Erhöhung der Hartz-IV-Sätze: Das Elend wird weitergehen

Die Mini-Erhöhung der Bedarfssätze zeigt den Zynismus des Hartz-IV-Systems. Auch nach der Wahl können Betroffene kaum Unterstützung erwarten.

Mann mit Anorak sucht in Papierkorb nach Pfandflaschen

Suche nach Pfandflaschen zur Aufstockung der kargen Sozialhilfe Foto: Christoph Hardt/imago

3 Euro mehr soll es also ab dem kommenden Jahr für Hartz-IV-Bezieher geben. Eine Erhöhung, die so lächerlich gering ist, dass sie Betroffenen den Zynismus des Arbeitslosengeld-II-Regimes noch einmal vor Augen führt. Denn mit 449 Euro monatlich ist ein menschenwürdiges Leben ebenso wenig möglich, wie mit 446 Euro. Ein armutsfester Regelsatz würde laut Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes mindestens 644 Euro betragen.

Doch seit Jahren nutzt die Bundesregierung jede Möglichkeit, um den Regelsatz möglichst klein zu rechnen – sei es durch Änderungen bei der Referenzgruppe oder das Ausklammern von Beträgen zur soziokulturellen Teilhabe. Die „Erhöhung“ in diesem Jahr fällt unter anderem deshalb so gering aus, weil wegen der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung im vergangenen Jahr der Wert des Warenkorbs sank, der größtenteils als Referenz zur Berechnung der Bedarfssätze dient.

Was Arme eigentlich entlasten sollte, wird Hartz-IV-Empfängern nun zum Verhängnis. Die nun übrig gebliebenen 3 Euro mehr im Monat dürften von der Inflation aufgefressen werden. Effektiv senkt das SPD-geführte Sozialministerium das Arbeitslosengeld II. Während die SPD im Wahlkampf vollmundig davon spricht, Hartz IV hinter sich zu lassen, nickt sie in der Regierung weiter Armutssätze ab.

Dabei war es die SPD unter Bundeskanzler Gerhard Schröder, die das menschenunwürdige Hartz-System überhaupt erst implementierte – und so einen Keil in die Gesellschaft trieb, der die Armen vom Rest abtrennt. Doch statt einer klaren Entscheidung, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren, gibt es nur ein wages Bekenntnis zu einem ominösen „Bürgergeld“, von dem gar nicht klar ist, ob es sich entscheidend vom derzeitigen System unterscheidet.

Bei der SPD hat man sich nicht einmal die Mühe gemacht, auszuformulieren, wie hoch die Bedarfssätze für Erwachsene sein sollen oder wie und ob sanktioniert werden soll. Besonders hoch wollen die Sozialdemokraten das Thema offenbar ohnehin nicht hängen. Mit Olaf Scholz ist zudem einer der vehementesten Verfechter der Agenda 2010 SPD-Spitzenkandidat. Kurz: Von der SPD sollten sich die mehr als 5,5 Millionen Hartz-IV-Betroffene auch nach einem etwaigen Wahlsieg nicht allzu viel Hilfe erwarten.

Grüne weichen Forderungen auf

Auch bei den Grünen sitzen Teile des damaligen Agenda-Personals noch fest im Sattel. Katrin Göring-Eckardt, damals wie heute Fraktionsvorsitzende im Bundestag, bezeichnete Sanktionen für Arbeitslose einst als „Bewegungsangebote“ – kritisiert nun aber die mickrige 3-Euro-Erhöhung. In der Politik ist das Gedächtnis kurz. 2020 warben die Grünen noch für eine Grundsicherung von mehr als 600 Euro, beim Grünen Parteitag in diesem Jahr einigte man sich auf eine Erhöhung von nur 50 Euro.

Offenbar in Vorbereitung auf Koalitionsverhandlungen mit der Union entschärfte man die eigenen sozialpolitischen Forderungen schon einmal, bevor überhaupt gewählt wird. Auch hier muss man sich fragen, wie ernst die Grünen es überhaupt mit ihren Forderungen meinen. Zumindest an der Kindergrundsicherung von bis zu 547 Euro scheint Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock festhalten zu wollen – auch die SPD hat einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet.

Sicherlich eine sinnvolle Maßnahme, aber Baerbock umgeht damit geschickt das Gesamtproblem. Kinder mag jeder, Kinder können nichts für ihren sozialen Status – wer kann schon etwas dagegen haben, ihnen mehr Geld zu geben? Doch auch alleinstehenden Erwachsenen in Hartz IV geht es schlecht. Und 50 Euro mehr im Monat, wenn sie denn kämen, reichen nicht.

Bei der CDU versucht Friedrich Merz in seinem immer verzweifelter werdenden Kampf um öffentliche Wahrnehmung derweil die menschenverachtende Rhetorik der Nullerjahre zu reaktivieren. Merz will eine Arbeitspflicht für Arbeitslose, beziehungsweise in seinen Worten, will er sie „mal ein bisschen an der Krawatte ziehen“. Doch mit dieser Haltung steht Merz glücklicherweise allein da.

Die Mär vom faulen Arbeitslosen, die die Implementierung der Agenda begleitete, ist kaum noch zu vernehmen. Doch von einem rhetorischen zu einem politischen Wandel ist der Weg weit. Vor allem, wenn absehbar ist, dass das Thema Hartz IV für zwei der drei „linken“ Parteien im Bundestag nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die einzige Partei, die sich konsequent für eine Abschaffung des Hartz-IV-Regimes ausspricht, ist die Linkspartei.

Und mit der wollen weder die Spitzen von Grünen noch der SPD etwas zu tun haben. Gerade Annalena Baerbock spricht der Linkspartei regelmäßig die Regierungsfähigkeit ab und schielt in Richtung der FDP. Doch mit den Freien Demokraten dürften sich soziale Errungenschaften kaum durchsetzen lassen. Das Hartz-IV-Elend wird also weiter gehen – vermutlich noch sehr lange.

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