Soziologin über AnhängerInnen der AfD: „Es geht um Emotionen“
Die Soziologin Cornelia Koppetsch gibt den Linksliberalen und der „kosmopolitischen Elite“ eine Mitschuld am Aufstieg der AfD. Die seien zu exklusiv.
taz am wochenende: Frau Koppetsch, bei den Landtagswahlen am Sonntag hat etwa jeder Vierte AfD gewählt. Warum ist ihr Erfolg gerade in Ostdeutschland so groß?
Cornelia Koppetsch: Weil Ostdeutschland ein Transformationsland ist, wie beispielsweise Polen auch. Die Wende hat zu dramatischen Umbrüchen geführt. Alte Industrien wurden abgewickelt, die meisten Führungspositionen in Universitäten, Verwaltung, Kulturinstituten mit Wessis besetzt. Es gab gebrochene Biografien und soziale Abstiege. Die Ostdeutschen fühlen sich benachteiligt – und nicht ganz ohne Grund. Ihnen ist ihre Gesellschaft weggebrochen.
Und deshalb stimmt man in Brandenburg für einen Spitzenkandidaten mit rechtsextremer Biografie?
Ehrlich gesagt wundert mich das auch. Der Anspruch von Rechtspopulisten besteht ja darin, die Mitte zu vertreten. Aber da verstärkt sich der Rassismus der einen mit dem Oppositionsgeist der anderen wechselseitig.
Wer sind die Wähler und Wählerinnen der AfD, nicht nur im Osten?
Sie kommen aus allen Schichten: aus den privilegierten konservativen Milieus, der traditionellen Mittelschicht und aus prekären Milieus, aber es sind eben nicht verstärkt Arbeitslose und Empfänger von Sozialleistungen. Was sie eint, ist das Gefühl, an Einfluss, Bedeutung und Macht verloren zu haben, nicht nur in materieller Sicht. Sie sehen ihre bisherigen Privilegien bedroht. Es ist eine Querfront der Verlierer.
Kann man so auch den Wahlerfolg zum Beispiel in Baden-Württemberg erklären? Ein reiches Bundesland, wo die AfD 2016 15 Prozent der Stimmen geholt hat.
Ja. In Ostdeutschland waren die Auswirkungen zwar besonders krass. Aber es gibt überall in der Gesellschaft soziale Entwertungen, die ähnliche Wirkungen haben können: Arbeitnehmer, denen das Leitbild des männlichen Familienernährers wegbricht. Oder aus dem akademischen Bereich: Wissenschaftler, die sich die ganze Gelehrsamkeit der Soziologie angeeignet haben, merken, dass man mit Max Weber heute nicht mehr weit kommt, sondern wissen muss, wie man Drittmittelanträge schreibt. Und viele von ihnen erleben es als eine brutale Entwertung ihres Berufsbildes, dass viele BA-Studenten heute fast schon nicht mehr das Niveau einer Volkshochschule erreichen.
42, ist Professorin für Soziologie an der TU Darmstadt. Für ihr Buch hat sie auch Interviews mit AfD-Anhängern geführt. „Die Gesellschaft des Zorns“ ist im Transcript-Verlag erschienen.
Was verbindet diese Wissenschaftler mit einem Stuttgarter Arbeiter, der Angst um seinen Job hat, weil ausländische Arbeitskräfte vielleicht billiger sind? Oder mit einem Ostdeutschen, dessen Beruf es nach der Wende nicht mehr gab? Oder mit Alexander Gauland?
Es geht um soziale Deklassierung, und das trifft auch auf Gauland zu. Dieser war als Konservativer in der CDU erfolg- und einflussreich – doch sein Politikverständnis und sein Gesellschaftsbild wurden zunehmend an den Rand gedrängt. Es geht nicht nur um Ökonomie. Es geht auch um Einfluss und Macht, um die Frage, ob mein Habitus, meine Werte von Bedeutung sind.
Wo sehen Sie den Anfang dieser Entwicklung?
Rechtspopulismus ist eine autoritäre Reaktion auf die Globalisierung, die sich gegen den Neoliberalismus und die globale Öffnung der Wirtschaft wendet und gegen den kosmopolitischen Liberalismus der neubürgerlichen Kultur. Es ist eine Reaktion auf einen unbewältigten epochalen Umbruch – die wachsende Macht transnationaler Unternehmen, der Fall der Mauer, die Hartz-Reformen, Schrumpfungsprozesse im ländlichen Raum und der Aufstieg kosmopolitischer Eliten.
Die Ergebnisse Bei den Wahlen am vergangenen Sonntag wurde die AfD in Sachsen mit 27,5 Prozent und in Brandenburg mit 23,5 Prozent jeweils zweitstärkste Kraft. In beiden Ländern trat sie mit Spitzenkandidaten an, die dem „Flügel“ zuzurechnen sind, den der Verfassungsschutz im Blick hat.
Wir haben die Europäisierung, die mit Zentralisierung und einer Entmachtung lokaler Eliten einhergeht. Europäische Freizügigkeit und Migration bedeuten für manche mehr Konkurrenz. Hinzu kommt, dass sich viele einst Etablierte durch Diversity und Gender, durch den Aufstieg von Frauen und Migranten noch zusätzlich benachteiligt sehen.
Sie geben denen, die Sie kosmopolitische Eliten oder linksliberales Milieu nennen, eine Mitschuld am Aufstieg des Rechtspopulismus.
Ich würde nicht von Schuld sprechen wollen. Ich beschreibe einen gesellschaftlichen Konflikt, ohne eine Wertung vorzunehmen. Die Kosmopoliten haben das Selbstbild, inklusiv zu sein, gleichzeitig aber ein historisch nahezu unübertroffenes Niveau an Exklusivität erreicht.
Wie meinen Sie das?
Sie umgeben sich mit Leuten, die die Dinge genauso sehen wie sie. Sie ziehen in Gründerzeitbauten und nicht in den Plattenbau. Die Kreise werden über Kompetenzen, Geschmack und kulturelle Codes geschlossen und über Bildung an die nächste Generation weitergereicht.
Die Kosmopoliten haben neue Spielregeln durchgesetzt und tatsächlich weniger Diskriminierung erreicht. Doch sie sind in sozialstruktureller Hinsicht nicht egalitär – die Codes haben sich nur verändert. Anstelle der traditionellen Hochkultur und eines fixen Bildungskanons zählt heute die kulturelle Allesfresserei: Neugierde auf fremde Kulturen, Flexibilität und die Beherrschung einer Vielzahl von kulturellen Repertoires.
Als Professorin gehören Sie auch zum kosmopolitischen Milieu.
Darum geht es aber nicht. Ich versuche hier, mit dem Instrumentarium der Soziologie einen gesellschaftlichen Konflikt zu beschreiben, ohne mich auf eine Seite zu schlagen.
Unterschätzen Sie mit dem Fokus auf die linksliberalen Kosmopoliten nicht die Mobilisierungskraft von Rassismus, die die AfD und andere radikal rechte Parteien so perfekt zu nutzen wissen?
Dass das rechtspopulistische Weltbild indiskutabel ist, ist klar – darüber braucht man nicht mehr diskutieren. Ich möchte den Blick darauf lenken, dass die kosmopolitischen Eliten Teil dieser Dynamik sind, weil sie ihre eigene Moral zum Maßstab erheben und nicht sehen, wie sehr sie dabei eigenen Privilegien verhaftet bleiben, die andere ausschließen. So wie auch die Westdeutschen an dem, was in Ostdeutschland geschieht, nicht unschuldig sind.
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Sie bezeichnen Rechtspopulismus als politische Therapie. Was soll das für eine Behandlung sein?
Anders als viele Erklärungsansätze, die darlegen, dass Rechtspopulisten eine rationale Agenda verfolgen, die Migration zu unterbinden, weil sie eine objektive Konkurrenz darstellt, glaube ich, dass die Triebkräfte der rassistischen Ausgrenzung nicht nur rational sind. Es geht darum, Ängste an einem Stellvertreter festzumachen und zu bekämpfen – dem Migranten. Alles, was einen stört oder frustriert, kann in ein bedrohliches Außen verlagert werden. Das wirkt wie eine politische Therapie.
Nach Ihrer Analyse findet man sich in einer Art Ressentiment-Gemeinschaft zusammen, die Sie „Neogemeinschaften“ nennen. Was meinen Sie damit?
Nehmen wir eine populistische Plattform wie Politically Incorrect, es gibt inzwischen ja viele davon. Da tummeln sich Leute, die in ihrem realen Leben keine Anerkennung für ihre Ansichten bekommen, sie sind ja Abweichler. Aber in der Plattform finden sie eine Gemeinschaft, in der sie sich ihre Ansichten um die Ohren hauen und am Ende ganz vertraut sagen, dass sie jetzt mal ins Bett gehen.
Welche Bedeutung hat das?
Kompensation für die Verlierer, die sich hier sammeln. Und Solidarität. Es sind Gemeinschaften, die in die Lücken treten, die erodierende Gewerkschafts-, Parteien- und Vereinsbindungen hinterlassen haben. Es wird dort ganz klar zwischen In- und Outgroup unterschieden, zwischen wir und sie. Sie sind digital und oft global vernetzt, eine physische Anwesenheit ist nicht mehr nötig.
Ihr Buch heißt „Die Gesellschaft des Zorns“. Sind Zorn oder Angst die entscheidenden Kategorien?
Gefühle der Abwertung werden oft mit Angst und Scham beantwortet, sind dann zum Schweigen verdammt. Angst demobilisiert. Erst wenn ich ins Ressentiment rutsche, zornig werde, kann aus der Deklassierung eine Systemopposition entstehen – wenn ich Menschen treffe, die sich mit mir verbünden.
Sie schreiben, Aufklärung helfe nicht.
Ja, denn es sind ja emotionale Gründe, warum AfD-Anhänger da sind, wo sie sind. Es nützt nichts, ihnen das zu nehmen, was ihnen hilft. Man muss an den Emotionen ansetzen. Bei einigen meiner Interviewpartner liegt die Krise etwa zehn Jahre zurück. So lange dauert die Radikalisierung. Das hat sich in die Persönlichkeiten eingefressen, das kriegt man nicht so leicht weg.
Wie sollte man mit AfD-Anhängern also umgehen?
Vielleicht sollte man sie umarmen. Natürlich nicht auf der Ebene der Parteien. Und bei allem, wo es um Rassismus geht, ist die rote Karte gefragt. Aber man muss sich die Anliegen der Anhänger dort näher angucken, wo sie vielleicht auch berechtigt sind, müsste sie wieder gesellschaftlich und kulturell repräsentieren, ihnen ein alternatives Sprachrohr an die Hand geben. Aber das dauert. 30 Jahre hat es gedauert, bis sich diese autoritäre Bewegung formiert hat. Vielleicht braucht man weitere 30 Jahre, um diese Spaltung wieder zu kitten.
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