Israelfeindlichkeit im Westen: Groteske Toleranz
Die Ereignisse des 7. Oktober markieren eine Zeitenwende – auch für Linke. Wie der Hamas-Terror gegen Israel das Bewusstsein des Westens verändert.
Seit dem 7. Oktober herrscht eine neue, eine weitere Zeitenwende. Erst jetzt, erst seit es hunderte von Kundgebungen gegen Israel und für Palästinenser gibt, wachen manche in Europa auf. Jetzt erst erkennen einige Europäer, dass der radikale Islam auch auf ihrem Kontinent ein ernstes Problem darstellt.
Doch viele – zu viele – stecken weiter lieber den Kopf in den Sand. Politischer Mut ist bekanntlich eine seltene Ressource. Wer glaubt, durch Ignorieren und Verdrängen der Problematik beizukommen, oder durch ein paar Kampagnen für Diversität und Multikulti, der irrt. Der will nicht sehen, dass es eine klare Verbindung gibt zwischen dem Extremismus auf unseren Straßen, vor unseren Haustüren und der radikalen Hamas in Gaza.
ist Autor und Psychologe. Er lebt und arbeitet in Berlin. Aktuelle Buchveröffentlichung: „Operation Allah. Wie der politische Islam unsere Demokratie unterwandern will“ (Frankfurt am Main 2022)
Für den linken Fundamentalismus ist es ein Tabu, Islamismus und Terroristen zu kritisieren oder Israel bei der Abwehr gegen den Terror zu unterstützen. Wer das tut, der gilt sofort als „islamophob“ oder auf der Seite „der Unterdrücker“. Latent war die intensive Israelfeindlichkeit der Linken lange vor dem 7. Oktober da.
Sie hat sich über mindestens zwei Jahrzehnte entwickelt und radikalisiert. Nach 1945 sah es anders aus. Linke, progressive Deutsche gingen als Freiwillige in die sozialistischen Kibbuzim. Das änderte sich, als Israel 1967 den Sechstagekrieg gegen arabische Nachbarn gewann. Israels jüdische Bevölkerung war nicht mehr Opfer, sondern Sieger! Die Sympathien schwanden.
Dennoch wäre es bis vor wenigen Jahren im bürgerlichen Milieu undenkbar gewesen, öffentlich judenfeindliche Reden zu halten. Das taten allenfalls Neonazis, radikale Palästinenser oder Islamisten. Heute rufen Tausende Studierende an den besten Universitäten zur Auslöschung des jüdischen Staates auf und bekunden Sympathien für eine autokratisch herrschende Terrorsekte wie die Hamas.
Hetze wie entfesselt
Verständnis für den Terror der Hamas findet sich bei Klimaaktivisten, Linksradikalen, Postkolonialen, Islamisten, Migranten, Muslimen, Künstlern, Galeristen, Kuratorinnen, Flüchtlingen bis hin zu professionellen Antirassisten, die mit Antisemitismus kein Problem haben. Die deutsche Palästina-Szene sieht nicht das Paradox, dass ausgerechnet diejenigen, die sich politisch radikal von ihren Nazi-Vorfahren unterscheiden wollen, sich weigern, judenfeindlichen Terror als judenfeindlichen Terror zu benennen, und stattdessen radikal antisemitischen Islam dulden.
Hetze gegen Israel oder Juden scheint seit dem 7. Oktober wie entfesselt. Umso grotesker ist eine woke Ideologie, die Toleranz für Minderheiten fordert, aber selber alles brandmarkt, was von ihrer Moral abweicht. Und noch grotesker, die Fantasie in der Palästina-Solidarität, dass Terrorsekten wie die Hamas auch nur ein Gramm Toleranz für queere Leute hätten. In Gaza wäre eine LGBTQI-Wohngemeinschaft schlicht unmöglich.
Diese Widersprüche werden jetzt jedoch schrittweise erkannt. Wer, wie Seyran Ateş oder ich, aus der muslimisch-migrantischen Community heraus Hinweise auf Probleme mit dem radikalen Islam gegeben hat, auf Integrationsdefizite, Parallelgesellschaft oder Clankriminalität, wurde in der linken Szene als „rechtsextrem“ abgetan. Das ändert sich jetzt allmählich.
Es wird immer klarer, dass Gruppen, die Hass laut Bekenntnis ablehnen, aber vom Hass auf weiße Menschen leben, auf den „Globalen Norden“, auf Kapitalisten und Polizisten, ein ultraschlichtes, schwarz-weißes Weltbild propagieren. Im Zentrum dieses Weltbildes steht meist ein Ressentiment gegen Juden und Israel.
Imitation des Jargons
Der politische Islam nutzt solche Diskurse und imitiert deren „progressiven“ Jargon, um sich ungestört zu verbreiten, Einfluss zu nehmen und latent wirkende Parallelgesellschaften zu etablieren. Hand in Hand feiern Islamismus und Antikolonialismus die Opfermythen der Muslime. So konnten die grausamen Massenmorde des 7. Oktober zum Aufstand der Unterdrückten umgedeutet werden.
Aus dieser Sicht repräsentiert Israel eine „Kolonialmacht“, sind Juden weiße privilegierte Ausbeuter, und der Hass auf Juden ist daher legitim. Da wäre Empathie für ermordete Babys und entführte Kleinkinder nur sentimental. Ein großes Ausmaß an politischer und emotionaler Taubheit ist notwendig, um die Gefahr durch antidemokratische, fundamentalistische Unterwanderung nicht zu bemerken.
Noch ist eine Mehrheit in Europa und den USA auf der politischen Ebene bereit, Israel bedingungslos unterstützen. Doch von den Trump-Anhängern bis zu den immer beliebteren Parteien an rechten wie linken Rändern regen sich Stimmen, die diese Unterstützung anzweifeln.
Dabei ist die Chance gerade jetzt am größten, der beginnenden Unterwanderung durch fundamentalistische Ideologien entgegenzutreten – jetzt, da sie sich öffentlich entlarven. Wenn SPD-Bundeskanzler Scholz eine klare Rede hält, die Antisemitismus verurteilt, und islamistische Vereine verbieten lässt, während zwei Kilometer vom Bundestag entfernt Parolen gegen Israel und Juden gebrüllt werden, dann ist etwas aus der Balance geraten.
Nichts gesehen, nichts gehört
Wenn Stimmen aus Politik, Medien und Zivilgesellschaft „muslimfeindliches“ Klima in Deutschland beklagen, um Muslime nach dem 7. Oktober kollektiv zu Opfern zu erklären, dann haben diese Leute auf der Straße oder beim Fernsehen die Augen zugemacht und nichts gesehen, nichts gehört. Oder wollen sie bewusst Diskurse verschieben und klare Fragen vermeiden, etwa die Frage nach dem Antisemitismus in muslimischen Communitys?
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte kurz nach dem 7. Oktober eine europäische Allianz gegen die Hamas vorgeschlagen. Inzwischen scheint er unter dem Druck der Straße seine Sprache zu ändern. Er kritisiert Israel scharf und bleibt fern, wenn Solidarität mit Israel demonstriert wird. Es scheint, dass er Krawalle fürchtet.
Das Reiz-Reaktions-Schema entspricht dem Kalkül der Hamas – wie im Nahen Osten, so in Europa. Radikale Muslime und verbohrte Linke mobilisieren zum Druck auf europäische Regierungen – ein Paradebeispiel für Unterwanderung.
Einfluss auf den Mainstream
Solche Taktiken beschreiben bereits die Schriften der Gründerväter der Muslimbruderschaft. Sie inspirieren ihre Anhänger, wie die Hamas, auch in der Gegenwart. Umso erschreckender, wenn diese Dynamik auch Einfluss auf Mainstream-Politik und akademische Milieus ausübt. Teils werden Islam-Fundamentalisten nicht nur toleriert, sondern sogar als Partner gesehen, mit öffentlichen Geldern unterstützt und vor Kritik auch aus der muslimischen Gemeinschaft geschützt.
Die jüdische Gemeinschaft und Israel werden sich der veränderten Weltlage bewusst. Noch haben sie die Unterstützung der USA und anderer europäischer Länder. Der Westen muss sich aber enorm viel mehr Klarheit verschaffen über die Milieus, die vom demokratischen Weg abgekommen sind, in der Politik wie im Bildungssystem, in der Wissenschaft und in Thinktanks.
Ein klarer, weitaus wacherer Blick als bisher muss der zukünftigen politisch-wirtschaftlichen Elite gelten, an allen Universitäten, auch an Elite-Institutionen wie Harvard oder der Columbia University. Ebenso gilt das für den Blick auf das Klima innerhalb der migrantischen Communitys.
Für Demokratien wird viel davon abhängen, ob der Westen in den Bereichen Migration und Integration die richtigen Weichen stellt. Dabei kommt es darauf an, die Fähigkeit zu Reflexion und kritischen Denken so stark wie möglich zu fördern. Der Prozess der Integration wird auch davon abhängen, ob Israel im Kampf gegen den radikalen Islam erfolgreich sein und diesen – gemeinsam mit anderen Demokratien – weltweit abschrecken kann.
Andernfalls könnten die Auswirkungen weit über die Grenzen Israels hinaus spürbar werden – noch deutlicher als bisher auch in Städten wie Berlin, Paris oder Zürich, New York oder London.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt