Kompromiss beim Bürgergeld: Bürgergeld light oder Hartz V?

Besonders die Ampel ging weit auf die Union zu. Betont aber den Kern des Bürgergeldes erhalten zu haben. Stimmt das?

kleine Geldscheine liegen aufeinander

Ab Januar können Bür­ger­geld­be­zie­he­r:in­nen mit 53 Euro mehr rechnen. Immerhin Foto: Marijan Murat/dpa

BERLIN taz | Das war knapp. Rechtzeitig zum ersten offiziellen Treffen des Vermittlungsausschusses am Mittwoch und zwei Tage vor der Bundesratssitzung am Freitag haben Ampel und Union den Weg fürs Bürgergeld frei gemacht. Auf informeller Ebene war in den letzten Tagen viel und hart über den Hartz-IV-Nachfolger verhandelt worden. Die Union hatte das Bürgergeld zuvor im Bundesrat blockiert, die Regierung den Vermittlungsausschuss angerufen.

Beim Endspurt wollte die Ampel der Union aber nicht den Vortritt lassen. Um 12 Uhr hatte die Union am Dienstag zum Pressestatement geladen, eine Viertelstunde zuvor bezogen die Am­pel­un­ter­händ­le­r:in­nen – die Parlamentarische Geschäfsführerin der SPD, Katja Mast, Grünenfraktionschefin Britta Haßelmann und FDP-Vize Johannes Vogel – links neben dem Unionsaufsteller vor der eigenen Medienwand Position. Tenor: Man sei auf die Union zugegangen, ohne den Kern des Bürgergelds preiszugeben.

Die Union musste sich gedulden. Erst nachdem Vogel, Haßelmann und Mast das Feld geräumt hatten, konterte Friedrich Merz mit exakt der gegenteiligen Botschaft. Bürgergeld stehe zwar noch drauf, „aber es wird dem Inhalt nach nicht mehr das Bürgergeld sein, das die Koalition ursprünglich geplant hatte“.

Die Union erschien im Quartett. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sowie die beiden Verhandler der Bundestagsfraktion, Hermann Gröhe (CDU) und Stephan Stracke (CSU), ließen keinen Zweifel daran, den Sieg davon getragen zu haben.

Entkernt oder kernsaniert?

Wer hat sich also durchgesetzt, kommt das Bürgergeld nun entkernt oder kernsaniert? Das hängt wohl davon ab, ob man sich auf der Fraktionsebene eher links oder rechts verortet. Auch die forsche Vordrängelei des Ampeltrios konnte aber nicht verwischen, dass es der Union in den Vorgesprächen sehr entgegengekommen ist. „Zu meiner Überraschung sehr weitgehend“, bemerkte Merz. Das saß.

In der Tat gab die Ampel in allen drei von der Union kritisierten Punkten großzügig nach: 1. Die sogenannte Karenzzeit, in der Bür­ger­geld­be­zie­he­nde weder Rücklagen aufbrauchen noch umziehen oder einen Teil der Miete zahlen müssen, soll halbiert werden. Für Menschen, die neu Bürgergeld beantragen, übernehmen die Jobcenter ein Jahr lang Miete oder Wohnungsrate in unbegrenzter Höhe. Die Ampel wollte den Menschen zwei Jahre Zeit geben, ohne Druck einen neuen Job zu finden.

2. Ein Schonvermögen von 40.000 Euro plus 15.000 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied muss in dieser Zeit nicht aufgebraucht werden. Die Ampel hatte die geltende Regel verlängern wollen, wonach Vermögen in Höhe von 60.000 Euro plus 30.000 Euro pro Mit­be­woh­ne­r:in geschützt ist.

3. Sanktionen, also eine Kürzung des Bürgergeldes, wenn Termine versäumt oder Maßnahmen geschmissen werden, können von Anfang an verhängt werden. Die Ampel wollte eine sechsmonatige Vertrauenszeit einführen, in der man kaum Sanktionen zu fürchten brauchte. Die soll gestrichen werden. So steht es auch in einem Beschlussvorschlag des Bundesarbeitsministeriums an die 32 offiziellen Ver­mitt­le­r:in­nen von Bundesrat und Bundestag, der der taz vorliegt.

Sanktionen? Gehen schon in Ordnung.

Mast, Haßelmann und Vogel bemühten sich, diese Zugeständnisse herunterzuspielen. „Auch das Bürgergeld war zu jedem Zeitpunkt darauf angelegt, auch Sanktionen zu ermöglichen“, sagte Mast. Das stimmt, Mast selbst hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass sie Sanktionen für notwendig hält. Auch in Teilen der SPD stieß deren Lockerung auf Unverständnis. Laut „ZDF-Politbarometer“ vom 11. November fand mehr als zwei Drittel der Befragten, dass das Bürgergeld zu wenig Anreize biete, einen Job zu suchen. Das sind nicht nur Uni­ons­wäh­le­r:in­nen.

Selbst linke Ge­nos­s:in­nen können daher mit dem Kompromiss leben. „97 Prozent der bisherigen Be­zie­he­r:in­nen kommen gar nicht in Berührung mit dieser Drohkulisse“, meint die SPD-Abgeordnete Annika Klose gegenüber der taz. Das Bürgergeld bleibe ein großer Fortschritt, sie rechne fest mit der Zustimmung in Bundesrat und Bundestag.

Doch die Grünen schmerzt die Streichung der Vertrauenszeit sehr. Haßelmann betonte zwar, dass es beim Bürgergeld weiterhin um Unterstützung, Befähigung und Empathie gehe. Allerdings schaute sie dabei ziemlich enttäuscht drein. Mit der Fuchtel der Sanktionen zu wedeln, passt eben schlecht zu einem empathischen Auftreten.

Die Ampel bemüht sich nun, andere Aspekte des Bürgergelds in den Vordergrund zu stellen. Der Vermittlungsvorrang wird wegfallen, Arbeitslose müssen nicht mehr jeden angebotenen Job annehmen. Sie sollen sich stattdessen mit den Jobcentern auf einen Kooperationsplan einigen, Augenhöhe statt Dekret also. Die Zuverdienstgrenzen für Menschen, die niedrige Löhne mit Bürgergeld aufstocken, werden erhöht. Vor allem Schüler:innen, Studierende und Azubis können deutlich mehr Geld dazuverdienen.

Gutgelaunte FDP

Ein Punkt, der besonders der FDP wichtig war. „Mit dem Bürgergeld schaffen wir mehr Leistungsgerechtigkeit und mehr Aufstiegschancen unabhängig von der Herkunft“, sagte FDP-Vize Vogel unter der Reichstagskuppel. Er war sichtlich besser gelaunt als seine grüne Vorrednerin. Kein Wunder. Beim Thema Vertrauenszeit und Sanktionen sehen sich die Liberalen bestärkt. Noch am Montag hatte FDP-Generalsekretär, Bijan Djir-Sarai, SPD und Grüne aufgefordert, die Vertrauenszeit fallen zu lassen.

Das sei irritierend gewesen, heißt es bei den Grünen, doch selbst hinter den Kulissen lassen diese kaum ein böses Wort auf die FDP kommen. Die Ampel habe gestanden wie eine Eins, auch die FDP habe die gesamte Breite verteidigt, heißt es aus der Fraktion. Der Kampf ums Bürgergeld hat die zerstrittene Ampel wieder zusammengeschweißt, immerhin ein positiver Nebeneffekt.

Vernehmliche Kritik kommt nun vor allem noch von links, nämlich aus der Linkspartei. „Die Reform fällt aus“, meinte Linken-Chefin Janine Wissler. Außer einer dringend überfälligen und viel zu niedrigen Erhöhung des Regelsatzes um 53 Euro bleibe im Wesentlichen alles beim Alten. Fraktionschef Dietmar Bartsch hatte zu Wochenbeginn gedroht, seine Partei werde das Bürgergeld im Bundesrat ablehnen, falls die Ampel zu große Zugeständnisse mache.

Wie sich die vier von den Linken mitregierten Länder Bremen, Berlin, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat verhalten, wird eine interessante Frage. Aber keine, die sich spielentscheidend auf die Mehrheitsverhältnisse in der Länderkammer auswirkt, wenn die Union nun im Boot ist. Die von der Union mitregierten Länder haben dort eine Mehrheit von 39 Stimmen.

Die Ver­mitt­le­r:in­nen aus Bundesrat und Bundestag treffen sich am Mittwochabend, man rechne noch am selben Abend mit einem Ergebnis, so Mast. Auch Unionschef Merz geht von einer Zustimmung aus. Wenn Bundesrat und Bundestag die Reform am Freitag beschließen, kann das Bürgergeld am 1. Januar kommen, inklusive höherer Regelsätze. Dann hätte die Ampel zumindest beim Termin Wort gehalten.

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