Gerichtsurteile zu Klima-Sitzblockaden: Zu wenig oder zu viel Symbolik
Die SitzblockierInnen der „Letzten Generation“ fordern Freisprüche. Aber Gerichte sehen keinen Notstand, der die Aktionen rechtfertigen könnte.
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„Es gab bislang über 200 Blockaden, an denen sich meist sieben bis zwölf Personen beteiligen“, sagte LG-Sprecherin Carla Hinrichs vorige Woche im taz-Interview. Inzwischen hat die Strafverfolgung begonnen, vor allem am Amtsgericht Berlin-Tiergarten. Aktivist:innen erhalten zunächst Strafbefehle wegen (versuchter) Nötigung. Wenn sie Einspruch einlegen, kommt es zur mündlichen Verhandlung.
Die ersten Urteile waren mild. Der 20-jährige Nils R. muss 60 Stunden Freizeitarbeit leisten. Der 22-jährige Henning Jeschke hat 200 Euro Geldstrafe (20 Tagessätze à 10 Euro) zu zahlen. Drei Studierende in München kamen sogar mit einer Verwarnung davon. Bei jungen Erwachsenen bis 21 Jahren wird oft noch Jugendstrafrecht angewandt.
Doch die Aktivist:innen sind unzufrieden. Sie hatten in der Regel Freisprüche gefordert. Die Blockaden seien nicht verwerflich und damit nicht strafbar. Vor allem aber liege ein „rechtfertigender Notstand“ vor.
Bestätigung, dass Drängen berechtigt ist
Die Forderung nach Freisprüchen ist nicht selbstverständlich. Schließlich geht es um „zivilen Ungehorsam“, also die bewusste Übertretung von Gesetzen. Die Bereitschaft, Strafen auf sich zu nehmen, soll die Verantwortlichen zur Umkehr bringen, so etwa das Konzept von Mahatma Ghandi, der Gesetze der britischen Kolonialmacht verletzte. Rechtsphilosoph:innen diskutieren darüber, wann ziviler Ungehorsam in der Demokratie legitim ist, aber nicht, dass er legal und damit straflos sein soll. Ziviler Ungehorsam ist qua Definition illegal.
Es geht den Aktivist:innen aber wohl weniger um das Vermeiden von Strafen, sondern eher um die Bestätigung, dass ihr verzweifeltes Drängen berechtigt ist. LG-Sprecherin Hinrichs verlangte, die Gerichte sollten anerkennen, „dass ziviler Widerstand gegen einen Regierungskurs, der immer tiefer in die Klimakrise führt, moralisch und juristisch gerechtfertigt ist“. Jeschke argumentierte, eine „mutige Entscheidung“ könne eine Debatte auslösen, die Welt zu ändern. Bei einer Verurteilung mache sich die Richterin zur Komplizin der Vernichtung.
Vermutlich überschätzen die Aktivist:innen jedoch die gesellschaftliche Wirkung eines Freispruchs durch ein:e Einzelrichter:in des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten. Auch juristisch können ihre Argumentationen nicht überzeugen.
Verwerflich oder nicht?
Die Nötigung ist als Delikt in Paragraf 240 des Strafgesetzbuchs geregelt. Um die Strafbarkeit einzugrenzen, heißt es in Absatz 2: „Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.“ Hier geht es vor allem um die Frage, ob das Mittel zum angestrebten Zweck als „verwerflich“ gilt.
Schon seit den Sitzblockaden der Friedensbewegung in den 1980er Jahren differenzieren die Gerichte zwischen Fernzielen und Nahzielen. Dabei werden Fernziele (damals die Verhinderung von Atomkriegen, heute die Verhinderung der Klimakatastrophe) nicht in die Verwerflichkeitsprüfung einbezogen. Als Ziel von symbolischen Sitzblockaden wird nur die öffentliche Aufmerksamkeit gewertet.
Dabei müssen die Gerichte das jeweilige Anliegen der Protestierenden sogar ignorieren, wie das Bundesverfassungsgericht 2011 anmahnte. Die Gerichte sollten nicht danach urteilen, ob sie das Anliegen als nützlich einschätzen oder es missbilligen. Das ist konsequent, schließlich ist das Versammlungsrecht gerade auch ein Recht ausgegrenzter Minderheiten.
Laut Verfassungsgericht kommt es für die Strafbarkeit eher darauf an, ob es einen Bezug der blockierten Personen zum kommunikativen Anliegen der Blockade gibt, ob diese angekündigt wurde und ob für die Autofahrer:innen Ausweichmöglichkeiten bestehen. Faustformel: Je symbolischer die Blockade ist, desto eher kann sie als straflos eingestuft werden. Das passt aber wenig zu der von der Letzten Generation angekündigten „maximalen Störung der öffentlichen Ordnung“.
Rechtfertigender Notstand?
Eher zur Dramaturgie der Gruppe passt daher die Argumentation, dass ein „rechtfertigender Notstand“ vorliege, wie er in Paragraf 34 des Strafgesetzbuchs geregelt ist. Eine eigentlich strafbare Handlung ist dann rechtmäßig, wenn sie der Abwehr einer „nicht anders abzuwendenden“ Gefahr dient und das geschützte Rechtsgut wesentlich höher wiegt als das angegriffene Rechtsgut. Hier kann durchaus argumentiert werden, der Schutz des Klimas und unserer Lebensgrundlagen wiege höher als die Bewegungsfreiheit von Autofahrer:innen.
Doch ist die Gefahr wirklich „nicht anders abwendbar“ als durch Straßenblockaden? Einerseits verweisen Gerichte hier auf den politischen Prozess, der in der Demokratie jedem offenstehe. Entscheidend ist aber, dass die Blockaden an sich in keiner Weise geeignet sind, die Erderwärmung aufzuhalten. Selbst wenn man ihre kommunikative Wirkung in Rechnung stellt, so ist bisher offen, ob sie die Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen erhöhen oder eher mindern. Auch die geforderten Maßnahmen – vom Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung bis zum 9-Euro-Ticket – sind weit davon entfernt, einen nennenswerten Beitrag zur Klimastabilität zu leisten.
Der rechtfertigende Notstand ist eben kein Label, das die Justiz vergibt, um die Dringlichkeit von politischen Handlungen zu unterstreichen. Hier geht es darum, ob ein eigentlich illegales Verhalten ausnahmsweise rechtmäßig ist, weil man genau damit einigermaßen wahrscheinlich einen Schaden verhindern kann.
Milde Urteile
Die Aktivist:innen der Letzten Generation sitzen strafrechtlich also zwischen den Stühlen. Für einen rechtfertigenden Notstand ist ihr Handeln zu symbolisch. Bei der Verwerflichkeitsprüfung sind ihre Absichten nicht symbolisch genug. Deshalb wurden sie bisher stets verurteilt.
Doch natürlich spielen die guten Absichten der Aktivist:innen vor Gericht eine große Rolle – allerdings erst bei der Strafzumessung. Die Strafen liegen bisher stets am unteren Rand dessen, was bei einer Verurteilung möglich ist. Die Bild-Zeitung, die sich als Stimme der blockierten Autofahrer:innen versteht, ist schon ganz empört: „Es breitet sich das Gefühl aus, als würden die Klimakleber mit Samthandschuhen angefasst.“
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