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Gaza im VölkerrechtBegeht Israel einen Genozid?

Hamas-Unterstützer werfen Israel vor, in Gaza einen Genozid zu verüben. Dabei begeht, wenn überhaupt, die Hamas einen Völkermord.

International finden pro-palästinenisische Demonstrationen statt, hier von Studierenden in New York Foto: Jeenah Moon/reuters

Der Völkermord-Vorwurf prägt die Rhetorik der Hamas-Unterstützer:innen. Nicht nur Greta Thunberg teilte auf Instagram einen Beitrag, der Israel „Genocide“ vorwarf, auf Demos zum Gaza­krieg sind die „Genozid“-Plakate allgegenwärtig. Juristisch betrachtet, müsste sich der Vorwurf aber eher gegen die Hamas richten.

Die Völkermord-Konvention ist ein Vertrag, der 1948 unter dem Dach der Vereinten Nationen entstand. Er wurde seither von 153 Staaten ratifiziert, darunter auch Israel (1949) und Palästina (2014) und war eine Reaktion der Welt auf den Holocaust. Jeder Teilnehmerstaat verpflichtet sich, Völkermorde zu verhindern und zu bestrafen.

Das Delikt des Völkermords hat zwei Elemente, eine Tathandlung und eine dahinterstehende Absicht. Tathandlung kann etwa die direkte Tötung von Menschen sein, aber auch das Auferlegen von Lebensbedingungen, die zur Vernichtung führen können. Schon die Tötung eines einzelnen Menschen kann ein genozidaler Akt sein, wenn die entsprechende Absicht dahinterstand.

Die erforderliche Intention ist im Gesetz definiert. Es geht um die „Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“. Erst diese Absicht macht aus einem Mord oder Kriegsverbrechen einen Akt des Völkermords. Genozid gilt als das „Verbrechen der Verbrechen“, deshalb wiegt der Vorwurf moralisch schwerer als eine Anschuldigung wegen Kriegsverbrechen.

Die Hamas hat das Ziel, Juden zu töten

Die Hamas warf Israel schon lange Völkermord in Gaza vor, insbesondere, wenn die israelische Armee auf Hamas-Terrorangriffe und -Raketen mit massivem Beschuss reagierte. Da die Hamas die Zivilbevölkerung als Schutzschild missbraucht, kamen dabei auch Tausende Zi­vi­lis­t:in­nen ums Leben.

wochentaz

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Dass Israel sich im aktuellen Konflikt Hinweise auf den Schutz der Zivilbevölkerung verbittet und der Verteidigungsminister die Hamas-Kämpfer als „menschliche Tiere“ bezeichnet, macht den Völkermord-Vorwurf für manche offenbar plausibel.

Allerdings will Israel zwar die Kriegspartei Hamas vernichten, nicht aber das palästinensische Volk. Selbst wenn in der israelischen Führung über eine Vertreibung aller Araber nachgedacht wird, wäre das kein Vernichtungsplan und damit auch kein Völkermord, sondern ein Kriegsverbrechen.

Der Terrorangriff vom 7. Oktober hat rund 1.400 Opfer gefordert, überwiegend Zivilist:innen. Und zugleich steht in der Hamas-Charta, dass es nicht nur das Ziel ist, Palästina zu befreien, sondern auch „Juden“ zu töten. In der Aus­legung der Charta mag vieles umstritten sein, aber wenn eine Seite genozidale Tendenzen hat, dann ist es eher die Hamas als Israel.

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42 Kommentare

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  • Skatelefants , Moderator

    Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.

  • Völkermord ist es wohl noch nicht. Aber aus der Geschichte wissen wir, dass eine Zuordnung im Nachhinein die grausamen Sachverhalte nicht mehr verhindern kann.

