Mögliches Bündnis aus SPD, Grünen, FDP: Was kann die Ampel?
SPD, Grüne und FDP könnten die nächste Regierung bilden, unter einem Kanzler Olaf Scholz. Nur: Da, wo es ums Geld geht, sind die Gräben tief.
taz |
Die Abneigung von Scholz und der Grünen-Spitze gegen die Linkspartei sitzt tief. Und auch Jamaika, das Bündnis von Union, FDP und Grünen, das lange als sichere nächste Koalition gehandelt wurde, wankt. Die Ökopartei steht in fast allen Bereichen der SPD näher als der Union. Würden die Grünen wirklich gegen einen Wahlsieger SPD mit einer in den Grundfesten erschütterten Union regieren? Die FDP will derweil vor allem eins: wieder regieren.
Doch die Hürden für die Ampel sind hoch. In der Außen- und Innenpolitik, bei Datenschutz und Einwanderungspolitik gibt es zwar Schnittmengen, aber bei einem politischen Schlüsselbereich – den Finanzen – ist das anders. SPD und Grüne wollen höhere Steuern für Gutverdiener und eine Vermögenssteuer. Die FDP hält das für Teufelszeug.
Kein kategorisches Nein der Liberalen
Florian Toncar, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, sieht tiefe Gräben. „Unsere Wählerschaft bevorzugt eine Koalition mit der Union. Das ist demoskopisch messbar und nicht verwunderlich. Die FDP und die SPD haben sich seit der Amtszeit von Gerhard Schröder deutlich voneinander entfernt“, so Toncar zur taz. Es gibt sogar Druck von der FDP-Basis, von Wirtschaftsvertretern und Selbstständigen, die Ampel auszuschließen. So wie Westerwelle 2009. Damals bekam die FDP mehr als 14 Prozent.
Jetzt lavieren die Liberalen. Irgendwie sind sie dagegen. „Wir müssen mit steuerpolitischen Reformen Entlastungen durchsetzen und entbürokratisieren. Dafür gibt es Ansprechpartner in der Union, bei der SPD und den Grünen ist das anders“, sagt Toncar. Doch kategorisch Nein zur Ampel sagen sie nicht. Sich an die abstürzende Union als einzigen Partner zu ketten, wäre eine Selbstkasteiung für die komplexen Deals nach der Wahl.
Am liebsten will die FDP über die Ampel vor der Wahl gar nicht reden. Taktisch ist das naheliegend. Denn die zusehends verzweifelte Union zielt auf jene WählerInnen, die zwischen Union und FDP schwanken – und keinen Sozialdemokraten als Kanzler wollen. CSU-Chef Söder poltert, dass „eine Ampel ein etwas verdünnter Linksrutsch“ wäre. Ein Linksrutsch mit Lindner – das klingt für aufklärte Milieus bizarr. Aber für die Union ist die Anti-FDP-Kampagne eine der wenigen Chancen, den Sturz nach unten noch zu bremsen.
Streit um die Steuerpolitik
Die Ampel sieht auch SPD-Finanzpolitiker Michael Schrodi skeptisch. Der Bayer ist einer der Sprecher der SPD-„Denkfabrik“, die mit Grünen und Linkspartei Übereinstimmungen sucht. „Finanz- und wirtschaftspolitisch würde es mit der FDP an mehreren Stellen sehr schwierig, denn sie macht Klientelpolitik für Superreiche“, so Schrodi. Die Distanz ist verständlich. Die Liberalen wollen den Soli für Reiche abschaffen; schon das kostet den Fiskus 10 Milliarden Euro im Jahr. Überhaupt sollen die Steuern für alle sinken, ganz besonders für Reiche und Unternehmen. Würden die FDP-Steuersenkungspläne umgesetzt – dem Staat würden 75 bis 88 Milliarden Euro fehlen. Weil die FDP zudem auch noch keine Schulden machen und die Coronaschulden schnell begleichen will, halten selbst konservative Ökonomen die FDP-Pläne für waghalsig.
„Was die FDP will, ist finanzpolitisches Voodoo“, sagt Grünen-Haushälter Sven-Christian Kindler. Eine dicke Steuersenkung für Reiche, eine Reform der Schuldenbremse verweigern und gleichzeitig investieren – das gehe einfach nicht. „Wer so etwas fordert, verkauft die WählerInnen für dumm“, so der Grüne. Kindler gehört zum linken Flügel der Grünen. Er hat Sympathien für ein Bündnis mit SPD und Linkspartei, nicht für die Ampel. Zur Abschaffung des Soli für Reiche sagt er schlicht: „No way.“ Das wäre eine massive Steuersenkung für Reiche. „Zudem sind die 10 Milliarden Euro im Jahr ohne Gegenfinanzierung im Haushalt nicht darstellbar.“ Wenn man Kindler und Schrodi zuhört, muss man Schnittmengen mit der Lupe suchen.
Ist die Ampel also nur ein taktischer Zug der SPD? Eine Illusion, die Scholz möglichst lange aufrechterhalten muss? Eine Machtoption, die nicht existiert? Ganz so ist es nicht. FDP-Chef Christian Lindner betont zwar gebetsmühlenhaft, dass ihm „die Fantasie fehlt, wie Rot und Grün der FDP überhaupt ein Angebot machen könnten“. Aber mit der Fantasie ist das in der Politik so eine Sache: Der Mindestlohn kam unter Merkel, Hartz IV und die Beteiligung am Afghanistankrieg unter Rot-Grün. Den Widerstand gegen einen Mindestlohn hat die FDP aufgegeben. Laut einer Civey-Umfrage hielten im Jahr 2020 43 Prozent der FDP-WählerInnen 12 Euro Mindestlohn für angemessen.
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So werden in den Parteizentralen derzeit die Spielräume bei den Finanzen ausgelotet. Sie sind nicht groß, aber es gibt sie. Bei den Grünen argumentieren in Sachen Soli nicht alle so hart wie Kindler. Das Argument der FDP, dass der Soli ursprünglich befristet eingeführt wurde, um die deutsche Einheit zu finanzieren, sei ja nicht von der Hand zu weisen, sagen manche.
Die luftigen Szenarien für eine Annäherung sehen in etwa so aus: Weil für die FDP Steuererhöhungen tabu sind, landen Vermögensteuer und höhere Einkommensteuer im Papierkorb. Bei den Steuersenkungen für Unternehmen – ein Fetisch der FDP, unbeliebt bei Rot-Grün – wären Kompromisse denkbar. Der Ausweg heißt: deutlich erweiterte Abschreibungsregeln für Unternehmen.
Die FDP hätte damit ihre Klientel bedient, SPD und Grüne könnten das als nötigen Beitrag für Investitionen nach Corona und für die Energiewende verkaufen. Dafür müssten die Liberalen der gestaffelten Erhöhung des Mindestlohns zustimmen. Erst mal mit einer niedrigeren Marke, und mit einer Erhöhung auf 12 Euro. So würde Scholz sein Versprechen einhalten, er werde im ersten Jahr als Kanzler 12 Euro Mindestlohn einführen. Und Lindner würde als Mann gelten, der Schlimmeres verhindert hat. „Wenn SPD und FDP wirklich wollen, dann geht es“, sagt Wolfgang Schroeder, Politikwissenschaftler und Mitglied der SPD-Grundwertekommission.
Aber wer soll das alles bezahlen? Die Schuldenbremse, im Grundgesetz verankert, bleibt. Für die FDP ist sie ein identitätsstiftendes Symbol, das die linken Schuldenmacher im Zaum hält. Doch auch hier gibt es Möglichkeiten. „Die Schuldenbremse bedeutet nicht Nullverschuldung, sondern ist konjunkturabhängig“, sagt FDP-Mann Toncar. In der auslaufenden Coronakrise könne man durchaus auch „noch mehr Schulden aufnehmen“. Lindner betont auffällig oft, dass die FDP-Steuerpläne ja eher langfristig gedacht seien. Toncar will bei Steuersenkungen „schrittweise vorgehen“.
Ein möglicher Ampeldeal
Jede Regierung wird, so die einhellige Einschätzung von konservativen und eher linken Ökonomen, die Schuldenbremse umgehen – mit mehr oder weniger großen Sonderfonds. Die Grünen denken über öffentliche Gesellschaften nach, um bestimmte Projekte voranzubringen – etwa die Ladestruktur für E-Autos. Die Gesellschaften könnten eigenständig Kredite aufnehmen und würden im Bundeshaushalt nicht auftauchen.
So ist ein möglicher Deal erkennbar, der eine Ampel ermöglichen könnte – zumindest in Umrissen. SPD und Grüne sagen Ja zum Ende des Soli, dafür arrangiert sich die FDP mit dem Mindestlohn und Schulden per Sonderfonds. SPD-Mann Wolfgang Schroeder hat schon ein sinnstiftendes Motto für sozialliberale Regierung in petto: „Das könnte die Formel Innovation und Investition sein.“
Ist Rot-Grün-Gelb also machbar? Wohl nur dann, wenn die FDP sich einen Lagerwechsel nicht viel teurer bezahlen lässt, als es sich die SPD-Pragmatiker derzeit vorstellen können. Die Lindner-Partei muss sich schließlich gegen den Vorwurf wappnen, lieber schlecht als gar nicht zu regieren. Und auch für die SPD wäre die Ampel ein Drahtseilakt, nachdem sie sich mühsam von der Agendapolitik befreit und ihre zerstörte Glaubwürdigkeit als Anwältin sozialer Gerechtigkeit einigermaßen repariert hat. Auch deshalb und nicht nur wegen Olaf Scholz ist sie jetzt wieder zurück im Spiel.
Doch mit politischer Glaubwürdigkeit ist es wie mit Porzellan. Sie ist zerbrechlich.
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