„Palästina-Kongress“ in Berlin: Weiter Wirbel um Varoufakis
Wer hat das Einreiseverbot gegen den griechischen Ex-Minister verfügt? Die Behörden stiften Verwirrung. Linke und Amnesty fordern Aufklärung.
Unklar ist immer noch, wer genau das Einreiseverbot verhängt hat – und warum. Wie die taz am Samstagabend berichtete, hatte die Polizei seinen Anwälten am Samstag in Berlin mündlich mitgeteilt, dass gegen Varoufakis ein Betätigungs- und Einreiseverbot verhängt worden sei.
Das BMI wollte das gegenüber der taz nicht bestätigen und verwies auf die Senatsinnenverwaltung in Berlin. Diese verwies die taz an die Bundespolizei. Handelsblatt und AFP berichteten am Montag, dass es sich nicht um ein Betätigungsverbot handeln soll, das gegen EU-Bürger rechtlich nicht möglich wäre, sondern um ein Einreiseverbot. Dieses darf auch gegen EU-Bürger verhängt werden.
Die Bundespolizei bestritt am Montag gegenüber den Anwälten von Varoufakis, dass gegen diesen ein Einreiseverbot vorliege. Einen Tag später korrigierte sie sich und schrieb, dass es doch ein Einreiseverbot gegeben habe. Der taz schrieb die Bundespolizei am Mittwoch: „Die Bundespolizei erlässt weder Betätigungsverbote noch Einreise- und Aufenthaltsverbote.“ Zuständig sei die Ausländerbehörde in Berlin. Das Landesamt für Einwanderung teilte der taz am Donnerstag mit, es erteile „keine Auskünfte zu Entscheidungen in Einzelfällen“. Verwirrung komplett.
Varoufakis wirft „Lüge“ vor
In Griechenland sorgt das Einreiseverbot weiter für Wirbel. Varoufakis wirft der Bundesregierung „Lügen“ und faschistische Methoden vor. Mera25, der deutsche Ableger der Varoufakis-Partei DIEM25, sieht „einen besorgniserregenden Trend zu staatlicher Intransparenz und autoritären Praktiken in Deutschland“. Varoufakis soll auch nicht im Vorfeld über das Einreiseverbot informiert worden sein, wie es rechtlich üblich wäre.
Betätigungs- und Einreiseverbote gab es auch gegen zwei weitere Gäste des polizeilich verhinderten „Palästina-Kongresses“: gegen den 86-jährigen Historiker Salman Abu Sitta und den Arzt und Rektor der University of Glasgow, Ghassan Abu-Sittah. Ghassan Abu-Sittah wurde am Freitag am Berliner Flughafen die Einreise verweigert. Aufgrund des Betätigungsverbots gegen Abu Sitta wurde der „Palästina-Kongress“ am Freitag abgebrochen, als dieser per Video zugeschaltet wurde.
Der Kongress war in die Kritik geraten, weil einige Teilnehmer – darunter auch Yanis Varoufakis – den terroristischen Angriff der Hamas am 7. Oktober nicht klar verurteilt hatten. Er verurteile zwar „jeden Angriff auf Zivilisten“ und „jede einzelne Gräueltat“, sagte Varoufakis in der Online-Ansprache, die er in Berlin halten wollte. Was er aber nicht verurteile, sei „bewaffneter Widerstand gegen ein Apartheidsystem“. Der 87-jährige Salman Abu Sitta wiederum hatte im Januar in einem Blogbeitrag geschrieben, wäre er jünger, hätte er einer derjenigen sein können, die am 7. Oktober die Blockade des Gazastreifens durchbrachen. Die deutschen Behörden werfen ihm „Hasstiraden gegen Israel und gegen Juden“ vor
Juristisches Nachspiel droht
Varoufakis drohte, er prüfe seine juristischen Möglichkeiten, gegen das Einreiseverbot vorzugehen. Auch die Veranstalter des aufgelösten „Palästina-Kongresses“ wollen gegen die zuständigen Behörden und den massiven Polizeieinsatz gegen den Kongress vor Gericht ziehen. Eine Rechtsanwältin des Kongresses sagte, man habe im Vorfeld „gut“ mit den Behörden kooperiert. Von den Maßnahmen der Polizei sei man daher überrumpelt worden.
Die Linkspartei kritisierte das Vorgehen der Behörden. Ex-Parteichef Bernd Riexinger brachte auf X das Einreiseverbot gegen Varoufakis in Verbindung mit dem Fall der „Sozialistin und Jüdin Nancy Fraser“, deren Gastprofessur bei der Universität Köln aufgekündigt wurde, weil sie einen offenen Brief unterzeichnet hatte. Beides sei „ein schwerer Verstoß gegen demokratische Grundsätze und die Meinungsfreiheit“, so Riexinger.
Amnesty Deutschland fordert eine unabhängige Untersuchung zum Vorgehen der Polizei gegen den „Palästina-Kongress“ in Berlin. Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit gelte „für alle Menschen, auch wenn sie die deutsche und israelische Regierungspolitik kritisieren“. Die Grenze werde „durch strafbare Handlungen und nicht durch politisch unliebsame Aussagen markiert“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier