Robert Habeck zur Energieversorgung: „Ich bin nicht Minister für Grüne“
Er wollte Windräder bauen, jetzt kämpft er für billiges Benzin. Der Wirtschafts- und Klimaminister erklärt, warum er gegen ein Gas- und Ölembargo ist.
Der Minister sieht müde aus und das hat einen Grund. Am Donnerstagnachmittag empfängt der grüne Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck zum Interview nach einer durchgemachten Nacht. Bis acht Uhr morgens hat er mit den Koalitionspartnern über das Entlastungspaket verhandelt. Dann schnell nach Hause, duschen, Zähne putzen und wieder in den Bundestag: Rede zur Vorstellung seines Haushalts. Am Nachmittag sitzt er in seinem riesigen Amtszimmer im Wirtschaftsministerium. Nach einer kurzen Pause eine Cola gegen die Müdigkeit. Dann geht es los.
taz am wochenende: Herr Habeck, eine Frage, die man eigentlich nicht laut stellen darf: Ist dieser fürchterliche Krieg in der Ukraine die Gelegenheit, auf die alle gewartet haben, die die Energiewende voranbringen wollen?
Robert Habeck: Jeden Tag sterben Menschen, werden verletzt, sitzen verzweifelt in Kellern, in der Hoffnung, von Bomben verschont zu bleiben. Also nein, alle Menschen wären froh, wenn es den Krieg nicht gäbe. Aber was zu spüren ist, ist die Entschlossenheit und die Geschlossenheit, dem etwas entgegenzusetzen. Wir wollen unabhängig werden von russischen Importen. Und dazu braucht es die Energiewende. Die Stimmung ist: Komm, jetzt ziehen wir es durch.
Sogar die FDP nennt die Erneuerbaren inzwischen Freiheitsenergie.
Wer das Klima schützt, schützt die Freiheit. Diese Erkenntnis hat jetzt noch mal eine neue Dimension. Alles hängt daran, dass sie auch trägt, wenn es zum Schwur kommt. Aber den Schwur bereiten wir vor, mit allem, was wir haben.
Was heißt das?
Wir bringen zu Ostern ein Gesetzespaket mit 56 verschiedenen Einzelmaßnahmen auf den Weg. Die wichtigsten davon: die größte Reform des EEG, die es je gab, mit neuen Ausbauzielen und der Abschaffung der Umlage, neuen Regelungen für Offshore-Wind und Photovoltaik, Änderungen im Gebäude-Energie-Gesetz. Auch in der Fläche wollen wir mehr Windenergieanlagen installieren. Im Sommer kommen dann noch die Regeln zum Netzausbau. Dazu ein großes Effizienzprogramm. Das ist dann unser Fahrplan für die nächsten Jahre, um Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu machen.
Aber das meiste davon war ja schon vor Kriegsbeginn geplant. Hätten Sie unter dem Druck des Krieges nicht noch mehr durchsetzen können?
Nein, die Ziele waren ja schon so extrem ehrgeizig. Deutschlands Energieunabhängigkeit und Klimaneutralität werden wir nur in einem großen, gemeinsamen Kraftakt erreichen, zu dem alle Ebenen – Bund, Länder, Kommunen, Unternehmen, private Haushalte – etwas beitragen. Der Ausbau von Windkraft und Photovoltaik in den jetzt vorgesehenen Größenordnungen wird das Land verändern und fordern. Noch mehr geht einfach nicht, auch schon physisch. So viele Hände gibt es gar nicht, die das alles umsetzen und verbauen. Aber wenn wir uns in den nächsten acht Jahren an die zwei Prozent der Landesfläche für Windanlagen heranarbeiten und die Verfahren beschleunigen, dann wäre das schon ein wahnsinniger Erfolg.
Dafür sind Sie auf die Länder angewiesen. Müssen Sie da den Druck nicht noch mehr erhöhen?
Wir könnten da als Bund vieles auch allein machen, aber wir wollen das als gesellschaftliche Gemeinschaftsleistung vollbringen.
Und wenn das nicht klappt mit der Gemeinschaftsleistung?
Im ersten Jahr der Legislaturperiode musst du anschieben, reden, fördern, überzeugen. In der Mitte der Legislatur muss ein Schalter umgelegt werden. Da muss es dann eine gesellschaftliche Dynamik geben: dass man Zustimmung gewinnt, wenn man Wind- und Sonnenkraft ausbaut und Landtagswahlen verliert, wenn man sich dagegenstellt. Wenn das nicht passiert, wird ein Bundesminister scheitern, auch wenn er noch so fleißig ist. Und weil ich nicht scheitern will, ist es meine Aufgabe, diese Dynamik zu orchestrieren. Die Logik ist: Jedes Land trägt Verantwortung, und wer die Veränderung mit aufs Gleis setzt, wird davon profitieren. Aber ein Verharren im Weiter-so darf politisch nicht belohnt werden.
Ein Verharren im Weiter-so gibt es aber beim Tempolimit. Warum ist das nicht durchsetzbar, obwohl es die Ölimporte verringern und bei den Klimazielen helfen würde?
Es ist kein Geheimnis, dass ich ein Tempolimit richtig finde. Wir reden ja viel über ein Embargo von russischem Öl. Ein Drittel unseres Öls kommt aus Russland. Und auch beim Klimaziel im Verkehr sind noch nicht alle Antworten gefunden. Aber ich weiß, dass unsere Koalitionspartnerin, die FDP, da anders draufschaut. Beim zweiten Problemfeld, bei den Gebäuden, haben wir jetzt im Entlastungspaket viele gute Sachen hinbekommen: Der neue KfW-Standard 55 für Neubauten ab nächstem Jahr, und ab 2024 gibt es keine reinen neuen Gasheizungen mehr.
Sie müssen laut Gesetz ein Sofortprogramm vorlegen. Aber alle diese Maßnahmen wirken nicht sofort.
Nein, natürlich wirken die Maßnahmen erst mit der Zeit. Ich habe ja schon gesagt, dass wir 2022 und wahrscheinlich auch 2023 kaum eine Chance haben, die Klimaziele im Gesetz in allen Ressorts einzuhalten. Da war die aktuelle Explosion der Preise noch nicht einberechnet. Es könnte sein, dass dadurch die Emissionen stärker sinken als wir dachten. Nur ist das keine Erfolgsmeldung: Denn bei den Unternehmen und bei einigen Bürgerinnen und Bürgern geht die blanke Existenzangst um. Manche Industriezweige fahren jetzt schon die Produktion zurück, Aluminium beispielsweise. Eine Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Abbruch von Produktionsketten, Abwanderung von Industrie – das ist kein Klimaschutz, den man feiern sollte. Im Gegenteil: Es ist das Scheitern von Politik, wenn man die eine Krise, den Krieg, braucht, damit die andere Krise, die Klimakrise, nicht so schlimm wird.
Sie bekommen jetzt eine Minute zum Jammern: Was hat die Vorgängerregierung Ihnen hinterlassen, wo Sie sagen: Oh, mein Gott!
Habeck, 52, geboren in Lübeck, ist ehemaliger Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen und seit dem 8. Dezember 2021 Vizekanzler sowie Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz im Kabinett von Olaf Scholz.
Ich habe ein paar Sachen vorgefunden, wo man sagt: Wie kann das eigentlich sein? Wir haben keine politische Möglichkeit, um eine Versorgungskrise im Gasbereich zu unterbinden? Oder, dass die Überförderung bei der Neubauförderung nicht erkannt wurde, das war schlechtes politisches Handwerk, das viel Geld kostet. Wer zu lange im Amt ist, verliert die Selbstkritik. Sollte ich sehr lange Minister sein, werde ich auch irgendwann im eigenen Saft schmoren. Das Gute an der Demokratie ist aber: Es kommen neue Leute, die hinterfragen das.
Habeck sitzt auf der Couch in seinem Ministerbüro, konzentriert vornübergebeugt. Er spricht mit leiser, belegter Stimme. Der riesige Raum ist karg möbliert. Deutschland- und EU-Fahne in der Ecke sind der einzige Schmuck. Die Schränke, bei seinem Vorgänger Peter Altmaier voller Geschenke und Andenken, sind noch leer. Der große Schreibtisch ist säuberlich aufgeräumt. Das habe er früh von einem seiner Büroleiter gelernt, sagt Habeck: Abends muss der Schreibtisch leer sein wie eine Landebahn.
Sie kommen gerade aus einer Verhandlung, die Ampel hat sich die ganze Nacht um ein Entlastungspaket gestritten. Wie schwierig ist denn die Umsetzung all dieser großen Ziele mit FDP und SPD?
Ich will es mal so beantworten: Dass wir unterschiedlich auf Dinge gucken, dass wir eine unterschiedliche politische Wertevorstellung haben, das ist einfach so. Bei vielen gesellschaftspolitischen Fragen passen wir sehr gut zusammen. Und es gibt andere Sachen, wo Ordnungsrecht und haushalts- oder finanzpolitische Aspekte berührt sind, wo die Spannungen größer sind. Und das sind jetzt interessanterweise eher die Bereiche, die ich betreue. Aber ich habe sehr gute Kollegen, mit denen ich das auch auf dieser handwerklichen Ebene immer wieder gut lösen kann. Mit dem Finanzministerium und auch ausdrücklich mit dem Verkehrsministerium.
Im Entlastungspaket geben Sie viel Geld aus, um den Benzinpreis zu senken. Wie schwer fällt Ihnen das als Politiker einer Partei, die diesen Preis mal auf fünf D-Mark hochsetzen wollte?
Das fällt mir nicht so schwer, weil ich sehe, wie die Preise für viele Leute extrem bedrückend sind. Bei Speditionen, Unternehmen, bei Taxifahrern, bei Berufspendler entstehen da materielle Nöte. Und die hohen Preise für Heizen und Strom werden mit Verzögerung ein noch größeres Problem darstellen. Das wird vielen Leuten richtig wehtun, da müssen wir Entlastung schaffen. Ich finde es aber noch besser, dass wir im öffentlichen Nahverkehr das Angebot attraktiver machen.
Mehr als die Hälfte der Preissteigerung bei Benzin und Diesel bleibt als Extragewinn bei Raffinerien und Zwischenhändlern. Muss man das noch mit Staatsgeldern subventionieren? Hätte man das nicht mit Gewinnabschöpfung mit Preisobergrenzen verhindern können?
Übergewinne abzuschöpfen finde ich als Idee richtig und sie sollte unbedingt auf der politischen Agenda bleiben. Kriegsgewinnlertum darf kein Geschäftsmodell sein. Wir haben die Abschöpfung der Gewinne aber nicht in dieses Paket reinbekommen, weil es noch kein durchgerechnetes, rechtssicheres Modell gibt. Das Steuerrecht ist komplex, und der Schuss muss sitzen.
Ein Geschäftsmodell, das in der akuten Krise jedenfalls wieder zurück ist, heißt Kohle. Die bisherige Planung zum Kohleausstieg beruhte darauf, dass es billiges Gas gibt. Muss man da nicht ganz neu nachdenken?
Die Notwendigkeit, aus der Kohle schnell auszusteigen, bleibt. Ohne hier wieder zu jammern: Die alte Bundesregierung hat zwei Gesetze geschaffen, die nicht miteinander kompatibel sind. Einmal das Kohleausstiegsgesetz mit 2038 als Enddatum und einmal das Klimaschutzgesetz mit seinen Minderungspfaden bis 2030 auf minus 65 Prozent und bis 2040 auf minus 88 Prozent der Emissionen gegenüber 1990. Wenn der Kohleausstieg erst 2038 erfolgt, ist das schlicht unmöglich. Die Ministerpräsidenten der Kohleländer haben darauf hingewiesen, dass es quasi eine Art Vertrauensschutz gibt mit dem Kohleausstieg 2038. Es gibt aber auch einen Vertrauensschutz gegenüber der Gesellschaft und anderen Staaten, um die Klimaziele zu halten. Dafür stehe ich. Wir müssen die Klimaschutzziele einhalten und dafür die Hilfen für die betroffenen Regionen beschleunigen.
Schneller weg vom Gas heißt aber: mehr Kohle und mehr C02.
Schneller weg vom Gas kommen wir durch den schnelleren Ausbau der Erneuerbaren und einer früheren Umstellung auf Wasserstoff. Auf zusätzliche Kohle wollen wir nur im Notfall zurückgreifen. Es sollen zwar mehr Kohlekraftwerke in die Sicherheitsbereitschaft, das heißt aber nicht, dass diese dann tatsächlich auch zum Einsatz kommen. Wenn wir in den nächsten Jahren mehr Kohle verfeuern sollten, müssen wir natürlich den zusätzlichen CO2-Ausstoß ausgleichen. Und ich bin da optimistisch: Beim Wasserstoff jedenfalls gibt es eine unglaubliche Dynamik.
Sie waren gerade in den Golfstaaten auf Energie-Shopping-Tour. Gibt es da jetzt Zusagen, was die Preise und die Mengen angeht?
Ja, es gab politische Zusagen und deswegen bin ich dorthin gefahren. Mengen und Preise verhandeln im Detail die Unternehmen.
Die Bilder, wie Sie vor dem Emir von Katar einen Diener machen, sind ja nicht überall so gut angekommen. Wie schwer fällt es Ihnen, bei diesen Regimes, die Menschenrechte missachten und Kriege führen, als Bittsteller aufzutreten?
Ich würde die Rollen auch anders beschreiben: Katar und die Vereinigten Emirate haben Interessen, wir haben Interessen. Und wir haben sehr höflich, sehr offen und klar miteinander gesprochen – über das, was uns verbindet, und das, was uns trennt. Es waren schwierige Gespräche, weil ich natürlich einerseits ein Ziel hatte und andererseits wusste, wer meine Gesprächspartner sind.
Wenn wir von dort Gas oder Wasserstoff beziehen sollten – wie verhindern wir, dass wir in eine neue Abhängigkeit von Despoten rutschen?
Indem wir nicht alle unsere Chips auf eine Karte, auf ein Feld setzen. Schon alleine Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate stehen in der Konkurrenz. Katar produziert Flüssiggas, die Emirate planen mit Wasserstoff – je mehr wir davon bekommen, desto schneller sind wir aus dem Flüssiggas raus. Davor war ich in Norwegen, den USA, wir reden mit Kanada und anderen Ländern. Am Ende wollen wir ein System, bei dem vielleicht jedes Land 10 bis 20 Prozent liefert, aber nicht noch mal knapp 55 wie jetzt aus Russland. Wenn dann ein Land ausfällt, können die anderen das auffangen.
Damit sind wir bei der aktuellen Debatte über einen Importstopp für Öl, Gas und Kohle aus Russland. Sie bremsen da. Müssten Sie nicht eigentlich den Abschied davon vorantreiben?
Das tue ich. Nur bin ich jetzt nicht der Minister für die Grünen, sondern trage Verantwortung für das ganze Land. Da muss man die Dinge zu Ende denken, bevor man sie entscheidet, in allen Konsequenzen. Ich wundere mich über die Leichtfertigkeit, mit der einige immer vom besten Szenario ausgehen. Das hat bei Covid-19 nicht geklappt, das hat beim Klimaschutz nicht geklappt, das hat bei Putin auch nicht geklappt. Wenn ich sicher wäre, dass ein Ölembargo den Krieg nach drei Tagen beenden würde, dann würde ich es sofort machen. Aber das ist nicht realistisch, wenn man sieht, wie lange Russlands Kriege in Syrien, Abchasien oder Südossetien dauern. Unsere Sanktionen müssen so sein, dass wir sie lange durchhalten können. Aber jeden Tag erarbeiten wir uns gerade ein Stück mehr Spielraum, indem wir die Abhängigkeit konsequent verringern. Wir sind jetzt in der vierten Kriegswoche, und die Abhängigkeit von Russland geht bei Öl in den kommenden Wochen und Monaten von 35 auf 25 Prozent zurück. Im Sommer werden wir die russischen Ölimporte voraussichtlich halbiert haben. Auch bei der Kohle reduzieren wir von 50 auf 25 Prozent. Und beim Gas ist der russische Anteil von 55 auf 40 Prozent gesunken, zum Jahresende können wir auf 30 Prozent kommen – wenn wir es schaffen, auch den Verbrauch zu senken. Jeder Vertrag, der endet, schadet Putin.
Sie warnen einerseits vor den Folgen eines Embargos. Andererseits erklären Sie, dass wir darauf vorbereitet sind, falls Putin von sich aus die Exporte stoppt; dass er dafür nur noch Rubel akzeptiert, könnte ja ein erster Schritt in diese Richtung sein. Wie passt das zusammen?
Das klingt wie das Gleiche, es sind aber zwei verschiedene Dinge. Ich kann ein Embargo nur beschließen, wenn ich die Folgen für unser Land verantworten kann, das ist meine Pflicht als Minister. Stand jetzt hätte ein sofortiges Embargo gravierende Folgen. Wenn Putin entscheidet, alle Lieferungen zu stoppen, müssen wir damit umgehen. Und natürlich bereiten wir uns auf verschiedene Szenarien vor.
Andere Szenarien sagen, die Folgen seien beherrschbar. Haben Sie dazu eigene Rechnungen machen lassen?
Das Bundesamt für Katastrophenschutz hat 2018 einen Gas-Ausfall in einem kalten Winter simuliert – im Rahmen einer bundesweiten Krisenübung. Deshalb wissen wir, worauf wir uns vorbereiten müssen. Viele Studien, die Entwarnung geben, gehen immer vom optimalen Szenario aus: davon, dass es im Winter nicht zu kalt wird; von einem kurzfristigen Einbruch, bei dem die Konsequenzen beherrschbar sind, weil die Kräfte des Marktes optimal wirken – wenn eine Leitung wegfällt, kauft man halt woanders Gas, man stellt sein Verhalten um oder findet effizientere Lösungen. Das ist alles zu kurz gedacht. Raffinerien in Ostdeutschland können zum Beispiel nicht mal eben ihre Pipelines umlegen, sie werden ihre Produktion erst einmal einstellen müssen oder drastisch reduzieren. Das heißt, Lieferketten brechen zusammen, weniger Benzin wird ausgeliefert und Menschen könnten ihre Arbeit verlieren. Das scheint mir in diesen Studien nicht genug reflektiert worden zu sein. Und das bestätigen auch viele der Fachleute, mit denen wir darüber reden.
Deutschland ist immer noch nicht auf dem Pfad zu 1,5 Grad. Könnte da gerade ein solcher Strukturbruch, das schlagartige Wegfallen von fossilen Energien, nicht auch eine Chance sein?
Die Sehnsucht nach der Katastrophe teile ich nicht. Das ist weder sozial noch politisch durchdacht. Wir können nicht mit Deflation und Massenarbeitslosigkeit das Klima schützen. Wir müssen eine klimaneutrale Gesellschaft aufbauen, ohne dabei soziale Krisen, Armut und politische Handlungsunfähigkeit auszulösen.
Aber es gibt doch in der Bevölkerung und gerade bei Ihrer grünen Basis eine breite Unterstützung für Tempolimit, höhere Benzinpreise, ein schnelles Energieembargo. Gerade waren dafür wieder Zehntausende beim Klimastreik der Fridays for Future auf der Straße.
Bald auch auf dem taz lab: Klima, Klasse, Krieg. Das gesamte Programm – acht Streams, fast 100 Einzelveranstaltungen – ist online!
Erstens sind die Umfragen eher fifty-fifty. Zweitens muss ich mich an dieser Stelle im Zweifelsfall frei machen von der Mehrheitsmeinung. Ich kann nur entlang dessen entscheiden, was ich für richtig halte im Lichte all der Kenntnisse, die in diesem Haus mit hoher Kompetenz gesammelt werden. Ich kann in so einer Sache nicht nach Stimmung entscheiden. Ich fühle mich Wolodymir Selensky persönlich verbunden. Er war einer meiner ersten politischen Besuche an einem heißen Sommertag in der Parteizentrale der Grünen. Das war etwas Besonderes. Danach habe ich ihn in Kiew besucht … (schweigt) … Ich war da und fühle mich dem Land und ihm persönlich verpflichtet. Trotzdem muss ich mich dazu zwingen, jetzt nicht nur aus dem Bauch zu handeln. Und schließlich muss man sehen: Das Szenario, über das wir reden, lautet nicht: Wir zahlen noch ein bisschen mehr für den Liter Benzin, das Heizöl oder das Gas. Sondern: Es gibt nicht mehr genug Benzin, Heizöl oder Gas – also einen echten spürbaren Mangel.
Eine Stunde war für das Gespräch angesetzt, nach exakt 55 Minuten ist Schluss. Noch fünf Minuten für Fotos, Habeck lässt sich bereitwillig von der Fotografin dirigieren. Dann: der nächste Termin, Habeck rennt aus dem Zimmer, kommt aber gleich wieder rein und komplimentiert Journalisten und Fotografin raus: ein Telefonat mit dem Industrieminister der Vereinigten Arabischen Emirate. Dann folgt eine Telefonkonferenz mit Unternehmenschefs. Er sehe mit Staunen, sagt Habeck noch zwischen Tür und Angel, wie Unternehmenschefs, „die wahrscheinlich noch nie Grün gewählt haben“, den Weg der Regierung zur Klimaneutralität immer stärker unterstützten. Dann tschüs.
Anmerkung der Redaktion: Die Antwort von Robert Habeck zur Verringerung des Anteils des aus Russland importierten Gases enthielt durch ein Versehen zunächst eine falsche Angabe; das Wirtschaftsministerium hat diese korrigiert. Die Redaktion hat die Antwort entsprechend angepasst.
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