Palästinenser in Israels Gefängnissen: Isolation, Angriffe, ungeklärte Tode
Israel nimmt immer mehr Palästinenser*innen fest. Seit dem 7. Oktober verschlechtern sich die Bedingungen, NGOs berichten von Menschenrechtsverletzungen.
Azzedin ist einer derjenigen, die im November durch einen Deal freikamen, bei dem palästinensische Gefangene gegen von der Hamas in den Gazastreifen entführte Geiseln ausgetauscht wurden. „Ich bin jetzt frei“, sagt er der taz am Telefon. Glücklich sei er allerdings nicht. „Ich bin besorgt, weil immer noch so viele im Gefängnis sind.“ Schläge von Gefängniswärtern seien nach dem 7. Oktober an der Tagesordnung gewesen, ohne triftigen Grund, sagt er. Wie Folter sei das gewesen. Seine Aussagen lassen sich nicht unabhängig überprüfen, sie decken sich jedoch zu großen Teilen mit Zeugenaussagen, die Menschenrechtsorganisationen gesammelt haben.
Den Berichten der Menschenrechtsorganisationen zufolge haben sich nicht nur die Zustände für arabische Gefangene in israelischen Gefängnissen verschlechtert. Auch ist die Zahl der Gefangenen steil angestiegen: Seit Oktober wurden mehr als 6.100 Palästinenser*innen aus dem Westjordanland verhaftet. Mindestens 2.300 weitere Menschen sollen im Gazastreifen gefangen genommen worden sein. Das zeigen Daten des Vereins Palestinian Prisoner Society.
Auch freigelassene Gazaner*innen haben von physischen und psychologischen Misshandlungen berichtet: Schläge, Beleidigungen, Augenbinden, Kälte. Das Büro des UN-Kommissars für Menschenrechte sagte kürzlich, es könnte sich dabei um Folter handeln.
Isolation, Angriffe, unzureichende Nahrung
Auch die palästinensische Organisation Addameer beschreibt in einem Ende Januar veröffentlichten Bericht, dass sich die Lage in den vergangenen vier Monaten drastisch verschlechtert habe. Von Isolation, Angriffen, unpassender Kleidung, unzureichender Nahrung wie Gesundheitsdiensten ist dort die Rede. Zudem seien die Zellen überfüllt. Notstandsregelungen in Israel erlauben eine Überbelegung.
Laut der israelischen Menschenrechtsorganisation HaMoked ist die Zahl der Sicherheitsgefangenen, also derjenigen, die wegen des Vorwurfs der Staatsgefährdung in Haft sitzen, von etwa 5.000 im September auf knapp 9.000 gestiegen. Ende Dezember stellte der Planungsabteilungsleiter des israelischen Gefängnisdienstes, Elyasaf Zakai, fest, dass 88 Prozent der Gefangenen auf einer Fläche von weniger als drei Quadratmetern pro Kopf lebten.
Anwälte der Menschenrechtsorganisation Physicians for Human Rights Israel (PHRI) konnten mit Insassen sprechen. Der Strom werde tagsüber ausgestellt, berichtet Naji Abbas, der für PHRI die Situation in den Gefängnissen beobachtet, der taz. Die Essensrationen seien kleiner geworden, medizinische Behandlungen fänden teilweise nicht statt, Freizeit im Freien sei ebenfalls stark eingeschränkt. Gefangene hätten zudem von Gewalt seitens der Wächter erzählt. Auch bei Minderjährigen.
So steht es auch in einem Bericht, den PHRI vor etwa einer Woche über die Haftbedingungen von Palästinenser*innen seit dem 7. Oktober veröffentlicht hat. Auch dort heißt es, die ausgeübte Gewalt könnte Folter gleichkommen.
Starb Abdulrahman al-Bahasch an den Schlägen der Wärter?
Zu den Berichten über schlechte Zustände in den Gefängnissen kommen mehrere ungeklärten Todesfälle von Gefangenen hinzu, die sich seit dem 7. Oktober ereignet haben. Sieben palästinensische Gefangene sind bis Anfang Februar unter ungeklärten Umständen in israelischen Gefängnissen gestorben.
Der letzte dieser Verstorbenen ist Abdulrahman al-Bahasch, zum Zeitpunkt seines Todes am 1. Januar 23 Jahre alt. Über dem Eingang des Wohnhauses seiner Familie in Nablus hängt ein Plakat: ein junger Mann mit langem Bart und lockigen Haaren, das palästinensische Tuch um den Hals gewickelt. Wie Azzedin saß auch er im Megiddo-Gefängnis, dreieinhalb Kilometer von der Grenze zum Westjordanland entfernt, und zwar seit Mai 2022. Vorgeworfen wurde ihm eine Vielzahl von Taten, darunter die, das Feuer auf israelische Streitkräfte eröffnet zu haben.
Wie al-Bahasch zu Tode kam, weiß seine Familie nicht. Am ersten Januar hätten sie, erzählt Vater Bassem, gegen 17 Uhr vom Tod eines Häftlings in den sozialen Medien erfahren. „Es gab noch keinen Namen, aber der Ort, das Alter, die Strafe, sie stimmten.“ Um zwanzig Uhr hatte die Familie Gewissheit.
Bis heute jedoch herrscht keine Klarheit darüber, was damals genau geschah. Die Familie vermutet, er sei von Wächtern zu stark geschlagen worden. In einem Videointerview, das in den sozialen Medien verbreitet wurde, schildert ein freigelassener Mitgefangener, wie al-Bahasch von Gefängniswärtern mit Händen und Stöcken verprügelt und dann in einen separaten Raum gebracht worden sei.
Gewaltspuren an Hals und Brustkorb
In den Wochen darauf habe er starke Schmerzen gehabt, war sehr müde, bis er kaum noch stehen konnte. Irgendwann kam er von einem Krankenhausaufenthalt nicht mehr zurück. Palästinensische Nichtregierungsorganisationen sprachen in einer Stellungnahme von Ermordung. Bestätigen lassen sich diese Vorwürfe nicht.
Über das, was Al-Bahasch getan haben soll, über die Gründe, weswegen er im Gefängnis saß, will sein Vater Bassem nicht lange sprechen. Vor dem Militärgericht stünden viele unter so einem Druck, murmelt sein Vater, da würden sich viele schuldig bekennen. Er fügt allerdings hinzu: „Wir Palästinenser denken jedoch, sich der Besatzung zu widersetzen, ist kein Vergehen.“
Auch in anderen Fällen ist die Todesursache noch nicht geklärt. Auf der Leiche eines ebenfalls in Haft Verstorbenen haben Ärzte, darunter ein Mediziner der israelischen NGO Physicians for Human Rights, bei der Autopsie allerdings deutliche Gewaltspuren an Brustkorb und Hals entdeckt. Ermittlungen laufen. In einer ersten Gerichtssitzung Mitte Januar soll es laut Medienberichten ein Geständnis gegeben haben. In einem weiteren Fall wird Gefängniswärtern vorgeworfen, einen Häftling im Gefängnis Ketziot zu Tode geprügelt zu haben. Gegen 19 Beamte ermittelt nun die Polizei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung