Sinkende Inflation: EZB? Nein, Habeck war's!
Die Europäische Zentralbank schmückt sich mit fremden Federn. Dem Wirtschaftsminister ist zu verdanken, dass die Inflation wieder sinkt.
D ie Erleichterung steht ihr ins Gesicht geschrieben, als sie vor die Presse tritt. Christine Lagarde, Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), hatte Anfang Juni eine gute Nachricht zu verkünden: Die Inflation ist im Griff, die Zinsen werden gesenkt. Endlich. Seit Sommer 2022 hatte die EZB die Zinsen innerhalb von 14 Monaten von 0 auf 4,5 Prozent hochgepeitscht, zehn Zinserhöhungen in Folge.
ist Sachbuchautor und wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag. Zuletzt schrieb er „Teuer!“, „Der neue Wirtschaftskrieg“ und „Mythos Geldknappheit“. Als YouTuber ist er bei „Geld für die Welt“ sowie „Jung & naiv“ aktiv.
Auf diese Weise wollte sie die Inflation von zwischenzeitlich fast 10 Prozent bekämpfen. Und tatsächlich wurde dieses Ziel erreicht. Dieses Jahr soll die Inflationsrate nur noch 2,5 Prozent betragen, also nur noch knapp über dem normalen Niveau. Nur: Ist das wirklich ein Verdienst der EZB?
Es gab zwei Auslöser für die heftigen Preissteigerungen: erst die Coronapandemie, dann Putins Überfall auf die Ukraine. Lockdowns in asiatischen Häfen haben Lieferketten reißen lassen und der Ukrainekrieg hat für Panik an Energiemärkten gesorgt, besonders in Deutschland, wo rund die Hälfte aller Gas- und ein Drittel aller Ölimporte aus Russland kamen.
Die Inflation trotz schlechter Wirtschaft
Die Folge war ein Preisschock. Öl, Kohle, Gas, Strom – alles ist deutlich teurer geworden. Als Putin die Gaslieferungen nach Deutschland endgültig stoppte, war Gas an der Börse zehnmal so teuer wie 2021.
Eine Inflation im Sinne des ökonomischen Lehrbuchs war das allerdings gar nicht. Denn die Lehrbuchinflation entsteht, wenn die Wirtschaft überhitzt, der Konsum boomt und die Löhne stark steigen. Die Wirtschaft aber lief pandemiebedingt schlecht, der Konsum lahmte, viele Menschen hatten ihren Job verloren oder waren in Kurzarbeit, und die Löhne sind sogar gefallen.
Deutschland und die EU erlebten vielmehr einen Preisschock, weil das Angebot an günstiger Energie und Rohstoffen weggebrochen ist. Und weil Öl, Gas und Strom wichtiger Bestandteil von fast allen anderen Produkten sind. Deshalb sind auch Brot, Butter und vieles andere teurer geworden. Erst als Reaktion darauf sind dann die Löhne, Renten und Sozialleistungen gestiegen, um den Verlust an Kaufkraft auszugleichen. Allerdings längst nicht so schnell wie die Preise.
Preistreiber war also die Angebotsseite der Wirtschaft, nicht die Nachfrageseite. Die Zinserhöhungen der EZB wiederum zielten aber nur auf die Nachfrageseite. Sie machen Kredite teurer, zum Beispiel für Häuslebauer, Autokäufer oder Firmen, und kühlen so eine überhitzte Wirtschaft ab.
Die Therapie der EZB passte überhaupt nicht zur Diagnose
Nur war die Wirtschaft ja längst unterkühlt und nicht überhitzt. Und gegen Gaspanik oder teuren Strom helfen hohe Zinsen nicht. Das gibt die deutsche EZB-Ökonomin Isabel Schnabel auch zu. Zu Energiepreisen sagte sie Ende im Mai in der „Tagesschau“: „Darauf hat die Geldpolitik naturgemäß wenig Einfluss.“
Das heißt, dass die Therapie der EZB überhaupt nicht zur Diagnose gepasst hat. Die EZB hat eine Virusinfektion mit Antibiotika behandelt, aber feiert sich trotzdem für den Erfolg. So schreibt der EZB-Rat in der neuesten Pressemitteilung, die Dämpfung der Nachfrage habe „maßgeblich zur Rückführung der Inflation beigetragen“. Zahlen, empirische Studien oder andere Beweise? Fehlanzeige. Überzeugt Sie das? Mich nicht.
Auf die Fahne schreiben kann sich den Inflationserfolg eher Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) als die EZB. Die Gaspreise sind gefallen, weil über LNG-Terminals das russische Gas ersetzt werden konnte, der größte Gasspeicher verstaatlicht wurde und so die Panik vor einer Gasmangellage verflogen ist.
Außerdem wurde der Kostenschock für Verbraucher mit den Preisbremsen für Strom und Gas abgeschwächt. Ebenso mit dem 9-Euro-Ticket, der Abschaffung der EEG-Umlage und dem Tankrabatt. Die Ampel hat den Preisschock hierzulande therapiert, nicht die EZB.
Negative Folgen der hohen Zinsen
Dafür hatten die Zinserhöhungen erhebliche Nebenwirkungen. Die Wirtschaft kommt vor Unterkühlung nicht vom Fleck. Wirtschaftskrise letztes Jahr, Miniwachstum dieses Jahr. Überhaupt hängt Deutschlands Wirtschaftsleistung noch immer auf dem Vor-Corona-Niveau. Besonders betroffen ist der Bausektor, weil viele Projekte mit Krediten finanziert werden. Auftragseingänge und Baugenehmigungen sind eingebrochen, Stornierungen und Klagen über Auftragsmangel explodiert.
Der Zins für zehnjährige Immobilienkredite hat sich seit 2022 vervierfacht, von rund 1 auf 4 Prozent. Wer seinen Hauskauf 2014 noch zu günstigen Zinsen finanziert hat und inzwischen einen Anschlusskredit brauchte, musste deutlich mehr Zinsen zahlen und womöglich woanders kürzen.
Bitter: Auch Studenten trifft die Zinserhöhung. Der Zins für Studienkredite bei der staatlichen Förderbank KfW stieg zwischenzeitlich von 4 auf 9 Prozent und liegt jetzt noch immer bei 7,5 Prozent. Da die meisten Kredite variabel verzinst sind, wurden viele Studis kalt erwischt und rutschten in die Schuldenfalle. Verbraucherzentralen und Studierendenwerke warnen deshalb vor den Studienkrediten.
Die EZB ist mit ihrem Inflationsmandat überfordert
Mittlerweile ist offensichtlich, dass die Zentralbank mit ihrem Inflationsmandat überfordert ist. Sie soll die Inflation stabil bei 2 Prozent pro Jahr halten, aber hat gar nicht die richtigen Instrumente dafür. Erst hat sie zehn Jahre lang vergeblich versucht, die zu niedrige Inflation mit Niedrigzinsen und billionenschweren Anleihekäufen auf 2 Prozent hochzuhieven. Und seit dem Ukrainekrieg erwarten alle, dass sie sich mit höheren Zinsen gegen die hohen Energiepreise wehrt.
Zeit also, sich einzugestehen: Mit Zinsen und Anleihekäufen allein lässt sich die Inflation nicht kontrollieren. Regierungen haben hingegen deutlich mehr Werkzeuge: Steuern, Investitionen, Sozialtransfers, Preisbremsen, Regulierungen, das Kartellamt und so weiter.
Warum also nicht Robert Habeck und Olaf Scholz dafür verantwortlich machen, dass Deutschland jedes Jahr eine Inflation von 2 Prozent hat? Die Zentralbank kann sich darum kümmern, dass der Bankensektor stabil ist. Damit hätte sie ohnehin genug zu tun!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr