Letzte Generation in Berlin: Klebstoff war gestern

Die Ak­ti­vis­t:in­nen haben eine neue Protestform erprobt, bevor sie ganz Berlin „lahmlegen“ wollen. Der Schleich-Zug soll dabei helfen.

Polizist:innen von hinten. Über ihre Schultern hinweg sieht man Menschen in Warnwesten und die Prunkbauten der Karl-Marx-Allee

Ein schleichender Prozess: Die Letzte Generation demonstriert jetzt Foto: Markus Schreiber/ap

Berlin taz | Es ist ein ruhiger Tag auf der Karl-Marx-Allee. Die Mittagssonne spiegelt sich auf klassizistischen Fassaden, Osterglocken blühen und die sechsspurige Hauptverkehrsstraße ist ungewöhnlich leer. Der Grund für Letzteres ist an ihrem östlichen Ende zu finden, am Platz Frankfurter Tor. Etwa 200 Ak­ti­vis­t:in­nen der Letzten Generation starten dort ihren Protest auf den drei Spuren, die stadteinwärts führen. Dramatische Bilder von gewalttätigen Au­to­fah­re­r:in­nen bleiben diesmal aber aus.

Die Bewegung erprobt seit Donnerstag eine neue Protestform. Statt sich auf die Fahrbahn zu kleben, laufen die Ak­ti­vis­t:in­nen geschlossen im Schleich-Tempo. Eine Mischung aus Straßenblockade und Demo sozusagen. Die Veranstaltungen sind nicht angemeldet, die Polizei wird nicht vorab informiert und die Straßen sind länger nicht befahrbar als bei einem normalen Protestzug. Ein gewisser Störfaktor bleibt somit vorhanden.

Die Letzte Generation macht seit 2021 von sich Reden. Zu Beginn mit einem Hungerstreik, später mit Beschmierungen und Klebeaktionen an Kunstwerken und vor allem durch Straßenblockaden. Dadurch wollen die Ak­ti­vis­t:in­nen auf die Klimakrise und die unzureichende politische Antwort darauf aufmerksam machen. Aktuell will die Gruppe Berlin „lahmlegen“, tage- oder gar wochenlang soll es Aktionen geben.

Sie positioniert sich somit als radikalere Alternative zu etablierten Klimaschutzbewegungen wie Fridays for Future. Ihre konkreten Forderungen sind allerdings sanfter. Die Letzte Generation fordert ein allgemeines Tempolimit von 100 Kilometern pro Stunde, die Weiterführung des 9-Euro-Tickets sowie die Einführung eines Gesellschaftsrates. Dieser würde mit gelosten Bür­ge­r:in­nen besetzt werden und dem Bundestag Maßnahmen zum Klimaschutz empfehlen.

Verkehrsminister Wissing willigt in Treffen ein

Nachdem die Polizei erkennt, dass diesmal keine Klebe-Aktionen zu erwarten sind, lässt sie den Protestzug laufen. Möglicherweise auch eine Lektion vom Donnerstag: Da hatte die Polizei den Schleich-Zug auf der Straße des 17. Juni festgesetzt, woraufhin einzelne Ak­ti­vis­t:in­nen erst begannen, sich festzukleben.

Die neue Protestform verbessert die Atmosphäre erheblich: Statt den üblichen Hupkonzerten der Autos tönt der Chor der Letzten Generation. Er singt eine Eigenkreation: „Wir lassen nicht zu, dass unsere schöne Welt zerstört wird. Wir bleiben hier, bis auf die Wissenschaft gehört wird“, hallen die Stimmen durch die Karl-Marx-Allee.

Auch wird heute viel miteinander gesprochen. Auf den breiten Bürgersteigen diskutieren Anwohner:innen, Aktivist:innen, Polizist:innen, Tou­ris­t:in­nen miteinander. „Unser Sohn hat als Handwerker schon den größten Ärger wegen euch gehabt“, erzählt eine ältere Dame auf einer Bank. Eine junge Frau dagegen findet den Protest gut: „Die erreichen ja genau das, was sie wollen: dass der Verkehr gestoppt wird.“

Einen Erfolg verbucht die Letzte Generation aber am Nachmittag für sich: Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) will sich mit der Gruppe treffen. Sein Zuständigkeitsbereich, der Verkehrssektor, hält regelmäßig die Klimaziele nicht ein. Zeitgleich zum Protest begeht die FDP ihren Bundesparteitag in Berlin. Deswegen startete auch die Klimabewegung Fridays for Future einen Demozug am Freitagnachmittag. Am 2. Mai wollen sich Ver­tre­te­r:in­nen der Letzten Generation nun mit dem Verkehrsminister treffen.

Die Schleich-Demo hatte eigentlich zum Brandenburger Tor führen sollen, fast fünfeinhalb Kilometer und zu Fuß eine gute Stunde vom Frankfurter Tor entfernt. Nach mehr als zwei Stunden ist der Tross allerdings noch nicht mal ganz auf der Hälfte der Strecke angekommen. Er schleicht eben. Am Haus der Statistik nahe dem Alexanderplatz endet der Protest. Die Polizei will die Versammlung auflösen, blockiert die Straße, die Ak­ti­vis­t:in­nen wollen keine eskalativen Bilder – und willigen ein.

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