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Holodomor-Antrag im BundestagVerständlich, aber anmaßend

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Der Bundestag will die Hungerkatastrophe in der Ukraine unter Stalin als Völkermord einstufen. Damit wird Geschichte für aktuelle Ziele zugeschnitten.

Gedenken an die Hungerkatastrophe der Jahre 1932-33, den Holodomor, am 26. November in Kiew Foto: Valentyn Ogirenko/reuters

V or ein paar Wochen haben russische Besatzer in Mariupol das Denkmal für die Opfer des Holodomor zerstört. Dieser barbarische Akt verdeutlicht das Ziel dieses Eroberungskriegs – die Ukraine soll unterworfen, ihr nationales Bewusstsein, in dem die Erinnerung an den Holomodor eine wichtige Rolle spielt, unterdrückt werden.

SPD, Union, Grüne und FDP wollen im Bundestag nun einen Antrag verabschieden, der zum großen Teil einleuchtet. Man will Kyjiw weiter im Kampf gegen Putins Imperialismus unterstützen und die schütteren Kenntnisse über den Holodomor, die Hungerkatastrophe in den frühen 30er Jahren in der Ukraine, verbreiten.

So weit, so gut. Aber Ampel und Union gehen einen Schritt weiter und behaupten, es liege nahe, den Holodomor als Völkermord zu bezeichnen. Das ist zweifelhaft. Viele Historiker halten Stalins Terror Anfang der 30er Jahre für keine gezielt anti­ukrainische Vernichtungsaktion. Der Krieg gegen „Kulaken und Volksfeinde“, der Millionen das Leben kostete, traf damals die Landbevölkerung auch in anderen Teilen der UdSSR, nicht nur in der Ukraine. Es ist in der Fachwelt umstritten, ob Stalins Antipathie gegen die Ukraine wirklich ein wesentlicher Antrieb des Mordens war.

Der Bundestag ist nun aber keine Historikerkommission. Es hat etwas Anmaßendes, einer komplexen historischen Debatte nun den Weg leuchten zu wollen. Das unterscheidet den Holodomor-Antrag von der Armenienresolution vor ein paar Jahren. Dass die Morde an den Arme­niern 1915 geplant und gezielt waren und somit nach der Defintion von 1948 als Genozid gelten, ist ein historischer Fakt. Das ist beim Holodomor anders – und ein zentraler Unterschied.

Warum nicht „Massenmord“?

Warum sprechen Unionsparteien und Ampelkoalition nicht von einem Massenmord? Dagegen wäre sinnvoller Einspruch nicht möglich. Es muss aber offenbar das Triggerwort Völkermord sein, weil nur das für Aufmerksamkeit sorgt und größtmöglichen Abscheu zum Ausdruck bringt. Damit drängt sich der Verdacht auf, dass hier Geschichte für gegenwärtige Ziele zugeschnitten wird. Das geschieht für einen guten Zweck: die Unterstützung der angegriffenen Ukraine. Aber es hat einen Preis: eine geschichtspolitische Instrumentalisierung.

Fraglich ist auch, ob Völkermord als Schlüsselbegriff für politische Verbrechen hier tauglich ist. Es ist weit einleuchtender, Gewalt des IS gegen die Jesiden, der 10.000 Menschen zum Opfer fielen, als Völkermord zu bezeichnen als Stalins Terror Anfang der 1930er Jahre, der bis zu sieben Millionen in der Ukraine, Kasachstan und in Russland das Leben kostete. Der Kampf um das Etikett Völkermord mag kurzfristige Anerkennungsgewinne bescheren. Ob er der historischen Aufklärung nutzt, ist zweifelhaft.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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51 Kommentare

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  • Als Journalist mit dem Schwerpunkt Linkspartei hätte ich mir von Herr Reinecke einen Artikel zum Umgang in der Linkspartei mit diesem Völkermord gewünscht und warum man den Antrag nicht unterstützt hat.

  • "der bis zu sieben Millionen in der Ukraine, Kasachstan und in Russland das Leben kostete."

    Würde aufgezeigt, dass die Anderen Oblaste, in denen sich der Völkermord konzentrierte, in denen die "sieben Millionen" vor allem starben, vor allem von Ukrainern bewohnt wurden, dann wird klar dass es ein Völkermord gegen die Ukrainisierung und aufsässigen Ukrainer war

  • Wenn in einem Land während einer politisch induzierter Hungernot die Todesrate um das 20 fache regional je nach Herkunft differiert, dann ist das regional bezogener Mord. Dann ist das Völkermord. Mit Sicherheit ein Völkermord gegen Ukrainer und wohl auch Völkermord in weiteren Regionen der UDSSR.

    • @Rudolf Fissner:

      Es geht bei der Frage "Völkermord oder nicht" gar nicht darum, dass sehr, sehr viele Ukrainer starben, sondern darum, ob sie starben, weil sie Ukrainer waren, oder ob sie starben, weil sie Stalin im Wege waren. Das ist der Punkt.

  • "Fraglich ist auch, ob Völkermord als Schlüsselbegriff für politische Verbrechen hier tauglich ist."

    Prinzipiell schwierig, sich an so einem Begriff aufzuhängen, gerade wenn es keine homogene Ethnie trifft. Es war auf alle Fälle ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", dass anerkannt und verurteilt gehört. Wie der eigentlich gesamte Stalinismus.

    Eine Hungerkatastrophe mit Millionen Todesopfern als schlichte Fehlplanung von Versorgung abzutun, wie man es hier und lesen kann, ist zynische Verharmlosung.

    Dass das allerdings nicht längst passiert ist und in der jetzigen Situation auf den Tisch kommt, ist -bei aller Unterstützung der Ukaraine gegen den usischen Terror- ein ganz, ganz billiger Move und bei so hoch sensiblen Themen mehr als nur unangebracht.

    • @Deep South:

      Diese Einordnung von Professor André Liebich (arbeitet in Genf am Institut für internationale Studien. Sein Spezielgebiet sind die Nachfolgestaaten der UdSSR) hier is.gd/bGBO6n ist m.E. wichtig:

      》Wenn man Holodomor begreift als ein Verbrechen gegen Millionen von Menschen quer durch die damalige Sowjetunion, dann findet man eine Basis für eine gemeinsame Erinnerung, für eine Versöhnung zwischen Russen, Ukrainern und anderen Völkern. Wenn man Holodomor als exklusiv ukrainische Tragödie sieht, wie es in der Ukraine geschieht, dann schafft man damit Konflikte mit jenen, die ebenfalls Opfer dieser Tragödie waren《

    • @Deep South:

      Interview bei Euronews:

      》Das ukrainische Gesetz definiert Holodomor als Völkermord am ukrainischen Volk. Das wird in mehr als 20 Staaten so anerkannt. Andere aber halten diesen Begriff nicht für angemessen, nicht für wissenschaftlich korrekt.

      André Liebich: Dieser Begriff ist tatsächlich schlecht gewählt. Völkermord in den 1930er Jahren – das suggeriert sofort einen Vergleich mit dem Holocaust. Da gibt es aber einen Unterschied. Holodomor – die große Hungersnot – traf nicht nur die Bevölkerung der Ukraine sondern auch Menschen in Kasachstan und in Russland. Außerdem steckte hinter der Aktion, die Holodomor genannt wird, nicht die Absicht, Menschen auszulöschen, wie es beim Holocaust der Fall war. Auch wenn es unzweifelhaft Millionen Opfer gab. Die waren aber das Ergebnis der brutalen, unmenschlichen Politik von Stalin, der für die Durchsetzung seiner Ziele nicht vor Opfern zurückschreckte. Sein Ziel war aber nicht die Vernichtung des ukrainischen Volkes – sondern die Umsetzung seines Programms zur Umgestaltung der Landwirtschaft. [...] Auch um den Preis von Millionen Opfern unter der Landbevölkerung, und viele dieser Bauern waren Ukrainer《

      Der Ansatz von Mariia Vladymyrov is.gd/aYz44P hingegen ist politisch: 》Gerade die Deut­schen tragen die Ver­ant­wor­tung, sich dieses Ver­bre­chens bewusst zu sein, weil sie ein Jahr­zehnt nach dem Holo­do­mor die Ukraine zum Schau­platz ihrer Ver­bre­chen machten. In Zeiten, in denen Russ­land das his­to­ri­sche Geden­ken miss­braucht, um die deut­sche Öffent­lich­keit zu mani­pu­lie­ren, ist dies umsowichtiger《

  • 》Damit wird Geschichte für aktuelle Ziele zugeschnitten《

    Es ist noch weitgehender. Wenn Sie hier schreiben: "Das [den Holodomor als Völkermord zu bezeichnen] ist zweifelhaft. Viele Historiker haltenStalins Terror Anfang der 30er Jahrefür keine gezielt anti­ukrainische Vernichtungsaktion. Der Krieg gegen „Kulaken und Volksfeinde“, der Millionen das Leben kostete, traf damals die Landbevölkerung auch in anderen Teilen der UdSSR, nicht nur in der Ukraine" sind Sie, sollte der Antrag so durchgehen, sogar strafrechtlich mit einer solchen Äußerung seit der kürzlich in einer Nacht- und Nebelaktion erfolgten Verschärfung des Volksverhetzungsparagraphen schon auf dünnem Eis ("Leugnung"? "Gröbliche Verharmlosung"?): 》Die neue Fassung von § 130 StGB stellt künftig „Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe“demjenigen in Aussicht, der „eine Handlung der in den §§ 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art […] öffentlich oder in einer Versammlung in einer Weise billigt, leugnet oder gröblich verharmlost, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt […] aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören“. [...]. Seine Anwendung bedürfte zunächst einer Definition des Unsagbaren. Doch die formale Aburteilung eines Kriegsverbrechens nach dem Völkerstrafgesetzbuch ist nicht Bedingung für eine Verurteilung nach § 130 [5] StGB《

    www.cicero.de/inne...g-meinungsfreiheit

    Nicht nur dass im April 2015 dieWerchowna Rada, das ukrainische Parlament, die Mitglieder der Organisation Ukrainischer Nationalisten¹ - üble Nazikollaborateure² - offiziell zu Unabhängigkeitskämpfern erklärt hat, soll nun auch der Bundestag zielgerichtete historische Erklärungen von zweifelhafter Qualität abgeben, deren Infragestellung womöglich sogar strafbar sein wird.

    ¹ de.m.wikipedia.org...cher_Nationalisten

    ²



    www.juedische-allg...ochstilisiert/?amp

  • Ich würde hier die Kritik noch viel grundsätzlicher ansetzen; natürlich ist diese Resolution besonders ärgerlich, weil sich hier der Bundestag ganz offensichtlich über die Fachwissenschaft hinwegsetzt, um einen politischen Punkt zu machen. Die eigentliche Frage ist aber im Allgemeinen, ob es die Aufgabe eines Parlaments sein kann, sich als Historiker-Kommission zu betätigen; denn abgesehen davon, dass es dafür den allermeisten Abgeordneten an fachlicher Qualifikation fehlt, sollte es in einem demokratischen Staat keine verordneten Geschichtsbilder geben. Für die Klärung solcher Fragen sind die historischen Institute an deutschen Universitäten zuständig, nicht die Politik.

    • @O.F.:

      Dann könnte sich der Bundestag aber zu gar nichts geschichtlichem mehr äußeren. Und gerade Deutschland tut gut daran ein verordnetes Geschichtsbild zu haben auch wenn es der AFD bei Zeiten nicht in den Kram passt. Geschichtsschreibung ist immer politisch, da eine Neutralität des Parlaments zu erwarten ist wissenschaftlich-idealistisch verständlich aber unrealistisch. Das wichtige ist das man im Parlament solche Entscheidungen diskutieren kann.

      • @Machiavelli:

        Es geht nicht darum, ob sich der Bundestag zu historischen Fragen äußert, sondern ob es als Entscheidungsinstanz auftritt und damit einen normativen und teils auch juristischen Druck in strittigen Fragen erzeugt, die außerhalb seiner Kompentenz liegen. Noch einmal: in einem demokratischen Staat werden Geschichtsbilder nicht politisch vorgegeben, sondern entwickeln sich auf der fachlichen Diskussion. Die Forderung nach einem "verordneten Geschichsbild finde ich erschreckend, passt aber in den Geist der Zeit (Lipset, meine Lieben, Lipset!) - hier in besonders grotesker Weise, weil die offeziöse Position dem Forschungsstand widerspricht.



