Sächsische Regierungserklärung: Wer zum Teufel ist dann rechtsextrem?
Sachsens CDU-Ministerpräsident Kretschmer sagt, es habe in Chemnitz keine Hetzjagd und keinen Mob gegeben. Ist er noch zurechnungsfähig?
Diese Zeilen wurden voller Verzweiflung geschrieben. Die Normalität des Bösen auf den Straßen führt zu einem Ohnmachtsgefühl, welches mich trotz einer über 20 Jahre langen Erfahrung mit Naziaktionen und antifaschistischen Protesten wütend wie selten zuvor macht. Und angefangen hat alles mit Worten, wie immer.
Die Sprache der AfD hat ihren Weg in die Gesellschaft gefunden – das ist der größte Erfolg der Partei. Wir reden plötzlich darüber, ob Menschen, die den Hitlergruß zeigen, wirklich Nazis sind. Gleichzeitig sind die Reaktionen auf Chemnitz mittlerweile dermaßen unfassbar, dass man sich in einem Irrenhaus wähnt. Die CDU attackiert den Bundespräsidenten, weil er zu einem Konzert gegen Neonazis aufruft. Die Bild-Zeitung versucht, die bekanntermaßen höchst ironische Band K.I.Z. als Beweis für „Hass-Texte“ auf dem #wirsindmehr-Konzert heranzuziehen.
Ein Schwarm an Intelligenzbestien aus dem linken Milieu stellt fest, dass es mit einem Event nicht getan ist. Danke ihr Sherlocks, who would have thought? Dabei dachten doch alle Beteiligten dass Rassismus und Faschismus nach einem Campino-Gig der Vergangenheit angehören.
Der News-Feed spuckt Artikel um Artikel aus. Es hört nicht auf. Und während ich fassungslos auf eine absurde Meldung nach der anderen schaue und mir überlege, ob es besser wäre auszuwandern oder mit Fackeln und Heugabeln zum Springer-Haus zu ziehen, passiert etwas Unerwartetes: Michael Kretschmer, 43 Jahre alt, Diplom-Wirtschaftsingenieur und Ministerpräsident des beschaulichen Bundeslandes Sachsen, ist offenbar geistig umnachtet und nicht mehr zurechnungsfähig.
„Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd“
Anders lassen sich seine Aussagen im sächsischen Landtag nicht erklären. Vor versammelter Mannschaft und Presse erklärt der CDU-Politiker: „Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd!“ Bäm! Da sind sie wieder, die Worte, die mordenden Faschisten ihre Legitimation geben.
Später wird wieder niemand verstehen, wo das alles eigentlich her kam. Gegen Kretschmers Aussagen wirken wirre Erklärungen wie Olaf Scholz' „Polizeigewalt hat es beim G20 nicht gegeben“ wie eine flüchtige Kinderkrankheit neben dem Ebola-Virus. Es sollten nicht die an den Pranger gestellt werden, die aus Wut über das Tötungsdelikt in Chemnitz auf die Straße gegangen seien, erklärt Kretschmer: „Die sind nicht rechtsextrem.“
Ja mein Gott, wer zum Teufel ist es dann? Wer ist denn überhaupt noch rechtsextrem, wenn nicht Menschen, die kein Problem haben in einem Pulk zu laufen, welcher „Adolf Hitler Hooligans“ und „Ausländer Raus“ brüllt?
Michael Kretschmer ist natürlich nicht geisteskrank
Vielleicht wäre es an der Zeit, den bereits mehrmals von seriösen Medien und Politikern für Donald Trump geforderten Test über die geistige Verfassung auch in Sachsens Politik einzuführen. Aber, sind wir ehrlich, da ist der Wunsch der Vater des Gedanken. Der gute Mann ist natürlich nicht geisteskrank.
Und natürlich hat er all die Videos gesehen, in denen die versammelte Elite der deutschen Neonazis, zusammen mit Bürgern der Stadt Chemnitz, Migranten, Linke und Journalisten angreift. Michael Kretschmer weiß das alles. Die nächstbeste Erklärung wäre also: „Da fischt jemand am rechten Rand“ – wie es immer wieder gerne, äußerst verharmlosend heißt. Dabei ist die Realität eine ganz andere.
Niemand fischt hier am rechten Rand. Ein Land, in dem der Innenminister sich öffentlich darüber freut, dass an seinem 69. Geburtstag ausgerechnet 69 Asylbewerber abgeschoben wurden, hat das auch gar nicht nötig. Wozu die Angel auswerfen, wenn die Seehofers und Kretschmers sich überhaupt keine Mühe geben, ihre klare Sympathie für rechte Inhalte und Politik zu verbergen.
Denn eigentlich lieben diese Leute den Druck von rechts, erlaubt er ihnen doch, es sich richtig schön gemütlich zu machen in ihrem „Wir sind die Mitte“-Nest und nur ein wenig an den Stellschrauben zu drehen. Wer nicht begreift, woher die Stimmung in diesem Land kommt und immer noch denkt, es gäbe lediglich einen „rechten Rand“, der gehört in die gleiche Gummizelle wie Michael Kretschmer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“