden, es aber nicht auch für Andere verlangen. Durch den wissenschaftlichen Fortschritt werden wir immer mehr zu Entscheidungen dieser Art gezwungen sein, ein Ausweichen funktioniert nicht. Es gibt den Test und wenn er nicht verboten wird muss er selbstverständlich auch Kassenleistung sein.

  • Gute Antwort

  • Das Problem, was ich hier persönlich für mich sehe: Ich lehne zwar diese Selektion ab, aber andererseits kann ich nicht zwar für das grundsätzliche Recht von Frauen auf Abtreibung sein, aber es andererseits dann dadurch begrenzen, dass ich vorschreibe, was eine Schwangere erfahren darf. Die Frage, ob Abtreibung oder nicht, hat jede Frau alleine für sich frei zu entscheiden. Eine wirklich freie Entscheidung kann aber nur treffen, wer alle Informationen hat.

    Jede Frau hat das Für und Wider selbst abzuwägen. Und da hat sich niemand einzumischen. Die Aussage mag leichter fallen, wenn es sich auf die Einmischung ewiggestriger Lebensschützer bezieht, aber wenn ich grundsätzlich fordere, dass eine Frau sich für eine Abtreibung nicht rechtfertigen muss, muss das auch im Falle einer festgestellten Behinderung gelten.

  • Wir sind seit 20 Jahren dabei, Einheitsmenschen zu gestalten für eine Einheitsgesellschaft. Am ende wird es eine NGO geben, die diese Bluttests nach Afrika schicken wird, damit dort "vermeidbares Leid des Down" "bekämpft" werden kann.

  • Wir Progressiven haben dafür gestritten und streiten noch dafür, dass sich Frauen ohne Rechtfertigungsdruck für einen Abbruch entscheiden können. Die Gründe für oder gegen einen eventuellen Schwangerschaftsabbruch gehen nur Mutter und Vater etwas an. Insofern finde ich die jetzt angestoßene Debatte, die diejenigen in einen moralischen Graubereich rückt, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, völlig unangemessen. Es ist eine Unterstellung, dass es um "möglichst leistungsfähige Kinder" geht. Eine Unterstellung, die genauso falsch ist wie ältere Unterstellungen à la "die Hedonistinnen wollen noch weiterfeiern".

  • Die Position dieser Dame von den Grünen ist irgendwie nicht nachvollziehbar.



    Ich dachte immer, diese Partei will daß die Frauen - und nur die Frauen - darüber bestimmen, ob sie ein Kind bekommen oder nicht.



    Keine Frau entscheidet sich leichtfertig für eine Abtreibung. Wenn Frauen das doch tun, dann haben sie sich das vorher ausführlich überlegt, und dazu gehört natürlich auch die Einschätzung der aktuellen und zukünftigen Lebenssituation.



    Mit welchem Recht kommen diese Abgeordneten auf die Idee, sie könnten den betroffenen Frauen eine äußerst wichtige Information bezüglich der zukünftigen Lebenssituation, nämlich den Gesundheitszustand und den absehbaren Betreuungsbedarf eines Kindes, vorzuenthalten ?



    Wenn Frauen das Recht haben, über eine Abtreibung bzw. eine Geburt selbst zu bestimmen, dann haben sie auch das Recht, alle verfügbaren Informationen zu erhalten.



    Soll so über die Hintertür eine Art Abtreibungsverbot eingeführt werden ?

  • "Werden solche Menschen demnächst aussortiert?"Zitat



    Selbstverständlich werden sie aussortiert.



    Die meisten Menschen stehen dem Sozialdarwinismus und dem Faschismus näher als sie sich selbst eingestehen würden.Der Neoliberalismus hat dieser Haltung seit fast 40 Jahren jetzt Vorschub geleistet.Man erntet,was man sät.

    • @Markus Müller:

      Neoliberalismus? Sie schaffen es, aber auch zu jedem Thema beim Neoliberalismus zu landen. Ihre Platte hat einen Sprung.

    • @Markus Müller:

      Respekt Herr Müller!

      In einem 37-Wörter-langen Kommentar über Trisomie die Worte "Sozialdarwinismus", "Faschismus" und "Neoliberalismus" unterzubringen, ist schon bemerkenswert.



      Da muss der Frust schon sehr tief sitzen.

      • @Magumpus:

        Das tut er.

      • @Magumpus:

        Ah ja, §§ 218,219 StGB gehören abgeschafft, wenn sich aber eine Frau oder Familie für einen Schwangerschaftsanbruch wegen starker Behinderung des Kindes entscheiden ist das auch schlimm.

        Eine bestechende Logik.