Putin und der Ukrainekonflikt: Nerven wie ein Mungo
Was Russlands Präsident will, weiß niemand genau. In seinem Taktieren aber orientiert er sich erkennbar an seinem Lieblingsautor Rudyard Kipling.
B etrachten wir es mal literarisch und nehmen Rudyard Kiplings „Dschungelbuch“ zur Hand. Der Nobelpreisträger war auch ein Meister des Imperialismus – keine sehr moderne Lektüre. Und doch lohnt ein Blick in die Erzählungen des Briten, der über Mogli, Baghira und Balu schrieb. Denn hier lässt sich etwas lernen über einen anderen Meister des Imperialismus: Wladimir Putin.
Was er will, weiß niemand genau. Sicher ist, dass er bewusst mit dem Feuer spielt und seine Erpressungsversuche gegen den Westen nicht so schnell aufgeben wird. Auf Signale der Entspannung folgen umso schärfere Forderungen an die USA und die Nato. Raketenstarts wechseln sich mit Diplomatie ab. Putin telefoniert mit Frankreichs Präsidenten und dem deutschen Kanzler – beide hatte er durch vermeintliche Zusagen der Deeskalation schon letzte Woche gefoppt.
Moskau testet buchstäblich die Grenzen aus, auf Kosten der Ukraine. Eine zynische Inszenierung. Putin geht es um reine Geopolitik, bei der der eigene Machtanspruch zur Not auch mit militärischen Mitteln durchgesetzt wird. Wladislaw Surkow, Putins einstiger Chefunterhändler beim Minsker Abkommen, auf dem der Kremlherr in diesen Tagen so sehr beharrt, schreibt in einem scharfen Kommentar, dass Russland die Schmach, die dem Land im Diktat-Frieden von Brest-Litowsk durch das deutsche Kaiserreich zugefügt worden sei, nicht hinnehmen werde. In diesen Grenzen zu bleiben, sei obszön. Surkow spricht von angewandter Geopolitik, Putin betreibt sie. Und da wären wir wieder bei Kipling.
Putin zählt den Briten zu seinen Lieblingsautoren und zitiert gern aus seinen Stücken, vor allem, wenn er seinen vermeintlichen Gegner lächerlich machen will. Die USA sind für ihn Shir Khan, der Tiger, um den Europa scharwenzelt wie die Hyänen. Durch Kiplings Roman „Kim“ fand der Begriff „Great Game“, der den historischen Konflikt zwischen Großbritannien und Russland um die Vorherrschaft in Zentralasien beschreibt, größere Verbreitung. Mit seinen Plänen einer neuen Sicherheitsarchitektur in Europa betreibt Moskau eine Art New Great Game.
Auch die jüngste Operation in der Ostukraine trägt angeblich einen Namen, die auf Kiplings Erzählung verweist: „Der Wurf des Mungos“. Der Mungo Rikki-Tikki-Tavi aus dem „Dschungelbuch“ gilt als Beschützer der Menschheit. Der Angriff dieses Raubtiers funktioniert folgendermaßen: Es versucht, die Schlange mit fingierten Attacken erst mürbe zu machen – um sie dann mit einem echten Angriff niederzustrecken. Dieses Spiel mit den Nerven beherrscht auch Putin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen