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Oldenburger Carl-von-Ossietzky-PreisProtest gegen Jury-Entscheidung

Die Historikerin Anne Applebaum befürwortet Waffenlieferungen – und erhält den Carl-von-Ossietzky-Preis. Das löst teils scharfe Kritik aus.

Erhält einen Preis im Namen des Pazifisten Carl von Ossietzky: Anne Applebaum Foto: Rahdi Ahmad

Bremen taz | Carl von Ossietzky kann man nicht mehr fragen. 1938 ist der Pazifist und Friedensnobelpreisträger gestorben, an den Folgen einer Tuberkuloseerkrankung, die er sich im KZ Esterwegen geholt hatte. Er ist heute Namensgeber von Straßen und Schulen, der Oldenburger Uni und von gleich mehreren Preisen.

Der „Carl-von-Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik“, den die Stadt Oldenburg an diesem Donnerstag verleiht, sorgt in diesem Jahr für Protest: „Eine Verhöhnung von Ossietzkys Lebenswerk und ein Armutszeugnis für die Jury“, sieht das Antimilitaristische Bündnis Oldenburg in der Verleihung. Der Grund: die Preisträgerin Anne Applebaum.

Der Preis wird seit 1984 im Zweijahresrhythmus vergeben und ist mit 10.000 Euro dotiert. Ausgezeichnet werden sollen Personen, die sich mit Ossietzky selbst oder mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus auseinandersetzen; darüber hinaus kann der Preis aber auch an Personen gehen, „die sich im Geiste Ossietzkys mit der demokratischen Tradition und Gegenwart in Deutschland und Themen der Politik und Zeitgeschichte befassen“.

Was diesen Geist Ossietzkys 2024 ausmacht, dazu gehen die Meinungen offenbar auseinander.

Wobei: Die Stadt selbst würdigt den Namensgeber auf der Webseite zum Preis als „leidenschaftlichen, konsequenten Pazifisten und überzeugten Anhänger der Republik und Demokratie“. Die von ihm herausgebrachte Wochenschrift Weltbühne war, so schreibt die Stadt, „gegen Wiederaufrüstung, Militarismus, Revanchismus und Nationalsozialismus, gegen Faschismus und Anwendung von Gewalt, von welcher Seite auch immer“.

Ossietzky hätte sich dagegen verwahrt, ihn ins Schlepptau einer Kriegstreiberin zu nehmen

Helmut Donat, Verleger, Ossietzky-Preisträger 2016

Im April hat sich die fünfköpfige Jury unter dem Vorsitz der Geschichtsprofessorin Dagmar Freist von der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg entschieden, den Preis an Anne Applebaum zu verleihen. Applebaum ist als Historikerin bekannt geworden mit einem Standardwerk zu den sowjetischen Gulags; vor einigen Jahren schrieb die liberal-konservative Journalistin ein vielbeachtetes Werk über den neuen Hang zu autoritären Regierungen in westlichen Demokratien.

Seit Beginn des Ukrainekrieges ist sie in der deutschen Öffentlichkeit mit der Forderung nach Waffenlieferungen an die Ukraine sehr präsent. Unter anderem hatte sie Olaf Scholz im Februar 2023 vorgeworfen, zu lange gezögert zu haben bei der Lieferung von Leopard-Panzern. „Seine lange Weigerung ist sowohl peinlich als auch schädlich“, sagte sie im Interview mit der Frankfurter Rundschau. Ein Ende des Krieges ist für Applebaum nur durch eine völlige Niederlage Russlands denkbar. Verhandlungen über einen Waffenstillstand lehnt sie aus diesem Grund ab.

Vor allem diese Haltung zum Ukraine­krieg ist es, die das Antimilitaristische Bündnis gegen Apple­baum aufbringt. „Es steht außer Frage, dass Carl von Ossietzky solchen Auffassungen vehement widersprochen und sich dagegen verwahrt hätte, ihn in das Schlepptau einer Kriegstreiberin zu nehmen“, schreibt der Bremer Verleger Helmut Donat, der 1996 selbst Preisträger war, für das Bündnis. Die Jury merke „nicht einmal, dass sie Ossietzky in den Dienst einer Kriegspropaganda stellt und ihm einen Stahlhelm überstülpt“.

