piwik no script img

Tennisreporterin über Sport und Politik„Man hat die Ukrainer satt“

Eine ukrainische Journalistin fühlt der Weltranglistenzweiten Aryna Sabalenka aus Belarus in Paris auf den Zahn. Ihr wird das Mikro weggenommen.

Im Krieg: Die Ukrainerin Elina Switolina und die Belarussin Aryna Sabalanka nach ihrem Match Foto: reuters
Interview von Klaus Bellstedt

taz: Frau Meshcheriakova, Sie haben in Paris immer wieder die Weltranglisten-Zweite Aryna Sabalenka aus Belarus mit Fragen zu ihrer Haltung zum Krieg konfroniert. Warum eigentlich?

Daria Meshcheriakova: Seit Beginn des Krieges gab es immer nur sehr vage Äußerungen von ihr zum Regime und zum Angriffskrieg. Ihre Antwort war eigentlich immer: Ich unterstütze den Krieg nicht. Das war es. Dabei gab es Verbindungen von ihr zu Lukaschenko. Das ist bewiesen. Sie hat 2020 einen Brief zu seiner Unterstützung unterzeichnet. Sabalenka ist auch in einem Neujahrsfeier-Video zusammen mit Lukaschenko zu sehen. Plötzlich gab es für mich die Chance, sie direkt auf der Weltbühne zu fragen. Ich hatte zwei Fragen: Wie kann eine potenzielle Number One einen Diktator unterstützen? Und: Ob sie nicht auch mal für sich persönlich sprechen könnte, warum sie diesen einen Satz nicht schaffen würde: „Ich, Aryna Sabalenka, verurteile die Aggressionen meines Heimatlandes und Russlands gegen­ die Ukraine.“ Leider bekam ich keine Antwort.

Bild: Klaus Bellstedt
Im Interview: Daria Meshcheriakova

hat in Kyjiw und Jena Politik studiert und arbeitet als Journalistin für die ukrainische Sportzeitung Tribuna sowie die European Pravda.

Eine Pressekonferenz führte zu einem Eklat. Eine Offizielle nahm Ihnen das Mikrofon ab, als Sie nachfragen wollten.

Die Welt scheint die Ukrainer sattzuhaben. Jeder möchte sein Leben weiterleben, Sportveranstaltungen und Konzerte veranstalten. Einfach weitermachen. Super, das wollen wir auch. Aber wir öffnen unsere Social-Media-Accounts und sehen, dass ein Freund im Krieg gestorben ist. Den ukrainischen Profis bleibt nichts anderes übrig, als hier ständig über den Krieg zu reden, obwohl es den Organisatoren nicht gefällt. Das Thema ist ihnen einfach zu politisch. Man will es nicht haben in Paris.

Auf abermalige Nachfrage hat sich Sabalenka nun von Lukaschenko distanziert. Nehmen Sie ihr das ab?

Aryna Sabalenka ist das Sportgesicht der belarussischen Propaganda. Dafür hat sie selber viel getan. Wenn sie sich jetzt vom Diktator distanziert, ist das unglaubwürdig. Ihre Antwort war zögerlich. Es dauerte zwei, drei Sekunden, bis ihr über die Lippen kam: „I don’t support him right now.“ Das lässt ja offen, dass sie es irgendwann doch wieder tun wird. Und übrigens: Jetzt wird über ihr Visum für Großbritannien entschieden. Sie will ja in Wimbledon spielen. Sabalenka muss taktisch sprechen.

Sabalenka erschien zwei Mal nicht auf der Pressekonferenz. Wie fanden Sie das?

Sie sagte, sie fühle sich unsicher. Es sei nicht gut für ihre mentale Gesundheit. Ich biete ihr an, in meiner Kyjiwer Wohnung zu wohnen, die ich verlassen musste, weil dort ständig Raketen auch aus Belarus flogen. Sabalenka kann hier die beste Tennisspielerin der Welt werden. Sie trägt eine Verantwortung. Sich vor der Presse „unsafe“ zu fühlen, ist lächerlich.

Was machen die Spielerinnen aus der Ukraine auf solch großen Turnieren durch?

Unsere Spielerinnen mussten ihre Familien mitnehmen und fliehen. Seitdem haben viele kein Zuhause und keine Trainingsbasis mehr. Ich habe mit Dajana Jastremska gesprochen. Sie weint viel. Es gibt für sie keine Erholungsphasen, weil es immer irgendwelche Nachrichten gibt, die einen nicht gut schlafen lassen. Davon berichten alle. Sie wachen auf und sehen, wie ukrainische Städte beschossen wurden, wie das Kraftwerk Kachowka zerstört wurde und wie ihre Freunde sterben. Sie alle spielen immer noch Tennis. Denn ihre Siege bringen den Ukrainern zumindest eine paar gute Nachrichten.

Sie sind selbst aus der Ukraine geflohen. Wo leben Sie jetzt und wie schaffen Sie es, über Tennisturniere zu berichten? Die sind ja überall auf der Welt.

Ich bin im März 2022 geflüchtet. Ich habe nur meinen Kater mitgenommen. Als Kijyw schwer beschossen wurde, bin ich nach Maastricht zu Verwandten gefahren. Da ich mittlerweile nicht weit von Paris entfernt lebe, habe ich mich dazu entschlossen, zumindest eines der vier großen Grand-Slam-Turniere zu besuchen, um dort den Russen und Belarussen Fragen zu stellen.

Befürworten Sie einen Bann russischer und belarussischer Spieler wie in Wimbledon 2022?

Sicherlich. Warum müssen wir sterben, unser Zuhause verlassen, alles verlieren und sie können einfach ihr Leben weiterleben? Glauben Sie mir, viele russische Sportler unterstützen den Krieg. Aber bei jeder Gelegenheit verstecken sie sich hinter der Floskel: Sport ist nicht Politik, und umgekehrt. Aber wenn es ihnen zugutekommt, unterstützen sie die Diktatoren. Wenn man aber danach fragt, sagen sie: Sie sind doch nur Sportler. No politics, please!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

32 Kommentare

 / 
  • Vielen Dank für eure Beiträge. Wir haben die Kommentarfunktion geschlossen. Die Moderation

  • Man sich natürlich absichtlich dumm und naiv geben, aber der Spitzensport ist gerade heute extrem politisch geworden.



    Ob die Sportler-innen jetzt wirklich immer die Geistesgrößen sind, komplexe Dinge zu beantrworten, sei dahingestellt, aber sehr viele Menschen sehen halt in ihnen ein Vorbild.



    Da normale Anstand und Menschlichkeit gegenüber Opfern von Kriegsverbrechen hier aber bei den Unsummen von Geld oft keine Rolle mehr spielen, helfen eben nur klare Ansagen und Ausschlüße um die Weltbühne zu entziehen. Oder ist es



    Angesichts der Kriegsverbrechen zu viel den Ländern Unannehmlichkeiten zu bereiten?

  • Das Recht sich politisch zu äußern muss jeder Sportler haben dürfen. Aber eben auch das Recht, das nicht zu tun. Wer in einer Diktatur lebt, hat ganz andere Realitäten, wird genötigt sich zu bekennen, muss im Zweifel für Aussagen mit Repression rechnen.



    Dass man nachfragen kann, ist erstmal okay. Wenn einem die Antwort dann nicht passt, man sie für unglaubwürdig hält und etwaige Unsicherheit zu solchen Fragen als "lächerlich" abtut, ist es nicht.



    Leute wie Putin und Lukaschenko lassen selbst die mächtigsten Kritiker im Land einsperren oder verschwinden. Was wird von einer Sportlerin erwartet? Dass sie ihre Karriere, ihre Freiheit, evt. sogar ihre Gesundheit aufs Spiel setzt?



    Sabalenka hatte gar keine Chance aus einer intensiven Befragung ohne Schaden herauszukommen. Dass sollte bei allem verständlichen Schmerz über den Krieg auch ein ukrainische Journalistin verstehen können.

  • Wer sich die Pressekonferenz angesehen hat, kommt m.E. zu einem anderen Bild als das, welche die Autorin hier beschreibt. Meshcheriakova hat eine Antwort bekommen. Anya Sabalenka hat lange uns ausführlich auf ihre Fragen geantwortet, aus ihrer Sicht fälschliche Vorwürfe korrigiert und ehrlich gesagt ist es auch kein Eklat, wenn einer Journalistin auf einer Pressekonferenz nur eine gewisse Zahl von Fragen zugestanden wird. Eine Pressekonferenz ist kein Verhör.

    Wer es selber sehen möchte:



    www.youtube.com/watch?v=cfrl9QWIqYY

  • Alle reden davon, dass in Belarus und Russland Diktatoren an der Macht sind, dass es in diesem Land ein totalitäres System gäbe. Und doch verlangen alle von den Prominenten dieser Länder sich offen gegen diese Systeme zu stellen.

    Ich möchte gern sehen, dass ihr das tut, wenn dieser Schritt Verfolgung, Deportation, Rache und Schlimmeres an euren Anverwandten, Eltern, Großeltern usw. nach sich zieht.

