Russlands Außenpolitik: Putins verquere Logik
Mehr Nato-Präsenz in Osteuropa, Nato-Beitritte, Aufrüstung der Ukraine: Putins zerstörerische und brutale Außenpolitik wendet sich nun gegen Russland.
E s ist eine gefühlte Ewigkeit her, da empfing Wladimir Putin Staatsgäste am langen Tisch, Nord Stream 2 galt als privatwirtschaftliches Projekt und dem russischen Außenminister Sergei Lawrow wurde aufmerksam zugehört. Da verlangte Russland „Sicherheitsgarantien“ und der Westen beriet darüber sorgfältig.
Zu diesen Sicherheitsgarantien gehörte neben dem Beharren, die Ukraine dürfe nie der Nato beitreten, der Abzug aller Nato-Truppen aus den osteuropäischen Nato-Beitrittsstaaten und ein Ende aller militärischen Nato-Aktivitäten dort, ein vertraglicher Verzicht auf jeden weiteren Nato-Beitritt und ein Ende der „nuklearen Teilhabe“, also der Stationierung atomarer Kurz- und Mittelstreckenraketen der USA in Westeuropa.
Im Gegenzug bot Russland: nichts. Die Forderungen waren unverhandelbar und wurden daher auch nicht verhandelt. Wenige Wochen später überfiel Russland die Ukraine. Moskau überzieht das Nachbarland seither im Namen der „Entmilitarisierung“ mit grausamsten Kriegsverbrechen und setzt eine im Namen der „Entnazifizierung“ gepredigte genozidale Auslöschungsrhetorik in die Tat um. Und als Folge tritt alles ein, was Russland mit seinem Forderungskatalog vorgeblich stoppen wollte.
Die Nato-Militärpräsenz in Osteuropa wird ausgeweitet, die Ukraine wird aufgerüstet, eine Erhöhung der US-Nuklearpräsenz ist im Gespräch ebenso wie ein Nato-Beitritt bislang „neutraler“ Staaten wie Finnland oder Schweden – und Brüssel und Kiew sprechen über einen EU-Beitritt der Ukraine. Alles, was Russland vehement ablehnt, wird also in Reaktion auf Russland Realität.
Man kann Putins Außenpolitik daher als ausgesprochen kontraproduktiv bezeichnen. Vielleicht hofft der russische Präsident, dass im Westen die üblichen Mahner weiter davor warnen, Russland zu „provozieren“ – so als ob Russland nicht schon unprovoziert schlimm genug agiert. Zu befürchten ist aber eher, dass diese Entwicklung gewollt ist. Putin zeichnet gegenüber dem russischen Volk ein Zerrbild des Westens als aggressive Kraft, die die russische Zivilisation im Namen der europäischen Liberalität zerstören will. Mit seiner Gewalt will er jetzt den Westen dazu bringen, diesem Zerrbild zu entsprechen – damit Russland als Führungsnation eines aggressiven „Antiwestens“ auftreten kann. Die Ukraine ist dafür Putins Fußabtreter.
Gerade deswegen aber ist der Kurs, die Nato zu stärken, richtig und alternativlos. Wer daran zweifelt, braucht nur den Menschen in der Ukraine zuzuhören. Sie können davon Zeugnis ablegen, was passiert, wenn Russland sich durchsetzt. Wenn sie es überleben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml