Schüler provoziert mit Reichsflagge: Was tun?
Ein extrem rechter Uelzener Gymnasiast testet, wie weit er seine Gesinnung an der Schule nach außen tragen kann. Die Schulleitung reagiert hilflos.
In einem Brief bat der 12. Jahrgang die Leitung des Gymnasiums in der niedersächsischen Stadt einzuschreiten. „Mit diesem Profilbild wird eindeutig Gedankengut vermittelt und mit dem Schriftzug sogar glorifiziert“, schrieb der Jahrgangssprecher. Es sei nicht der erste Vorfall und es müsse endlich eine Reaktion vonseiten der Schule geben. Der Schüler, der zu einer Familie von völkischen Siedlern gehört, habe gegenüber anderen offen zugegeben, dass es sich bei seinem Profilbild um eine wohlüberlegte Provokation handele.
Die Schulleitung antwortete ebenfalls per Brief – und überraschte nicht nur die Schüler*innenschaft. In dem Schreiben führen Direktor Sven Kablau und sein Stellvertreter Dirk Wübbenhorst aus, es habe „Irritationen“ gegeben, „weil in einem Fall als Motiv die Tatsache gewählt wurde, dass die Gründung des Deutschen Kaiserreichs am 18. Januar genau 150 Jahre zurücklag“.
Dazu gibt die Schulleitung die Einordnung ab, die Flagge könne kaum „als Ausdruck eines auf die Zukunft gerichteten Denkens“ angesehen werden, es könnten „stattdessen unangenehme Assoziationen“ aufkommen. Sie betonen jedoch, dass die Fahne kein „verbotenes Symbol“ sei, und schließen daraus: „Wir sind der Meinung, dass eine offene Gesellschaft Provokationen aushalten und Ihnen im Dialog begegnen muss.“
Schulleitung des Lessing-Gymnasiums
Diese Aussage dürfte die Mitschüler*innen nicht zum weiteren Austausch ermutigen. Denn schon andere Provokationen ihres Mitschülers waren ohne Folgen geblieben. So berichten einzelne Schüler*innen, er sei mit dem Spruch aufgefallen, Deutschland brauche qualifizierte Arbeitskräfte und keine „Steineschlepper“.
In der Schule trage er eine Art Sturmhaube als Gesichtsmaske – und die unterhalb der Nase. Auf Nachfrage der Schüler*innen reagiere er kaum oder schimpfe, etwa: Mitschüler*innen, die Maske tragen, seien „systemunterwürfig“. Der Umgang mit ihm sei schwierig, berichten Mitschüler*Innen, er sei überhaupt nicht zugänglich.
Einige fühlen sich von ihrer Schulleitung alleingelassen und fanden ein öffentliches Sprachrohr über die Grüne Jugend Uelzen. Die kritisierte in einen offenen Brief zu dem Vorfall nicht nur den Umgang der Schulleitung damit, sondern auch einen Vergleich, den die Schulleitung in ihrem Brief angestellt hatte: Kablau und Wübbenhorst hatten geschrieben: „Würden wir als Schule die Verwendung der Reichsflagge als Profilbild verbieten, dann müssten wir alle politischen Anklänge in diesem Rahmen verbieten, z.b. Hinweise auf die Fridays-For-Future-Bewegung“.
Michelle Bruns von der Grünen Jugend hält dagegen: „Wer meint, dass ‚Fridays for Future‘ und völkische Siedler gleichzusetzen sind und dann alle politischen Symbole zu verbieten sind, hat die Gefahren des Rechtsextremismus für unsere Gesellschaft nicht erkannt. Eine verfassungsfeindliche Gruppierung mit einer demokratischen Schüler*innenbewegung gleichzusetzen ist absurd.“
Der Schüler aus dem extrem rechten Umfeld in der Lüneburger Heide hat wie seine Geschwister an Lagern und Fahrten des extrem rechten Jugendbundes „Sturmvogel“ teilgenommen. Ein Lager fand vor wenigen Jahren sogar auf dem Hof seiner Familie in Masendorf statt. Uniformiert waren Kinder und Jugendliche durch das kleine Dorf gewandert. Die Großmutter des Schülers,eine bekannte NPD-Aktivistin, hatte den Jugendbund 1987 mitgegründet. 2020 hatte der niedersächsische Verfassungsschutz erstmalig vor den „Sturmvogel“ gewarnt.
Der Vater ist selbst Studienrat
Der Vater des Schülers hat in der Vergangenheit an Nazi-Aufmärschen teilgenommen. Er ist als Studienrat im Wendland tätig. Auf dem Hof der Familie fanden auch Brauchtumsveranstaltungen statt, zuletzt 2020 Volkstanz unter Gleichgesinnten. Die Schulleitung des Lessing-Gymnasiums wisse von dem politischen Hintergrund der Familie, sagt Bruns.
Die Grüne Jugend geht davon aus, dass mit Paragraf 2 des Niedersächsischen Schulgesetzes über den demokratischen Auftrag der Schulen ein Verbot derartiger Reichssymbolik im Unterricht möglich wäre. Diese Einschätzung teilt Bianca Trogisch gegenüber der taz nicht. Die Pressesprecherin der Regionalen Landesämter für Schule und Bildung sieht keine strafrechtliche relevante Handlung. Auch der neue Erlass des Innenministeriums gegen Reichsfahnen greife hier nicht. Dieser Erlass würde allein Polizei und Verwaltungen ermöglichen, bei der öffentlichen Verwendung einzuschreiten.
Vom Sekretariat der Schule erging inzwischen eine Mail an die Schulgemeinschaft mit dem Hinweis, dass individuelle Profilbilder auf der Teams-Plattform geeignet seien, „den Schulfrieden zu stören“. Diese Option würde deswegen nun zunächst komplett abgeschaltet. Die Schüler*innen wurden angeregt, Ideen einzusenden, wie die Gestaltung von Profilbildern „in Zukunft sinnvoll geregelt werden könne“.
Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde aus rechtlichen Gründen geändert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an