    So blauäugig kann man doch nicht sein.

  • Eigentlich gibt es bei diesem ganzen Trallala nur drei Fragen:



    1. Hat die öffentlich Sporttreibende sich jemals politisch gezeigt/geäußert?



    2. Waren die Äußerungen freiwillig?



    3. Warum reden wir überhaupt noch über Sport?

  • Kann man eine Sportlerin nicht auch einfach Sportlerin sein lassen? Es ist völlig plausibel, dass Eine, die die Beste der Besten werden will, sich schlicht keinen Kopf um Politik macht sondern allenfalls - wenn unvermeidlich - die aus ihrer Sicht nötigen Lippenbekenntnisse abgibt, damit sie sich möglichst schnell wieder auf den Sport konzentrieren kann. IHR Leben dreht sich nunmal nicht um den Ukrainekonflikt. Es treibt den Auftrag einer Journalistin entschieden zu weit, das ändern zu wollen.

    • @Normalo:

      Nein, geht nicht. Es gibt ja auch hier offensichtlich Lesers, die sich "keinen Kopf um Politik machen" wollen, aber trotzdem hier Kommentare geben.

      Kritisches Hinterfragen gehörtzum Journalistenberuf dazu.

      • @Der dreckich Katz:

        Wer von sich aus eine Position einnimmt, soll das tun und auch entscheiden können, wie öffentlich er das tut. Hier sehe ich eher eine Journalistin, die eine PK zum einem klaren Thema (Sport) nutzt, um aus der Sportlerin eine Position zu einem anderen Thema herauszukitzeln. Die journalistische Distanz sollte es gebieten, das allenfalls vorsichtig zu tun. Sabalenka ist, auch wenn sie ein politischer Faktor sein mag, KEINE Politikerin. Es gehört daher auch nicht zum "kritischen Nachfragen", ihr diese Rolle aufzunötigen.

        • @Normalo:

          Journalistische Distanz ist im Prinzip eine gute Sache.

          Nur kann ich es in diesem Fall schon verstehen, dass die flöten gehen kann, angesichts der Grauen des Krieges, mit dem die ukrainischen Sportlerinnen und natürlich die Journalistinnen Tag für Tag konfrontiert sind.

          Da ist es vielleicht nicht immer ganz so einfach so zu tun, als gäbe es diesen furchtbaren Hintergrund gar nicht.

          Das eigene Land wird zerstört, Menschen, die man kennt, werden getötet, die Zukunft ist ungewiss. Da immer ganz sachlich und distanziert zu bleiben, das stelle ich mir nicht einfach vor.

  • Ja, viele russische und belarussische Sportler unterstützen die Agression oder die Machthaber in ihren Heimatländern oder ziehen den Kopf ein. Und ja, alle russischen Sportler sollten in allen Sportarten ausgeschlossen werden. Und nein, nicht jeder einzelne russische oder belarussische Sportler sollte ständig zum Krieg oder zu Putin oder Lukaschenko befragt werden. Wem soll das etwas bringen?

  • Die simpelste aller Sanktionen wäre doch, Russland und Komplizen aus der europäischen Kultur- und Sportlandschaft auszuschließen - Vorbild: Südafrika.

    Dummerweise sind die (in der Regel) korrupten Sportverbände meist sehr eng mit dem russischen Großkapital verbunden.

  • Sportler, Opernstars und Schauspieler müssen ja neuerdings ja politisch Stellung beziehen. Die richtige, versteht sich.



    Warum werden eigentlich Superreiche und Banker nicht bedrängt?

  • Verstehe die Ukrainerin voll, einige Kommentare überhaupt nicht, da kommt massive Verachtung auf.

  • "Sie wachen auf und sehen, wie ukrainische Städte beschossen wurden, wie das Kraftwerk Kachowka zerstört wurde" - Wie würde sie schlafen, wenn das Kraftwerk von der eigenen Regierung in Kooperation mit der Nato zerstört wurde?

    • @Henning Lilge:

      Sie haben aber ein Fleischergemüt.

      Könnten die ukrainischen Städte auch von der eigenen Regierung mithilfe der Nato beschossen worden sein?

      Und ansonsten im Forum?

      Die belarussischen Spielerinnen werden "gestalkt", die ukrainischen sollen sich wohl nicht so haben.

    • @Henning Lilge:

      Was soll die Frage?



      Das ist doch lediglich unterschwellige Propaganda.



      Niemand außer Rußland profitiert von der Zerstörung.



      Zudem ist es nur ein aktuelles Beispiel. Es gibt viele unbestrittene Angriffe, die für Sorgen ausreichen...

    • @Henning Lilge:

      Da wird sich Putin aber freuen das Sie, als einiger der wenigen, die Wirklichen umstände kennen.

  • Vielleicht hat sie ja keinen Bock zu antworten, da ihre Antwort eh als unglaubwürdig dargestellt wird. Sie distanziert sich, aber weil das 2-3 Sekunden dauert, ist es unglaubwürdig. Wenn sie den gewünschten Satz über die Lippen gebracht hätte, hätte es ihr die Fragestellerin nicht abgenommen, sondern hätte so lange nachgebohrt, bis sie wieder „Unglaubwürdigkeit“ attestieren kann.

    • @Strolch:

      Und warum hat man Frau Meshcheriakova das Mikro aus der Hand gerissen?

      • @Barrio:

        Vielleicht weil diese hartnäckige Art der Befragung zu einem sportfremden Thema aus Sicht der Veranstalter das Privileg missbraucht, auf so eine PK eingeladen zu sein. Es gibt Regeln, wofür sich Sportler herzugeben haben, wenn sie an großen Turnieren teilnehmen. Dazu gehören auch solche Pressetermine, aber sich dabei gegen ihren Willen bezüglich der eigenen politischen Meinung grillen lassen zu müssen, geht im Zweifel ein wenig zu weit.

        • @Normalo:

          In einem demokratischen Staat ist Pressefreiheit kein "Privileg", sondern ein Recht. Deshalb ist es nicht in Ordnung, wie mit der ukrainischen Journalistin umgegangen wurde.

    • @Strolch:

      Ja.



      Eine "gute" Antwort hätte ja auch unmittelbare persönliche Folgen.



      Das ist aber das Ziel der Fragen: zu zeigen, dass JEDER belarussische oder russische Sportler das Regime unterstützt, oder im Knast landet.



      Deswegen ist ja auch die Sperre all dieser Personen gerechtfertigt. Unpolitischen Sport gibt es, aber unpolitische Sportler sind eine westliche Fiktion!

  • Die Situation wird für russische und belarussische Sportlerinnen auch nicht einfach sein. Ich kann die Sichtweise der Ukrainerin nachvollziehen, aber die Ausrichter von sportlichen Ereignissen wären schlecht beraten, sich diese zu eigen zu machen.

  • 9G
    94799 (Profil gelöscht)

    Eine Zusatzfrage an die Befrage wäre ganz aufschlussreich gewesen: Wie bewerten Sie die aktuelle Situation von Julian Assange und ist das eines demokratischen Staat würdig? Bitte meinen Text nicht als "whataboutismus" diffamieren - danke!

    • @94799 (Profil gelöscht):

      Was hat Frau Sabalenka mit dem Fall Assange zu tun? Kein Wunder, dass Sie den "Whataboutismus"-Vorwurf antizipieren.

      • @Barrio:

        steht doch im Artikel: Es soll über ihr Visum für Großbritannien entschieden werden. Es geht darum, dass "wir" auch mal vor der eigenen Tür kehren sollten, wenn wir anderen Vorwürfe machen.

        • @JoeWei:

          Was soll Sabalenkas Visum für Großbritannien mit dem Fall Assange zu tun haben? Dass sich Assange in Großbritannien aufhält? Sorry, aber der vermeintliche Zusammenhang ist doch an den Haaren herbei gezogen. Und wen meinen Sie bitteschön mit "wir" bzw. was hat Deutschland mit dem Fall Assange zu tun?

    • @94799 (Profil gelöscht):

      Der Unterschied zwischen den Systemen ist, dass hiesige Sportler sich ohne konkrete Folgen zu Assange bekennen können, während die Befragte den Krieg nicht ungestraft verurteilen kann.

  • Ich erinnere mich da auch an eine digitale Pressekonferenz mit einer Vertreterin Taiwans und dem IOC, bei der die Fragen einfach „nicht gehört“ und übergangen wurden. 😡 Was für eine Frechheit - wünsche mir den Anstand der journalistischen Kolleg*innen, in so einem Moment diese Frage aufzunehmen und keine andere mehr zu stellen.

  • Das ist doch Stalking. Sie hat sich klar geäußert, ständiges Nachfragen sind doch nur nervend. Und ja, wer macht sich keine Gedanken über diesen Krieg? Auch darüber, dass nicht jede Seite die alleinige Wahrheit verkündet.

    • @uffbasse:

      ...Ich persönlich finde es in Ordnung, einfach zu dieser Thematik, zu schweigen...



      So wie jeder seine Ansichten dazu - vor sich her tragen darf...