Politischer Diskurs: Bremsklotz Grünenhass

Der Blick nach vorn setzt den Abschied vom Gestern voraus, von überholten Strukturen und Klischees. Fortschritt ermöglichen vorbehaltlose Bündnisse.

Parteitag bei der Abstimmung mit Karten

Die Grünen: eine Art dauertagender evangelischer Kirchentag, hier 2022 in Bonn Foto: Marc John/imago

Grünenhass scheint mir eine Generationenfrage zu sein. Ich beobachte das Phänomen vor allem bei Männern über 50, sehr oft Männer mit einem nach außen hin großen Ego. Ein paar davon sind journalistische Kollegen – bei denen ist es schade, weil der Grünenhass dazu führt, dass man mit ihnen schlecht argumentieren kann, sie werden ungenau und bequem in ihrem Denken und heizen ein eh schon überhitztes Diskursklima für billigen Applaus nur weiter an.

Ein paar davon sind auch alte Freunde – bei denen ist es auch schade, weil sie ihre Gedanken immer wieder in die gleichen Spuren gleiten lassen. Ihr Grünenhass lässt sich meistens auf anscheinend traumatische Ereignisse mit aggressiv duzenden Sozialkundelehrern irgendwann in den 1980er Jahren zurückführen, manche davon trugen auch Parka und lange Haare; und es ist etwas traurig zu sehen, wie sehr sich diese Grünenhasser hinter Klischees verschanzen, weil es immer traurig ist, wenn Menschen Barrikaden errichten zwischen sich und der Wirklichkeit.

Aber was genau ist Grünenhass? Er ist auf jeden Fall zu unterscheiden von der Grünenskepsis oder Grünenwut, die von links kommt und gerade ­wieder durch die Proteste in Lützerath neue Dynamik bekommen hat: Hier sind die Grünen ein Partner im Kampf gegen den Klimawandel, der durch Realpolitik, Regierungslogik oder Machtinteressen enttäuscht, was dann als Verrat empfunden wird – wobei dieser Pragmatismus das Gegenteil ist des Grünenhasser-Klischees, dass die Grünen eine Partei sind, die sich in Dogmatismus versteift, eine Art dauertagender evangelischer Kirchentag.

Dieses Motiv bildet, jedenfalls im journalistischen Grünenhass, ein tragikomisch wiederkehrendes Motiv – und zeigt, dass Grünenhass oft auch Selbsthass ist: Es ist in vielem die eigene Prägung durch den starken kulturellen deutschen Protestantismus, die als verstörend erlebt wird. Die Grünen werden als Projektionsfläche genutzt, um öffentlich Therapie zu zelebrieren – was politisch zu der lustigen Volte führt, dass es Antideutsche von rechts gibt, die ihren Hass auf das eigene Milieu publikumsfreundlich pflegen, jedenfalls dann, wenn es jemanden zu beleidigen gilt.

Neujustierung politischer Positionen

Diese publizistischen Grünenhasser, einzelne Chefredakteure oder Kolumnisten, die so ­schreiben, als seien sie im Nebenberuf Pressesprecher der FDP, gehen dabei extra illiberal vor, denn Druck, Einschüchterung, persönliche Angriffe sind keine Elemente einer genuin demokratischen Praxis – und sie sehen durch ihren Grünenhass gar nicht, dass sie dabei die attackieren, die doch nur eine andere Spielart des Liberalismus verkörpern, durch ein anderes Staatsverständnis als etwa CDU und SPD, durch eine stark bürgerliche Ausrichtung, durch eine Vergangenheit als Bürgerbewegung.

Eine Partei, die eher ein Partner wäre für eine unideologische FDP und ihre Verfechter. Womit auch deutlich ist, was ein strategischer Zweck des autoaggressiv grundierten Grünenhasses ist. Es geht darum, die politischen Lager, die sich längst auflösen, künstlich getrennt zu halten. Es geht darum, die ideologischen Prägungen des 20. auf das 21. Jahrhundert zu übertragen; es geht darum, das Neue in der Politik zu verhindern, was ja auch eine Neujustierung der politischen Positionen und Perspektiven bedeuten würde:

Was etwa ist Fortschritt, was ist Zukunft? Und warum sind hier FDP und Grüne nicht verbündet darin, für ein elektrifiziertes Land zu streiten? Wer aber immer wieder vom angeblichen Moralismus oder vom mangelnden Realitätssinn der Grünen spricht, sieht natürlich gar nicht, dass sich durch grünes Unternehmertum und grünen Individualismus echte Veränderung formen lässt, dass diese Veränderung schon längst im Gange ist.

Hier könnte man nun anfangen zu argumentieren und zu streiten – über die grundsätzlichen Fragen der Zukunft, über das Verhältnis von Markt, Staat und Freiheit, über Nachhaltigkeit, Wachstum und das gute Leben, über Technologie, Solidarität und Verzicht. Aber dazu müsste man offen sein und nicht ideologisch. Es ist also eigentlich eine Zukunftsdiskussion, die sich im Grünenhass verkleidet – und das ist es auch, was einen alten Freund von mir so anstachelt, ein intelligenter Mensch, auch wenn er denkt, dass der Markt die Lösung für alles ist. Aber darüber kann man ja reden.

Er ist auch der Meinung, dass Atomkraftwerke ein gutes Mittel sind gegen den Klimawandel und dass die Klimabewegung, die Klimaaktivist*innen, dass vor allem die Grünen als Partei hoffnungslos zukunftsverschlossen und verbohrt sind. Auch darüber kann man ja reden. Schwierig wird es, wenn sich die Grünenhasser weigern, andere Argumente anzuerkennen als die eigenen; schwierig wird es, wenn der Widerstand gegen erneuerbare Energie wie Wind und Sonne so dogmatisch wird, dass genau die Zukunftsfähigkeit des Landes gefährdet wird, die die Grünenhasser doch einklagen.

Hier ist der Widerspruch einer Diskursposition zu sehen, die es sich in vielem im Post-Faktischen eingerichtet hat. Die Gefahr des Grünenhasses ist, dass es aus dieser Sackgasse kaum einen Ausweg gibt. Mir scheint, dass der Grünenhass ein weiteres Regressionsmoment ist in einer Zeit, in der das Neue eher als Drohung denn als Versprechen gesehen wird. Die Grünenhasser würden das natürlich genau andersherum sehen.

Es ist aber ein Problem für eine Gesellschaft, die vor radikalen Veränderungen steht, wenn das Repertoire an Zukunftsoptionen künstlich verkleinert wird. Grünenhasser, die die unterschiedlichsten Motive haben können, aber tun genau das. Damit vereint sie in ihrer Wirkung eine Zukunftsverweigerung, Spaß hin, Spaß her, die wir uns nicht leisten können.

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ist Chefredakteur von „The New Institute“. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Blogdown. Notizen zur Krise“ im Frohmann Verlag.

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