Kritik an der taz: Wer ist mal links gestartet und heute bürgerlich?
Auf einer Lesung in Hamburg über Medienkritik von links bekam die taz ihr Fett weg. Immerhin gab's Gummibärchen.
I m roten Salon wird gewartet, ob noch wer kommt. Der Ort ist weder rot, noch Salon, sondern ein Raum in der Hamburger Uni, der aussieht wie ein Klassenzimmer an einem Montagabend. Vorne Kreidereste an der Tafel, davor Reihen grauer Plastiktische, über allem kaltweißes Licht.
Die Plätze sind schon gut besetzt. Neben mir werden Apfelchips ausgepackt. Wenigstens ist das Thema spannend: ideologiekritische Medienkritik und die Frage, ob die taz noch links ist. Ich schenke mir Tee ein.
Am Pult vorne unter der Tafel sitzen zwei Männer mit Brillen und Anzügen. Der eine hat graue Haare, der andere braune. Vor ihnen liegen mehrere Exemplare des Buches „Medienkritik ist links“. Der Braunhaarige heißt Lukas Meisner, ist Soziologe und hat das Buch geschrieben. Der andere ist Michael Hopp und hat Meisner eingeladen. Hopp organisiert seit diesem Jahr die Veranstaltungsreihe „Roter Salon“, zusammen mit der Marxistischen Abendschule Hamburg und der Liste unabhängiger Verlage.
Die Tür geht auf und ein Pizzakarton schiebt sich durch den Spalt. Dazu gehört eine junge Person. „Oh, Pizza für alle?“, ruft meine Sitznachbarin, graue Strähnchen. Die Pizzaperson setzt sich schnell in eine der hinteren Reihen.
Michael Hopp will anfangen: „Wir Ältere wissen es noch …“, und unterbricht sich. „Heute sind ja gar nicht so viele Ältere da, was mich sehr freut!“
Ich drehe mich um und schaue ins Publikum. Ein bisschen graue Haare, ein paar blondierte Strähnchen. Mehrere Schurwollpullover, aber auch einige T-Shirts. Er hat recht. Es ist eine gute Mischung.
Hopp ist inzwischen dabei, ins Thema einzuleiten. Er erzählt, wie die Bild 1967 auf Benno Ohnesorg mitgeschossen hat, dass Medienkritik früher links war und wie er mal einen Text mit Dutschke und Cohn-Bendit redigieren durfte. „Süß!“, ruft eine Frau mit roter Mütze vor mir.
Dann geht es los. Meisner erzählt, was in seinem Buch steht und liest daraus vor. Er sagt, Medienkritik gelte seit einigen Jahren als rechts, aber Linke sollten sie sich zurückholen. Denn was berichtet wird, sei wichtig, weil es die Öffentlichkeit präge, und die stecke im neoliberalen Kapitalismus in der Krise. „Das Problem ist, wir haben keine linken Medien mehr“, sagt Meisner.
Die taz bellizistischer als die „Welt“
Blätter wie die taz seien links gestartet, aber heute bürgerlich, teils „haarsträubend rechtsliberal“. Niemand benenne mehr den Kapitalismus als Grundlage dieser Gesellschaft. Das liege an den Zwängen des selbigen, aber auch am fehlenden Mut der Journalist*innen, die nicht anecken wollten.
Ich rutsche ein Stück tiefer in den Stuhl, stecke mein Kinn in meinen Rollkragen und denke, dass da was dran ist. Vorne will Hopp von Meisner wissen, wo die linke Medienkritik stattfinden könnte, wenn die taz den Bach runter gegangen ist. „Wie kommen wir aus der Nummer raus?“ Meisner windet sich ein bisschen um die Antwort und nennt einen Podcast und die Freien Radios. Im Publikum brummen zwei alte männliche Stimmen zustimmend.
„Seid ihr noch wach?“, fragt Hopp das Publikum. „Weiter!“, ruft die Frau mit der Mütze. Dann geht es um die Berichterstattung zum Krieg in der Ukraine. Hopp liest aus einem Kommentar, der in der taz erschienen ist. Hopp und Meisner sind sich einig, die taz sei „teilweise bellizistischer als die Welt“ und nicht mehr links, wie die Grünen.
Das Publikum wird langsam unruhig und will Fragen stellen. Hopp reckt eine Faust in die Höhe und sagt: „Wir springen ans Ende des Buches, wo Lukas politisch die Katze aus dem Sack lässt!“ „Hab ich das vorher noch nicht?“, sagt Meisner gutgelaunt und klappt sein Buch wieder auf.
Als er fertig ist, klopfen alle auf die Tische, wie nach einer Vorlesung. „Habt ihr noch Kraft?“, sagt Hopp vor der Fragerunde, „hätte hier eine Tüte Gummibärchen.“ „Gummibärchen für alle!“, brüllt meine Sitznachbarin und die Tüte geht rum. Ich nehme eine ganze Handvoll und sage, dass ich bei der taz bin und linken Journalismus machen will. „Macht nichts“, dreht sich einer im Wollpulli zu mir um, „du darfst ruhig bleiben.“
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