Forderung nach verbilligtem Sprit: Irrational und anachronistisch
Ja, wegen der explodierenden Energiepreise brauchen Geringverdiener:innen Unterstützung. Doch ein „Tankrabatt“ ist das falsche Instrument.
E s ist bizarr: Russland finanziert den Krieg gegen die Menschen in der Ukraine mit Einnahmen aus Öl-, Gas- und Kohleexporten. Doch statt das größte Energiesparprogramm aller Zeiten aufzulegen, diskutiert die deutsche Politik darüber, wie die steigenden Spritpreise vom Staat aufgefangen werden können. Sofortmaßnahmen zum Spritsparen, wie es ein schnell umsetzbares Tempolimit für Autobahnen wäre, oder autofreie Sonntage? Dass sich die FDP dagegen stemmt, aber den Sprit verbilligen will, zeigt, wie irrational und anachronistisch ihr Verhältnis zum Auto ist.
Dabei ist durchaus richtig: Die Regierung muss etwas unternehmen, damit die explodierenden Energiepreise Geringverdiener:innen und auch weite Teile der Mittelschicht nicht ruinieren oder Betriebe zur Geschäftsaufgabe zwingen. Hebammen, Handwerker:innen und andere, die auf ihr Fahrzeug angewiesen sind und die die steigenden Preise überfordern, brauchen schnell Unterstützung, etwa Geldzahlungen oder Steueraussetzungen.
Aber eine Spritpreisbremse für alle ist nicht das richtige Instrument. Denn mit ihr wird kein Liter Benzin oder Diesel weniger verbraucht. Und genau darum muss es mit Blick auf Putins Kriegskasse und das Klima gehen.
Mag sein, dass der Staat, wie von Finanzminister Christian Lindner vorgeschlagen, punktuell die Spritpreise dämpfen kann. Auf Dauer wird das aber nicht möglich sein. Die Bürger:innen müssen sich darauf einstellen, dass Energie sehr viel kostbarer wird. Langfristig hilft kein Rabatt und keine Mehrwertsteuersenkung. Alle müssen umsteuern, und es ist Aufgabe der Regierung, die Bürger:innen dabei kräftig zu unterstützen, zum Beispiel mit einem Austauschprogramm für energieintensive Geräte und Heizungen, einer Solardach-Offensive oder Hilfen zur Wärmedämmung von Häusern.
Die Grünen enttäuschen
Wo bleiben die Preissenkungen im ÖPNV und bei der Deutschen Bahn? Wo die großen Kampagnen für Fahrgemeinschaften auf dem Land? Die Welt ist voller guter Ideen und Alternativen zum einsamen Autofahren. Aber die Bundesregierung greift sie nicht auf. Das ist enttäuschend von einer Regierung mit grüner Beteiligung.
Statt das Umsteuern voranzubringen, will die Ampel offenbar auch Besitzer:innen von Luxuskarossen und diejenigen unterstützen, die 900 Meter zum Bäcker unbedingt mit dem Auto fahren müssen, obwohl sie gut zu Fuß sind oder das Rad nehmen könnten. Das ist das Gegenteil von klug. Aber leider nicht neu. Wie bei der Pendler:innenpauschale und anderen Autosubventionen müssen Menschen mit wenig Geld wieder einmal argumentativ dafür herhalten, dass Wohlhabende ihre Privilegien verteidigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich