Schwangerschaftsabbruch nach § 218: Quer zur Wirklichkeit
Seit 150 Jahren ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland strafbar. Was würde passieren, wäre der Paragraf 218 abgeschafft?
E in Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland nach § 218 Strafgesetzbuch grundsätzlich strafbar – seit 150 Jahren ist das so. Nach der Gründung des Deutschen Reichs am 15. Mai 1871 war eine Schwangere, die „ihre Frucht abtreibt oder im Leib tötet“ mit Zuchthaus von bis zu fünf Jahren zu belegen. Die Worte des Paragrafen sind heute andere, sie klingen zeitgemäßer – allerdings nur in ihrer Form, nicht im Inhalt. Und sie stehen noch immer direkt hinter Mord und Totschlag, Abtreibung ist ein „Delikt gegen das Leben“.
Früher haben ungewollt Schwangere versucht, mit Kleiderbügeln, Stricknadeln und Fahrradspeichen den Fötus aus ihrem Bauch zu kratzen. Sie haben Seifenlauge, Bleichmittel, Rohrreiniger getrunken. Frauen sind verblutet, erlitten Bauchfellentzündungen und Vergiftungen, sie sind gestorben, weil ihnen verboten war, über ihren Körper selbst zu bestimmen.
In einigen Teilen der Welt passiert das noch immer. In Deutschland hat sich die Lage seit der ersten Reform in Westdeutschland in den 1970ern zwar verbessert – doch steht auch hier ein Gesetz im Strafgesetzbuch, das quer zur gesellschaftlichen Wirklichkeit vieler Frauen steht, das im Grunde sagt: Wenn du schwanger bist, musst du das Kind bekommen.
1975 stimmte der Bundestag für eine Fristenlösung, wie es sie in der DDR 20 Jahre lang gab. Nach der durften Frauen in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft legal abtreiben. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dies sei verfassungswidrig. Das „ungeborene Leben“ habe Vorrang, auch vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren. 1976 verabschiedete der Bundestag ein Indikationsmodell, ein Abbruch war demnach unter vier Bedingungen legal: der kriminologischen, also nach einer Vergewaltigung, der embryopathischen, wenn der Fötus eine Beeinträchtigung hat, einer medizinischen, wenn die Gesundheit der Schwangeren in Gefahr ist oder der Notlagenindikation, wenn eine soziale Notlage vorlag.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Die Kritik wird lauter
Nach der Wiedervereinigung und dem erneuten Abschmettern der Fristenregelung durch das Bundesverfassungsgericht 1993 stimmte der Bundestag 1995 in nicht parteigebundener Abstimmung für die sogenannte Beratungsregelung. Danach sind Schwangerschaftsabbrüche noch immer rechtswidrig, sie können mit einer Geld- oder einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren belangt werden. Doch die Abbrüche bleiben straffrei, wenn die ungewollt schwangere Person die Abtreibung in den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis von einem Arzt vornehmen, wenn sie sich beraten und eine dreitägige Bedenkzeit verstreichen lässt.
Die kriminologische und die medizinische Indikation blieben bestehen. Die Notlagenindikation fiel weg, da sie als nicht mehr nötig angesehen wurde, die embryopathische Indikation wurde auf Druck von Kirchen und Behindertenverbänden gestrichen. Sie argumentierten, dass eine Erlaubnis zum Abbruch nur aufgrund einer Behinderung des Fötus diskriminierend sei.
Die aktuelle Regelung gilt als hart errungener Kompromiss, sie sei die am wenigsten schlechte Lösung – und dürfe deshalb nicht wieder infrage gestellt werden. So haben sogar Feministinnen lange argumentiert, doch die Kritik wird immer lauter. So befand der UN-Frauenrechtsausschuss Cedaw, der die Umsetzung der UN-Frauenrechtskonvention überwacht, zuletzt 2017, weder die verpflichtende Beratung noch die dreitägige Bedenkzeit zwischen Beratung und Eingriff entsprächen dem Recht auf Zugang zu sicheren und diskriminierungsfreien Schwangerschaftsabbrüchen.
Die negativen Folgen sind zahlreich
Der Staat muss eine ausreichende Versorgung an Möglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch gewährleisten, so sieht es auch das Schwangerschaftskonfliktgesetz vor. Doch die Stigmatisierung durch das Strafrecht führt dazu, dass immer weniger Ärzt:innen in Deutschland Abbrüche durchführen und ungewollt Schwangere in einigen Teilen Deutschlands weit fahren müssen, um eine Abtreibung zu bekommen. Abtreibungsgegner:innen fühlen sich indes mit ihren Anfeindungen gegen Ärzt:innen und ungewollt Schwangere im Recht.
Abtreibungen werden weder in der medizinischen Grundausbildung noch in der gynäkologischen Weiterbildung gelehrt, und Ärzt:innen wie Kristina Hänel werden nach Paragraf 219 a, der „Werbung“ für Abtreibungen verbietet, mit Klagen überzogen, wenn sie nur sachlich darüber informieren.
Die negativen Folgen des Paragrafen 218 sind so zahlreich und unübersehbar, dass sich 150 Jahre nach seiner Einführung die Frage aufdrängt: Wenn wir den leidigen Paragrafen abschaffen, was kommt dann? Wie können Schwangerschaftsabbrüche anders geregelt werden als über das Strafgesetzbuch?
Um darauf eine Antwort zu finden, haben wir uns den Paragrafen genau angeguckt und seine verschiedenen Abschnitte mit Ulrike Lembke besprochen. Die 43-Jährige ist Professorin für Öffentliches Recht an der Humboldt-Universität Berlin. Wir wollten von ihr wissen, welche unserer Überlegungen juristisch umsetzbar wären, was ganz weg kann und was anders geregelt werden müsste. Für die Rolle von Ärzt:innen haben wir die Bundesärztekammer um eine Einschätzung gebeten, und wir haben mit Elke Hannack vom CDU-Bundesvorstand gesprochen. Wie offen ist ihre Partei, über das Thema Schwangerschaftsabbrüche erneut zu streiten?
Austragungspflicht verstößt gegen die Menschenwürde
Nicht alles am Paragraf 218 ist schlecht und überflüssig. So droht er auch jedem, der eine Schwangerschaft gegen den Willen der Schwangeren abbricht, etwa durch Abtreibungspillen im Essen oder mit psychischer Gewalt, Strafe an. Ulrike Lembke hält es für selbstverständlich, dass der Abbruch gegen den Willen der Schwangeren, sei er absichtlich, billigend oder grob fahrlässig, im Strafgesetzbuch bleibt, allerdings nicht im Abschnitt zu den Tötungsdelikten. Sinnvoller sei er im Bereich der schweren Körperverletzung oder der Straftaten gegen die Familie.
Wenn aber der ungewollte Abbruch einer Schwangerschaft eine schwere Körperverletzung darstellt, dann müsste es die ungewollte Fortführung doch auch sein? Das wäre allerdings eine grundlegend andere Annahme als die heutige.
Lembke erläutert, dass das Bundesverfassungsgericht unter Berufung auf das Grundgesetz eine Schutzpflicht des Staates für Leben und Gesundheit festgesetzt habe. So könne der Staat etwa Kinder zu ihrem eigenen Schutz von den Eltern trennen und zum Beispiel durch Angehörige oder Pflegeeltern versorgen lassen. Zum Schwangerschaftsabbruch passe das jedoch nicht, Fötus und Schwangere ließen sich schließlich nicht einfach trennen.
Dieses Problem hat das Gericht mit der Austragungspflicht für die Schwangere zu umgehen versucht, dabei jedoch einen „Denkfehler“ gemacht, wie Lembke es nennt. Es habe „abstrakt das fötale Leben gegen die Selbstbestimmung der Schwangeren“ gestellt. Stattdessen hätte es die Verfassungsmäßigkeit der Austragungspflicht prüfen und deren absolute Unverhältnismäßigkeit feststellen müssen: „Niemand hat ein Leistungsrecht am Körper eines anderen Menschen, auch der Fötus nicht.“ Zum Beispiel wäre selbst bei Lebensgefahr eine per Zwang durchgesetzte Blut- oder Organspende für Angehörige in Deutschland undenkbar.
Ein dickes Problem
Die Austragungspflicht verstoße schlicht gegen die Menschenwürde, führt die Juristin weiter aus. Der Staat mache die Schwangere zum Objekt, um seine Schutzpflicht zu erfüllen. In einer Rechtsordnung, welche die Würde, Integrität und Autonomie auch von Frauen garantiert, sind die derzeit geltenden Paragrafen 218 ff. nicht mit der Verfassung vereinbar.
Heißt also: Nur der Abbruch gegen den Willen der Schwangeren bliebe im Strafgesetzbuch, der Rest vom § 218 würde gestrichen. Dann könnten doch auch die sich anschließenden Paragrafen 218 a und 218 b gestrichen werden, da sie die Bedingungen zur Straflosigkeit und Indikationsfeststellung regeln, die es nicht mehr bräuchte – oder?
