Klimapolitik von Protesten unbeeindruckt: Die Ränder werden stärker
Die einen protestieren, die anderen wollen nichts davon hören: Weil die Ampel sich nicht um Klimaschutz kümmert, driftet die Gesellschaft auseinander.
D ie gute Nachricht zuerst: Es gibt in Deutschland ein Klimagesetz. Nach diesem ist die Regierung verpflichtet, die bundesdeutsche Treibhausfracht bis zum Jahr 2030 um 65 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 zu reduzieren. 2030 – das ist schon in fünf Jahren. Aktuell sind aber erst 46 Prozent geschafft. Es muss also ein enormer Kraftakt folgen: für die ersten 20 Prozent brauchte die Bundesrepublik mehr als zehn Jahre.
Jetzt die schlechte Nachricht: Weil sie zu wenig Klimaschutz betreibt, ist die aktuelle Regierung vor Gericht schuldig gesprochen worden. Mehr Tempo ist notwendig, urteilten die Richter, um sich rechtskonform zu verhalten. Das wird bis zur Bundestagswahl 2025 aber nicht geschehen: Die FDP hat sich darauf versteift, den Klimaschutz zu blockieren. Kein Tempolimit, kein zusätzliches Geld für die Bahn, keine Offensive für den fossilfreien Heizungskeller, kein gesetzliches Verbrenner-Aus ab 2035 – den Ignoranten von der FDP ist die Staatsräson schnuppe.
Beim Bundesverfassungsgericht sind mittlerweile drei Verfahren gegen die Ampel anhängig. Und Karlsruhe hat signalisiert, die Verfahren Anfang kommenden Jahres zu verhandeln. Zuletzt hatten die Karlsruher Richter 2021 die Vorgängerregierung zu mehr Klimaschutz verpflichtet, weil durch die zögerliche Politik die Rechte kommender Generationen verletzt werden.
Daran hat sich nichts geändert, weshalb eine neuerliche krachende Verurteilung der als „Fortschrittskoalition“ angetretenen Ampel nicht unwahrscheinlich ist. Und das im Bundestagswahljahr.
Ausgerechnet Merz?
Es gibt aber eine noch schlechtere Nachricht: Ausgerechnet Friedrich Merz wird den klimapolitischen Scherbenhaufen zusammenkehren müssen, den die Ampel hinterlassen wird. Offensichtlich ist ihm das nicht klar, wie sein ständiges Eindreschen auf die Bündnisgrünen zeigt: Es gibt in der Union überhaupt kein programmatisches Handwerkszeug, das Merz ermöglicht, das Klimaziel 2030 zu erreichen. Dass er das aber muss – dafür sorgen die Gerichte.
Das Ignorieren der gesetzgeberischen Pflicht hat aber bereits heute Folgen, die weit über den Klimaschutz hinausgehen: Mit ihrem Nichthandeln spalten SPD, Grüne und FDP die Gesellschaft. Zu zehntausenden gingen an diesem Freitag wieder jene für mehr Klimaschutz auf die Straße, die ganz unmittelbar die Auswirkungen der Klimakrise zu spüren bekommen werden. Während jene, die Klimaschutz immer noch für „Ideologie“ halten, an diesem Sonntag die AfD in Brandenburg wählen werden.
Die Ränder werden stärker: hier wird für mehr Klimaschutz hungergestreikt, dort Verschwörungen erfunden. Auch das ist eine Folge von unterlassenem Klimaschutz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren