Nach dem Eklat im Weißen Haus: Die USA sind nun kein Partner mehr
Im Krieg Russlands gegen die Ukraine hat ein völlig neues Kapitel begonnen. Trump spielt jetzt im Club mit den Rechtsradikalen und Autokraten der Welt.
A ls die russische Armee in der Nacht zum Samstag wie fast jede Nacht seit Monaten Drohnenangriffe auf die ukrainischen Großstädte Odessa und Charkiw startete und unter anderem ein Krankenhaus beschoss, da hatte der Krieg schon seit einigen Stunden einen fundamental neuen Charakter bekommen: Die USA sind kein Partner mehr. Was als Nächstes kommt, ist nicht berechenbar. Die Lage ist außer Kontrolle.
Der Konflikt im Weißen Haus zwischen Wolodymyr Selenskyj, Donald Trump und seinem Vize JD Vance war überraschend, heftig und beispiellos in der Geschichte der modernen USA. Erstmals wurde das Staatsoberhaupt eines Landes aus dem Oval Office, dem Amtszimmer des US-Präsidenten, geschmissen.
„Kein Diktator, kein Feind, sondern das Staatsoberhaupt eines mit den USA verbündeten Landes, gebeutelt von einem brutalen Angriffskrieg“, schreibt die Tageszeitung Kyiv Independent. Der Präsident derselben Ukraine, der man in den vergangenen drei Jahren immer wieder die amerikanische Unterstützung zugesichert hatte. Einige US-Kommentatoren äußerten den Verdacht, dass Trump und sein Vize Selenskyj bewusst eine Falle gestellt hätten.
Laut dem US-Außenminister Marco Rubio hatte Wolodymyr Selenskyj darauf bestanden, nach Washington, D.C. zu reisen: um einen Rohstoffdeal zu unterschreiben, de facto aber eher einen Rahmen ohne ausformuliertes Profitversprechen. Durch wirtschaftliche Investitionen in der Ukraine wollte Selenskyj der USA Anreize für weitere Unterstützung bieten.
Vielleicht hatte Trump von Selenskyj einfach dasselbe erwartet, was er in diesen Tagen von allen seinen Untertanen erwartet: unwidersprochene Unterwürfigkeit, aalglatte Komplimente, jeder in seiner geopolitisch festgelegten Rolle. Trump: der Gönner. Selenskyj: der Bittsteller. Doch Selenskyj hatte im Vorhinein angekündigt, keinen Waffenstillstand ohne Sicherheitsgarantien zu akzeptieren. Er nutzte das Treffen, um an die russischen Kriegsverbrechen zu erinnern und daran, dass man einem Waffenstillstand mit Putin nicht trauen könne. Als Vance ihm daraufhin Respektlosigkeit vorwarf, folgte ein scharfer Wortwechsel.
Vor laufenden Kameras verhöhnten Vance und Trump Selenskyj, ließen ihn kaum zu Wort kommen und warfen ihm vor, undankbar zu sein. „Ich habe Sie ermächtigt, ein harter Typ zu sein. Ohne die US wären Sie das nicht!“ Am Ende des Treffens sagte Trump mit einer ihm ganz eigenen Grausamkeit: „Das wird großartiges Fernsehen.“
Die Unterzeichnung des Abkommens platzte. Kurze Zeit später berichteten US-Medien, die Regierung könnte den Rest der von Amtsvorgänger Joe Biden bewilligten Militärhilfen nicht ausliefern, die in sechs Monaten auslaufen sollen. So groß wie jetzt war die Verletzlichkeit der Ukraine lange nicht mehr.
Die Ukrainer:innen sind stolz auf ihren Präsidenten
Es ist die Erniedrigung, die die Ukrainer:innen bis ins Mark traf: zu sehen, wie ihr Anführer vor den Augen der ganzen Welt um seine und somit auch um die ukrainische Würde ringen musste. Ihre brüchige Hoffnung, die sie nach drei Jahren Abnutzungskrieg und Zehntausenden von Toten und Verstümmelten in den US-amerikanischen Machtwechsel gesetzt hatten, zerschlug sich in diesen Minuten endgültig. Trotzdem sind die Ukrainer:innen stolz auf ihren Präsidenten, der den Übermächtigen die Stirn geboten hat.
Als ein Fox News-Moderator Selenskyj wenige Stunden nach dem Vorfall im Interview fragte, ob er sich entschuldigen wolle, wich er zunächst aus. Er schlug einen versöhnlichen Ton an, lehnte eine Entschuldigung aber ab. Wofür auch? Dafür, dass er in einer unerträglichen Situation wie ein Mensch reagierte, ohne aufgesetzte Maske und ohne zu schleimen?
Für Russland ist das Bloßstellen der Ukraine der größte Triumph, in ihren kühnsten Träumen hätten sie sich kein besseres Szenario wünschen können. An allem ist angeblich Selenskyj schuld. Doch wie es jetzt weitergeht, das haben nicht nur Putin und Trump in der Hand. Durch die Blume sendete das Weiße Haus mit dem Eklat auch eine Botschaft an Europa: Aus einem Freund kann ein Feind werden. Wir sind nicht mehr eure Freunde. Trump spielt jetzt im Club mit den Rechtsradikalen und Autokraten der Welt und er zeigt keine Anstalten, diesen zu verlassen.
Der ukrainische Journalist Yuriy Romanen stellt auf seinem Telegram-Kanal die Frage, ob sich „die europäische Twitter-Liebe für die Ukraine“ in konkrete Unterstützung umsetzen ließe: zum Beispiel, in dem die 250 Milliarden Euro aus eingefrorenen russischen Vermögen konfisziert und der Ukraine überlassen werden. Denn entscheidend ist, wie die EU, Großbritannien und auch die Türkei jetzt jenseits von großen Worten der Solidarität reagieren. Die USA ist kein verlässlicher Partner mehr. Deshalb kann Appeasement keine angemessene Strategie sein, auch wenn man nicht drumherum kommen wird, sich weiterhin mit den USA zu engagieren.
Die Zeit ist gekommen, um eine neue Ordnung zwischen den europäischen Nationen und einer solidarischen europäischen Zivilgesellschaft zu schaffen. Dazu gehören eine maximale Entkopplung von den USA, Investitionen in Technologie, Wissenschaft und Industrie, der Aufbau einer neuen Sicherheitsarchitektur. Profitieren wird davon nicht nur die Ukraine.
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