Plagiatsvorwürfe gegen Baerbock: Grünes Panikorchester
Die Reaktion der Grünen-Spitze auf die kleinteiligen Vorwürfe gegen Annalena Baerbock wirkt unprofessionell. In der Partei regiert die Angst.
Inzwischen sieht sie das nicht mehr so. Als die Kanzlerkandidatin der Ökopartei am Donnerstag bei einer Veranstaltung der Frauenzeitschrift Brigitte auf die Kritik am Buch angesprochen wurde, sagte sie: „Ganz viele Ideen von anderen sind mit eingeflossen.“ Aber sie habe „kein Sachbuch oder so“ geschrieben.
Sachbuch oder nicht? Oder nur kein „Fachbuch“, wie Baerbock kurz darauf in einem anderen Interview sagte? Man weiß es nicht. Es ist nur eine Kleinigkeit, aber sie ist bezeichnend für die aufgeregte Krisenkommunikation der vergangenen Woche. Bei den Grünen regiert die Angst, es zu vergeigen. Wieder einmal.
In der Wählergunst ging es in den vergangenen Wochen deutlich abwärts, in einer aktuellen Umfragen liegen sie nur noch bei 18 Prozent. Die Debatte über Annalena Baerbocks zu spät gemeldete Nebeneinkünfte, ihren Lebenslauf und das Buch zeigt Wirkung. Das Momentum der perfekt inszenierten Kandidatinnenkür im April, nach der sie gleichauf oder sogar vor der CDU lagen, ist verspielt, auch wenn Baerbock versucht, wieder in die Offensive zu kommen.
Inhalte, Inhalte, Inhalte
Am Sonntag forderte sie „eine Luftfilteranlage für jeden Klassenraum in diesem Land“, um Schulen besser gegen Corona zu wappnen. Am Freitag wollte sie einen „großen Klima-Anpassungsfonds“, um Opfer von Wetterkatastrophen zu entschädigen. Inhalte, Inhalte, Inhalte, lautet die Devise, bloß nicht mehr über das Schlamassel mit dem Buch reden. Die Frage ist, ob das funktioniert.
Die Plagiatsfunde, die der Österreicher Stefan Weber in seinem Blog penibel dokumentiert, sind in der Sache Kleinigkeiten. Aber oft sind es in der Politik gar nicht die Anlässe, die Skandale groß machen – sondern der Umgang mit ihnen. Und die Reaktionen der Grünen auf die Plagiatsvorwürfe sind bemerkenswert unprofessionell. Die Partei, die in den vergangenen drei Jahren so geschlossen und seriös kommunizierte, dass die Konkurrenz neidisch daneben stand, wirkt im Moment wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen.
Dass sich der Plagiatsjäger in Österreich auf Baerbock eingeschossen hat, mag nerven – und aus grüner Sicht unfair erscheinen. Hatte nicht Laschet dieses peinliche Problem mit verschusselten Klausuren? Und ja, die Vorwürfe gegen Baerbock werden von Teilen der Medien und der Konkurrenz kampagnenhaft hochgejazzt.
Aber dass sich die Spitzengrüne mit Copy und Paste bei anderen Veröffentlichungen bediente, ist schwer zu leugnen. Nur Grüne, die an anderer Stelle gerne auf die Wissenschaft verweisen oder die Regeln des Kulturbetriebs hochhalten, sehen das offenbar anders.
Die grobe Reaktion der Parteispitze war der Sache nicht angemessen. Statt achselzuckend Fehler einzuräumen, die bei schnell geschriebenen Politikerbüchern passieren können, startete sie einen überzogenen Gegenangriff. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner rief alle Mitglieder per E-Mail zur Solidarität auf. Ein Grünen-Sprecher warf Weber vor, zu versuchen, Baerbocks Ruf „bösartig“ zu schädigen. Auch Kellner sprach von „Rufmord“, während Medienanwalt Christian Schertz betonte, „nicht im Ansatz“ eine Urheberrechtsverletzung erkennen zu können. Baerbock habe lediglich allgemein bekannte Fakten und politische Ansichten wiedergegeben.
Die Grünen taten so, als sei der Himmel rosa
In ihrer ersten Reaktion griffen die Grünen den Plagiatsjäger ad hominem, also persönlich, an – und sie blockten einen Vorwurf ab, der gar nicht im Zentrum stand. Copy and Paste muss keine Urheberrechtsverletzung sein, ist aber trotzdem peinlich. Und nur allgemein bekannte Fakten? Nun ja, der Wortlaut war trotzdem fast deckungsgleich. Die grüne Strategie, so zu tun, als seien die kopierten Stellen komplett imaginiert, als sei der Himmel sozusagen rosa, war wenig überzeugend. Solchen Whataboutism kritisieren Grüne sonst gerne bei anderen.
Im Laufe der Woche steuerte die Parteispitze nach. Am Samstag präzisierte Baerbock in einem Interview mit der Funke Mediengruppe, sie habe „sehr bewusst auf Fakten aus öffentlichen Quellen zurückgegriffen“. Niemand schreibe ein Buch allein. „Es sind nicht nur viele Ideen eingeflossen, ich habe dankenswerterweise auch Unterstützung bekommen.“
Flankiert wurde die seltsame Stoßrichtung der Parteispitze von einem grünen Panikorchester in Sozialen Netzwerken, bei dem einige haltlose Vorwürfe in den Raum stellten. Die Europaabgeordnete Hannah Neumann kommentierte einen Bericht der Tagesschau mit der Überschrift „Plagiatsvorwürfe gegen Baerbock“ auf Twitter so: „Die richtige Schlagzeile lautet: Schmutzkampagne gegen Baerbock.“
Fraktionsvize Oliver Krischer warf CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen vor, den Ausbau der Windenergie zu beenden, aber Klimaschutzziele erreichen zu wollen. Er fügte hinzu: „Diese Laschet-Politik kostet überall auf der Welt – gerade in Kanada – Menschen das Leben.“ Krischer ruderte zurück, aber dennoch: Der CDU-Chef verantwortet persönlich den Tod von Menschen? Eine Europaabgeordnete korrigiert eine Schlagzeile? Das sind Überreaktionen, die man bei den Grünen lange nicht mehr beobachten konnte.
Erfolgskonzept wird konterkariert
Sie konterkarieren das Erfolgskonzept von Annalena Baerbock und Robert Habeck. Als die beiden 2018 als Parteivorsitzende starteten, achteten sie darauf, die Gesellschaft stets konziliant und versöhnlich anzusprechen. Unter ihnen hatte altes Freund-Feind-Denken ausgedient, ebenso die klassische Lagerverortung – auch gesellschaftliche Polarisierung hielten sie für hochproblematisch.
Auch wenn man sich leicht hätte ausrechnen können, dass es im Wahlkampf brutal zur Sache gehen würde, wurden die Grünen offenbar kalt erwischt. Habeck und Baerbock hatten lange warmen Wind unter den Flügeln. Sie waren es inzwischen gewohnt, selbst von CEOs hofiert zu werden. Es habe ihn überrascht, wie aggressiv Teile der Wirtschaft auf das Wahlprogramm der Grünen reagiert hätten, räumt ein Stratege ein.
Nun, da die postmodern und jenseits der Lager denkenden Grünen verblüfft feststellen, dass die Gegenseite sehr wohl brutal und geschlossen agiert, wenn es ums Eingemachte geht, nämlich um die Macht im Lande, greifen auch bei ihnen wieder alte Reflexe. In der Parteizentrale beobachtet man das mit Sorge. „Die Kunst wird sein, in der Auseinandersetzung härter zu werden“, hieß es – „aber offen für den Dialog zu bleiben und sich nicht einzubunkern.“
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