    Pläne, Gaza zu entvölkern - die gibt es zumindest als "Optionen" das war auch zuletzt in der TAZ hier zu lesen - bewegen sich aber - kann jeder selbst bei Wikipedia prüfen - im Bereich der juristischen Begriffe "Vertreibung" oder "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Das sind auch schwerste Verbrechen.

    Daneben wären viele einzelne Taten auch der ISraelis dem Verdacht der "Kriegsverbrechen" zuzordnen z.B. Zerstörung von Krankenhäusern u.a.

    Es ist übrigens sehr problematisch - und wird vielerorts auf der Welt auch so gesehen was bis zum Abbruch diplomatischer Beziehungen führt - dass Israel seine eigenen Aktionen bewertet und darüber urteit. Darüber sollte eine höhere Instanz - zum Beispiel die UN bzw. spezifsche UN-Organisationen - urteilen. Das ist der einzige Weg und auch derjenige, den wir andernorts verlangen. Da kann man bei Israel keine Ausnahme machen.

  • Israels Minister nennt eine Atombombe auf Gaza als Option. Er sagt, was seine Kollegen denken und tun. Das Ziel ist das selbe, nur die Methode bleibt konventionell.

  • aAllerdings will Israel zwar die Kriegspartei Hamas vernichten, nicht aber das palästinensische Volk. Selbst wenn in der israelischen Führung über eine Vertreibung aller Araber nachgedacht wird, wäre das kein Vernichtungsplan und damit auch kein Völkermord, sondern ein Kriegsverbrechen."

    Beim Spiegel heißt es gerade "Israelischer Minister fabuliert über Atombomben-Abwurf auf Gaza - Minister für Kulturerbe Amichai Eliyahu redet öffentlich über die Vernichtung Gazas" ( www.spiegel.de/aus...-89d2-38941825d579 )

    Da die Intention fehlt, ein ganzes Volk auszulöschen, kann man wohl bei einer Auslöschung eines Landstrichs nicht von einem Genozid sprechen. Würde aber so etwas tatsächlich passieren, dann wäre die Debatte nur noch eine juristische Haarspalterei.

  • „Der Völkermord-Vorwurf prägt die Rhetorik der Hamas-Unterstützer:innen.“

    soweit ich das beobachte, sind große teile der menschen, die einen völkermord in gaza befürchten, keine hamas-unterstützer*innen, sondern sie sorgen sich um die menschen in gaza. für viele ist das kein entweder-oder. ich wünsche mir hier mehr differenziertheit.

  • Zum Titel: "Begeht Israel einen Genozid?"

    Dieser Titel stört mich sehr, auch wenn im Text schnell klar wird, dass eher das Gegenteil gemeint ist. Denn schon der Titel in sich ist eine Provokation, da sich eine solche Frage überhaupt nicht stellt.

    Die Gegenseite kann so etwas aufgreifen und schreiben: "Sogar die taz fragt sich ob Israel einen Genozid begeht."

    Ich lese ihre Berichte und Einschätzungen gerne, doch diesen Titel finde ich sehr unglücklich gewählt.

    • @Rudi Hamm:

      Dem kann ich nur zustimmen!



      Eine Mörderbande samt Unterstützer/innen wirft einem Volk, bei dem 1400 Menschen bestalisch getötet wurden, Völkermord vor.



      Finde den Fehler.

  • "Allerdings will Israel zwar die Kriegspartei Hamas vernichten, nicht aber das palästinensische Volk. Selbst wenn in der israelischen Führung über eine Vertreibung aller Araber nachgedacht wird, wäre das kein Vernichtungsplan und damit auch kein Völkermord, sondern ein Kriegsverbrechen." Das würde man gerne glauben. Die Tatsachen, jedenfalls die, welche wir durch unterschiedliche Medien über Gaza und West-Bank erfahren, sprechen eher dafür, dass Israels Handeln und Reden nicht übereinstimmen.

  • Zu den Argumenten derer, die Israel einen Genozid unterstellen ein paar Anmerkungen:

    Ich interpretiere den israelischen Verteidigungsminister so, dass er mit "Tieren" nicht alle Palästinenser, sondern die Hamas meinte (Der Spruch ist dennoch entmenschlichend und falsch)

    Es gibt keine totale Blockade des Gazastreifens. Wasser wurde bereits am 15.10. wieder geliefert, Lebensmittel kommen aus Ägypten in das Gebiet. Es wäre der israelischen Armee ein leichtes, dies zu verhindern. Während der angeblichen 16-jährigen Belagerung des Gazas durch Israel, gab es Lieferungen von Lebensmitteln, Energie, Wasser, die Menschen konnten einreisen, ausreisen, viele im Gaza wohnende Palästinenser haben in Israel gearbeitet

    Die Aufforderung an die Zivilbevölkerung in den Süden zu fliehen und die Einrichtung von zeitlichen und räumlichen Korridoren durch die israelische Armee, spricht gegen einen beabsichtigten Völkermord.

    Die Bombardierung von Wohnblöcken, selbst Krankenhäusern, ist nicht einmal ein Kriegsverbrechen (geschweige den ein Genozid), wenn !! sich dort (oder darunter. Stichwort: Tunnel) bewaffnete Kämpfer des Gegners verstecken. Ich gehe davon aus, dass dies im Gaza im Großen und Ganzen der Fall ist. Das unterscheidet das Bombardement im Übrigen von den Angriffen der russischen Armee auf Wohnhäuser...

    Die in Artikel 2 der Völkermordskonvention genannten Handlungen stehen im Zusammenhang mit der entsprechenden Absicht einen Völkermord zu begehen. Es gibt die Charta der Hamas, die genau das besagt (Tötung von Juden, Vernichtung des Staates Israel). Auf israelischer Seite gibt es keine solche Erklärung (Und der Hinweis der Genozidforscher auf Posts in sozialen Medien ist lächerlich).

    • @mlevi:

      Naja. Die hamas hat sich ja auch nicht mehr wirklich menschlich verhalten..

      • @Hannes Petersen:

        Um da mal kurz einzuhaken - Menschen töten, verge@&€π#% usw.. Insofern ist das offenbar auch menschliches Verhalten. Es ist allerdings menschliches Verhalten, das aus ethischen und politischen Gründen angegangen werden sollte und auch oftmals wird. Menschen können wählen, wie sie sich verhalten - außer in Situationen von Notwehr und in jenen, in denen es um unmittelbares Überleben geht.



        Von Tieren zu sagen, sie täten dasselbe, lässt sich pauschal nicht sagen. Zumal sie zumeist nicht die gleichen kognitiven Fähigkeiten und moralischen und Kategorien haben und nicht in dem Umfang reflektieren können. Für Töten haben jene Tiere zumeist biologische Voraussetzungen (Raubtiere). Wenn mensch von Außen moralisch werten wollte, haben Raubtiere quasi rechtfertigbare Motive (sich ernähren, überleben).



        Es scheint so, dass einige Menschen ein Negativ-Beispiel schaffen und nutzen, auf das sie eigentlich originär menschliches Verhalten abschieben und so versuchen dies von sich abzuspalten. Dieses Vorgehen wiederum stützt Speziesismus - also die Diskriminierung von Spezies, die Abwertung von Tieren gegenüber Menschen. Noch deutlicher wird es dadurch, dass anhand der Zuschreibung Tier Menschen entmenschlicht werden und dies dafür instrumentalisiert werden kann, um diese "Nichtmehr-Menschen" zu töten, zu verg@&#%@. Speziesmus ist also kein Weg, der in diesen Situationen zu ethisch wünschenswerten Lösungen führt und es braucht ihn auch nicht, um menschliches Verhalten zu kritisieren und gegen dieses vorzugehen.

        • @Uranus:

          ...supi gut erklärt - thx - bestimmt auch für Menschen verständlich " fg " 👍👍

      • @Hannes Petersen:

        Menschen verhalten sich unmenschlich, eine andere Spezie ist dazu nicht in der Lage.

      • @Hannes Petersen:

        sie interpretieren so, andere anders. klar ist, dass er sich schwamming ausgedrückt hat.

        • @herstory:

          Mag sein, dann kann man schauen, wie die israelische Armee (dessen Oberbefehlshaber der Verteigungsminister ja nun ist) agiert. Und das hat mit Völkermord nichts zu tun. Siehe mein Post.

  • Diskurse über die größte Keule, die das Völkerrecht hergibt, den Genozid mitten im Kampfgeschehen als gegenseitige Klage anzuführen, kann zum Entlastungsdiskursunternehmen werden, als Völkergemeinschaft über das hinwegzusehen, was viel offensichtlich dokumentiert zu sein scheint, nämlich tägliche Kriegsverbrechen gegen Zivilbevölkerung, Infrastruktur der Daseinsfürsorge von Städten auf beiden Seiten, Hamas wie Israels als Staat, UN Mitglied , militärisch, wirtschaftliche Beherrschungsmacht in der Region und der Hamas Terrororganisation als freischwebendes Radikal, sehr wohl Verwaltungs- aber ohne Staatsmacht zu sein, die die Ohnmacht der Staatsmacht Palästinas der Autonomiebehörde in Ramallah der Welt seit 2006 unentwegt unbehindert vorführt, völkerrechtlich nicht Anspruch erheben kann, für UN Mitglied Palästina das Wort zu führen. Bei der Hamas geht es eher um Frage, wie geht die Völkergemeinschaft, geht der Staat Israel mit einem Failed State hier der Autonomiebehörde Palästinas als Nachbarstaat um, die der Terrororganisation Hamas machtlos gegenüber ausgeliefert scheint, wie der Staat Haiti gegenüber organisierten Verbrecherbanden, ohne dass die Völkergemeinschaft Ordnung und Sicherheit für das zivile Leben der Menschen wieder herstellt.



    Messen wie mit zweierlei Maß, wie jüdische Autorin Deborah Feldmann, Konfliktforscherin Florentine Gaup bei Markus Lanz gegenüber zugeschaltetem Klima-Wirtschaftsminister Robert Habeck Grüne meinen, wenn wir bei russische Angriffe auf Infrastruktur in Ukraine seit 24.2.2022 über Kriegsverbrechen klagen, bei Israel aber nicht, wenn Israel Infrastruktur im Gazastreifen, ganze Krankenhäuser, Stadteile in Gaza Stadt in Schutt und Asche legt, angeblich einzelne Hamas Nester zu eliminieren, aber sich gleichzeitig in der Lage sieht, die meisten Hamas Raketen auf Israels Städte abfangen zu können und auch abfängt?

    • @Joachim Petrick:

      anschließe mich -

      Sojet -





      Allerdings will Israel zwar die Kriegspartei Hamas vernichten, nicht aber das palästinensische Volk. Selbst wenn in der israelischen Führung über eine Vertreibung aller Araber nachgedacht wird, wäre das kein Vernichtungsplan und damit auch kein Völkermord, sondern ein Kriegsverbrechen.“

      Ist am Ende - typischer Juristen-Sprech -



      ( dem - nicht gesagt, aber doch ein …“ach so“…fast ein “dann isses ja gut“ fatal nachklingt!)

      • @Lowandorder:

        Das erklärte und verschriftlichte Ziel der Hamas ist es, Israel und die Juden zu VERNICHTEN (!). Das Ziel Israels ist, dies mit ALLEN Mitteln zu zu verhindern. Was ist denn darin Juristen-Speech?

  • Es ist von beiden Parteien Voelkermord.



    Ich moechte auf keiner angeblichen Seite stehen,



    sondern auf unserer, der Menschen.



    Mord, Krieg und das erdachte Recht ueber Leben und Tod entscheiden zu koennen sind mit nichts zu rechtfertigen.

    • @Powpowerpow:

      Ich schließe mich da gerne an.

    • @Powpowerpow:

      Das ist die einzig vernünftige Antwort. Ich kann nicht verstehen, wieso fast alle so versessen darauf sind, sich auf eine Seite in einem ethnischen Konflikt zu stellen. Da gibt es kein Gut oder Böse, wenn man nicht völkischen Ideen anhängt. Ethnische Konflikte sind schlichtwegs die Pest.

  • "Die Völkermord-Konvention ist ein Vertrag, der 1948 unter dem Dach der Vereinten Nationen entstand. Er wurde seither von 153 Staaten ratifiziert, darunter auch Israel (1949) und Palästina (2014) und war eine Reaktion der Welt auf den Holocaust. Jeder Teilnehmerstaat verpflichtet sich, Völkermorde zu verhindern und zu bestrafen."

    Staat Palästina?

    DE / der "Westen" hat Palästina nie als Staat anerkannt. Es gibt null Gespräche mit einem Staat Palästina. In Gaza hat die Hamas ihre Diktatur eingerichtet und schaltet und waltet dort al gusto ohne jegliche staatliche Kontrolle.

  • Klare Meinung, klare Haltung, juristisch & fachlich eher dünn.Es gibt angeblich in palästinensischen Schulen Landkarten, auf denen Israel nicht abgebildet ist. Schlimm. Aber auf allen anderen Landkarten auf der Welt gibt es kein Palästina. Auch die Landkarte für Israels jüngste Zukunftspläne kam bekanntlich ohne ein Palästina aus. Wenn es aber kein Palästina je mehr geben soll, dann drückt sich schon darin ein enormer Vernichtungswille gegenüber dem Volk der Palästinenser aus. Die Frage ist doch eher die, ob es so etwas wie einen "kalten Genozid" gibt. Wenn man darauf spekulieren würde, dass immer mehr Siedlungen sich ausbreiten, Palästinenser weiterhin zu hunderte eher angelegentlich getötet werden, gerne auch ganz aus Versehen, immer mehr Palästinensern nur die Diaspora bleibt, schlussendlich in, sagen wir mal, 30 Jahren, from the river to the sea sich keine Person mehr fände, die sich als PalästinenserIn bezeichnen würde, wäre das ein Genozid, & wenn nicht, was dann?



    In der historischen Erfahrung erscheinen jedenfalls die schrecklichsten genozidalen Ausrottungen eher als langwierige, manchmal schleichende, oft absichtsvolle verdeckte Prozesse, & selten als punktuelle, blutrünstige Massaker. Ich denke, es lohnt sich, hier eher phänomenologisch die Dynamiken & Ursachen konkreter Gewaltregime zu untersuchen. Ob eine Seite "genozidale Tendenzen" hat, halte ich nicht für eine seriöse wissenschaftliche Frage. Es klingt eher nach TwitterX.

  • Man kann die Fakten nicht oft genug wiederholen. Danke

  • Der Streit, ob Israel mit seinem Vorgehen in Gaza einen Genozid an der palästinensischen Bevölkerung verübe, wirft viele Fragen auf. Definitionen wie beispielsweise folgende können sie m.E. nicht beantworten, wir stehen genau so ratlos da wie zuvor:



    www.bpb.de/kurz-kn...in%20Ruanda%201994.



    Das Thema bzw. der Völkermord-Vorwurf an die eine oder andere Seite bleibt also leider in diesem Fall dem Spielball der ideologischen Interessen unterworfen.



    Hinzu kommt eine gewisse definitorische “Schwiemeligkeit”. Das bewusste, gesteuerte Vorenthalten der Ressource Wasser beispielsweise - im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ein großes Thema - kann sehr wohl auch schon als Genozid betrachtet werden, wenn damit natürliche Lebensgrundlagen vernichtet werden und eine Bevölkerung damit zum Verlassen ihres Bodens veranlasst wird. Dafür müssen keine Raketen fliegen.



    Andererseits - und das zeigt das ganze Ausmaß des Dilemmas in diesem Fall - können derart “schwiemelige” Definitionen der antizionistischen, teils antisemitischen Agitation Tür und Tor öffnen. Auch das können wir dieser Tage sehen.

  • Der Vereidigungsminister sprach von Bestien nicht Tieren.

    • @Machiavelli:

      In englischen Artikeln ist von "animals" die Rede. Ich weiß nicht, ob es im Hebräischen diesen Unterschied gibt.

    • @Machiavelli:

      Ich halte allerdings Beides für entmenschlichend.

      • @metalhead86:

        Weder noch; die Kategorisierung nichtmenschlicher Lebewesen in semitischen Sprachen ist anders als im Deutschen.

        Das Wort, das Gallant benutzte[*], war חיה (chaya).



        Das ist dasselbe wie das arabische حيوان (hayawan).[**]

        In einem neutralen Kontext heißt חיה wortwörtlich "(nichtmenschliches) Lebewesen" bzw spezifischer "undomestiziertes Wirbeltier", in einem pejorativen Kontext kommt das deutsche "Viech" oder "Viehzeug" am nächsten.

        Nahezu synonym ist בהמה



        Das aber hat a) eine religiöse Konnotation (de.wikipedia.org/w...emoth_(Mythologie) ) und auch b) einen impliziten Unterschied der Größe bzw Intelligenz (größer und/oder "dummdomestiziert"), also "Vieh" im Sinne von "Haustier", aber auch als Beleidigung ("dumm wie ein Vieh").

        (Wirklich kleines "Viehzeug" - Wirbellose, namentlich Arthropoden - wäre שרץ)

        Das "Bestie" entstand als eine Fehlübersetzung vom englischen "beast", das unspezifisch genug ist, um חיה und בהמה abzudecken. Aber das deutsche "Bestie" wäre eher בהמה (groß und stark) als חיה (klein und schäbig).

        Also zB "du Ratte" wäre ein חיה



        Und "du dumme Sau" wäre ein בהמה



        Und "du Ungeziefer" wäre ein שרץ



        (Sorry wenn das beim Rendern versemmelt wird; I tried my best.)

        Technisch gesehen ist Gallants Formulierung eine contradictio in adiecto: ein חיה kann per Definition kein אדם sein.

        [*] bzw flektiert im vollständigen Zitat: הוריתי להטיל מצור מוחלט על עזה - לא יהיה חשמל, מזון או דלק. אנחנו נלחמים בחיות אדם ואנחנו נוהגים בהתאם

        [**] Jeder pubertierende Teenager in Neukölln kennt's. Anwendungsbeispiel: "Ey zeig, was hast du da auf Handy? Bahhhh, Tentakelporno?! Wallah ich schwöre, du bist so ein Hayawan!"

      • @metalhead86:

        Auf die Hamas bezogen finde ich es akkurat.

    • @Machiavelli:

      Weder noch: Er hat nicht deutsch gesprochen. Welche Übersetzung treffender ist, insbesondere in Bezug auf die Frage nach der völkerrechtlichen Beurteilung, kann ich jedenfalls nicht entscheiden.

  • Die Überschrift des Artikels sollte geändert werden.



    Sie ist in der Suchmaschine zu finden, wenn man dort "Israel" eingibt. Das erweckt einen falschen Eindruck bei denen, die den Artikel nicht lesen, sondern nur die Überschrift lesen. Die Überschrift sollte entsprechend dem Inhalt des Artikels lauten: "Israel begeht keinen Genozid".

    • @Budzylein:

      Absolute Zustimmung. Die Überschrift ist irreführend.

  • vielleicht unterhalten Sie sich mal mit diesem kollgen jewishcurrents.org...k-case-of-genocide herr v.rath?

    • @christine rölke-sommer:

      Danke für den link - 🧠 in die Weiche mit lausigem englisch - auch @JULIANM materialisiert ebenfalls zu recht - die fatale Fragestellung - Herr Rath scheint mir etwas “gewogen und für zu leicht befunden!“ Newahr.



      Normal Schonn.

  • Das ist eine sehr einseitige Sicht der Lage. 800 Akademiker und Genozidforscher*innen sehen das anders. Wieso haben Sie diesen offenen Brief garnicht erwähnt?

    twailr.com/public-...-genocide-in-gaza/

    Es gibt durchaus extrem dehumanisierende Rhetorik von Israelischen Politiker*innen und aus dem Militär.

    • @LukaB:

      Minister Yoav Gallant declared on 9 October that “we are fighting human animals and we act accordingly”. He subsequently announced that Israel was moving to “a full-scale response” and that he had “removed every restriction” on Israeli forces, as well as stating: “Gaza won’t return to what it was before. We will eliminate everything.”



      Danke für den Link.



      Die erforderliche Intention Ist hier eindeutig.

    • @LukaB:

      Interessant für die Positionierung derjenigen die das Public Statement verfasst haben ist folgender Satz: „Following the incursion by Palestinian armed groups on 7 October 2023, including criminal attacks against Israeli civilians“



      Der Überfall der Hamas am 7.10. war also kein krimineller, schon gar kein kriegsverbrecherischer oder genozidaler Akt (die Frage wäre was dann?), sondern schloss lediglich kriminelle Taten gegen israelische Zivilisten mit ein. Zur Erinnerung: Es wurden 1400 Menschen umgebracht, darunter Frauen, Kinder, Greise. Mindestens 200 Festivalbesucher starben nicht weil der Festplatz neben einer Kaserne stand, sondern weil die Terroristen bewusst Juden töten wollten. Das!! Erfüllt den Tatbestand des Völkermords

    • @LukaB:

      Der offene Brief ist zutiefst einseitig, perfide und verlogen, indem er das Massaker der Hamas nur ein einziges Mal beiläufig anspricht als "Einfall von bewaffneten palästinensischen Gruppen am 7. Oktober 2023, einschließlich krimineller Angriffe gegen israelische Zivilisten". Vollkommen abwegiger Gedanke, so was zu erwähnen oder sich gar damit auseinanderzusetzen.

    • @LukaB:

      Nein ist es nicht. Auch hunderte von Akademikern können aus parteilichen Gründen Dinge anders sehen.

      Wenn die Sprache stellenweise dehumanisierend ist, sollte einem dennoch der Unterschied zwischen den Äußerungen von Politikern und dem grundsätzlichen Ziel von Hamas begreiflich sein.

      Hamas sagt, dass die Erlösung der Menschheit erst kommt, wenn der letzte Jude Tod. So handeln die auch.

      Etwas vergleichbares werde sie in Israel so nicht finden.

      • @Paul Meier:

        Genauso ist es!

  • Vielen Dank für diese Klarstellung!



    Die derzeitige Berichterstattung der taz bietet erfreulich differenzierte Artikel.



    Das war nicht immer so.



    Im vergangenen Jahr war die Berichterstattung vieler Medien, insbesondere über den Ukrainekrieg, alles Andere als differenziert.



    Ein Unterschied zwischen Bericht und Kommentar war praktisch nicht mehr ersichtlich.



    Es freut mich ehrlich, dass die taz hier den Anspruch an journalistisches Handwerk hochhält.



    Im Übrigen denke ich, dass Journalismus nur durch Qualität überzeugt und sich von der unqualifizierten Berichterstattung in social media absetzen kann.



    Meinungen kann JedEr verbreiten, Argumente und Hintergrundwissen machen jedoch den Unterschied.