Linke in Sachsen: Warum nicht nebeneinander?
Die linke Szene in Sachsen ist tief gespalten. Statt gemeinsam gegen Bedrohungen von rechts zu kämpfen, geraten Projekte wegen ihrer Haltung zu Israel ins Visier.
In Sachsen ist aktuell eine rechte Mobilmachung zu beobachten, die seit den 90er Jahren ihresgleichen sucht. Während eine CSD-Demo in Bautzen von Akteur*innen der extremen Rechten drangsaliert wird und es vor Ort an einem groß organisierten Gegenprotest fehlt, verstrickt sich die sächsische städtische Linke in eine falsche Prioritätensetzung.
Offenen Protest, Kundgebungen, Spontis und Demos gegen rechts und deren beängstigendes Erstarken in nahezu allen Teilen Sachsens gibt es derzeit kaum, stattdessen richtet sich die Kritik gegen Läden und Projekte, die sich in den Augen von palästina-solidarischen Gruppen in Bezug auf den Nahostkonflikt falsch positionieren.
Das Leipziger Ladenprojekt Atari ist eines davon. Der Eckladen an der Kippenbergstraße im Leipziger Osten war jahrelang eine linke Instanz im einst unattraktiven, von Neonazis geprägten Kiez. Man verstand sich auch als Anlaufpunkt der wenigen Linken vor Ort und war Vorreiter in Sachen linker Projekte. Für Nazis schien dies immer wieder Anlass genug, das Projekt anzugreifen.
Nun gibt es wieder Proteste und Tumult um das Atari. Allerdings nicht seitens kiezbekannter Neonazis, sondern von Linken. Zwar nicht mit der Brutalität rechter Gewalt, dennoch mit einer Intensität, die Fragen aufwerfen muss. Der Grund: ein Vortrag der Kulturwissenschaftlerin Cordula Trunk mit dem Titel „Is Palestine a Feminist Issue?“
Das Thema: Sexualisierte Gewalt als Kriegsmittel und die unzureichende Reaktion der feministischen Öffentlichkeit auf antisemitische Tendenzen. Es kam jedoch nicht etwa von Rechten, sondern von palästina-solidarischen Aktivist*innen zu ersten Störungen. Die Situation eskalierte, ein Zuhörer schrie in den Raum, dass es sich dabei um Lügen und Propaganda handle. Das führte dazu, dass Personen unsanft aus dem Saal begleitet wurden. Die Reaktion: eine Kundgebung vor dem Atari am Folgetag und der Vorwurf, rechts zu sein.
Solidarität mit Israel
Das Conne Island ist ebenfalls Angriffsfläche. Das alternative Zentrum im Süden der Stadt existiert seit 1991 und wurde von jenen aufgebaut, die den 90er Jahren und deren rechter Gewalt etwas entgegensetzen wollten. Einer massiven Gewalt im ländlichen Raum, die auch vor der Stadt selbst nicht haltmachte. Viele verließen das sächsische Hinterland Richtung Leipzig. Der oft wiederholte Vorwurf auch damals: die Solidarität mit dem angeblich faschistischen Staat Israel. Inzwischen ruft die antiisraelische BDS-Bewegung zum Boykott des Conne Island auf.
„Shitstorms und Boykottkampagnen binden wochenlang die Kapazitäten der Projekte“, heißt es in einem Statement des Atari. Dabei hätten linke Läden aktuell Wichtigeres zu tun, heißt es weiter. Fest steht: Projekte wie das Atari und das Conne Island sind Ankerpunkte der linken Szene, von jenen und für jene, für die Orte in Nordsachsen, im Erzgebirge und der Lausitz feindliche und nicht mehr lebenswerte Orte geworden sind, Orte, die mit Blick auf die Landtagswahlen nicht weniger feindlich werden.
Kurz: Es braucht diese Projekte angesichts der erstarkenden Rechten und angesichts fehlender Freiräume sowie wegbrechender städtischer und staatlicher Finanzierung.
Völlig klar scheint, dass in linken Gruppierungen gerade keine Einigkeit zu finden ist, zu vielen Themen ohnehin, am wenigsten aber im Hinblick auf den Nahostkonflikt und Antisemitismus. Einigkeit bräuchte es auch nicht; nirgendwo existiert der Imperativ, mit – je nach Perspektive – Antisemiten oder verhassten Antideutschen organisiert gegen Neonazis vorzugehen.
Der Ruf nach Überwindung ideologischer Spaltung verhallt gerade auf Instagram ebenso wie auf den Straßen. Aber wenn ein Miteinander gerade so unmöglich erscheint, warum dann nicht ein Nebeneinander?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?