        Dass Geschichtsschreibung "immer politisch" wäre, stimmt so nicht; ich kann Ihnen hier keine Einführung in die Theorie und Praxis historischer Forschung geben, aber natürlich zielt diese darauf ab, solche Befangenheiten zu minimieren - und wenn Sie einmal einen seriösen Historiker lesen, merken Sie das auch. Das hat nicht mit "Idealismus zu tun", sondern mit wissenschaftlichen Standards.

  • Liggers. Historisch ein unfaßbarer Vorgang! Keine Frage! But.



    Sorry - aber auch Sie - Reden wie auffem hamburger Fischmarkt “& noch een baben op“ oder nem Basar “ nochn Massenmord! Bitteschön!“ - oder die Hütchenspieler auf der Frankfurter Zeil.



    Ekelhaft. Da ist - NICHTS DRAN “VERSTÄNDLICH“ •



    Abgefucktes “cui bono?“ Polittheater mit Kulissenschieben! Nothing else.

    kurz - Wollt ihr im heißen Krieg partout zum Kalten Krieg zurück? Schwachsinn!



    Aber - AA Analena Baerbock weigert sich ja bereits! Zu verhandel! Woll.



    (Ich habe nicht umsonst einen AA-🏆-



    Ausgelobt!;) - 🙀🥳 - Gellewelle&Wollnichtwoll

    • @Lowandorder:

      Die UN-Konvention definiert Völkermord in Artikel II als ..Handlungen, begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören...



      Inwiefern Stalins Vernichtung durch Hunger und Mord dieses Kriterium erfüllt, ist tatsächlich Forschungsgenstand, also das tatsächliche Motiv der Stalinisten nicht so eindeutig wie das z.B. der Nazis, so existierte eine Ukrainische SSR weiter.



      Ich persönlich denke, das dem Motiv in unserer Gesellschaft ein zu hoher Stellenwert beigemessen wird, aber das ist ein anderer Acker.

    • @Lowandorder:

      Mit wem soll Baerbock über was verhandeln?

      • @Machiavelli:

        Young Man: …es geht um die Schraube im Kopf & waste wann sagst - oder eben besser nicht - wa! Aber sojet begreifens ja eh nicht! Wie unser Trallalfittigirl - too!



        ps & entre nous only - ehran nickname -



        Mit Verlaub - betrachte ich bi lütten als UWG-Verstoß! Gelle - 🙀🥳 -

  • Ein Völkermord ist doch viel weiter gefasst als ein Massenmord.

    Ein Massenmord kann schon ein Massaker auf einer schwedischen Insel sein, während ein Völkermord darüber hinaus viel weitergehende Dimensionen hat.

    Auch der Zeitpunkt ist richtig gewählt, da man es sich bisher mit Russland nicht verscherzen wollte.

  • Insgesamt starben in den vom Staat verursachten Hungersnöten (1931-34 ) etwa acht Millionen Menschen in der Sowjetunion. Besonders betroffen waren die Ukraine (vier Millionen Todesopfer), Kasachstan, die Wolgadeutsche Republik, die Kuban-Region (hier lebten viele Ukrainer:innen), Belarus und die transkaukasischen Republiken. Aber in zwei Regionen ging die Hungersnot mit Terror gegen die nationale Intelligenzija einher: in der Ukraine und in Kasachstan. In der Ukraine war ein Schauprozess im März/April 1930 gegen 45 Personen, Intellektuelle, Wissenschaflter:innen, Politiker:innen der Auftakt zum Massenterror gegen „ukrainische Nationalisten“. Der Terror gegen die ukrainische Intelligenzija ging in den nächsten Jahren weiter, sie wurde fast ausgelöscht. Die Hungersnot und der Terror waren in der Ukraine also zweifelsohne auch gegen die Nation gerichtet, weshalb der Holodomor als Genozid eingestuft werden kann und sollte.

    • @Michael Myers:

      ja genau, stalinistischen Säuberungen gab es zum beispiel in den Gegenden um Moskau und Sankt Petersburg, überhauptnicht. Der Stalinistische Terror hat bekanntlich nur ethnische Minderheiten getroffen. Und ethnische Russen haben weder unter Stalin noch unter Lenin jeh ein deut gelitten oder was?

    • @Michael Myers:

      Da es sich bei allen vom „Holodomor“ betroffenen Sowjetbürgern um Angehörige von - auch von der KPdSU anerkannten - Nationalitäten handelte, kann man da von einem gezielten Völkermord an der ukrainischen Nationalität sprechen?



      Sicherlich wäre es verharmlosend, lediglich von einem „Betriebsunfall“ der kommunistischen Wirtschaftspolitik im Sinne von „Misswirtschaft“ zugunsten des Primats der Industrialisierung bzw. zulasten der landwirtschaftlichen Produktion zu sprechen … aber ging es hier nicht eher um die grausame Vernichtung einer ganzen sozialen Schicht der ländlichen Bevölkerung, nämlich der landbesitzenden Bauern?



      Von der schrecklichen Hungersnot in 1932/33 waren alle Regionen des „Getreidegürtels“ der Sowjetunion betroffen, von der Ukraine im Westen bis Kasachstan im Osten. Auch das gilt es zu würdigen und somit kann, wenn überhaupt, eher von einem sozialen als von einem ethnischen Massenmord einer Bevölkerungsgruppe gesprochen werden … der Begriff Holodomor legt jedoch nahe, dass es sich bei diesen Ereignissen um ein ethnisch-kulturell motiviertes Verbrechen ausschließlich gegen die Ukrainer gehandelt habe.



      Insofern sind diese stalinistischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch nicht vergleichbar mit dem Aghet, dem von deutscher Seite anerkannten osmanischen Völkermord an den Armeniern in WK I, worauf Stefan Reinecke zurecht hinweist.

      • @Abdurchdiemitte:

        Stalins Blick auf die Ukraine war von der Zeit aus dem Bürgerkrieg 1918-1921 geprägt, als es dort gegen die Bolschewiki und die gewaltsame Eingliederung in die Sowjetunion erheblichen Widerstand gab. Der Holodomor ging einher mit gezieltem Terror gegen die ukrainische Intelligenzija, die im Zuge dessen fast ausgelöscht wurde. Auch daran sieht man, dass die Gewalt in der Ukraine sich auch gegen die Nation richtete. Zwar stimmt es, dass Stalin nicht aus rassistisch-biologistischen Motiven handelte, aber den ukrainischen Nationalismus begriff er sehr wohl als potenzielle Bedrohung für die Sowjetunion. Daher ist es richtig vom Bundestag, den Holodomor als Genozid zu qualifizieren. Und Stefan Reinecke sollte seine Hausaufgaben machen, bevor er sich zu bestimmten Sachverhalten äußert.

  • Wäre die Ukraine nicht angegriffen worden und Öl und Gas und ständig und beste Geschäfte mit Russland, dann hätten derlei Beschlussantrag, egal von wem vorgetragen null Chance gehabt überhaupt diskutiert zu werden. Das ist ein Problem und wird uns weiterhin den oft berechtigten Vorsurf einer Doppelmoral einbringen.



    Eben wie auch Menschenrechte in Katar via Frau Feser mit Armbinde reklamieren, Habeck im gleichen Land ohne Armbinde unterwegs und Bückling vor dem Herrscher...wir brauchen doch die Energie. Zum Abgewöhnen das alles ist.

  • Man kann in Bezug auf den Holodomor in der Ukraine die Bezeichnung Völkermord gelten lassen, weil er auf die Schwächung und Vernichtung der ukrainischen Intelligenz und der Russifizierung des Landes abzielte. Eine komplette Ausrottung der ukrainischen Bevölkerung war nie geplant, ist aber auch keine Bedingung um den Begriff "Völkermord" anwenden zu dürfen.

    Also ja, der Begriff "Völkermord" ist richtig, die Abwertung zu einem "Massenmord" würde den Opfern nicht gerecht werden.

  • Traumen kommen an die Oberfläche. Vorher wohlweislich verschwiegen aus Angst vor dem KGB, das was er war und ist.

  • 0G
    06455 (Profil gelöscht)

    Vor dieser rot/grün/gelben Akteuren bleibt man völlig ratlos zurück.

  • Den Antrag genau jetzt während des Ukraine-Krieges zu stellen, empfinde ich als eine unnötige Provokation, welche die Fronten nur noch weiter verhärten wird. Der Kriegstreiber Putin wird eher noch Rachsüchtiger wenn er so was hört. Der Antrag in sich mag berechtigt sein (mir reicht das Wissen nicht um dies zu beurteilen), der Zeitpunkt ist aber falsch. Man muss Konflikte nicht auch noch mutwillig anheizen.

    • @Rudi Hamm:

      Guten Tag Herr Hamm, der Zeitpunkt könnte nicht besser sein, begeht ein Nachfolgestaat der UdSSR doch gerade an jener Ukraine die nächste Barbarei. Und zwar einen Völkermord. Sehe nicht nur ich so, sondern der doch mittlerweile sehr präsente, gut informierte und anerkannte Historiker T. Snyder aus Yale (Osteuropaexperte), der das an 6 Punkten, die auf die Definition bezugnehmen, festmacht. Zu finden bei youtube.

      Beste Grüße.

    • 0G
      06455 (Profil gelöscht)
      @Rudi Hamm:

      Das waren auch meine Gedanken.

    • @Rudi Hamm:

      Ja, man muss sich schon fragen, was jetzt damit bezweckt wird. Russland als das absolut Böse zu installieren? Damit rückt ein Friede in eine noch weitere Ferne.

      • @resto:

        Hier geht es um die Sovietunion, das Russland im Moment Völkermord begeht steht auf einem anderen Blatt.

    • @Rudi Hamm:

      Wie heizt das den bitte den Konflikt an? Wenn sich die Russen von der Wahrheit provoziert fühlen was sollen wir dann machen? Sollen wir sie eine Weltmacht nennen die gegen den Satanismus kämpft weil die Wahrheit das sie eine faschistische Regionalmacht sind Provokation sei?

      • @Machiavelli:

        Ich stimme hier eher Rudi Hamm zu. Das Problem ist nicht der Antrag an sich, sondern der Zeitpunkt.

        Wer sich selbst eine oberflächliche Abhandlung wie die Wikipedia-Seite zum Holodomor ansieht, der kommt zum Schluss, dass es in der Geschichtswissenschaft keinen Konsens gibt, ob die Hungersnot gezielt als Völkermord geplant war oder nicht. Und die Forschenden haben sich wesentlich tiefer mit dem Thema befasst als jede(r)*, der/die hier oder zu anderen Zeitungsartikeln Kommentare abgibt.

        Siehe dazu die englischsprachige Seite en.wikipedia.org/w..._genocide_question, die mehrere Standpunkte zusammenfasst.

        Es scheint da auch in den letzten Jahren keine neuen Erkenntnisse gegeben zu haben. Wäre dies der Fall (etwa wenn ein Stalinscher Geheimbefehl gefunden wurde, der auf Völkermord-Absichten hindeutet), dann wäre es etwas anderes und eine Verurteilung als Völkermord vollends gerechtfertigt.

        *Man kann natürlich nicht ausschließen, dass irgendwo in einem Leserbrief/Kommentar doch Leute mit Expertise ihren Senf abgeben, das habe ich aber bisher zu dem Thema noch nicht gesehen.

      • @Machiavelli:

        "Wie heizt das den bitte den Konflikt an? "



        Weil ein "beleidigter" Putin aus Wut noch mehr Gewalt ausüben könnte, als er ohnehin schon tut.

        • @Rudi Hamm:

          Als ob Putin eine Ausrede braucht. Wir sind nicht seine Therapeuten und ich glaube seine erfrierenden und zusammengeschossene Armee regt ihn deutlich mehr auf.

      • @Machiavelli:

        Das Argument von Rudi Hamm war der Zeitpunkt, haben Sie das nicht verstanden?

  • "Damit drängt sich der Verdacht auf, dass hier Geschichte für gegenwärtige Ziele zugeschnitten wird. Das geschieht für einen guten Zweck: die Unterstützung der angegriffenen Ukraine."

    Sehe ich anders. Die Folge "des guten Zwecks" ist die geschichtsklitternde Erzählung ukrainischer Nationalisten vom "guten reinen Ukrainer" - der nicht selbst am stalinistischen Terror beteiligt war. Also die Erfindung einer "Nation" eines erfundenen Idealukrainers, eines Subjekts, das beanspruchen darf "Ukrainer" zu sein, solange er wahrheitswidrig behauptet, die Mörder seien immer die anderen und keine Ukrainer gewesen.



    Das hat ein materiellen Zweck bei der Formierung einer aggressiv-nationalistischen Gesellschaft, die sich ihrer eigenen Geschichte nicht aufrichtig stellt. Ist also sowohl tagesaktuelle Frage, als auch furchtbare Aussicht auf die Formierung einer Nation Ukraine für die Zukunft.



    Der -letzlich- positive Bezug auf die Ermordung und Vertreibung der ukrainischen Bevölkerung, die als Juden markiert nicht weniger "Ukrainer" waren, ist mit der regierungsamtlichen Verehrung Banderas evident.

    Frage ist also wie man sich verhält, wird "die Ukraine" (also schlicht die ortsansässige Bevölkerung) von diesen beiden Seiten angegriffen: Dem Angriffskrieg des oligarchisch-kapitalistischen Putinrusslands und einer nationalistisch-oligarchis-kapitalistischen Elite, die sich "Die Ukraine" zur Beute macht.

    Wo ist also der "gute Zweck" ?

    • @Martin Kniffke:

      Eine durchaus berechtigte Frage … ansonsten sollte sich der deutsche Bundestag dazu durchringen, den Hungertod von Millionen Kasachen, Russen, Wolgadeutschen, Belarusen und Angehörigen der Kaukasusvölker in 1932/33 ebenso als Genozid einstufen wie den von vier Millionen Ukrainern.



      Was ist mit den ukrainischen Parteikadern, die in diesen Jahren diese verbrecherische Politik Stalins vorbehaltlos unterstützten? Sicher, unter den Bedingungen der Gewaltherrschaft war Opposition kaum möglich … die Ukrainer waren Opfer des stalinistischen Terrors genau so wie alle Nationalitäten der Sowjetunion.



      Der Begriff Holodomor taugt - trotz seiner unbestritten schrecklichen Dimensionen - aus historischer Sicht nicht, einen exklusiven ukrainischen Opferstatus unter der Herrschaft des Stalinismus zu konstruieren.

  • "Je weniger der Waffen- und Wirtschaftskrieg gegen Russland die erwünschten Resultate bringt, desto intensiver und irrationaler wird der ideologische Feldzug gegen Moskau."

    Auszug aus "Junge Welt" zu diesem Thema.

    Absolut treffend formuliert wird damit der wahre Grund dieses Beschlusses.

    www.jungewelt.de/a...er-historiker.html

    • @Rudolf123:

      Die Hälfte der aktiven russischen Panzer die Russland vor dem Krieg hatte sind zerstört. Die russische Generalmobilmachung ist ein einziges Chaos, Russlands Wirtschaft schrumpft und schrumpft, Öl kann es nur noch mit Rabatt verkaufen. Der Krieg läuft in die richtige Richtung Russland verliert.

      Das ein Kampfblatt der Autokraten das anders sieht ist zu erwarten.

      • @Machiavelli:

        Das mit dem linken Kampfblatt verstehe ich mal als Kompliment für eine Zeitung, die nicht wie andere "linke" Zeitungen ideologisch gar nicht mehr von WELT, FAZ und Bild zu unterscheiden sind.

        Und danke für ihre detaillierte Zustandsbeschreibung Russlands.

        Nach ihren Worten zu urteilen müsste sich dann also spätestens Anfang nächsten Jahres, Russland komplett aus der Ukraine zurück ziehen inkl. Krim, Putin zurücktreten und Russland den Westen um Frieden bitten.

        Schauen wir mal!

        • @Rudolf123:

          Wer sich auf die Seite des Faschistischen Regimes Putins stellt ist nicht links.

        • @Rudolf123:

          Bei guter Unterstützung des Westens kann die Ukraine bis Herbst nächsten Jahres alle Gebiete befreien. Ein Rückzug der Russen wäre das allerdings nicht sondern die russischen Streitkräfte hätten dann nochmal 100-200.000 Tote.

      • @Machiavelli:

        May be. But.

        Gerade ehr Namenspatron hätte sodann mindestens zwei bis drei Schritte weiter voraus gedacht - als Sie! Brief&Siegel.

        • @Lowandorder:

          Ich denke mehre Schritte voraus, mit der Niederlage Russlands öffnen sich Möglichkeiten zur Demokratisierung Belarus, Syriens, Irans. Einer der wichtigsten Waffenlieferanten für Autokraten muss auf Jahre seine eigene Armee wieder auffüllen. etc.

          • @Machiavelli:

            Dahinter steht wohl der Gedanke des Dominoeffektes bzw. die Vorstellung, wenn der führende Schurke fällt, dann alle anderen mit ihm verbündeten Schurken über kurz oder lang auch ... vor dieser vagen Hoffnung kann ich nur warnen und Sie wissen, was seinerzeit aus den auch im Westen in den Arabischen Frühling gesetzten Hoffnungen geworden ist.



            Tunesien und Ägypten sind dabei noch glimpflich davongekommen, als Durchbruch für die Demokratie kann die Situation dort aber nicht bezeichnet werden ... Libyen und Syrien, eine einzige Katastrophe, da müssen wir uns schon nach unserer Mitverantwortung fragen.



            Und außerdem: wie gedenkt der "Wertewesten" in Zukunft mit den mit ihm allierten Schurken zu verfahren?

          • @Machiavelli:

            "Einer der wichtigsten Waffenlieferanten für Autokraten muss auf Jahre seine eigene Armee wieder auffüllen. etc."

            War mir neu ,das Waffenproduzenten, wie Krauss-Maffei Wegmann oder Heckler-Koch,eigene Armeen haben.Aber man lernt nie aus.

          • @Machiavelli:

            Demokratisierung des Iran durch Niederlage Russlands eher unwahrscheinlich. Der Iran demokratisiert sich entweder von allein, oder gar nicht. Bei Belarus und Syrien sieht die Sache schon anders aus, da die dortigen Diktatoren anders als im Iran mehr oder minder Russische Marionetten sind. Aber demokratisierungs- Potenzial sehe ich wenn, dann nur in Belarus. In Syrien ist die demokratisch orientierte FSA (Freie Syrische Armee) schon vor Jahren defacto vernichtet worden. Die Kurden können es auch nicht richten, weil die Türkei sie niedermacht. Bleiben also nur noch Wahabistische Gotteskrieger, oder Sunitische Extremisten alla Hizbolla als Macht alternative. Klingt für mich nicht besonders demokratisch.

          • @Machiavelli:

            Nur eine Frage dazu: Was, wenn die Russen gewinnen?

            • @Kartöfellchen:

              Dann werden sie vermutlich vollends in den Faschismus abdriften und früher oder später einen Krieg mit der NATO anfangen.

            • @Kartöfellchen:

              Ich erinner bloß an den Syrienkrieg. Vor ca. 11 Jahren!!! gestartet. Ja, solange ist das schon her. Sämtliche westliche Politiker und Journalisten haben damals vorausgesagt, Assad muss weg und er wird auch weg sein. Assad hat keine Zukunft in Syrien, das ist sicher. Alles nur eine Frage der Zeit.

              Wenn ich in Wikipedia reinschaue steht da immer noch Assad als Machthaber von Syrien.

              Von daher!

              • @Rudolf123:

                Ohne Russland und Iran wäre Assad gestürzt worden.

              • @Rudolf123:

                Deswegen hält ja auch der Weise an sich! Woll.



                &



                Nur Narren schütten ihre öh Weisheit auf einmal & gleich aus .“



                Volkers 👄 - 🙀🥳 - Newahr.



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