Im Prinzip ja. Solange man nicht glaubt, man habe damit alle Probleme erledigt. Denn in der medizinischen Indikation (§ 218 a (2)) verbirgt sich ein dickes Problem, über das die Pro-Choice-Bewegung nicht gern spricht und das sich auch mit der Abschaffung des Paragrafen nicht von selbst erledigen würde. Als die embryopathische Indikation 1995 gestrichen wurde, ging ein Teil der Behindertenbewegung davon aus, dass sich so eine als diskriminierend empfundene Praxis einschränken ließe, nämlich die Abtreibung behinderter Föten nur aufgrund dieser Eigenschaft, eben behindert zu sein.
Dies war jedoch nicht der Fall. Seitdem können Schwangerschaften weiterhin legal abgebrochen werden, wenn angenommen wird, dass eine Behinderung des Fötus die Schwangere unzumutbar belasten würde. Dann greift die medizinische Indikation. Die Abschaffung der embryopathischen Indikation hat das Problem also nur verschoben. Das Problem ist nämlich nicht die Abtreibung, sondern die Annahme einer überdurchschnittlichen Belastung.
Verinnerlichte Behindertenfeindlichkeit
Von dieser Annahme gehen auch Feministinnen oft aus. Auch wenn sie meist auf die tatsächlich zu geringen Ressourcen und Hilfsmittel verweisen, um diese Annahme zu begründen, setzt sich die Bewegung zu wenig mit den eigenen Ängsten vor Schwäche und Abhängigkeit und der eigenen verinnerlichten Behindertenfeindlichkeit auseinander, die das Leben mit einem behinderten Kind als unzumutbar erscheinen lassen.
Ärzt:innen nehmen relativ schnell an, dass das Leben mit einem behinderten Kind eine nicht zumutbare Belastung darstellt. Wenn die Schwangere selbst psychische Probleme hat, depressiv ist oder suizidal, gehen sie dagegen eher davon aus, dass sich dies auch anders als durch einen Abbruch lösen lässt. Diese Ungleichbehandlung ist eine Folge des Frauenbildes und der verbreiteten Vorstellungen über Behinderung. Das kann nicht allein durch eine Abschaffung des Paragrafen 218 gelöst werden. Zusätzlich sollte das Leben mit behinderten Kindern erleichtert und behindertenfeindliche Vorurteile bekämpft werden.
Die Verlagerung in die medizinische Indikation hat auch dafür gesorgt, dass solche Abbrüche nun bis zum Eintritt der Wehen möglich sind, da die medizinische Indikation keine Frist hat. Der Zeitpunkt, zu dem ein zu früh geborenes Kind außerhalb des Uterus lebensfähig ist, rückt aufgrund des medizinischen Fortschritts immer weiter nach vorne, zurzeit ist dies ab der 22. Schwangerschaftswoche möglich. Das gilt aber auch für Schwangerschaftsabbrüche, die in Deutschland ab der 16. Schwangerschaftswoche als eingeleitete Geburten vorgenommen werden. „Die Problematik der sogenannten Spätabbrüche ist tatsächlich die schwierigste juristische und medizin-ethische Frage in diesem Komplex“, sagt Lembke.
Dass kein Mensch ein Leistungsrecht am Körper eines anderen hat, bedeute nämlich auch, dass die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs nur für den Zeitraum absolut ausgeschlossen sei, in dem der Fötus außerhalb der Gebärmutter nicht lebensfähig ist. Das wirft die Frage auf, ob es nicht doch eine Regelung geben sollte, die zwischen Abbrüchen im Frühstadium und Spätabbrüchen unterscheidet. „Es braucht eine echte Neuregelung, die alle sozialen, medizinischen, ethischen und rechtlichen Aspekte zusammenbringt“, sagt Lembke, „dazu fehlt es aber noch an ernsthaften interdisziplinären Verständigungen.“
Sinnvoller ohne den Strafparagrafen
Als ärztliche Tätigkeit und nicht unter Strafandrohung könnte die bisher im Paragraf 218 c geregelte Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht neu geordnet werden. Eine solche liegt vor, wenn ein Arzt eine schwangere Person unzureichend berät, sie nicht über den Ablauf, die Folgen, die Risiken des Schwangerschaftsabbruchs aufklärt. In der Musterberufsordnung der Bundesärztekammer, die die für jede:n Ärzt:in geltenden Pflichten gegenüber Patient:innen regelt, findet sich dazu schon einiges.
Wir fragen bei der Bundesärztekammer in Berlin nach. Pressesprecher Samir Rabbata verweist auf die „seit Jahrzehnten“ andauernde „politische Diskussion“ und die „Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts“. Eine solche „wesentliche Fragestellung“ könne „nicht in den Berufsordnungen der Landesärztekammer geregelt werden“. Ganz ausschließen will er eine solche Regelung über die Standesgesetze statt über das Strafgesetz jedoch nicht. „Wenn man das befürwortet“, schreibt er, müssten Änderungen „in den Heilberufe- und Kammergesetzen der 16 Bundesländer getroffen werden.“ Diese Gesetze fungieren als Grundlage für die Berufsordnungen – und sie zu ändern, ist möglich.
Die Beratungspflicht vor einem Abbruch ist im Paragraf 219 Strafgesetzbuch geregelt und im Schwangerschaftskonfliktgesetz präzisiert, deren Formulierungen widersprechen sich allerdings. Während es im Strafgesetzbuch heißt, die „Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens“ und solle „die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft ermutigen“, hält das Schwangerschaftskonfliktgesetz fest, die Beratung sei „ergebnisoffen zu führen“ und gehe „von der Verantwortung der Frau aus“. Da Beratung nur auf freiwilliger Basis wirkt, könnte das Schwangerschaftskonfliktgesetz sogar sinnvoller ohne den Strafparagrafen funktionieren.
Große Hilfe für Beratungsstellen
Eine Streichung des Paragrafen wäre auch eine große Hilfe für Beratungsstellen. Praxen, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, und Beratungsstellen sind häufig Ziel von „Mahnwachen“ und „Gehsteigberatungen“ von Abtreibungsgegner:innen. Obwohl der Staat verpflichtet ist, den Zugang zu garantieren, werden solche Aktionen selten verboten. Flächendeckende Schutzzonen einzurichten, hält Ulrike Lembke jedoch nicht für realistisch, schließlich seien die jeweiligen örtlichen Verhältnisse unterschiedlich und die Versammlungsfreiheit ein hohes Gut. Wenn Schwangerschaftsabbrüche als Gesundheitsleistungen anerkannt würden, könnten solche Gehsteigbelästigungen als Ordnungswidrigkeit gefasst werden, meint die Juristin.
Der Paragraf 219 a hat es 2017 mit dem Fall der Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel zu bundesweiter Bekanntheit gebracht. Abtreibungsgegner:innen nutzen das „Werbeverbot“, um Ärzt:innen anzuzeigen, auch wenn sie nur sachlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren.
Anfang 2019 einigte sich die Große Koalition auf einen Kompromiss: Demnach dürfen Ärzt:innen und Einrichtungen jetzt zwar angeben, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen – mehr aber nicht. Genauere Informationen, etwa zu den verschiedenen Methoden des Eingriffs, dürfen nur die bereitstellen, die ihn nicht selbst vornehmen. Deshalb musste Hänel Ende Januar die Information auf ihrer Webseite löschen, um nicht finanziell ruiniert zu werden. Gleichzeitig hat sie Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.
Es braucht ein Gesetz mit dem Recht auf Abbruch
Kein anderes Land hat einen solchen Paragrafen im Strafgesetzbuch. „Berufswidrige Werbung“ verbieten die Berufsordnungen der Bundesärztekammern ohnehin, sie würden auch im Falle von „anstößiger“ Werbung für Schwangerschaftsabbrüche greifen. Die ersatzlose Streichung wäre das einzig richtige, um ungewollt Schwangere und Ärzt:innen vor Diffamierungskampagnen zu schützen.
Fassen wir zusammen: Der Schwangerschaftsabbruch wäre als Frage reproduktiver Gesundheit in den entsprechenden Gesetzen und Verordnungen zu regeln. Im Sozialgesetzbuch sollte festgelegt werden, dass der Abbruch von einer:m Ärzt:in durchgeführt, die Kosten übernommen und wie die Nachsorge gestaltet werden solle. In den ärztlichen Berufsordnungen könnten die Qualitätsstandards, die Durchführung, das Verbot der Werbung sowie der Bereich der ärztlichen Ausbildung geregelt werden.
Darüber hinaus braucht es ein Gesetz zur Förderung der reproduktiven Gesundheit. Es sollte explizit ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch enthalten. Das Gesetz müsste auch ein kostenloses Beratungsangebot garantieren, zu Familienplanung, Sexualität und Schwangerschaftskonflikten.
Die Finanzierung könnte dann anders gelöst werden. Dadurch, dass Abbrüche bislang nicht legal sind, sondern nur von der Strafverfolgung ausgenommen werden, werden sie nicht von den Krankenkassen übernommen. Menschen mit wenig Geld können eine Kostenübernahme beantragen. Wenn Schwangerschaftsabbrüche aber nicht mehr im Strafgesetzbuch stünden, könnte der Abbruch zur Gesundheitsleistung werden.
Politischer Wille gesucht
Ohne eine Neuregelung der Paragrafen 218 und 219, ohne dass der Schwangerschaftsabbruch als medizinische Leistung behandelt wird, wird die schon jetzt unzureichende Gesundheitsversorgung von ungewollt Schwangeren immer schlechter, manche Ärzt:innen sprechen von einer Katastrophe, auf die Deutschland zusteuere.
Für Veränderungen aber braucht es politischen Willen. Ohne Stimmen aus der Union wäre eine Veränderung im Moment und wahrscheinlich auch über die Bundestagswahl im September hinaus nicht möglich. Ob es SPD, Grüne, Linkspartei und FDP gelingen würde, sich für eine Gesetzesänderung zusammenzuschließen, ist fraglich. Bei der Debatte um den § 219a sprang die SPD ab. Und es steht zu befürchten, dass auch bei jedem künftigen Koalitionspartner die reproduktiven Rechte schnell zur Verhandlungsmasse in Koalitionsgesprächen würden.
Elke Hannack, CDU
Als der Bundestag 1993 für eine Fristenlösung votierte, stimmten auch 32 Unionsabgeordnete dafür. Wer würde heute dafür stimmen, über Schwangerschaftsabbrüche allein die schwangere Person entscheiden zu lassen? Ein paar Namen aus der Unionsfraktion fallen, als wir uns umhören, häufiger, mit uns reden möchte niemand.
Sofort zum Gespräch bereit erklärt sich Elke Hannack, sie ist Vizechefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes und Mitglied des CDU-Bundesvorstands, sitzt aber nicht im Parlament. Schon in der Debatte um den Paragrafen 219 a positionierte sich der DGB eindeutig für seine Abschaffung. Hannack sagt: „Die Prozesse gegen Kristina Hänel und andere Ärztinnen waren das Schlimmste, was ich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland zu diesem Thema erlebt habe.“
Eine juristische Debatte findet nicht statt
Beim Paragraf 218 wird sie ein wenig vorsichtiger, doch ihre Stimme bleibt ruhig: „Bei der Abwägung für oder gegen einen Abbruch sollte immer“, und das Wort wiederholt sie, „immer das Selbstbestimmungsrecht der Frau im Vordergrund stehen.“ Sie will die Zwangsberatung abschaffen und den Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch nehmen. Stattdessen sollten Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch da verankert sein, „wo sie hingehören“, etwa im Schwangerschaftskonfliktgesetz. Sie findet diese Alternative wichtig, auch weil sie glaubt, „fordern wir eine generelle Abschaffung, dauert das noch 50 Jahre“.
Wie sieht sie die Chancen dafür in ihrer Partei? „Die Abstimmungen, die wir zu dem Thema in der Partei hatten, sind immer fast 50:50 ausgegangen, mit einer leichten Tendenz für den sogenannten Lebensschutz. Aber die CDU ist da nicht eindeutig. Ich weiß, dass es Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion gibt, die denken wie ich.“
Doch kehren wir noch einmal zum Juristischen zurück. Denn zweimal hatte der Bundestag in der Vergangenheit ja für eine Fristenlösung votiert, das Bundesverfassungsgericht jedoch anders entschieden. Wir fragen in Karlsruhe nach. Dort scheint man zunächst unentschlossen, ob man mit uns sprechen soll, dann erhalten wir eine Absage – auch wegen des anhängigen Verfahrens von Kristina Hänel.
Von Menschen gemacht
Ulrike Lembke sagt: „Wie das Bundesverfassungsgericht heute entscheiden würde, weiß niemand.“ Wenig ermutigend sei die Entscheidung von 1993, mit welcher der parlamentarische Kompromiss von 1992 gekippt worden sei. Vor allem aber fehle es weiterhin an juristischer Literatur, welche eine andere Position zur Austragungspflicht vertrete, eine echte juristische Debatte finde nicht statt.
Im Fall Hänel wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen. „Dann kann es auch allgemeine Anmerkungen zum Schwangerschaftsabbruch machen, wenn es das möchte“, sagt Lembke, und so die juristische Debatte weiterbringen. Diese sei lange von einer sehr konservativen Professorenschaft geführt worden, die explizit gegen Abtreibungen war. Beim letzten Höhepunkt der Debatte Anfang der 1990er seien zwei Prozent der Juraprofessuren von Frauen besetzt gewesen, heute sind es 16 Prozent.
Sicher ist: Der § 218 ist nicht in Stein gemeißelt, er ist von Menschen gemacht und verteidigt worden, andere Menschen können ihn ändern. Ideen dazu gibt es.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku