Habermas zu SPD und Ukrainekrieg: Gepard, Marder, Leopard und Co

„Krieg und Empörung“ – der Philosoph Jürgen Habermas verteidigt die Haltung von Kanzler Olaf Scholz. Aber hat diese sich nicht gerade geändert?

Ein alter Mann spricht an einem Rednerpult

Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas im Jahr 2018 Foto: Janine Schmitz/photothek/imago

Zwei Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine meldet sich nun Philosoph Jürgen Habermas zu Wort. In der Süddeutschen Zeitung vom Freitag lobt Habermas, Jahrgang 1929, die Haltung von Bundeskanzler Scholz und dessen SPD. Deren Kritiker ruft er zur Mäßigung auf. „Selbstgewiss“, „aggressiv“ und „schrill“ seien sie, die den Kanzler zu einer entschiedeneren Parteinahme für die Ukraine drängten.

Wolle man nicht Kriegspartei werden, so Habermas, seien einem weitgehend die Hände gebunden. „Das Dilemma, das den Westen zur risikoreichen Abwägung zwischen zwei Extremen – einer Niederlage der Ukraine oder der Eskalation eines begrenzten Konflikts zum dritten Weltkrieg – nötigt, liegt auf der Hand.“ Die Atommacht Russland dürfe man nicht weiter reizen.

Tatsächlich, ein aussichtsloses „Dilemma“? Ausdrücklich bezieht sich Habermas auf ein Spiegel-Interview von Olaf Scholz vom 23. April. Scholz hat dort verkündet: „Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt. Es darf keinen Atomkrieg geben.“

Der Spiegel entgegnete: „Was lässt Sie denken, dass Panzerlieferungen aus Deutschland diese furchtbaren Konsequenzen hätten?“ Scholz antwortete: „Es gibt kein Lehrbuch für diese Situation, in dem man nachlesen könnte, ab welchem Punkt wir als Kriegspartei wahrgenommen werden. Das Buch wird täglich neu geschrieben, manche Lektionen liegen noch vor uns.“

Buch neu schreiben

Nun scheint es allerdings so, als wäre zwischen der Veröffentlichung des Scholz-Interviews und dem Erscheinen des Habermas-Texts (29. April) das Buch tatsächlich neu geschrieben worden. Doch die Lektionen scheinen bei Philosoph und Süddeutscher Zeitung noch nicht angekommen zu sein. Angesichts der breiten Kritik von Grünen, Liberalen, CDU/CSU-Fraktion (und auch SPD-Politikern) schwenkte der bislang zögernde Bundeskanzler um.

Leopard, Gepard und Marder – seit diesem Donnerstag ist klar: Auch die Bundesrepublik wird der Ukraine direkt wirksamere Waffensysteme zur Verteidigung liefern. Und dies, ohne sich als unmittelbare Kriegspartei zu begreifen. Was auch irgendwie logisch erscheint.

Sonst könnte man jede nationalstaatliche Ökonomie, die Waffen produziert und an Dritte liefert, als unmittelbare Kriegspartei begreifen – und die Menschheit sich in einem permanenten Welt(bürger)­krieg befinden. Apokalyptiker mögen dies ohnehin so sehen. Doch selbst Nordkorea, Iran oder Putins Russland verfügen in der Regel über ein Minimum an (kalter) Rationalität.

Und auf diese muss setzen, wer Demokratien angesichts völkisch-imperialer Aggression verteidigt. „Aber ist es nicht ein frommer Selbstbetrug“, wendet Habermas ein, „auf einen Sieg der Ukraine gegen die mörderische russische Kriegsführung zu setzen, ohne selbst Waffen in die Hand zu nehmen?“

Bislang kennen wir weder Mittel- noch Schlussteil des von Scholz angeführten Buches. Doch die jetzige Einsicht macht es wahrscheinlicher, dass das Schlusskapitel anders geschrieben wird als von Habermas prognostiziert.

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