Finanzwende-Chefin Anne Brorhilker: Der Staat verzichtet auf Milliarden
Finanzbehörden sollen das Geld aus Steuerbetrug zurückholen, fordert die Organisation Finanzwende. Lobbyisten hätten zu viel Macht.

Der Staat müsse dafür sorgen, dass das Geld zurückkommt, sagte die neue Finanzwende-Geschäftsführerin und frühere Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker am Dienstag vor Journalist:innen. Die von FDP-Minister Christian Lindner geplante neue Behörde gegen Finanzkriminalität tauge dazu nicht, weil sie nur für Geldwäsche zuständig sei – aber nicht für Steuerbetrug.
CumCum-Betrug bedeutet, dass Aktienbesitzer:innen Steuerzahlungen geltend machen, die sie nicht geleistet haben. Bei diesem Geschäftsmodell werden Aktien rund um den Dividendenstichtag zwischen Händlern und Banken hin- und hergeschoben. Auf diese Weise können auch Besitzer:innen Steuererstattungen geltend machen, die gar keine Abgaben geleistet haben.
Bekannt und teilweise juristisch verfolgt wurde diese Praxis bei den sogenannten Cum-Ex-Geschäften. Dabei wurde ein Teil des Geschäfts vor dem Dividendenstichtag abgewickelt, ein anderer danach. Das Wort Cum steht für „mit Dividendenanspruch“, das Wort Ex für danach. Bei CumCum-Geschäften wurde der gesamte Deal vor dem Stichtag abgewickelt.
„Seit 2015 ist unzweifelhaft klar, dass die Geschäfte steuerrechtlich nicht in Ordnung sind“, sagte Brorhilker. Trotzdem hätten die Finanzbehörden bislang kaum etwas getan, um sich das Geld aus dem CumCum-Betrug zurückzuholen. Denn obwohl in einem Urteil des obersten Finanzgerichts klare Kriterien für das illegale Treiben benannt wurden, seien diese durch Schreiben des Bundesfinanzministeriums in den Jahren 2016 und 2017 verwässert worden.
So konnten die Geschäfte fortgeführt werden. Damals wurde das Bundesfinanzministerium von Wolfgang Schäuble (CDU) geführt. Erst 2021, unter dem damaligen Minister Olaf Scholz (SPD), korrigierte das Finanzministerium seine Auffassung.
Finanzwende möchte herausfinden, wie die Einschätzung im Bundesfinanzministerium 2016 zustande kam. „Wir glauben nicht, dass sich das ein Ministeriumsbeamter ausgedacht hat“, sagte Vorstand Gerhard Schick, der früher für die Grünen im Bundestag saß. Finanzwende geht davon aus, dass die Einschätzung auf den Einfluss der Finanzlobby zurückgeht.
Klagen gegen Ministerien
Um das zu belegen, hat die Organisation mehrere Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz an das Bundesfinanzministerium sowie drei Landesfinanzministerien gestellt. Die mauern aber unter anderem mit Hinweis auf mögliche Reputationsrisiken der Banken. Deshalb hat die Organisation Auskunftsklage gegen die Ministerien eingereicht. „Der Schutz der Banken wiegt für die Finanzbehörden offenbar schwerer als der Schutz von Steuergeldern der Allgemeinheit“, sagte Brorhilker.
Sie hat bis vor kurzem gegen Finanzkriminelle ermittelt und ist als Kölner Oberstaatsanwältin im Zuge ihrer Ermittlungen zu Cum-Ex bekannt geworden. Im April wechselte sie zu Finanzwende. Brorhilker fordert, Ermittlungen zu Finanzkriminaltät zu zentralisieren, „damit wir die Chance haben, dass sich Fachexpertise bildet“.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlkampf in Deutschland
Rotzlöffeldichte auf Rekordniveau
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA entwerfen UN-Resolution zum Krieg in der Ukraine ohne jede Kritik an Russland