Impfgegner und die Coronapandemie: Gegen den Stich
Europaweit setzen Regierungen auf die neuen Impfstoffe, um Corona zu stoppen. Impfgegner und Rechtsextreme mobilisieren dagegen.
A ls Walter Weber die Bühne betritt, liegt Kiel im Nebel. Es ist der 12. Dezember, knapp 400 Menschen stehen vor dem Rednerpult, aus dem das Wort „Freiheit“ herausgeschnitzt wurde. Weber sagt, Coronaviren gebe es seit 70 Jahren, und schließt daraus: „Wir zählen hier Erkältungen!“
Empfohlener externer Inhalt
Weber ist pensionierter Internist und Onkologe, ein älterer Herr mit schütterem Haar und Lachfalten. Die Initiative „Kiel steht auf“ hat ihn als Auftaktredner eingeladen. Die Masken brächten nichts, ruft er, positive PCR-Tests seien „medizinisch völlig wertlos“. Dann geht es ums Impfen: „Ich verrate ihnen ein Geheimnis: Ich habe ein Immunsystem.“ Klatschen, Pfeifen, Rasseln aus der Menge. Mit Mühe erhebt er seine Stimme noch mal mehr: „Ich lasse mich nicht impfen! Nur über meine Leiche!“
Im März habe er gemerkt, dass „die Zahlen nicht zur medialen Panikmache passten“, sagt Weber. Im April gründete er mit drei anderen Mediziner_innen die Stiftung „Ärzte für Aufklärung“. Weil er einen Doktortitel trägt und mit seinen 76 Jahren eine auf Lebenserfahrung gebaute Autorität ausstrahlt, gilt er vielen Pandemieleugner_innen als Experte. Als jemand, der sich auskennt mit PCR-Tests, Inzidenzwerten und mRNA-Impfstoffen.
Als Weber auf dem Weg zur Demo am Bahnhof von einem Bundespolizisten aufgehalten wird, trägt er keine Maske, aber das ist kein Problem. Ein befreundeter Arzt hat ihm ein Attest ausgestellt: „Walter Weber kann aus gesundheitlichen Gründen keinen Mund-Nasen-Schutz tragen“. Routiniert zieht er einen gefalteten, laminierten Zettel aus der Innentasche seiner Jacke und zeigt ihn dem Polizisten.
Menschen wie Weber führen eine Protestbewegung an, die seit dem Frühjahr gegen die Coronamaßnahmen auf die Straße geht, geeint in dem Glauben, die Pandemie sei ein Fake. Bestärkt werden sie von einem nicht versiegenden Strom der Desinformation. Jetzt mobilisieren sie auf ein Ereignis hin, das alle umtreibt: den Start der Impfungen.
Am kommenden Montag entscheidet die EU-Arzneimittelagentur über die Zulassung des ersten Impfstoffs. Um mit diesem die Seuche zu stoppen, müssten sich 60 Prozent der Bevölkerung impfen lassen. „Impfen ist der Weg raus aus dieser Pandemie“, sagt Gesundheitsminister Jens Spahn. Und: Vertrauen sei beim Impfen das „Allerallerwichtigste“.
Genau das aber untergraben die Impfgegner_innen: das Vertrauen in die Sicherheit der Impfung. Und Rechte aller Couleur schlagen daraus politisches Kapital.
Jüngsten Umfragen zufolge ist es um das Vertrauen nicht allzu gut bestellt. 2016 bezeichneten sich noch drei Viertel der Befragten in Deutschland als „Impfbefürworter“. Wissenschaftler_innen der Uni Erfurt fanden heraus: Die Impfbereitschaft fällt seit April. Bei ihrer Umfrage Anfang Dezember gab nur rund die Hälfte der Befragten an, sich „(eher) gegen COVID-19 impfen“ lassen zu wollen. „Selbst bei einem perfekt wirksamen Impfstoff würde die aktuelle Impfbereitschaft nicht ausreichen, um die Verbreitung des Virus zu stoppen“, schreiben die Forscher_innen.
Bei der Kundgebung der Impfgegner_innen in Kiel, auf einem Parkplatz vor dem Ostseekai, wo die Kreuzfahrtschiffe anlegen, nieselt es. Nur wenige Demonstrierende tragen Masken, dafür aber Buttons mit „Umarmbar“, „Atomkraft Nein Danke“ oder „Pharmaindustrie haftbar machen“. Lautstark begrüßen sie einander und fallen sich in die Arme, witzelnd, man werde ja „von der Staatsmacht beobachtet“. Der Kitt ihrer Bewegung ist das Wir-gegen-das-böse-System-Gefühl.
Im Gespräch mit der taz beschreibt es Weber so: Diejenigen, die den „Fake der Pandemie“ besonders schnell bemerkt hätten, seien die Handwerker gewesen. „Die haben die solideste Haltung. Die Intellektuellen intellektualisieren alles, denen fehlt der unverstellte Blick“, sagt Weber. „Die Unterdrückung Andersdenkender“ sei „schon voll aktiv“. Die Hamburger Sparkasse habe ohne Vorwarnung das Konto seiner Stiftung gelöscht, 20.000 Euro Spendengelder seien an die Spender_innen zurücküberwiesen worden.
Am 24. April, neun Tage nachdem Weber die „Ärzte für Aufklärung“ gründete, demonstrieren in Wien 200 Menschen auf dem Albertinaplatz in der Wiener Innenstadt. Aufgerufen hat die „Initiative für evidenzbasierte Corona-Informationen“. Mit dabei: Der „Obmann“ der „Identitären“ Martin Sellner. Redner_innen warnen vor Zwangsimpfungen durch Bill Gates. „Wir sind die Juden“, skandieren die Demonstrienden. „Ja, ich hab's mit dem Faschismus verglichen“, sagt eine Frau auf Nachfrage eines Reporters.
Bei der nächsten Coronademo in Wien, Mitte Mai, tragen Teilnehmer_innen ein Schild mit der Aufschrift „Impfen macht frei“. Auf dem Bild wird auf den Eingang des Konzentrationslagers Auschwitz angespielt, mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ auf den Toren. Auch die AfD Salzgitter verbreitet zwischenzeitlich ein Bild mit dem Slogan. Ebenfalls Mitte Mai auf dem Opernplatz in Frankfurt haben sich Coronademonstrant_Innen Armbinden mit David-Sternen umgebunden, wie die Juden sie im NS tragen mussten. Darauf steht: „Ungeimpft“. Bald darauf tauchen die Armbinden auch in Zürich, Hamburg, Berlin, Stuttgart auf.
In Kiel ist Weber fertig mit seiner Rede. Er sieht müde und abgekämpft aus. Seit Mai fährt er fast jede Woche in eine andere Stadt. Manchmal auf Einladung des Veranstalters, manchmal nur, um Flyer zu verteilen und Kontakte zu knüpfen. Auch Ärzt_innen aus dem Ausland hätten ihn eingeladen. Ungarn, Italien, zuletzt „sogar die Japaner“.
Wenn Weber nicht unterwegs ist, verschickt er aus Hamburg Flyer, die aufklären sollen – und dabei vor allem Ängste schüren. Auf dem letzten Flugblatt steht: „Zwang zur Impfung droht“, darunter das Foto eines Kindes, das geimpft wird. Die „Ärzte für Aufklärung und Professor Dr. Stefan Hockertz“ warnen vor „80.000 Toten und 4 Millionen Impfgeschädigten durch eine Corona-Zwangsimpfung in Deutschland.“
Das Paul-Ehrlich-Insitut (PEI) widerspricht vehement: Weder in den klinischen Prüfungen an mehreren zehntausend Personen noch bei den Impfungen in Großbritannien seien folgenschwere Reaktionen oder gar Todesfälle beobachtet worden. Auch im Deutschen Ärzteblatt wird vor den „Ärzten für Aufklärung“ gewarnt.
Andrea Feuer gehört zu jenen, die die Impfungen ängstigen. Sie bringt seit 2017 „die Impfkritik in Deutschland auf die Straße“, sagt sie bei einer Demo in Berlin bereits im September 2019, zu sehen in einem Youtube-Video. Die kräftige Frau mit Kurzhaarschnitt, Ende 40, trägt Orange – passend zur Farbe des Banners mit der Aufschrift: „Für freie Impfentscheidung – gegen Zwangsbehandlungen!“ Von einem Blatt Papier liest sie etwas unsicher ihre Rede ab.
Feuer ist Fachangestellte für Zahnmedizin und eine von zwei Gründerinnen des „Netzwerks Impfentscheid Deutschland“. Das ist der deutsche Ableger eines gleichnamigen Schweizer Netzwerks, das von der rechtspopulistischen SVP unterstützt wird. Schon als 2017 die Impfberatungspflicht für Eltern in Deutschland eingeführt wird, wertet Feuer das als politisches „Zügel-Anziehen“. Sie beschließt, politisch aktiv zu werden. 2019 erreicht ihr Kampf einen ersten Höhepunkt: Das Masernschutzgesetz wird beschlossen. „Wir leben in einem Land, in dem die Demokratie nur noch dem Schein dient“, ruft Feuer auf der Masernimpfdemo im September 2019 ihrem Publikum zu. Nur ein halbes Jahr später werden solche Sätze auch dem Publikum der Coronaproteste einheizen.
Heute nennt Feuer die geplante Impfoffensive ein „Menschenlabor“. Sie sei keine Impfgegnerin, sondern Impfkritikerin, versichert sie der taz. Impfungen seien nicht per se ein Problem, aber das „anerzogene Mantra“, nach dem Impfungen als „höchstes Gut der Medizin“ gelten. Es werde „unkontrolliert“ geimpft, ohne differenzierte Diagnostik auf Vorerkrankungen.
Das Paul-Ehrlich-Institut widerspricht auch dieser Behauptung. Es verweist auf den Beipackzettel, der über Risiken für bestimmte Gruppen, Wechselwirkungen und Nebenwirkungen informiert. Selbstverständlich würden Ärzte Impfwillige daraufhin befragen und untersuchen. Zudem würden bei den klinischen Prüfungen auch Angehörige der Risikogruppe geimpft.
Sechs bis sieben Beratungsanfragen zum Thema Impfung bekomme Andrea Feuer jeden Tag, sagt sie. Einige davon leiteten Webers „Ärzte für Aufklärung“ an sie weiter. Feuer spricht mit der warmen Stimme einer besorgten Mutter, das wirkt vertrauenerweckend. Ihre Argumente klingen für Laien einleuchtend. Auch weil sie Unwägbarkeiten anspricht, die die Wissenschaft tatsächlich noch nicht ausräumen kann: etwa welche Langzeitfolgen die Corona-Impfung haben kann.
Feuer ist auch deshalb erfolgreich, weil beim Versuch der Politik, den Impfgegner_innen etwas entgegenzusetzen, noch Luft nach oben ist. Das Bundesgesundheitsministerium hat zwar einen „Steuerungskreis Kommunikation“ für „eine transparente, proaktive und zielgruppenspezifische Kommunikationskampagne“ eingerichtet. Aber ein Interview mit diesem verweigert das Ministerium. „Machen wir nicht“, sagt der Sprecher kurz angebunden – ohne Begründung.
Minister Jens Spahn müht sich indes nach Kräften. Nebenwirkungen sollen Geimpfte per App melden können. „Wir werden das sehr, sehr transparent machen“, sagt er und versichert: „Ich gebe Ihnen mein Wort: Es wird in dieser Pandemie keine Impfpflicht geben.“
In den Telegram-Gruppen mancher Impfgegner ist indes ausgemachte Sache, dass es nicht freiwillig bleibt. Sie teilen Anleitungen, um die Impfbürokratie lahmzulegen, indem man massenhaft Dokumente wie Auszüge aus einem „einheitlichen StaatsRegister des Impfstoff-Unternehmens“ anfordert. Ein Register diesen Namens aber existiert gar nicht.
Auch Andrea Feuer glaubt, der Impfzwang komme indirekt. Airlines hätten schließlich schon angekündigt, nur Geimpfte an Bord zu lassen. „Erst die Reisefreiheit, dann mal weitergesponnen die Veranstalter, die sagen, in unser Konzert kommen Sie nur noch mit Immunitätsausweis.“
Auf Feuers Kundgebungen und im Netz, auf ihrem Blog und in dem Telegram-Kanal mit über 9.000 Followern wird die Pandemie geleugnet und als „Coronahype“ heruntergespielt, Infektionszahlen werden in Zweifel gezogen – und Panik vor einem drohenden Impfzwang verbreitet.
Vor den Ängsten, die sie schürt, scheint sie selbst nicht gefeit. Mit dem nahenden Impfstart wird auch der Ton ihrer E-Mails an die taz aufgeregter. Noch spät am Abend schreibt sie, sie habe gerade den „Corona-Ausschuss“ angeschaut – eine Gruppe von Jurist_innen, die in Videokonferenzen die Coronamaßnahmen hinterfragen und Fakten und Falschinformationen so miteinander verbinden, dass am Ende immer klar ist: Die Pandemie ist ein Fake. Feuer schreibt: „Ich rate Ihnen dringend, sich diese komplette Sendung anzuschauen. Es gab bei dem Covid-19-Impfstoff überhaupt keine prätoxische Studie.“ Nun würden „Menschenversuche“ stattfinden. Feuer bittet darum, „dabei mitzuhelfen“, dies aufzudecken. „Es geht um Leben und Tod!!!“ Mit „prätoxisch“ meint Feuer präklinische Studien auf Toxizität. Doch dass es diese nicht gegeben haben soll, ist laut dem Paul-Ehrlich-Institut eine Falschbehauptung. Ohne diese Daten werde eine klinische Prüfung gar nicht genehmigt, so das PEI.
Es ist genau diese Sorte Angst, die auch Populisten und extreme Rechte, fast überall in Europa, derzeit nach Kräften anzuheizen versuchen.
Wer Europas Rechte verstehen will, muss länderübergreifend recherchieren. Seit 2018 dokumentiert die taz im Verbund Europe’s Far Right die Strategien und Netzwerke der Rechten in Europa. Bis März 2021 geht es in einer neuen Serie darum, wie die Populisten versuchen, die sozialen Verwerfungen der Coronakrise für ihre Agenda zu nutzen. Die Recherchen erscheinen parallel in Libération (Paris), Falter (Wien), Gazeta Wyborcza (Warschau), HVG (Budapest), WOZ (Zürich) und Internazionale (Rom), gefördert durch das Investigative-Journalism-for Europe-Programm (IJ4EU).
„Schiebt euch eure Giftspritze in den Arsch!“, singen Demonstrierende etwa Mitte November auf dem Trafalgar Square in London. Zu dieser Zeit tauft Nigel Farage seine Partei in „Reform UK“ um. Farage ist Gründer der rechtspopulistischen Ukip sowie später der antieuropäischen Brexit Party. Mit Reform UK will er nun als Sprachrohr der Corona-Protestierer punkten. Denn zuletzt war die Partei des Rechtspopulisten auf nur 2 Prozent abgestürzt. Corona sei zwar kein Hoax, sagt Farage, aber die Maßnahmen gegen die Pandemie würden langfristig zu mehr Toten führen.
Ähnlich argumentiert die rechtspopulistische Schweizer SVP. Deren Jugendorganisation nennt die Coronamaßnahmen der Schweizer Regierung einen „Genickschuss“ für das ganze Land. Die SVP unterstützt das „Stopp Impfpflicht“–Referendum. In dessen Komitee sitzt Daniel Trappitsch vom „Netzwerk Impfentscheid“, der Schwesterorganisation des Netzwerks von Andrea Feuer.
In Paris zogen kürzlich rund einhundert Menschen vor das Gesundheitsministerium. Auch einige Gelbwesten hatten sich unter die Demonstrierenden gemischt. „Die Kur ist schlimmer als die Krankheit“, stand auf einem Transparent der „Patriots“, einer Abspaltung des rechtsextremen Rassemblement National (RN). Florian Philippot hatte nach einem Streit mit Marine Le Pen 2017 seine eigene Partei gegründet. Nun steht er in Frankreich im Zentrum jener politischen Kräfte, die Covid-19 für eine Verschwörung und den Impfstoff als Gefahr sehen. „Covid 19: Die unmaskierte Oligarchie“ ist der Titel eines Buchs, das Philippot kürzlich veröffentlichte.
In Frankreich ist die Impfskepsis traditionell besonders stark ausgeprägt. Zwischen 2019 und vergangenem November sank die Impfbereitschaft der Franzosen von 63 auf 50 Prozent. Kürzlich sorgte der Film „Le Hold-Up“, auf Deutsch „Der Überfall“, für Diskussionen. In dieser Pseudodokumentation, die binnen kürzester Zeit ein Millionenpublikum im Netz erreichte, wird die Pandemie als geplante Vernichtung der Menschheit dargestellt, als „Holocaust“ gegen die Ärmsten der Welt. Der Film wurde von Youtube gesperrt, ist aber auf einschlägigen Kanälen bis heute abrufbar.
Auch in Österreich gibt es immer mehr Covid-Verschwörerforen. Am liebsten kommunizieren sie über den Messengerdienst Telegram. In Kanälen wie „Fairdenken“, „CoronaWiderstand“, „Querdenker“ oder auch „Corona-Querfront“ poppen fast im Sekundentakt entsprechende Meldungen auf. Da ist dann zum Beispiel zu lesen, dass sich sogar Labormäuse gegen den Corona-Impfstoff wehren würden – oder dass man heutzutage schon „ein Nazi“ sei, wenn man nur spazieren gehe.
Die aus Baden-Württemberg stammenden „Querdenker“ haben längst in Österreich ihre Ableger. „Auf nach Berlin!“, schrieb Inge Rauscher im Sommer auf ihre Homepage. Die rüstige Seniorin ist Vorsitzende der rechten Ökoinitiative „Heimat & Umwelt“, fleißige Aktivistin für einen EU-Austritt Österreichs. Sie warb dafür, die „Querdenken“-Demo in Berlin zu besuchen. In Wien zerrissen im September Aktivist_innen unter Applaus der Menge auf der Bühne eine Regenbogenfahne, das Symbol der Schwulen- und Lesbenbewegung. Dabei bekamen sie Besuch aus Deutschland: Der bekannte „Reichsbürger“ Frank Radon erschien mit Reichsflagge in Wien.
Die österreichische FPÖ, die seit kurzem wieder auch offiziell enge Verbindungen mit den rechtsextremen Identitären hat, ist nach anfänglichem Zögern auf den Zug aufgesprungen. FPÖ-nahe Medien wie der Wochenblick hofieren die „Corona-Rebellen“, FPÖ-Politiker treten mit ihnen auf. „In der Frage der Corona-Impfung wird von allen wissenschaftlichen und gesundheitspolitischen Standards abgerückt“, behauptete Parteichef Norbert Hofer am Mittwoch. „Die Menschen zu so einer Impfung zu verpflichten, ist schlichtweg verantwortungslos und darf nicht stattfinden.“ Inzwischen hat die FPÖ eine Onlinepetition gegen einen vermeintlichen Impfzwang gestartet.
Eine Studie des „Counter Terrorism Project“ im Auftrag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft warnt bereits davor, dass die Coronapandemie es Rechtsextremen möglich mache, ihre „Mobilisierungsbemühungen rund um regierungsfeindliche Verschwörungsmythen“ auszubauen. Dazu würden sie die staatlichen Coronaschutzmaßnahmen als Errichtung eines „Polizeistaats“ uminterpretieren. Die rechtsextreme Szene „würde auch versuchen, die Debatte rund um einen baldigen Corona-Impfstoff auszunutzen, um Impfgegner für ihre Zwecke einzuspannen“.
Identitären-Chef Martin Sellner schrieb bereits im Mai in der neurechten Zeitschrift Sezession von Götz Kubitschek, der in Sachsen-Anhalt einen Kleinverlag betreibt, durch die Coronaproteste könne „das Wachstumspotenzial des patriotischen Lagers“ steigen. Die Krise könne „vielleicht sogar in die Nähe politischer Macht führen“.
Denn so wie der AfD ist den radikal Rechten in vielen Ländern das durchschlagende Thema abhandengekommen. Sie versuchen ein neues zu finden – und neue WählerInnen dazu: die Verängstigten in der bürgerlichen Mitte. Coronaprotest und das Schüren von Impfpanik sollen dabei helfen.
Das Internet ist ihnen behilflich, den Rechten und den Impfgegner_innen. Seit 2019 stieg die Zahl der englischsprachigen Social-Media-Accounts von Impfgegner_innen um 7,8 Millionen. 31 Millionen User_innen folgen Impfgegner-Gruppen auf Facebook, 17 Millionen auf Youtube. Das zeigt eine Studie des britischen Centre for Countering Digital Hate.
Von einer „Infodemie“ spricht Siddhartha Datta von der Weltgesundheitsorganisation WHO – eine Flut an Informationen, in der das verlässliche Wissen über die Krankheit für den Einzelnen immer schwerer von Fake News unterschieden werden kann. Datta ist bei der Gesundheitsorganisation für das Thema Impfen in Europa zuständig. Fehlinformationen, die die Impfbereitschaft untergraben, seien ein Teil dieser Infodemie, sagt er. „Es ist nicht ein einziges Narrativ, das verwendet wird, um gegen Impfstoffe zu mobilisieren“, sagt Datta. „Die Interessengruppen verwenden an verschiedenen Orten verschiedene Narrative.“ Ein Beispiel seien etwa anthroposophische Gruppen, die ganz eigene Ansichten darüber hätten, was die Menschen tun sollen.
Auch die EU-Kommission sieht das Treiben der Impfgegner_innen mit Sorge. „Sehr ernst“ sei die Lage, sagt ein Sprecher der Generaldirektion Gesundheit. In fünf EU-Behörden sind Beamte damit befasst, gegen die impfbezogenen Fake News vorzugehen. Die EU-Botschaften haben ein Warnsystem für Fake News eingerichtet. Vor allem aber setzt die EU auf die Kooperation der Internetkonzerne. „Wenn Sie heute bei Google nach ‚Covid19-Impfung‘ suchen, werden sie zur WHO oder anderen zuverlässigen Quellen geleitet. Das ist ein großartiger Beitrag“, sagt Siddhartha Datta von der WHO. Facebook, Twitter, Mozilla, Google, Microsoft und zuletzt Tiktok haben eine Selbstverpflichtung unterzeichnet, um gegen Fake News vorzugehen. Der Messengerdienst Telegram ist bislang nicht dabei. Über diese Plattform kommuniziert die Bewegung am liebsten.
Mit Sorge schaut auch Thüringens Innenminister Georg Maier, derzeit Vorsitzender der Innenministerkonferenz, auf die Impfgegner. „Die ideologische Verhärtung bei einem Teil der Impfgegner ist sehr groß, es hat eine Radikalisierung stattgefunden“, sagte Maier der taz. „Wir müssen davon ausgehen, dass es unter den Impfgegnern Kräfte gibt, die nicht davor zurückschrecken, einen Angriff auf ein Impfstofflager durchzuführen.“ Maier will die Lager von der Polizei schützen lassen. Zudem zeige die Diskussion um die niedrige Impfbereitschaft den Rechtsextremisten, dass hier Anknüpfungspotenzial bestehe. „Das muss man sehr ernst nehmen.“
Ein Teil der AfD sieht das mit dem Anknüpfungspotenzial ähnlich. An einem Freitagabend Ende Oktober steht Björn Höcke vor der Stadthalle in Cottbus. Der Thüringer AfD-Chef, Anführer des offiziell aufgelösten „Flügels“ und von den Behörden offiziell als Rechtsextremist eingestuft, kritisiert staatliche „Repressionen“, spricht von „Erstürmungen von Wohnungen“, „Inhaftierungen“ und „Zwangsimpfungen mit erbgutveränderndem Impfstoff“. All das erwäge der Staat. Applaus auf dem Platz, auf dem sich etwa 350 Menschen versammelt haben.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Höcke meint die so genannten mRNA-Impfstoffe, zu denen auch jener von Biontech und Pfizer gehört, der höchstwahrscheinlich nun in der EU zugelassen wird. Es gibt keine wissenschaftliche Belege dafür, dass Impfstoffe wie dieser das Erbgut verändern. „Warnungen vor Erbgutschäden sind falsch und verursachen unbegründete Ängste“, sagt auch der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek. Das hinderte den AfD-Abgeordneten Steffen Kotré nicht, das Märchen vom Impfstoff, der „ins Erbgut eingreift“, am Mittwoch im Bundestag zu wiederholen.
Genau wie die FPÖ versuchen auch Höcke und ein großer Teil der AfD – nach anfänglicher Corona-Orientierungslosigkeit – Anschluss bei den Pandemieleugnern zu finden. Es sei ein großes Verdienst der so genannten Querdenken-Bewegung, lobte Höcke kürzlich, dass es ihr gelungen sei, neue Bevölkerungsgruppen an „die demokratische Straßenkultur“ heranzuführen. Die „friedlichen und gesetzestreuen Bürgerproteste“ stellten, „wenn wir an sie andocken, auch ein großes neues Wählerpotenzial dar.“
Nicht alle in der AfD denken so. Parteichef Jörg Meuthen hat jüngst vor zu viel Nähe zur Querdenken-Bewegung gewarnt. Fragt man im Bundestag nach einer abgestimmten Position der AfD-Fraktion zur Corona-Impfung, bekommt man auch eine eher gemäßigte Antwort. „Wir halten Impfen für richtig, für einen wichtigen medizinischen Fortschritt“, sagt der gesundheitspolitische Sprecher Detlev Spangenberg am Telefon vorsichtig. „ Aber sie sollte freiwillig sein.“
Doch vielen in Fraktion und Partei reichen solche Äußerungen nicht. Einer der in dieser Frage besonders aktiven AfDler ist der bayrische Bundestagsabgeordnete Hansjörg Müller. Bei der jüngsten Kundgebung vor dem Reichstag war er auf einen Klavierhocker gestiegen und hatte eine Rede gehalten. Hinter der Coronapolitik versteckten sich „die Finanz- und Pharmaindustrie“, rief er. Müller ist einer der drei AfD-Abgeordneten, die an jenem Tag Gäste in den Bundestag brachten, von denen einige dort Abgeordnete anderer Fraktionen bedrängten. Weil Müller krank ist, sagt er ein Treffen ab, beantwortet Fragen aber per Mail. „Mir geht das alles viel zu schnell!“, schreibt er auf die Frage, wie er zum Impfen stehe. Nach einer solch kurzen Zeit halte er es für verwegen zu behaupten, dass der Impfstoff sicher sei.
Wie Andrea Feuer warnt er vor einem „indirekten Impfzwang“. Nicht Geimpfte könnten vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden oder ihren Arbeitsplatz verlieren. In Sachsen-Anhalt hat die AfD im Landtag einen Antrag eingebracht, der die Regierung auffordert, eine „Impfpflicht durch die Hintertür“ zu verhindern.
Müller hält die Maske für Freiheitsberaubung und Corona für eine Verschwörung von Bill Gates, der die Menschen zwangsimpfen und daran verdienen wolle. Die Bezeichnung Verschwörungstheoretiker stört ihn nicht. „Das belustigt mich total“, sagte er jüngst im ZDF. Der taz schickt er ein Video von „Prof. Hockertz“, einem der angeblichen Fachleute mit Professorentitel, die die Corona-Skeptiker_innen gern herumreichen. Hockertz wird auch auf dem Flyer von Walter Weber von den „Ärzten für Aufklärung“ zitiert. Und so finden sich Impfgegner_innen und radikal Rechte immer öfter Seite an Seite wieder.
Für dieses Wochenende hat Andrea Feuer zu Schweigemärschen gegen die Coronamaßnahmen in Deutschland und Österreich aufgerufen, gemeinsam mit der Gruppe „Kündigt Ramstein Air Base“ aus der Friedensbewegung. Außerdem hat sie seit Anfang Dezember 100.000 Flyer drucken lassen. Die Nachfrage sei so groß, dass sie 60.000 weitere nachbestellt habe. Feuer sagt, sie glaube nicht, dass das Impfziel in Deutschland erreicht werde.
Auch Walter Weber ist zuversichtlich. Die Menschen würden „sich das nicht länger gefallen lassen“, sagt er im Anschluss an seine Rede in Kiel. Die Protestierenden haben sich zu einem Demonstrationszug in Richtung Innenstadt aufgestellt. Diesen Samstag ist für Weber wieder Demotag. Geht es nach Weimar oder doch Offenburg? Er hat den Überblick verloren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen