NSU-2.0-Drohschreiben: Verdächtiger festgenommen
Seit gut zwei Jahren ermittelte die Polizei erfolglos zur rechtsextremen NSU-2.0-Drohschreibenserie. Nun wurde ein 53-Jähriger in Berlin festgenommen.
Die Wohnung des Mannes sei demnach am Montag durchsucht und der 53-Jährige aufgrund eines bestehenden Haftbefehls festgenommen worden. Er sei bereits in der Vergangenheit wegen zahlreicher rechtsmotivierter Straftaten verurteilt worden. Und: Laut Staatsanwaltschaft war er „zu keinem Zeitpunkt Bediensteter einer hessischen oder sonstigen Polizeibehörde“.
Auf die Spur des Mannes sei man durch „sehr aufwändige und zeitintensive Ermittlungen“ gekommen, so die Staatsanwaltschaft. Sichergestellte Datenträger würden nun ausgewertet. Dem Beschuldigten werden Volksverhetzung, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Bedrohung und Beleidigung vorgeworfen.
Offen bleibt, wie der Mann an die Polizeidaten kam. In den NSU-2.0-Drohschreiben an Seda Başay-Yıldız wurden ihre Adresse und der Name ihrer Tochter und Eltern genannt – diese Daten waren kurz zuvor auf dem Frankfurter 1. Polizeirevier abgerufen worden. Auch nachdem Başay-Yıldız umzog, gelang es dem Drohschreiber, an die neue Adresse von Basay-Yildiz zu kommen. Die Anwältin vertrat Nebenkläger im NSU-Prozess, in anderen Verfahren auch Islamisten.
Mehr als 115 Drohschreiben
Auch in den Schreiben an Idil Baydar und Janine Wissler wurden Daten verwendet, die zuvor von Polizeicomputern abgerufen worden waren. In anderen Fällen wurden nichtöffentliche Daten der Betroffenen aufgeführt, die anderweitig beschafft worden sein sollen.
Laut hessischem Innenministerium wurden insgesamt mehr als 115 Drohschreiben des „NSU 2.0“ an 32 Personen und 60 Institutionen verschickt. Zu der Serie arbeitet eine eigene Ermittlungsgruppe des LKA Hessen unter Leitung eines Sonderermittlers. Der hessische Landespolizeipräsident Udo Münch musste im Juli 2020 wegen der Affäre um die Drohmails zurücktreten.
Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) sagte: „Sollte sich der dringende Tatverdacht gegen den 53-jährigen Berliner bestätigen, ist das ein ganz herausragender Ermittlungserfolg der hessischen Strafverfolgungsbehörden.“ Dutzende unschuldige Opfer sowie die gesamte hessische Polizei könnten dann aufatmen. „Nach allem was wir heute wissen, war nie ein hessischer Polizist für die ‚NSU-2.0‘-Drohmailserie verantwortlich.“
Auf ihren Social Media Accounts stellten Betroffene wie Baydar und Yaghoobifarah aber ebenfalls die Frage, wie der Verhaftete an die Polizeidaten kam. „Dass der mutmaßliche Täter alleine gehandelt hat, ist mehr als unglaubwürdig“, sagte die Linken-Politikerin Martina Renner, die ebenfalls Drohschreiben erhielt, der taz. „Weiterhin bleibt die Frage: Wie konnten Daten aus dem Polizeiapparat in Drohmails von Neonazis landen?“ Auch Linken-Vorsitzende Janine Wissler will das beantwortet wissen: „Wie soll dieser Mann aus Berlin ohne Bezug zur Polizei an sensible Daten gekommen sein?“, sagte sie der taz. Die Staatsanwaltschaft versprach „zeitnah“ weitere Informationen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten