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Neurowissenschaftlerin„Hirnprozesse führen dazu, dass wir entmenschlichen“

Leor Zmigrod hat ideologisches Denken untersucht. Sie erklärt, was Hirnscans zeigen, wie Dschihadisten ticken und warum Social Media extremes Denken befeuert.

„Hirnprozesse führen dazu, dass wir uns gegenseitig diskriminieren und rassistisch behandeln“: Neurowissenschaftlerin Leor Zmigrod Foto: Stuart Simpson/Suhrkamp Verlag
Jens Uthoff
Interview von Jens Uthoff

taz: Frau Zmigrod, Sie haben mithilfe von MRTs und Hirnscans ideologische Denkstrukturen im Gehirn untersucht. Wozu braucht es diesen neuen Ansatz?

Leor Zmigrod: Ich habe vor über zehn Jahren begonnen, mich damit zu beschäftigen, warum Menschen sich radikalisieren. Dabei fiel mir auf, dass sich die Analyse vor allem auf demografische Faktoren wie Alter und Geschlecht, Bildungsgrad oder sozioökonomischen Status konzentrierte. Warum aber sind von jenen Menschen, die unter ähnlichen Bedingungen leben, manche bereit, für eine Ideologie alles zu opfern – und andere nicht? Wir können das besser verstehen, wenn wir uns die Mechanismen des Gehirns anschauen, die bei ideologischem Denken wirken.

Im Interview: Leor Zmigrod

Die 29-Jährige forscht als Neurowissenschaftlerin an der Universität Cambridge. Sie gilt als Begründerin der politischen Neurobiologie.

Das Buch „Das ideologische Gehirn. Wie politische Überzeugungen wirklich entstehen“ von Leor Zmigrod ist bei Suhrkamp erschienen. Berlin 2025, 302 Seiten, 24 Euro

taz: Was haben Sie herausgefunden?

Zmigrod: Ich habe festgestellt, dass Menschen mit bestimmten Denkmustern und Gehirnmerkmalen von Ideologien angezogen werden – unabhängig von deren Art und Ausrichtung. Dabei hat mich die kognitive Rigidität interessiert. Kognitiv rigiden Personen fehlt die Fähigkeit, sich anzupassen und zwischen verschiedenen Denkweisen zu wechseln. Sie verharren in starren Denkmustern. Ich habe einen Test mit tausenden Teil­neh­me­r*in­nen durchgeführt: Pro­ban­d*in­nen müssen Karten nach einer bestimmten Regel sortieren, die sie durch Trial and Error schnell herausfinden – denn sie erhalten eine Belohnung bei der richtigen Anwendung. Also zum Beispiel, dass auf ein bestimmtes Symbol ein anderes Symbol folgt. Irgendwann im Spiel ändert sich die Regel, ohne dass die Teil­neh­me­r*in­nen davon wissen. Dieser Moment interessiert mich. Einige sind kognitiv flexibler und ändern ihr Verhalten schnell, andere wenden immer wieder die alte Regel an, obwohl die Belohnungen ausbleiben.

taz: Sie unterscheiden zwischen rigiden und flexiblen Denkstrukturen. Ist das ein Dualismus für Sie?

Zmigrod: Nein, das ist nichts Binäres, es gibt nicht auf der einen Seite die flexiblen und auf der anderen Seite die rigiden Menschen. Die Mehrheit der Menschen liegt irgendwo dazwischen.

taz: Noch mal einen Schritt zurück. Wie würden Sie Ideologie definieren?

Zmigrod: Wer ideologisch denkt, hält sich streng an moralische Regeln, an vorgegebene Denkweisen. Auch wenn Beweise vorliegen, die sein Weltbild ins Wanken bringen, wird er sich gegen diese ver­wehren. Verschwörungserzählungen sind ein prototypisches Beispiel für ideologisches Denken.

taz: Sie stützen sich auf Geis­tes­wis­sen­schaft­le­r*in­nen, verweisen auf die Kritische Theorie und Ador­nos und Else Frenkel-­Brunswiks „Studien zum autoritären Charakter“. Was kann die „politische Neurobiologie“ dem hinzufügen?

Zmigrod: Sie kann andere Wissenschaftszweige oder Methoden nicht ersetzen, aber sie kann etwas zur Diskussion beitragen. Sie kann eine Art Mikroskop sein, um zu sehen, was passiert, wenn das ideologische Denken im Gehirn übernommen hat.

„Extreme Linke und extreme Rechte weisen in puncto kognitive Rigidität Ähnlichkeiten auf“, sagt Zmigrod Foto: Wolfgang Maria Weber/fotofinder

taz: Entspricht denn der „rigide Charakter“, wie Sie ihn nennen, jenem „autoritären Charakter“?

Zmigrod: Die Methoden, die die Au­to­r*in­nen der Studie damals verwendeten, waren viel rudimentärer. Sie konzentrierten sich auf psychoanalytische Methoden, sie verwendeten Fragebögen, aber es waren immer die Menschen selbst, die Auskunft über ihre Persönlichkeit gaben. Das ist heute anders, wir können mit MRTs die Gehirnaktivität sichtbar machen. Damals konzentrierten sich die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen nach den Erfahrungen des Faschismus auf den rechten Autoritarismus. Das ist auch ein Unterschied zu unseren Untersuchungen: Die kognitive Rigidität, die wir beschreiben, ist anfällig für extremistische Ideologie jedweder Art, ob rechts oder links.

taz: Stützen Sie mit Ihren Erkenntnissen die Hufeisentheorie?

Zmigrod: Nein. Es geht uns gar nicht um die tatsächlichen politischen Bewegungen. Unser Fokus liegt auf der psychologischen Veranlagung der Person. In den Daten sehen wir, dass extreme Linke und extreme Rechte in puncto kognitive Rigidität Ähnlichkeiten aufweisen. Es gibt viele weitere Faktoren, die dazu führen können, dass jemand extrem links oder extrem rechts denkt.

taz: Dennoch könnte man Ihren Ansatz für deterministisch halten.

Zmigrod: Das ist er nicht. Bei biologischen Prozessen geht es nicht zwangsläufig um etwas (genetisch) Vorherbestimmtes. Was wir feststellen können, ist, dass es biologische und psychologische Marker gibt, die Menschen für Ideologien prädisponieren. Doch dabei handelt es sich immer noch um Potenziale und Wahrscheinlichkeiten, nicht um ein vorherbestimmtes Verhalten. Für mich steckt in unserem Ansatz sogar eher eine emanzipatorische Hoffnung: Tatsächlich zeigen viele Forschungen, dass man eine andere Wahl treffen kann, dass Hirnstrukturen veränderbar sind.

taz: „Das eigentliche Ziel der totalitären Ideologie ist nicht die Umformung der äußeren Bedingungen menschlicher Existenz (…), sondern die Transformation der menschlichen Natur selbst“, hat Hannah Arendt geschrieben – schließen Sie an diese Idee an?

Zmigrod: Ja. Ideologien verdrängen alte Denkweisen und ersetzen sie durch neue. Sie verändern unsere Kognition, unsere Reflexe, unsere biologische Natur. Vielleicht sogar bis zu einem Grad, den Arendt nicht geahnt hat.

taz: Inwiefern?

Zmigrod: Gelegentlich– wie in ihrer Analyse von Adolf Eichmann – hat Arendt argumentiert, dass „Gedankenlosigkeit“ und „Oberflächlichkeit“ Menschen dazu bringen, ideologische Verbrechen zu begehen. Ich denke, die neue Wissenschaft stellt diese Annahme infrage: Es gibt tiefgreifende und komplexe Veränderungen, die im Gehirn und Körper ideologischer Gläubiger stattfinden.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

taz: Wenn Medien über Anschläge berichten, wird oft gefragt, ob ideologisch motivierter Terror oder eine psychische Störung ursächlich war. Kommt in Wirklichkeit oft beides zusammen?

Zmigrod: Ja. Wenn eine Person sehr ideologisch, sehr radikal und extrem wird und bereit ist, anderen Menschen Schaden zuzufügen, haben sich in ihr viele psychologische Prozesse verändert oder verstärkt, die zu diesem Zustand geführt haben.

taz: Sie zitieren eine Studie, in der man die neuronalen Muster von Dschihadisten untersucht hat. Was hat man dabei herausgefunden?

Zmigrod: Diese Studie hat sich mit „heiligen Werten“ befasst, also Überzeugungen, für die Menschen bereit sind zu sterben. Man kann tatsächlich sehen, wie bestimmte Netzwerke im Gehirn aktiviert werden, wenn militante Menschen mit einer fundamentalistischen Ideologie über diese heiligen Werte nachdenken. In einem Experiment haben die For­sche­r*in­nen herausgefunden, dass diese Menschen noch mehr zu absoluten heiligen Werten neigten, wenn sie sich sozial ausgegrenzt fühlten.

taz: Trägt Einsamkeit also zur Radikalisierung bei?

Zmigrod: Ja, das kann sie. In einer interessanten Studie fanden Forscher heraus, dass Menschen, die in den USA wegen terroristischer Anschläge verurteilt wurden – aufgrund rechtsextremer, linksextremer oder religiös fundamentalistischer Ideologien –, fast immer im Jahr vor ihrer Tat einen persönlichen Zusammenbruch erlebt hatten, beispielsweise aufgrund von Zäsuren in sozialen, beruflichen oder familiären Beziehungen.

taz: Sie haben auch die Denkweisen von Menschen zu Ungleichheit untersucht.

Zmigrod: Ja. Wir hatten Menschen als Probanden, von denen eine Hälfte sagte, dass soziale Ungleichheit in der menschlichen Natur liegt und in Ordnung ist, und die andere, dass Ungleichheit nicht akzeptabel ist. Wir haben beiden Personengruppen ein Video gezeigt, in dem ein Obdachloser über die Schwierigkeiten und Härten seines Lebens sprach, über das Leid, das er jeden Tag durchmacht. Die erste Gruppe reagierte körperlich gar nicht, während sich bei der zweiten Gruppe der Körper veränderte, die Herzfrequenz stieg. Ideologie erreicht also sogar die unsichtbarsten physiologischen Reaktionen des Nervensystems.

taz: Sie vermessen Dopaminkonzentrationen im Gehirn oder die Aktivität der Amygdala: jene Struktur, die negative Emotionen wie Angst, Ärger, Ekel und Gefahr steuert. Wie können uns diese Erkenntnisse helfen?

Zmigrod: Die untersuchten Hirnprozesse führen dazu, dass wir uns gegenseitig entmenschlichen, diskriminieren und rassistisch behandeln. Wir wissen zudem, dass ideologische Führer diese Prozesse ausnutzen können. Menschen auf bestimmte Weise zu stressen – indem man zum Beispiel Ressourcenknappheit als großes Problem darstellt –, kann zum Beispiel ein wirksames und gefährliches Mittel sein, um Diskriminierungsmuster zu aktivieren.

taz: Nehmen wir ein konkretes Beispiel: die Weltbilder rechter männlicher Jugendlicher in Deutschland.

Zmigrod: Zu den wichtigsten Faktoren, die viele junge Männer zu extrem frauenfeindlichen und rechten Ideologien treiben, zählen heute die sozialen Medien. Die Algorithmen, die die sozialen Medien steuern, sind so beschaffen, dass sie möglichst binär und emotional negativ sind, um die Angst, den Ekel und die Bedrohungsgefühle anzusprechen, für die die Amygdala zuständig ist. Durch die politische Neurobiologie verstehen wir, inwiefern bestimmte Denkmuster anfällig dafür sind und wie umgekehrt Inhalt und Form von Social Media bestimmte Denkweisen weiter verstärken.

taz: Was folgt für Sie daraus?

Zmigrod: Wir müssen darüber nachdenken, ob wir das weiter zulassen wollen und wie wir die digitalen Medien verbessern können. Gleichzeitig sollten wir versuchen, die psychische Widerstandsfähigkeit zu stärken – nicht nur junger Menschen, sondern der Nut­ze­r*in­nen insgesamt.

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55 Kommentare

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  • „Hirnprozesse führen dazu, dass wir entmenschlichen“



    Linksideolgen haben das Glück, dass sie als Antidot zu ihrer kognitiven Rigidität Hilfe bei Tucholsky und Jesus von Nazareth finden... können. (Hoffentlich habe ich alles richtig verstanden.)



    „Küsst die Faschisten, wo Ihr sie trefft."



    www.deutschelyrik....-weg-gestreut.html

  • Ein interessantes Interview Taz.



    Eine Verlinkung zu den entsprechenden Studien wäre noch toll gewesen :)

  • Ich für meinen Teil bleibe skeptisch - man kann diese neueren neurologischen Forschungen über die menschliche Anfälligkeit für extreme Ideologien natürlich den „alten“ Theorien etwa zur autoritären Persönlichkeit „hinzufügen“ - und wir sind immer noch am Anfang unseres Erkenntnisprozesses.



    Besonders misstrauisch war ich v.a. bei der Schilderung des Experiments, zwei Probandengruppen mit der harten Lebensrealität eines Obdachlosen zu konfrontieren. Wieso soll jetzt die Gruppe, die hier neuronal und körperlich stärker reagierte, die sein, die ansprechbarer für extreme Ideologien ist und nicht diejenige, die emotional unbeteiligter blieb?



    Bisher dachte ich immer, besonders FDP-Anhänger wären besonders anfällig für die neoliberale Ideologie.😉

  • Vorweg: Aus persönlicher (durchaus leidgeprüfter) Erfahrung habe ich meine Vorbehalte gegen Religion/ Morallehre, Psychologie/Psychiatrie/Neurobiologie, mindestens teilweise auch gegenüber der Rechtskunde - da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.



    Aktuelles Beispiel (für mich): Ist das Völkerrecht in ideologischer (!) Perspektive am Ende bloß ein willfähriger Popanz - von allen beliebig zu verwenden oder zu missbrauchen -



    juristisch, moralisch, psychologisch?



    Oder zum Beispiel: ein iranischer Außenminister (so habe ich gelesen), der sich nun zu den seiner Meinung nach "freundlichen" (oder mitfühlenden, empathischen?) Russen begibt... Sein leicht gequältes Lächeln sieht dabei (auf den ersten Blick, für mich) geradezu menschen"freundlich" aus.



    Was uns allein vom "wilden" Tier unterscheidet, ist die Fähigkeit, uns zu verstellen, Masken zu tragen. Soweit ich sehe, hat es noch keine Wissenschaft geschafft, dahinter zu blicken. Also bleibe ich für meinen Teil lieber skeptisch-ungläubig.

    • @Auweiowei:

      Was hat das jetzt mit dem Interview zu tun?

  • Danke für dieses Top Interview 👍



    Mega interessantes und aufschlussreiches Gespräch.

    • @Alex_der_Wunderer:

      Da gebe ich Ihnen uneingeschränkt recht. Die Frau bringt es genau auf den Punkt, der mir rein intuitiv immer schon als der eigentliche Knackpunkt erschien.

  • Ich habe das Interview mit Interesse gelesen, jedoch nichts zum Komplex Neurophysiologie entdeckt, was so oder so ähnlich in anderen Zusammenhängen schon mal dargelegt wurde.



    Aus Gehirnstrukturen/-aktivitäten nichtkategoriale Inhalte zu erschließen, halte ich für bestenfalls spekulativ. In diesem Zusammenhang sowohl beruhigend als auch nicht nachweisbar: Die politische Neurobiologie “kann andere Wissenschaftszweige oder Methoden nicht ersetzen, aber sie ... kann eine Art Mikroskop sein, um zu sehen, was passiert, wenn das ideologische Denken im Gehirn übernommen hat."



    Interessant diese Aussage: "Ideologien verdrängen alte Denkweisen und ersetzen sie durch neue. Sie verändern unsere Kognition, unsere Reflexe, unsere biologische Natur." Hier hätte der Interviewer dezidiert nachfragen müssen. Stattdessen versucht er, Aussagen per Fragen in eine bestimmte Richtung zu manipulieren: "Nehmen wir ein konkretes Beispiel: die Weltbilder rechter männlicher Jugendlicher in Deutschland." Warum nehmen wir nicht als "konkretes Beispiel" die "Weltbilder woker feministischer Aktivistinnen in Deutschland?"



    Auch wenn "politische Neurobiologie" eine große Versuchung ist: Bitte kritischer nachfragen.

    • @Vigoleis:

      "Warum nehmen wir nicht als "konkretes Beispiel" die "Weltbilder woker feministischer Aktivistinnen in Deutschland?""



      Weil die keine CSD angreifen, Leute auf Grund ihres Aussehens verprügeln bis zum Totschlagen usw. usf. .



      (Falls des irgendwie lustig/provakant/wasweißich sein sollte, isses ned; *gähn*; und feministischer Aktivismus ist ein blühender Strauß ggü. menschenverachtender Gülle.)

      • @Hugo:

        Oder man schaut einfach einmal auf die Ideologen, die vehement der Ideologie des Neoliberalismus folge leisten. Ob nun in der Industrie, Wirtschaft oder halt in der Politik. Hat auch etwas von menschenverachtender Gülle...

  • Eine typische Gaga-Theorie? Man definiert sich seine Kategorien und blinden Flecke so, dass sie zu den Befunden passen, aber kein kausaler Zusammenhang mehr nachweisbar ist. So lässt Ideologie dann das Denken zugleich erstarren und macht es zugleich flexibel? Und was ist eigentlich mit der Ideologie einer „normalen Mitte“? Ist die jetzt der Fels in der Brandung oder der weiche Wachs in den Händen der „bösen Ideologen“?

    „Wer ideologisch denkt, hält sich streng an moralische Regeln, an vorgegebene Denkweisen. Auch wenn Beweise vorliegen, die sein Weltbild ins Wanken bringen, wird er sich gegen diese ver­wehren.“

    „Ideologien verdrängen alte Denkweisen und ersetzen sie durch neue. Sie verändern unsere Kognition, unsere Reflexe, unsere biologische Natur.“

    Eine Ideologie ist einfach eine Weltanschauung und jedeR hat ihre/seine Art auf die Welt zu schauen, egal wie viele Versatzstücke von religiösen, politischen, wissenschaftlichen usw. Anschauungen darin verbaut werden.

    Der beschriebene Test ist übrigens wenig aussagekräftig, da ProbandInnen die Aufgabe auch so verstehen könnten, an eine einmal erkannte Regel festhalten zu müssen.

    • @DemokratischeZelleEins:

      Nein, das ist keine wissenschaftlich anerkannte Definition von Ideologie. Nach marxistischer Theorie ist Ideologie ein interesseleiteter Überbau, den die Betroffenen nicht als irrational erkennen, weil er ihren unbewussten Interessen entspricht. Nach der davon beeinflussten, heute gängigeren politikwissenschaftlichen Lesart ist Ideologie eine Weltanschauung, die der Rechtfertigung des eigenen Denkens oder Handelns dient und andere Sichtweisen aktiv ausblendet oder verteufelt. Nach Meinungen der Marxismuskritik ist Ideologie eine festgezurrte, dogmatisch vertretene Denkweise im Sinne einer quasireligiösen Glaubenslehre, die keinen Widerspruch toleriert. Alles dies ist mit dem Ideologiebegriff dieser Studie vereinbar.



      "Ideologie" einfach als gleichbedeutend mit Meinungen oder Ansichten ganz allgemein zu verstehen, die sowieso jeder hat, ist simplifizierend und populär gedacht, trifft es aber nicht. Es kommt darauf an, ob die Meinungen oder Ansichten, die natürlich jeder hat, ideologisch sind oder nicht. Genau das untersucht Zmigrod.

    • @DemokratischeZelleEins:

      Aber nicht jeder wird zum Selbstmordattentäter für Allah oder vergast 6 Millionen Juden oder prügelt Transmenschen zu Tode.

    • @DemokratischeZelleEins:

      Wie ich Frau Zmigrod verstanden habe, gibt es keine Ideologie der Mitte, weil dort die Sphäre des " sowohl als auch " ist.

      Leute mit rigider Moral werden von den Rändern angezogen.

      Es geht ihr um das Individuum und dessen psychische Veranlagung.

      Ob die Mitte nun Wachs in den Händen von Ideologen ist, wird sie Ihnen nicht beantworten.

      Da müssten Sie sich wohl an Soziologen wenden.

      Eventuell haben die Probandinnen die Aufgabe erklärt bekommen. Dann wäre das Ergebnis besonders bezeichnend. Aber sie haben recht, das wird nicht erläutert.

  • Betrachtet ich diese Herangehensweise aus der Perspektive der Einordnung der polotischen Psychologie der sogenannten gesellschaftlichen Mitte, ergibt sich eine Frage. Wie könnten die Befunde, auf die Frau Zmigrod ihre Interpretationen gründet, auf die Deutung der historischen Entwicklung der Klimaänderungsdebatte angewendet werden?



    Wo wären diejenigen rigiden Extremisten zu suchen, die - wie wissenschaftlich nachgewiesen - in Kenntnis der in der erhitzten Zukunft zu erwartenden Verhältnisse deren Vertuschung und Leugnung Jahrzehnte lang gezielt betrieben haben? Gab es dabei ein Zusammenspiel mit einer angepassten gesellschaftlichen Mitte des "gesunden Menschenverstandes" ;-) ? Sind die Extremisten der Verharnlosung womöglich dort beheimatet?

    • @humusaufbau:

      Eben. Die ständige Beschwörung der Mitte als angeblichen Massstab der Vernunft hat AUCH ideologische Züge. Wo war denn die biedermeierliche Mitte im Nationalsozialismus? Nichts gewusst, nichts gedacht, Hauptsache uns gehts gut. Die Verteufelung von "Extremisten" blendet ja gern Ursache und Wirkung aus. Die "Klimaextremisten" gäbe es nicht, wenn nicht der Großteil der Bevölkerung im Anbetracht der Klimakatastrophe den Kopf in den Sand stecken würde und stur auf "weiter so" / "nach mir die Sintflut" beharrt.

  • Höchst spannend.

    "Wer ideologisch denkt, hält sich streng an moralische Regeln, an vorgegebene Denkweisen."

    Könnte es dann sein, dass eine moralistische Gesellschaft, wie wir sie gerade haben, das ideologische Denken fördert?

    "... diese Menschen noch mehr zu absoluten heiligen Werten neigten, wenn sie sich sozial ausgegrenzt fühlten."

    Ist ein deutliches Ja auf die Frage, ob man mit Rechten und Rechtsextremisten reden sollte.

    Nicht auf Parteienebene, aber auf menschlicher Ebene.

    Natürlich auch mit Islamisten und Linksextremisten.

    • @rero:

      "Könnte es dann sein, dass ..."



      Natürlich.

    • @rero:

      Das schließen streng moralische Regeln der anderen Seite wieder aus. Was auch wieder interessant ist und das Auseinanderfallen von Gesellschaften mit erklären könnte.

    • @rero:

      Reden ist immer gut - aber sicherlich haben auch Sie schon, gerade bei Interviews mit Politikern, die immer gleichen, abgesonderten " Dauerschleifartigen " Antworten auf Fragen zu politischen Inhalten wahrgenommen...

      • @Alex_der_Wunderer:

        Sicher.

        Ich hatte hier die Berufspolitiker nicht im Blick.

        Eher den Verschwörungstheoretiker von nebenan.

        Man muss auch nicht die Verschwörung ansprechen.

        Normale mitmenschliche Gespräche würden es wohl tun, wie ich die Wissenschaftlerin verstehe.

  • Der Ideologiebegriff in diesem Interview ist äußerst problematisch. und sogar politisch riskant. Zmigrod verwendet „Ideologie“ primär im Sinne eines rigiden, moralisch absoluten Denkens – als wäre Ideologie vor allem ein psychologischer Defekt. Damit ignoriert sie völlig den ideologiekritischen Begriff, wie er etwa bei Marx, Adorno (den sie ja anscheinend gelesen hat) oder Gramsci entwickelt wurde: Ideologie ist dort kein individuelles Problem, sondern ein gesellschaftlich wirksames Verhältnis, das Machtstrukturen verschleiert. Sie ist nicht nur am Rand zu finden, sondern durchzieht die ganze Gesellschaft. Auch die „Mitte“ ist nicht ideologiefrei.

    Noch problematischer wird es, wenn Zmigrod linke und rechte Ideologien psychologisch gleichsetzt. Auch wenn sie betont, keine Hufeisentheorie zu vertreten, läuft ihre Argumentation genau darauf hinaus: Radikale Kapitalismuskritik und rassistische Weltbilder werden nur nach „kognitiver Rigidität“ bewertet. Ihre inhaltlichen Unterschiede spielen keine Rolle. Damit verwischt sie den Unterschied zwischen autoritärem und emanzipatorischem Denken. Das ist nicht nur wissenschaftlich fragwürdig, sondern auch politisch riskant

    • @Jan B:

      " Auch wenn sie betont, keine Hufeisentheorie zu vertreten, läuft ihre Argumentation genau darauf hinaus: Radikale Kapitalismuskritik und rassistische Weltbilder werden nur nach „kognitiver Rigidität“ bewertet. Ihre inhaltlichen Unterschiede spielen keine Rolle. Damit verwischt sie den Unterschied zwischen autoritärem und emanzipatorischem Denken. Das ist nicht nur wissenschaftlich fragwürdig, sondern auch politisch riskant" Die Studie läuft darauf hinaus dass es auf neurobiologischer Ebene dort Ähnlichkeiten bzw Übereinstimmung gibt und ja sehr dogmatische Menschen denken ähnlich, der Verweis auf den unterschiedlichen Gehalt mancher Ideologien oder Gesellschaftscharakter ändert nichts daran dass es Ähnlichkeiten bei den Individuen in bestimmten Denken und Informationsverarbeitungen gibt und im Extremfall auch im Handeln.

      Wie aus der Ideologiekritik der kritischen Schule abzuleiten ist , dass autoritäre/ rigide Denkarten nicht nur bei Rechten zu finden sind und genau das stützen die Ergebnisse der Studien.

      Der bloße Verweis auf die Gesellschaft erklärt eben nicht warum verschiedene Individuen unterschiedlich Handeln.



      Zumal wodurch entsteht den Gesellschaft ?

    • @Jan B:

      Naja, mal abgesehen davon, dass die Frage, was man für gut & richtig bzw. böse & falsch (bzw. in Ihrem Sprachgebrauch: "autoritärem und emanzipatorischem Denken") hält, ausschließlich auf persönlichen Werturteilen beruht und auch Ihr eigener Ideologiebegriff einseitig einer bestimmten Tradition folgt: Zmigrod setzt nicht Ideologien gleich, sondern sagt, dass ihre jeweiligen Vertreter sehr ähnlich ticken. Und Unduldsamkeit bis hin zur offenen Aggressivität gegenüber Andersdenkenden ist nun mal auch linksaußen zu finden, und zwar nicht zu knapp. Ansonsten gebe ich Ihnen recht: Auch wenn die Zmigrod das verneint, die strukturellen Gemeinsamkeiten stützen durchaus die Totalitarismustheorie.



      Ansonsten sind die Erkenntisse - zumindest auf der persönlichen Erfahrungsebene - ja nicht wirklich überraschend. Prominente Beispiele sind hierzulande Leute wie Horst Mahler oder Jürgen Elsässer, die problemlos von ganz links nach ganz rechts switchen konnten.

      • @Schalamow:

        Die unterschiedlichen Bedeutungen und Wertungen von "autoritär" und "emanzipatorisch" beruht nicht "ausschließlich auf persönlichen Werturteilen", sondern auf der kulturellen, philosophischen und politischen Geschichte "des Westens" (grober Näherungsbegriff). Auf persönliche Urteile zu verweisen ist Diskurszerstörung.

      • @Schalamow:

        Mahler, Elsässer … ich könnte z.B. noch Mussolini hinzufügen. Haben Sie auch Beispiele, dass das in umgekehrter Richtung auch funktioniert? (Nein, ich meine das nicht ironisch.)



        Aber vielleicht sind rechte Ideologien doch irgendwie die „vollendeteren“ autoritären Ideologien?

      • @Schalamow:

        Stimmt, ich habe einen Ideologiebegriff beschrieben, der einer bestimmten Tradition folgt. Und Zmigrod stützt sich wohl auch auf Theoretiker aus genau jener Tadition, benutzt aber dann einen vollkommen anderen Ideologiebegriff, als diese Theoretiker. Das erscheint mir nicht kohärent, insbesondere weil das Konzept "Ideologie" zentral in der kritischen Theorie ist. Und für mich schwingt bei einer Verengung des Ideologiebegriffs auf die politischen Ränder auch immer die Implikation mit, es gäbe so etwas wie eine ideologiefreie politische Mitte. Diese Annahme halte ich für gefährlich.

        Dass Vertreter der beiden Theorien gleichgesetzt werden, halte ich ja gerade für das Problem. Hass auf ein System ist doch etwas ganz anderes, als Hass auf Menschen. Und nein, Unduldsamkeit bis hin zur offenen Aggressivität gegenüber Anderen ist nicht einfach "auch" linksaußen zu finden. Genau das ist ja das Problem dieser Hufeisenrhetorik. Es gab im Jahr 2024 über sechs mal mehr Straftaten aus dem rechtsextremistischen Spektum, als aus dem linksextremistischen. Da ist jedes "auch" ohne Kontextualisierung entweder eine Relativierung der Gewalt aus dem Rechtsextremismus.

  • "Sie zitieren eine Studie, in der man die neuronalen Muster von Dschihadisten untersucht hat. Was hat man dabei herausgefunden?"

    Sie gleichen Trumps 'inner circle' wie ein Ei dem anderen?

  • "Wir haben beiden Personengruppen ein Video gezeigt, in dem ein Obdachloser über die Schwierigkeiten und Härten seines Lebens sprach, über das Leid, das er jeden Tag durchmacht. Die erste Gruppe reagierte körperlich gar nicht, während sich bei der zweiten Gruppe der Körper veränderte, die Herzfrequenz stieg. Ideologie erreicht also sogar die unsichtbarsten physiologischen Reaktionen des Nervensystems."

    Wieso soll ausgerechnet die Ideologie dafür verantwortlich sein, ob Menschen mitfühlend auf Leid reagieren oder nicht? Das kann ebenso genetische Veranlagung sein (siehe "Der Soziopath von Nebenan", von Stout) oder religiöse Prägung z.B. bei Buddhisten. Mitgefühl ist aber grundsätzlich sehr unterschiedlich ausgeprägt in der Bevölkerung. Das kann genetische, kulturelle und sonstige Ursachen haben. Weshalb sollte es ausgerechnet die Ideologie sein?

    • @Sabine Dettmann:

      Ideologie ist immer Kultur.

      Gerade Religion mit ihrer Transzendenz für für Frau Zmigrod unter Ideologie laufen.

      Auch der Buddhismus.

      Es ist ja nicht so, dass es in buddhistisch geprägten Staaten keine Bürgerkriege gäbe.

      Frau Zmogrod geht es um die psychologische Veranlagung.

      Es ist wohl ein Wechselspiel.

      Einen monokausalen Erklärungsansatz lese ich bei ihr nicht raus.

  • Super und teils neue Ergebnisse! Wäre interessant auszuwerten, inwieweit Erziehung und Leben in der DDR (unzulässig verkürzt: in der gehorchenden Gruppe geht es mir gut) sich signifikant korrelieren lassen im Vergleich. Nicht um die Betroffenen zu baschen, sondern um Wege zum Zusammenkomen zu finden...

  • Dieser Versuchsaufbau mit dem Kartenspiel ist totaler Humbug, der versucht, ne sehr simple Analogie zwischen autoritären Denkmustern und geistiger Inflexibilität herzustellen. Unfug weil gerade fundamentalistische Gruppen und Terroristen oft die ersten sind, die neue Technologien für ihre Zwecke nutzen. Tik tok propaganda, Crypto coin Finanzströme, botfarm - Manipulation, cyber Angriffe auf westliche Einrichtungen ... Fundamentalisten sind der Normalbevölkerung oft sehr weit voraus, wenn es darum geht "neu entstandene Spielregeln" durch die Digitalisierung zu identifizieren und für sich zu nutzen.

    • @Schwabinger :

      Das hat ja nichts damit zu tun, wie sie die Informationen verarbeiten und ob sie z.B bei der Deutung von Ereignissen rigide in ihren Mustern bleiben.

      Zudem folgt aus der Studie nicht dass jeder Extremist diese Hirnstrukturen und Informationsverarbeitung hat sondern nur dass diese neuronale Verarbeitung in dieser Gruppe der Gesellschaft eben häufig anzutreffen ist.

    • @Schwabinger :

      Der Kartenversuch dient doch nur zur Verdeutlichung.

      Wichtig ist halt die Gefahren und deren Ursächlichkeiten zu erkennen, um dem zukünftig entgegenzuwirken zu können.

  • Sehr interessanter Artikel. Vielleicht kann die Gesellschaft ja mithilfe solcher Forschung eines Tages gewaltbereite Extremisten zu besseren Menschen machen

    • @Derphil:

      Wie in Clockwork Orange?

  • Mir scheint das - sehr zeitgeistig - von hinten aufgezäumt, also vom Neurologischen aufs Gesellschaftliche gedacht Jeder psychologische Zustand hat eine neurologische Form (Botenstoffkonzentrationen, Aktivitätsmuster von Hirnregionen usw.). Gerade die Entwicklung des Gehirns ist komplex und biographisch, also mit langer Zeitdimension. Dem kommt man mit Kartentests zum Zeitpunkt X nicht auf die Spur, bildgebende Verfahren hin oder her. Auf der Ebene neuronaler Vernetzung (ein von großer Plastizität geprägter Prozess) folgt die Biologie der Biographie (die wiederum gesellschaftlich ist).



    Dennoch: zum Ende wird es spannend: "digitale Medien" als wichtiger Faktor in der Hervorbringung einer neuronalen Struktur, die disruptive Einstellungen begünstigt.

  • Ok (langes OK), aber gehen wir es doch auch noch mal mit unserem normalen Alltagsverstand an und denken rückwärts. Wo kommen wir her? Wie war das, als wir noch nomadisierten? Frisch vom Baum herunter oder in der Steinzeit? Wie lebten wir da und wovon? Wie war das, als wir plötzlich auf andere Menschengruppen stießen? Freundschaftlich, euphorisch? Oder eher vorsichtig, abwartend, trennend? Wann hat sich dieses DIE und WIR entwickelt? Wie lange ging das? Ist diese Trennung von DIE und WIR nicht die Grundlage auch aller heutiger Probleme zwischen Menschen? Und wenn das so ist, wie können wir das überwinden?

  • "Wer ideologisch denkt, hält sich streng an moralische Regeln, an vorgegebene Denkweisen. Auch wenn Beweise vorliegen, die sein Weltbild ins Wanken bringen, wird er sich gegen diese ver­wehren."

    Diesen Satz finde ich zumindest unsauber, wenn nicht bedenklich. Moralisch ist nicht gleich ideologisch. Einen moralischen Kompass zu haben, finde ich gut und richtig - und vermisse ihn bei vielen Leuten leider allzu oft.

    Ideologie heißt tatsächlich, auch auf Mustern zu beharren, obwohl die Realität sich inzwischen geändert hat (oder nie so war). Z.B. "wir müssen Kernkraftwerke bauen weil die so toll sind" und dann noch daran festzuhalten nachdem man festgestellt hat, dass sie eben doch nicht so toll sind. Das ist Ideologie. Sie betrifft Fakten.

    Moralisch ist z.B. jemandem in Not zu helfen. Und an dieser Einstellung wird die Realität nichts ändern. Das sind keine Fakten, sondern eine Meinung/Einstellung.

    • @Jalella:

      So ist es. Auch Biowissenschaften brauchen saubere Begriffe zur Unterscheidung etwa zwischen "Regel" und "Moral".

      Solche Unsauberkeiten finden sich in der Politik natürlich auch und kommen vielleicht bei der Autorin just aus dieser Sphäre.

      Man denke etwa an den Begriff "regelbasierte Weltordnung", welcher bei Lichte besehen gar kein moralischer Begriff ist, sonst würde es ja eher "menschenrechtliche und völkerrechtliche Weltordnung" heißen.

      Ideologien schleichen sich vor allem auch dort ein, wo begriffliche Differenzierungen fehlen, das gilt auch für die geschilderten Forschungen und ihre Interpretationen.

  • Die Anfälligkeit für rigide Persönlichkeitsstruktur und weitere Probleme liegt zu einem großen Teil auch an der Situation, der ein Kind von Anfang des Lebens an ausgesetzt war oder ist.



    Weiterhin muss bezweifelt werden, dass die rigide Person selbst moralische Regeln konsequent einhält. Das wird in aller Regel eher von Anderen verlangt. Besonders im religiösen Bereich.

    • @aujau:

      Wenn Sie selbst bereit sind, für eine Ideologie zu sterben ( z. B. die Dschihadisten), dann halten sie die auch selbst rigide ein.

      Für nichtrigide Personen kann es aber auch von Vorteil sein, Moral einzufordern und sich in ein ideologisches System einzugliedern.

      • @rero:

        Moral ist ein wichtiger Regelfaktor für das Zusammenleben. Sie muss aber auch durch Menschen eingehalten werden können. Dies ist bei den Regeln so mancher Religion nicht möglich. Das erzeugt Angst, Doppelmoral und Ausbrüche des Einzelnen. Daher halten auch so manche rigide Personen diese Regeln nicht immer ein, ich glaube das nicht. Dass sie für ihre Ideologie sterben würden, ist noch mal was Anderes.

  • taz: Sie stützen sich auf Geis­tes­wis­sen­schaft­le­r*in­nen, verweisen auf die Kritische Theorie und Ador­nos und Else Frenkel-­Brunswiks „Studien zum autoritären Charakter“. Was kann die „politische Neurobiologie“ dem hinzufügen?....



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    Na ja, in der Medizin/Biologie "Antworten auf Denkstrukturen" zu suchen hat sich schon öfter als Sackgasse entpuppt! :-(



    Vergleiche dazu "Erkenntnisse" aus den 1930, 1950ger Jahren. Auch da wurde versucht, mit "Hirn-Op's", Elektroschock, usw. auf "das Denken" Einfluss zu nehmen. Wird heute als "Verwirrung eines Fachbereiches der Humanwissenschaften" gelabelt! :-(

  • Wenn es messbare körperliche Veränderungen durch Anwendung bestimmter Propagandatechniken gibt, können diese Techniken dann als vorsätzliche Körperverletzung beurteilt werden?

  • Es mag vielleicht dem Confirmation Bias entspringen, aber vielen Dank für diesen Artikel. Dieser bekommt einen Platz in meinen Favoriten.

    Besonders gefällt mir die Differenzierung zwischen Politik und Person und die Betonung das auch Linksextreme Personen nicht verschont bleiben.

    Leider nur zu oft höre oder lese ich von Personen, die durch ihr Wertebild es besser wissen müssten, dann aber doch erschreckend dysfunktionale Gedanken haben. Gedanken, die wie auswendig gelernt scheinen, frei von eigener Anstrengung oder Vernunft.

  • „Stützen Sie mit Ihren Erkenntnissen die Hufeisentheorie?“ Zuviel der Ehre, die korrelieren steinalte Psychotests (Wisconsin Card Sorting Test) mit irgendwelchen Fragebögen. Solche Korrelationen sind nie Null, da könnte man auch das Körpergewicht nehmen. Wenn die Stichprobe groß genug ist (oder, ebenfalls Gang und Gäbe, wenn man viel testet und Zufallsbefunde herausfordert), wird es dann auch signifikant.

    Schlussfolgerung des teuren Spaßes: It happens in the brain. Wo ist die Erkenntnis, die Erklärung, die Lösung des Problems? Aber großes Hallo beim Wiedersehen auf dem Allgemeinplatz, wo sich die versammeln, die die Resilienz stärken wollen.

    • @derzwerg:

      Leider stimme ich ihnen vollkommen zu.



      Erinnert mich an das Experiment in dem Neuro-WIssenschaftler (oder Journalisten die es in eine Schlagzeile verwandelten) Das Ende der Willensfreiheit erklärten, weil in einem Test 5 Sekunden vor drücken eines Knopfes durch Probanden, dieses in der Hirntätigkeit jener vorher gesehen werden konnten.

    • @derzwerg:

      Wenn das Interview weitergelesen worden wäre, wäre aufgefallen, daß Leor Zmigrod und ihre Mitarbeiter*innen eben MRT zur Analyse nutzen und ned "nur" Fragebögen.

  • Danke für das hervorragende Interview. Ich hoffe, dass es möglichst viel gelesen und verstanden wird!

    • @Ringsle:

      Das Interview bringt aber nicht viel mehr, als vom Suhrkamp Verlag quasi als Klappentext veröffentlicht.



      Prinzipiell interessant, aber Konkretes fehlt, auch konkrete, kritische Nachfragen. Kann man wirklich Positionen anhand von Hirnscans erkennen? Kann man die flächendeckend einsetzen? Und möchte man das?



      Das im Hirn die Persönlichkeit abgespeichert ist, ist nun nicht so neu.

  • Im Endeffekt bedeutet es also immer, auf den Stimulus Eingriff zu nehmen...



    Interessant ist doch auch die Frage, warum es erst soweit kommen muss und unsere Gesellschaft anscheinend keine ausreichenden selbstregulierenden Stimulanzen bietet.



    Ein äusserst komplexes und soziologisches Spannungsfeld, zu kurz gefasst also der Eingriff auf die sozialen Medien.

    • @Stefan Schmitt:

      Vielleicht kann ich eine steile These dazu besteuern: Dass es in der sogenannten Politik noch befeuert wird (Rassismus, Angst als Wahlkampfmittel etc.), anstatt dass Empathie, Wissen usw. gegen alle Polemik verteidigt werden, könnte daran liegen, dass man eine politische Karriere in Berlin eher nicht macht, wenn man nachdenklich, empathisch und ein echter Teamplayer ist und Einigung, Kompromiss und Verständnis sucht. Das alles sind sogar eher hinderliche Eigenschaften. Entprechend wird das Bewusstsein und das Reden dieser Leute jeweils sein.

      • @T 1000:

        Abwesenheit von Empahtie generell ist vermutlich eher kontraproduktiv, denn ein gewisses Maß ,mindestens an kognitiver Empahtie, ist von Nöten damit effektiv manipuliert werden kann. Diese korreliert in übrigen auch mit den kognitiven Fähigkeiten einer Person.

        Ob emotionale Empahtie komplett abwesend ist würde ich auch bezweifeln, Privat können die entsprechenden Personen durchaus empahtisch sein das heißt aber nicht dass sie z.B auf politischer Bühne davon ihr Handeln bestimmen lassen.

        Mangelnde Empahtie wird nicht jede Perosn dort besitzen und empahtisch zu sein bedeutet nunmal nicht dass mensch sich so verhandelt, wie wir das gerne hätten.

  • Danke, für diesen sehr interessanten Beitrag!