Lungenarzt zu Corona: Gefährliche Verschwörungstheorien
Der Lungenarzt und ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wodarg hält die Corona-Epidemie für erfunden. Frühere Weggefährten sind entsetzt.
Dort allerdings in großer Zahl: Ein Interview, das die frühere „Tagesschau“-Moderatorin Eva Herman für die rechtspopulistische Webseite Wissensmanufaktur mit Wodarg führte, kam am Donnertag schon auf über eine Million Abrufe. Auch weitere Videos mit dem Lungenarzt, etwa ein Interview mit dem verschwörungstheorischen Youtube-Kanal KenFM, wurden von mehreren hunderttausend Menschen gesehen.
In allen diesen Videos bestreitet der 72-jährige Wodarg, der 15 Jahre lang für die SPD im Bundestag saß und Mitglied im deutschen Vorstand der Antikorruptionsorganisation Transparency International ist, dass vom neuen Coronavirus SARS-CoV-2 eine ungewöhnliche Gefahr ausgehe. „Die Menschen sind nicht mehr und nicht ernster krank als alle Jahre zuvor“, behauptet er beispielsweise. Die Schließung von Schulen und Geschäften hält er darum für „unverantwortliche Panikmache“.
Sein zentrales Argument ist, dass es Coronaviren schon immer gegeben habe, bisher aber nie mit Tests danach gesucht wurde. „Je häufiger wir testen, um so mehr Coronaviren finden wir.“ Zudem bestreitet er, dass das neuartige Coronavirus gefährlicher sei als die bisher bekannten. Und auch höhere Todeszahlen durch SARS-CoV-2 hält er für eine mediale Erfindung.
Finanzielle Motive unterstellt
Doch wie passt das zu den Bildern von überfüllten Krankenhäusern in Italien, in denen massenhaft mit SARS-CoV-2 infizierte PatientInnen sterben? Das kommentiert Wodarg mit den Worten: „Natürlich sterben in Krankenhäusern viele.“ Auf seiner Webseite legt er sogar nahe, dass die Situation aus finanziellen Gründen absichtlich dramatischer dargestellt werde, als sie sei. „Spielen die in Aussicht gestellten europäischen Finanzhilfen für Italiens Kliniken eine Rolle bei der medialen Darstellung der Lage durch einzelne Krankenhäuser?“, fragt er.
Auch den Virologen, die vor den Gefahren von SARS-CoV-2 warnen, unterstellt Wodarg niedere Motive. „Das machen die Virologen, die leben davon“, raunt er. „Und die machen dann Impfstoffe und wollen die verkaufen und machen Tests und verdienen daran und sind wichtig.“ Konkret greift er den in den Medien derzeit sehr präsenten Leiter der Virologie der Berliner Charité Christian Drosten an. Der von ihm entwickelte Test sei nicht aussagekräftig, weil er nicht nur auf das neuartige Coronavirus anspreche, sondern auch auf andere, sagt Wodarg. Zudem sei der Test noch nicht unabhängig validiert, also überprüft.
Drosten bestreitet das entschieden. Der Test sei vielfach überprüft worden und habe „keine einzige falsch positive Meldung“ ergeben, sagte er in seinem NDR-Podcast. Zwar spreche er theoretisch auch auf verwandte SARS-Viren an, aber diese gebe es beim Menschen nicht. „Wir testen mit diesem Test nur das neue Coronavirus.“ Und finanziell profitiere er nicht vom Test, sagte Drosten.
Detaillierte Faktenchecks, etwa vom Recherchezentrum Correctiv oder dem MDR, kommen zum Ergebnis, dass Wodargs zentrale Aussagen einer Überprüfung nicht standhalten. Auch bei bisherigen Weggefährten stoßen Wodargs Aussagen auf scharfe Kritik.
„Das ist blanker Unsinn“
„Ich schätze Wolfgang Wodarg eigentlich sehr“, sagt SPD-Gesundheitsexperte und Epidemiologe Karl Lauterbach über seinen ehemaligen Fraktionskollegen. Dessen Videos zu Corona hält er aber für falsch und gefährlich. „Das ist eine abwegige, vollkommen falsche Sicht der Dinge“, sagt Lauterbach. „Das ist blanker Unsinn.“ Das neue Virus habe mit den bisherigen Coronaviren nichts zu tun, denn es kombiniere eine hohe Ansteckungsrate mit einer hohen Sterberate. „Jeder, der da ernsthaft unterwegs ist, sagt, so etwas haben wir noch nie gehabt.“
Auch bei Transparency International sorgen die Äußerungen von Vorstandsmitglied Wodarg für Befremden. Das Infragestellen der staatlichen Maßnahmen gegen Corona führe „zu einer Verunsicherung in der Bevölkerung, die den realen Gefahren des Virus nicht gerecht wird“, erklärte die Organisation – und stellt klar: „Wolfgang Wodarg äußert sich in dieser Sache als Privatperson und nicht in seiner Funktion als Vorstandsmitglied.“ Der selbst sieht das aber offenbar anders: In vielen seiner Beiträge weist er explizit auf sein Amt bei Transparency hin, etwa wenn er betont: „Als Transparency-Mitglied ist mir auch wichtig, dass mögliche Interessenkonflikte offengelegt werden.“
Auch die Medien, in denen sich ihr Vorstandsmitglied äußerte, findet die Organisation problematisch. „Für Transparency Deutschland ist es inakzeptabel, wenn sich Wolfgang Wodarg in Medien wie Rubikon, Ken FM, Geolotico, die mit Verschwörungstheorien und antisemitischen Vorurteilen arbeiten, äußert oder Eva Herman Interviews gibt“, sagte der Vorsitzende von Transpareny Deutschland, Hartmut Bäumer, der taz.
„Frontal 21“ sieht kein Problem
Komplett auf zweifelhafte Internet-Kanäle angewiesen ist er zur Verbreitung seiner Thesen übrigens nicht; sie finden sich auch in einer Quelle, die eigentlich als seriös gilt: Im ZDF-Magzin „Frontal 21“ kam Wodarg am 10. März ebenfalls ausführlich zu Wort. Es sei „nichts Besonderes, dass es jetzt neue Coronaviren gibt“, sagte er auch dort. „Das heißt aber nicht, dass diese Coronaviren gefährlicher sind als andere.“
Neben Wodarg kommen im „Frontal 21“-Beitrag noch weitere Menschen zu Wort, die die Corona-Gefahr relativieren. Die Kritik, mit diesem ebenfalls vielfach im Netz geteilten Beitrag zu einer Verharmlosung beizutragen, weist die Redaktion zurück. Aus ihrer Sicht „gehört es zur Aufklärung dazu, dass es Wissenschaftler, Ärzte und Experten des deutschen Gesundheitssystems gibt, die eine abweichende Einschätzung haben, was die Verbreitung des Coronavirus und mögliche Gegenmaßnahmen betrifft“, heißt es in einer Stellungnahme.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“