Nationalpark Ostsee vor dem Aus: Widerstand in den eigenen Reihen
Der Nationalpark Ostsee ist das Herzensprojekt von Schleswig-Holsteins grünem Umweltminister. Doch die CDU will nicht mehr mitziehen.
Es geht um den Ostsee-Nationalpark, Goldschmidts Wunschprojekt für diese Wahlperiode, das es in den Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün schaffte. Ergebnisoffen sollte geprüft werden, ob ein Nationalpark das passende Instrument zum Schutz des Binnenmeers ist. Doch nun ist klar: Ergebnisoffen ist hier gar nichts mehr.
Der Koalitionspartner CDU hat sich parteiintern von dem Projekt verabschiedet. Auf seinem Landesparteitag am 5. Oktober soll das Aus endgültig besiegelt werden. Beschlossen werden soll stattdessen ein Sechspunkteplan, um die Ostsee besser zu schützen. Die CDU will unter anderem auf ein freiwilliges Aktionsbündnis setzen, um die Interessen aller – von Seebestattern und Bootsverleihern über die Bundeswehr und Hafenwirtschaft bis zur Fischerei – unter einen Hut zu kriegen.
Außerdem sollen freiwillige Vereinbarungen weiterentwickelt und die Munitionsaltlasten aus dem Binnenmeer geborgen werden. Gemeint ist die Kriegsmunition, die tonnenweise auf dem Grund der Ostsee liegt und durch langsame Zersetzung eine große Gefahr für Tiere und Pflanzen birgt. Hier sieht die CDU nun vor allem den Bund in der Pflicht. Ein Nationalpark sei keine geeignete Lösung, um den Herausforderungen des Ostseeschutzes zu begegnen, heißt es in dem fünfseitigen Antrag, der der taz vorliegt.
Neben den CDU-Kreisverbänden Ostholstein, Rendsburg-Eckernförde, Flensburg und Schleswig-Flensburg gehört zu den Antragstellern auch der Landesvorstand – der Antrag dürfte also die Zustimmung von Landesparteichef und Ministerpräsident Daniel Günther finden und mit deutlicher Mehrheit angenommen werden. Die Grünen wären in der Koalition überstimmt, der Nationalpark wäre vom Tisch.
Die Ostsee ist schwer krank
Die Situation hat allerdings nichts mit einem Wünsch-dir-was zu tun: Auch wenn die Ostsee an Tagen mit blauem Himmel, Möwengeschrei und sanftem Wellenschlag wie ein Bilderbuchgewässer aussieht: Sie ist schwer krank.
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Rund 400.000 Quadratkilometer umfasst das Binnenmeer, an das Deutschland, Polen, die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland sowie Russland und die skandinavischen Länder Finnland, Schweden und Dänemark angrenzen. Traditionell ist das Meer für sie alle Handels- und Reiseroute. Allein in der Kieler Förde zählt die Statistik des Wasser- und Schifffahrtsamts (WSA) mehr als 36.000 Schiffsbewegungen pro Jahr, davon 915 Schiffe, die länger als 230 Meter sind.
Fast ebenso viele Schiffe kreuzen den schmalen Fehmarnbelt. Den Nord-Ostsee-Kanal, der sich mit dem Titel der meistbefahrenen künstlichen Wasserstraße der Welt schmückt, passieren pro Jahr rund 27.000 Schiffe: Frachter, Kreuzfahrtschiffe, Fischkutter und Segelboote. Dabei ist die Ostsee, deren mittlere Tiefe nur 52 Meter beträgt, ein hochsensibles Gewässer, das nur durch wenige schmale Zugänge mit den Weltmeeren verbunden ist.
In dem gering salzhaltigen Brackwasser nahe den Küsten haben die Ostseeheringe ihre Laichplätze, auch zahlreiche andere Tier- und Pflanzenarten haben sich an die Verhältnisse angepasst. Aber jahrelange Überfischung hat die Bestände reduziert, die Klimaerwärmung macht sich bemerkbar. Es gibt bereits große sogenannte Todeszonen in dem Binnenmeer, in denen der Sauerstoff nicht mehr für das gewohnte Tier- und Pflanzenwachstum ausreicht.
Der Nabu in der Hochburg der Gegner
„Die Ostsee ist ein ebenso wertvoller wie fragiler Lebensraum“, heißt es im Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Landesregierung. „Entsprechend internationalen Schutzabkommen, dem Green Deal der EU und der Biodiversitätsstrategie des Landes ist es unser Ziel, den Meeresschutz in der schleswig-holsteinischen Ostsee zu verbessern.“
Aber wie? Dass das Meer besseren Schutz braucht, darin stimmen die meisten Beteiligten überein. Doch gegen Goldschmidts Idee gab es von Anfang an heftigen Widerstand. Eines seiner Zentren ist die Insel Fehmarn.
Im August machte der Nabu auf seiner mehrtägigen „Nabu macht Meer“-Tour mit dem Traditionssegler „Ryvar“ auf Fehmarn fest. „Wir sind hier in der Hochburg der Gegner“, sagte Ingo Ludwichowski, Geschäftsführer des Nabu Schleswig-Holstein. Er ist für den Nationalpark, weil trotz der bestehenden Schutzgebiete einfach zu wenig passiert sei.Es fehle auch an Ressourcen und Personal. Darum müsse sich was ändern.
Die Nabu-Leute bauten im Hafen Burgstaaken einen Infostand auf, organisierten eine Podiumsdiskussion, Thema: Munitionsaltlasten im Meer. Die üblichen Beschimpfungen wie „Klimakleber“ und „grüne Terroristen“ habe es gegeben, sagt Ludwichowski, aber es sei insgesamt sehr konstruktiv gewesen.
Das Thema der Stunde
Tatsächlich muss man nicht lange nach Gegner*innen des Nationalparks suchen. Kaum trifft man mit Leuten von der Insel zusammen, sei es beim Essen nach der freitäglichen Segelregatta, sei es beim Besuch im Hafen Burgstaaken, ploppt das Thema auf. Die allermeisten leben hier vom Tourismus: Camping, Gastronomie, Wassersport. Die Angst, dass weite Teile der Küste zu Nullnutzungszonen erklärt werden könnten, ist groß, das Vertrauen in das grün geführte Umweltministerium in Kiel gering.
Auch Ministerpräsident Daniel Günther bekam den Widerstand zu spüren, als er Ende August auf Fehmarn war. Hunderte Menschen hatten sich vor dem Rathaus in Burg versammelt, wo Günther sich mit Vertreter*innen aus Kommunalpolitik, Tourismus und Verwaltung traf, um über den Fehmarnbelttunnel nach Dänemark und über die Nationalparkpläne zu sprechen. Sie hatten Trillerpfeifen und Plakate dabei, auf denen etwa stand: „Daniel, tue uns das nicht an“.
Auf ein Feld an der Südküste der Insel hatten Gegner*innen des Nationalparks den Schriftzug „Daniel, wir wollen deinen Nationakpark nicht!“ gemäht. Und Günther stellte sich den Demonstrierenden in Burg, sprach mit einigen, betonte, dass noch nichts entschieden sei.
Die CDU hält am Narrativ fest
Denn eigentlich befindet sich die Landesregierung mitten in einem „intensiven Konsultationsprozess mit den Ostsee-Anrainerkreisen und -kommunen sowie den relevanten gesellschaftlichen Interessenvertretungen an der Ostsee“, genau wie CDU und Grüne es im Koalitionsvertrag vereinbart haben. In der Mitte der Legislaturperiode will „die Koalition darüber entscheiden, ob und in welcher Form wir den Park auf den Weg bringen werden“.
An diesem Narrativ hält die CDU fest: Man wolle den von Goldschmidt gestarteten Konsultationsprozess wie vereinbart zu Ende führen, hieß es diese Woche. In ihrem Antrag für den Landesparteitag steht allerdings unter dem Kapitel „Unsere Lösung“ auch, ebenjener Konsultationsprozess habe bereits jetzt ergeben, dass ein Nationalpark die Probleme der Ostsee nicht löse.
Konkret will das grün geführte Umweltministerium eine Fläche von rund 160.000 Hektar unter Schutz stellen. Das skizzierte Gebiet reicht von der Flensburger Förde über die Mündung des Ostseefjords Schlei, die südliche Eckernförder Bucht und die östliche Kieler Bucht bis östlich der Insel Fehmarn. Rund die Hälfte dieser Fläche, etwa 800 Quadratkilometer, hätten zur sogenannten Kernzone erklärt werden sollen, in der Fischerei verboten und Sportarten wie Surfen und Kiten nur mehr eingeschränkt möglich gewesen wären. Segeln und baden wären erlaubt geblieben.
Der Nationalpark könnte zwar nicht alle Probleme lösen, sei aber ein wichtiger Hebel, mehr Schutz durchzusetzen und den rechtlichen Status des Gewässers zu verbessern, argumentieren Fachleute des Ministeriums sowie der Naturschutzorganisationen.
Reichlich Gegenwind
Goldschmidt tourt seit Wochen durch Küstenorte, und das bei reichlich Gegenwind. Nur selten bekam er einen so schönen verbalen Rettungsanker zugeworfen wie beim Pressetermin auf der Kaimauer: „Der Nationalpark bietet viele Chancen“, sagte Ole Eggers, Geschäftsführer des BUND Schleswig-Holstein. „Wir wollen den Prozess unterstützten.“
Artig bedankte sich Goldschmidt für das „klare Bekenntnis“ – das allerdings nicht viel wert ist, wie sich jetzt deutlich zeigt: Dass sich eine Naturschutzorganisation für mehr Naturschutz ausspricht, überrascht nicht. Schwerer wiegt, dass sich so viele andere Gruppen so klar dagegen ausgesprochen haben: Neben den Fischer*innen sehen auch die Wassersportvereine das Vorhaben kritisch. Sie erklärten in offenen Brief an den Ressortchef, „ein Erfordernis für einen Nationalpark“ sei bisher nicht ausreichend begründet worden.
Auch aus dem politischen Raum hagelt es schon länger Kritik. „Die Landesregierung muss endlich die Reißleine ziehen und ihre symbolpolitischen Nationalparkpläne versenken“, sagte etwa der FDP-Landtagsabgeordnete Oliver Kumbartzky. Der Park sei ein „falsches Instrument“, den Grünen gehe es nur um ein „parteipolitisches Denkmal“.
Er reagierte damit auf einen offenen Brief, mit dem Goldschmidt Ende Juni für den Park geworben hatte. Darin schreibt der Minister von schützenswerten Riffen, von bedrohten Arten, benennt aber auch Chancen für den Tourismus, wenn das Meer als Park beworben werden könne. Und er warnt davor, noch mehr Zeit zu verlieren: „Unsere Ostsee ist ein großes ökologisches Kapital. Doch dieses große Kapital drohen wir zu verspielen.“
Ohne Naturschutz kein Tourismus
Unterstützung, zumindest eine halbe, bekam Goldschmidt vor ein paar Wochen noch von Ministerpräsident Daniel Günther selbst. Der sagte während seines Besuchs auf Fehmarn, Fischerei, Wassersport oder Tourismus gehörten zur Identität des Landes und stünden nicht zur Diskussion. Doch er betonte: „Diese Bereiche haben aber nur dann eine Zukunft, wenn die Ostsee eine hat, und zwar als intaktes System.“ Wenn die Identität des Landes erhalten werden solle, dürfe man sich einem besseren Schutz nicht in den Weg stellen: „Ich wäre sonst auch bereit, Widerstände zu überwinden.“ Das liest sich jetzt, nach der Absage an die Park-Pläne, etwas anders. Offenbar ist er auch bereit, Widerstände in der eigenen Koalition zu überwinden.
Fraglich ist nun, was es für die schwarz-grüne Koalition bedeutet, wenn der Ministerpräsident an jenem Wunschprojekt sägt, mit dem der grüne Partner den Wahlkampf maßgeblich bestritt und für das Umweltminister Goldschmidt steht.
Die SPD-Umweltpolitikerin Sandra Redmann sprach diese Woche schon davon, dass die CDU den kleineren Koalitionspartner „mit dem Nasenring durch die Manege“ führe. Und die Grünen-Co-Landesvorsitzende Anke Erdmann sagte, dass es in einer guten Beziehung ab und zu mal krache. Das bedeute nicht, dass man sich gleich trenne. „Es ist klar, dass man nicht auf Biegen und Brechen beieinanderbleibt.“ Eine Trennung sei nie ausgeschlossen, aber momentan sehe sie das nicht.
Und Goldschmidt? Bleibt auf seinem Kurs: „Die Ostsee ist ein sterbendes Meer. Ich fühle mich dem Meeresschutz und den Menschen im Land verpflichtet, die zukünftig von, an und mit einer gesunden Ostsee leben wollen“, sagte der Grünen-Politiker am Mittwoch. „Für mich ist klar, dass ein Nationalpark das beste Instrument für den Schutz unserer Ostsee ist.“
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