Pazifismus – nur zeitgebunden?

Tatsächlich kennt die Jury die Position Applebaums zum Krieg – und lässt sie in ihre Bewertung einfließen: Die Journalistin „forderte von Anfang an unzweideutig die Unterstützung der Ukraine gegen den Aggressor, um Russland eine klare Botschaft zu senden“, steht in der Begründung zur Preisverleihung.

„Pazifismus ist in meinen Augen keine überhistorisch statische Haltung, sondern der Versuch, für den Frieden zu wirken mit den Mitteln, die im gegebenen Moment zur Verfügung stehen“, sagt das Jurymitglied Martin Sabrow vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. „Mit der Kraft der Feder, mit friedlichem Engagement im demokratischem Rahmen, aber notfalls auch mit der Bereitschaft, Angriffe abzuwehren, die diesen Rahmen zerbrechen wollen“, ergänzt er schriftlich.

Die Bundeszentrale für Politische Bildung dagegen definiert Pazifismus als „Grundhaltung, die jede Anwendung von Gewalt ablehnt und mit aller Kraft für den Frieden eintritt“. Selbst bei einem Angriffskrieg solle sich aus pazifistischer Sicht der Staat nicht mit militärischen Mitteln verteidigen.

Sabrow gibt zu bedenken, dass seit 1938 viel Zeit vergangen sei. „Ich glaube kaum, dass von Ossietzkys Pazifismus ihn daran gehindert hätte, die alliierte Kriegsführung gegen Hitlerdeutschland gutzuheißen“, sagt er für die Jury.

Ossietzky habe in einer Zeit gehandelt, in der Militarismus und Bellizismus die politische Kultur der Weimarer Republik bestimmten. „Sein Pazifismus steht daher in einem ganz anderen Kontext als dem der Bundesrepublik, die sich seit ihrer Gründung durch eine betonte Zivilität auszeichnet und sich auch heute aus guten Gründen schwerer tut als andere Länder, der russischen Aggression gegenüber eine konsistente Haltung zu entwickeln“, teilt Sabrow mit.

Wie sich Ossietzkys Pazifismus in einem „anderen Kontext“ entwickelt hätte, darüber ist schwer zu spekulieren. Überliefert ist von zwei norwegischen Besucher*innen, dass er sich an seinem Totenbett „ironisch, aber ohne Bitterkeit über die, die ihn misshandelt hatten“ geäußert habe. „Er vergab ihnen, sie taten ihm fast leid“, heißt es in dem Bericht von Inger und Finn Lie.

Überliefert ist auch, von seiner Frau und der Gestapo, seine Entgegnung an Hermann Göring, als dieser den nach KZ-Aufenthalt bereits schwer kranken Carl von Ossietzky nötigte, den Friedensnobelpreis abzulehnen: „Ich war Pazifist“, soll er gesagt haben, „und ich werde Pazifist bleiben.“

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51 Kommentare

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  • Die Verleihung des Carl-von-Ossietzky-Preises an Applebaum ist sicher nicht nur aus Helmut Donats Perspektive provokant, jedoch ein guter Denkanstoß:

    Der Kampf gegen Militarismus, für Pazifismus und Zivilgesellschaft tut zur Zeit und auf längere Sicht zuerst in Russland Not.

  • „Eine Verhöhnung von Ossietzkys Lebenswerk und ein Armutszeugnis für die Jury“, sieht das Antimilitaristische Bündnis Oldenburg in der Verleihung. Der Grund: die Preisträgerin Anne Applebaum."

    Wie schlicht doch einige in der Birne sind die meinen, die besseren Menschen zu sein, nur weil sie sich ohne Gegenwehr von Autokraten abschlachten wollen und sich über jene erheben, die ihr Land mit Waffen gegen eingefallene Mörder verteidigen und Gegenwehr leisten.

    Sogar die Grünen haben das dieser Tage verstanden.

  • "Vor allem diese Haltung zum Ukraine­krieg ist es, die das Antimilitaristische Bündnis gegen Apple­baum aufbringt. „Es steht außer Frage, dass Carl von Ossietzky solchen Auffassungen vehement widersprochen und sich dagegen verwahrt hätte, ihn in das Schlepptau einer Kriegstreiberin zu nehmen“..."



    Dass der gute Carl als Gegner von jeder (Wieder-)Aufrüstung mit dieser Preisträgerin nicht hundertprozentig glücklich gewesen wäre, darf man annehmen.



    Diese Preisträgerin jedoch als 'Kriegstreiberin' zu diffamieren, ist angesichts der Realitäten und dem tatsächlichen Kriegstreiber wahlweise ignorant faktenfremd oder persönlich attackierend jenseits eines halbwegs sozialen Diskurses. Ich vermute beides.

  • Das Problem ist auch die Mythisierung der Namensträger eines solchen Preises. Statt die historische Person zu sehen, in ihrem historischen Kontext, ihren biographischen Entwicklungen und Grenzen, wird deren Gedankenwelt und Einstellung verabsolutiert. Ihre damalige Haltung gilt als unmittelbar anwendbar für die gegenwärtige Zeit. Wenn man nur noch nach diesen Kriterien Preise vergeben darf, sollte man es bleiben lassen. Entweder man akzeptiert, dass ein Preisträger/in auch von dem Vorbild abweichen kann, oder man benennt den Preis um.

    • @Hans aus Jena:

      Danke für diese treffende Anmerkung - insbesondere auch im Namen aller Karlspreis-Empfänger (um nur ein Beispiel zu nennen)!

      • 9G
        95820 (Profil gelöscht)
        @Normalo:

        Nich ganz passend, der Vergleich. Sein Frankenreich, das Karl mit dem Schwert geschaffen hat, gilt vielen als Vorgänger einer europäischen Einigung. Die Preisträger (m/w/d) bekommen ihr Preisschild mit Blick auf ihre Verdienste in Sachen Europa.

        • @95820 (Profil gelöscht):

          Die Herleitung des Karlspreises ist mir schon klar. Aber trotzdem dürfte der große Karl - zeitgemäß - unsere heutige Idealvostellung von Europa (demokratisch, friedliebend, föderal-antihegemoniell gegliedert, NICHT "von Gottes Gnaden" beherrscht und auch an kein bestimmtes Bekenntnis zu diesem gebunden, gegebenenfalls sogar SACHSEN in Führungspositionen duldend etc.) für komplettes Teufelszeug halten. Es gibt halt häufiger einen Unterschied zwischen dem, was man in einen Preis reinprojeziert, und dem, wofür der Namenspatron real zu Lebzeiten alles stand.

  • "„Sein Pazifismus steht daher in einem ganz anderen Kontext als dem der Bundesrepublik, die sich seit ihrer Gründung durch eine betonte Zivilität auszeichnet und sich auch heute aus guten Gründen schwerer tut als andere Länder, der russischen Aggression gegenüber eine konsistente Haltung zu entwickeln“, teilt Sabrow mit."

    Was sagt ein (vermutlich) in der BRD aufgewachsener, an Oxford & LSE ausgebildeter, in Princetion promovierter Historiker mit ebenso vermutlich türkischem Migrationshintergrund (weil jetzt in Istanbul lehrt) dazu der über die Sowjetisierung Lvivs jene PHD Thesis schrieb?

    "Die Bannerträger dieses grünen Neowilhelminismus, wie etwa die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, verbinden ein engstirniges Gefühl der „Werte“-Überlegenheit mit einer aggressiven Weigerung, Länder, die ihren provinziellen Standards nicht entsprechen, als souveräne Gleichgestellte zu behandeln"

    tarikcyrilamar.sub...kann-kriegssuchtig

    Für mich das lesenswerteste heute.

  • Die ganze Debatte geht am eigentlichen Punkt vorbei: die unter Historikern ja keineswegs unumstrittene Applebaum vertritt solche Thesen ja nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine, sondern war seit jeher eine Kalte Kriegerin - und stösst damit seit Jahren auf wachsenden Beifall in liberalen Kreisen. Die Frage ist also, warum ein Milieu, das sich immer gerne als Gralshüter von Demokratie und Menschenrechten sieht, das Bedürfnis nach Autoren hat, die - nach innen und nach außen - wieder auf klare Feindbilder einschwören. Der Skandal ist nicht der Preis für Applebaum, sondern das Weltbild, dass sich in dieser Entscheidung artikuliert.

    • @O.F.:

      Was Sie beschreiben, ist keine Frage.

      Die Antwort liegt offen auf dem Tisch, für jeden sichtbar:



      Der Angriffskrieg Russlands sorgt dafür, dass man sich wieder Gedanken machen muss, wie man auf eine faschistische Bedrohung von außen reagiert.

      Reagiert man falsch, war es das hier mit Demokratie und Menschenrechten.

      • @rero:

        Sie illustrieren hier genau das Problem, das ich beschrieben habe: Sie wischen die Möglichkeit, dass die eigene Wahrnehmung unterkomplex sein könnte vom Tisch und beschwören sogleich wieder unhinterfragt einen Feind, mit dem man sich nicht in einen analysierbaren, mit realpolitischen Mitteln zu befriedenden Konflikt sieht, sondern in einem geradezu apokalypstischen Schicksalskampf. Man könnte sich über diese Mischung aus Heilsgeschichte und Hollywood amüsieren, wenn sie nicht so gefährlich wäre: nach innen, weil sie zu einem autoritären Umgang mit Dissens verleitet, nach außen, weil sie mit bestem Gewissen einer Logik der Eskalation folgt. Wie gesagt: die Mitte radikalisiert sich und merkt das nicht einmal.

    • @O.F.:

      Die 80iger wollen ihre Lügenparolen zurück.

      • @Kurt Kraus:

        Anstand, Charakter, Mitmenschlichkeit, Vernunft & Intelligenz sollte nicht Jahrzehnte abhängig sein...

    • @O.F.:

      Russland steht mit China an der Spitze der kapitalistisch-imperialistischen Staaten.

      Was bedeutet also hier "Kalte Kriegerin"?

    • @O.F.:

      Nun ja, das ist der klassische "Junge-Welt"-Sound. Wer Putin klar als das benennt, was er tatsächlich ist, nämlich ein Diktator und Kriegsverbrecher, pflegt "Feindbilder". Lieber wird von einer "unter Historikern ja keineswegs unumstrittenen Applebaum" geraunt, damit unterschwellig fehlende Fachkompetenz unterstellend, obwohl die Kontroverse essentiell für jede wissenschaftliche Debatte ist. Und on the top: Ein Weltbild, das nicht dem Ihren entspricht, ist ein "Skandal"?

    • @O.F.:

      Wir können ja nicht wissen, was Ossietzky selbst zu diese Preisverleihung an Anne Applebaum sagen würde - aber vielleicht können Sie mir darin zustimmen, dass Ossietzky als überzeugter Pazifist immer auch die Verteidigung der Demokratie vor Gewalt- und Willkürherrschaft im Blick hatte. In dem Sinne war er - nach meinem Verständnis - wohl keiner, der postulierte, auch noch die linke Wange hinzuhalten, wenn es um den Kampf gegen den Faschismus geht.



      Ich persönlich jedenfalls könnte moralisch keinen rigiden Pazifismus vertreten, der - lediglich um der „reinen Weste“ bzw. der „wahren Lehre“ willen - bereit ist, der Gewalt nicht in die Speichen zu fallen (und sei es mit militärischen Mitteln) bzw. es zuzulassen, dass Menschen wie Lämmer auf die Schlachtbank geführt werden.



      Deshalb meine prinzipielle Zustimmung zur militärischen Unterstützung der Ukraine. Leicht habe ich mir diese Entscheidung deshalb jedoch nicht gemacht.

      • @Abdurchdiemitte:

        Das sind berechtigte Fragen. Allerdings beschränken sich politische Handlungsmöglichkeiten nicht auf radikalen Pazifismus oder das politische Manichäertum Applebaums, sondern es gibt dazwischen ein breites Spektrum einer Realpolitik, die sich nicht in einem apokalyptischen Endkampf wähnt, sondern pragmatische Lösungen anstrebt. Dass uns der Sinn für letzteres abhanden gekommen ist – sowohl innen- als auch außenpolitisch – halte ich für eine große Gefahr.

      • @Abdurchdiemitte:

        Carl von Ossietzky hat sowohl die Anwendung als auch die Propagierung von Gewalt abgelehnt, auch zum Schutz seines eigenen Lebens. Weiter kann man nicht gehen. Er hat das als Maßstab "seines" Lebens gesehen.

        Ich sehe dies als eine herausragende humanistische Haltung, allein ich habe eine andere.

        Die Frage ist, ob die Position von Frau Applebaum, mit denen von Ossietzky vereinbar sind. Die Antwort ist nein.

        Keine Gewalt, heißt für Ossietzky, keine Gewalt, nie. Das hat er, für sich eingehalten, nicht von anderen gefordert.

        Die Instrumentalisierung seines Namens beschädigt nur sein Andenken, das sollte nicht sein.

        Sehen Sie nur, was aus dem Friedensnobelpreis geworden ist.

  • Man legt seine Ziele fest dann muss man die Mittel immer mal wieder anpassen oder man legt seine Mittel fest dann passen einem die Unstände und andere die eigenen Ziele an, das kann man machen führt halt zu keinem Ziel. Ich denke echte Moral ist die richtigen Ziele zu verfolgen auch mit Mitteln die einem nicht zusagen, den Tod muss man dann sterben, wer Mittel aus der hand gibt dem steht immer der Vorwurf gegenüber es ginge letztlich mehr um die eigene moralische satisfaktion als um das erreichen der Sache.

    • @Machiavelli:

      @O. F. hat insoweit Recht, als eine völlige Unterwerfung der Wahl der Mittel unter das jeweilige Ziel der Weg des Fanatismus ist. Die goldene Mitte liegt in der Abwägung. Es gibt Mittel, die kein Zweck rechtfertigen kann, und solche, die je nach Zweck unverhältnismäßig sein können. Diese auszuschließen, sollte schon Teil einer moralischen Überlegung sein. Freilich lässt das trotzdem Platz für Mittel, die einem nicht zusagen, die aber aus denselben Gründen angebracht sind, aus denen sie einem nicht zusagen (weil nämlich ihre Nichtverwendung gleichartigen Schaden in größerer Dimension anrichtet).

      • @Normalo:

        Das Abwägen ist dabei der entscheidende Punkt … es ist wahrscheinlich unspektakulär, weil es auf rationalen, möglicherweise recht pragmatischen, nüchternen Denkprozessen beruht. Das muss allerdings keineswegs im Widerspruch zu eigenen Glaubensüberzeugungen nuw. ethischen Grundhaltungen stehen.



        Im Gegenteil, ohne moralischen Kompass kann Pragmatismus leicht ins Unmoralische abdriften.



        Wenn das alles halbwegs „in der Waage“ ist, dürfte es allerdings schwer fallen, im Fall des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine noch einen irgendwie kategorischen Pazifismus zu vertreten. Also, Sie haben natürlich recht: man kann nur von Fall zu Fall abwägen und entscheiden … ein „Heiliger“ kann man damit nicht werden, aber vielleicht ein bisschen menschlicher. Und das ist schon eine ganze Menge.

    • @Machiavelli:

      Fanatiker denken so, für alle anderen ist auch die Wahl der Mittel Teil der Moral.

      • @O.F.:

        Militärischer Widerstand gegen den Holocaust war also unmoralisch?

      • @O.F.:

        Richtig, aber man muss auch vom Zweck der Moral her denken. Wenn z. B. die kategorische Ablehnung von Gewalt nur zu einer deutlich hemmungsloseren Anwendung davon durch Jemanden führt, dem diese Ablehnung fremd ist, dann verfehlt die "moralische" Wahl der Mittel ihr moralisches Ziel.

      • @O.F.:

        Der einzige Weg wie sich Demokratien gegen Fanatiker verteidigen können ist mit eigenem Fanatismus. Die Weimarer Republik ging nicht am eigenen Fanatismus zugrunde sondern daran das die Demokraten nicht bereit waren mit ihren Feinden mit der notwendigen Härte umzugehen.

        • @Machiavelli:

          “Der einzige Weg wie sich Demokraten gegen Fanatiker verteidigen können ist mit eigenem Fanatismus.”



          … um den Feinden der Demokratie immer ähnlicher zu werden?



          Dann bevorzugen Sie den unmenschlichen Radikalismus der französischen Jakobiner, eines Robbespierre, der den Terror der Guillotine aufrichtete, bis am Ende die Revolution ihre eigenen Kinder frisst?



          Nein, ein “heißes Herz” UND ein “kühler Kopf”für Demokratie und Menschenrechte sind kein Widerspruch - sie beinhalten auch eine klare Absage gegen jede Form von Fanatismus. Weil der stets mit Hass und Gewalt einhergeht.

  • Die Begriffsgeschichte zu "Pazifismus" ist breiter als die Erklärung des BPB. Schon Berta von Suttner, "Die Waffen nieder" definierte als Dimension des Pazifismus: militärische Hilfe für überfallene Länder und humanitäre Interventionen.



    Applebaums argumentiertes Urteil als "Kriegstreiberei" zu bezeichnen ist verfallen: wer Ursache und Wirkung verwechselt landet in einer Halbwelt.

  • Brecht hat das Dilemma in "Dansen" und den "Gewehren der Frau Carrar" dargestellt: Heißt Pazifismus, den Aggressoren nicht entgegenzutretem nicht den Opfern zu helfen?



    Brecht sagt: Nein. Man müsse auch mit Waffenlieferungen helfen.

    Und doch brauchen wir genauso auch das Denken eines Gandhi, der selbst Hitler versucht hätte umzustimmen. Um nicht in ewigen "Feindschaften" hängenzubleiben.

    Einfach ist es nicht. Es entscheidet der Preisgeber.

    • @Janix:

      Der frühe Gandhi ist nicht gemeint, und das wussten wir beide, gell.



      Brecht war kein Pazifist, er zeigt aber auch für Linke verständlich das Dilemma des Pazifismus, wenn das Gegenüber nicht moralisch ansprechbar wäre.

    • @Janix:

      Gandhi hat im 1. Weltkrieg in Indien Soldaten für die Briten rekrutiert.

    • @Janix:

      Seit wann war Brecht Pazifist?

  • Das Gute an dem Buch von Helmut Donat ist, das es im Titel betont, dass es "Deutsche Stimmen zum Ukrainekrieg" seien. Wie Trotz und Torheit miteinander einhergehen.



    Albert Einstein wird in einem Cartoon 1938 gezeigt als jemand der die Flügel des Friedensengels ablegt...

  • Carl von Ossietzky war kein einfacher Mensch. Er war konsequent in der persönlichen Umsetzung seiner Anschauungen, bis zum Tod.

    Er war und blieb Pazifist, auch in seiner Ablehnung der NS-Herrschaft.



    Das ist eine Position, die ihn heraushebt, die aber auch schwer nachzuvollziehen ist, damals, wie heute. Das sollte man akzeptieren.

    Spekulationen und Mutmaßungen zu Einstellungen und Handlungen sind generell fragwürdig.

    Hier wird der Name und das Andenken, des berühmtesten deutschen Pazifisten, dazu benutzt, dem publizistischen Einsatz für den Krieg, die höheren Weihen zu geben.



    Ein größerer Widerspruch zu Carl von Ossietzky ist nicht denkbar.

    Frau Applebaum könnte doch einen Preis von Thyssen-Krupp oder Rheinmetall bekommen, das würde dann auch passen.

    • @Octarine:

      Anne Applebaum mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis auszuzeichnen, ist so, als wenn man Marie-Agnes Strack-Zimmermann den Friedensnobelpreis verleihen oder Javier Milei für einen Vorkämpfer des Sozialismus erklären würde.

      Ich denke, auch in einem Zeitalter, in dem vielfach versucht wird, eine "Umwertung aller Werte" (Nietzsche) zu erreichen, man nicht an der Tatsache vorbei kommt, dass Frau Applebaum so ziemlich das Gegenteil einer Pazifistin ist. Der gute Carl-von-Ossietzky würde sich im Grab umdrehen.

      • @Uns Uwe:

        Das denke ich auch.

        • @Octarine:

          Serhij Zhadan, Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, hat sich Anfang April entschlossen dem ukrainischen Militär beizutreten.

          www.instagram.com/...m_campaign=loading

          Über seine Gründe kann man Online nachlesen.

          Ich zitiere mal aus der Wikipedia: "In seiner Ansprache im Anschluss an die Auszeichnung hielt er den Europäern als Frage formuliert vor, ihre warmen Häuser seien mit der Vernichtung der Ukraine erkauft."

          Vielleicht würde er das auch über ein Denken sagen, das einen Schritt weiter geht als die Verleihung des Ossietzky-Preises an Applebaum zu kritisieren und die beehrte Thyssen-Krupp, Rheinmetall, Strack-Zimmermann oder Milei zuordnet: Das der Raum solchen Denkens mit der Vernichtung der Ukraine erkauft ist.

          Oder ist das etwa nicht so?

  • Im Gegensatz zu den Protestierern war v. Ossietzky Antifaschist, genau wie Anne Applebaum.

  • Anne Applebaum ist eine der versiertesten und besten Russland-Expertinnen überhaupt. Hätte man vor fünfzehn Jahren auf sie gehört, wären Waffenlieferungen heute vielleicht nicht notwendig.

  • Die Argumentation dieses Bündnisses ist lächerlich und peinlich.

    Ich glaube nicht, dass Ossietzky etwa Einwände gegen den Kampf der Alliierten gegen Nazi-Deutschland gehabt hätte.

    Er war ja nicht nur Pazifist, schon gar nicht in dem schlichten Sinne, wie es das Bündnis propagiert, sondern auch Sozialist und Intellektueller. Er verfügte über Scharfsinn und eine Weitsicht, die dem Preisträger Donat offensichtlich nicht zu eigen sind.

    • @Jim Hawkins:

      ... schreibt jemand, der sich mit den Einlassungen hier durchaus im Sinne der Kritik des Antimilitaristischen Bündnisses als "Kriegstreiber" qualifiziert hat. Insofern ist schon sehr fraglich, ob du den Pazifisten Carl von Ossieztky für deine Argumentation in Anspruch nehmen kannst. Wehren kann er sich ja leider gegen diese Vereinnahmung nicht mehr und muss es sich zwangläufig gefallen lassen, allerhand Unfug in den Mund gelegt zu bekommen.

      • @Tiene Wiecherts:

        Es ist mir eine Ehre, mich im Sinne dieses Bündnisses als Kriegstreiber bezeichnen zu lassen.

        Deren Denken ist irgendwann in den 80-er-Jahren zum Erliegen gekommen.

        Auf die aktuellen Fragestellungen und Thematiken geben sie Antworten von gestern, die der Sache nicht im Entferntesten gerecht werden.

        Ginge es nach ihnen, wäre die Ukraine schon lange russisch.

        • @Jim Hawkins:

          Das sind Verdrehungen, die fassungslos machen.

          Auf einer Linie mit Habecks "Vulgärpazifismus", was wiederum nahtlos an Heiner Geißler anknüpft, seinerzeit Generalsekretär der CDU, der 1983 im Bundestag den Pazifismus der 30er Jahre - also auch von Ossietzky - für Auschwitz verantwortlich gemacht hat

          shorturl.at/3eXgE

          Es sind Ihre Einlassungen hier, die "lächerlich und peinlich" sind, eine schamlose Instrumentalisierung von Ossietzkys für Ihren verschobenen Nationalismus!

          Und dann noch zu erklären, wessen Denken wann zum Erliegen gekommen sei...

          Wie positionieren Sie sich eigentlich, wenn diese Forderung Kiesewetters hier Wirklichkeit wird: 》Der Krieg muss nach Russland getragen werden. Russische Militäreinrichtungen und Hauptquartiere müssen zerstört werden. Wir müssen alles tun, dass die Ukraine in die Lage versetzt wird, nicht nur Ölraffinerien in Russland zu zerstören, sondern Ministerien, Kommandoposten, Gefechtsstände.《 (Quelle: DW)?

          Auch im Einklang mit v. Ossietzky? Kriegsdienstverweiger - in der Ukraine gar nicht möglich shorturl.at/mBAuSdann unter Rechtfertigungsdruck?

          • @ke1ner:

            Ich bin Pro-Kiesewetter.

            Die Ukraine hat das Recht, als angegriffenes Land erst recht, das zu tun, was die Russen von Anfang an taten.

          • @ke1ner:

            Wenn das so ist? In dem Fall erkläre sich mich mit @Jim Hawkins solidarisch - und ich stimme weiß Gott nicht oft mit ihm überein (!) - und bezichtige mich ebenfalls der Kriegstreiberei.



            Ich habe jedenfalls nicht die Chuzpe zu behaupten, Ossietzky - der ja nicht nur ein überzeugter Pazifist, sondern ebenso überzeugter Antifaschist ind Sozialist war - würde angesichts der russischen Aggression gegen die Ukraine trotzdem kategorisch zur Gewaltlosigkeit raten bzw. militärische Mittel ablehnen.



            Genau so wenig natürlich, wie ich das Gegenteil behaupten kann.

            • @Abdurchdiemitte:

              Vielen Dank für das Fair Play.

              Manchmal ist es hier wie in einem britischen Club.

          • @ke1ner:

            Heiner Geißler hat später erklärt, er habe die Appeasement-Politik Englands und Frankreichs in den 30er Jahren gemeint. Diese war allerdings kein Pazifismus, sondern, wie Hermann L. Gremliza es ausdrückte, eine Mischung aus Schiss und Klassenkumpanei. In jedem Fall war sie falsch.

            Und wie Ossietzky sich zum Kampf der Alliierten gegen Nazideutschland positioniert hätte, lässt sich nicht sagen, da er im 2. Weltkrieg nicht mehr gelebt hat. Erst recht weiß man nicht, was er heute zu Waffenlieferungen an die Ukraine gesagt hätte, und daher kann man ihn auch umgekehrt nicht dafür vereinnahmen, dass er sich dagegen ausgesprochen hätte. Als Pazifist hat er in erster Linie den deutschen Militarismus bekämpft, und Deutschland war zu seinen Lebzeiten niemals in der Position des Angegriffenen, wie es die Ukraine heute ist.

            • @Budzylein:

              Geißler war genau das, als was ihn Willy Brandt mal bezeichnet hat. Vollkommen unverständlich, dass der Mann sich später als "elder Statesman" gerieren konnte.

          • @ke1ner:

            Also gut, was schlagen Sie im Hinblick auf den russischen Angriffskrieg für angemessen?

            Wie sieht der pazifische Plan aus?

            • @Jim Hawkins:

              "Wie sieht der pazifische Plan aus?"



              Tschuldigung, aber mir sträuben sich die Zehennägel beim Lesen.



              Pazifistisch. Bitte.

              • @Encantado:

                Verstehe ich.

                Die Autokorrektur war's.