Ein Böllerverbot muss her: Habt ihr den Knall nicht gehört?
Ist es die Tradition wert, dass Kriegsgeflüchtete retraumatisiert werden? Dass Tiere und Atemluft leiden? Was hält uns ab vom Verbot?
S ie kommen so zuverlässig wie das neue Jahr, schon vor und erst recht nach Silvester: die hitzigen Diskussionen um ein Böllerverbot. Ich frage mich inzwischen, welcher Gründe es noch bedarf, um es endlich durchzuziehen.
Trotz des gezielten Beschusses von Einsatzkräften in Berlin durch Pyrotechnik, trotz teils schwerverletzter Menschen in allen Bereichen und allen Teilen Deutschlands und trotz des Anstiegs der krankmachenden und umweltschädlichen Feinstaubbelastung sieht anscheinend niemand, auch nicht die CDU, die Lösung des Problems in einem Böllerverbot.
Durch die Knallerei – teils schon tagsüber und vor allem natürlich in der Neujahrsnacht – werden Millionen Tiere in Angst und Schrecken versetzt, die Belastung für die Umwelt durch den mit Rückständen verunreinigten Müll kommt dazu.
Mir gibt es zu denken, dass sich Menschen aktuell in Kriegsgebieten unter Bombardierung verstecken und um ihr Leben fürchten, während wir im Westen das Privileg genießen, uns – unter anderem – an diesen Geräuschen zu erfreuen. Wir denken dabei nicht an die Kriegsgeflüchteten aus der Ukraine oder Syrien, die durch lautes Knallen retraumatisiert werden können. Schließlich sind derart laute Geräusche dort, wo sie herkommen, mit einer unmittelbaren Bedrohung für Leib und Leben verbunden.
schreibt als freie Journalistin vor allem über Rassismus, extreme Rechte, Religion und Social Media. Sie hat Politikwissenschaften und Soziologie studiert und setzt sich ehrenamtlich für den interreligiösen Dialog ein.
Ich frage mich ernsthaft, welche Freude Menschen dabei empfinden, wenn sie mit Böllern zum Jahreswechsel nach alter Tradition „Geister vertreiben“ und mit vollster Überzeugung an dieser Art des „Feierns“ festhalten, obwohl sie wissen müssten oder zumindest könnten, welchen Schaden sie damit bei Traumatisierten, Tieren und Umwelt im Gesamten anrichten.
Zivilisiert feiern geht nicht?
Es fehlt jetzt nur noch eine Aussage von Friedrich Merz, der das Silvesterfeuerwerk offiziell, wie auch den Weihnachtsbaum, zum Teil unserer „deutschen Leitkultur“ erklärt.
Wir haben soeben das Jahr 2024 begrüßt – und können uns doch sicherlich auf eine zivilisiertere Art des Feierns einigen, oder nicht?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?