Silvester in Zeiten der Krisen: Hauptsache, ein Funken Licht

Nahost, Ukraine, Antisemitismus – Früher konnte man sich noch über Silvesterfeuerwerk aufregen. Heute muss man sich um echte Probleme sorgen.

Silvesterfeuerwerk am Nachthimmel

Möge es für Sie und uns alle ein gutes 2024 werden Foto: Susanne Hübner/imago

Mannomann, noch nie war ich so froh, dass ein Jahr zu Ende ging. Und noch nie hatte ich so wenig Hoffnung, dass im nächsten Jahr irgendetwas besser wird. Wie sehr sich alles geändert hat, zeigt sich schon daran, dass ich mich nicht mal mehr – wie früher, als ich offenbar ein ansonsten sorgenfreies Leben führte – über die Silvesterböllerei aufrege.

Sollen die Leute sich halt die Hände und Augenbrauen wegknallen und ihr sauer verdientes Geld verpulvern. Ich hätte nicht mal mehr was dagegen, selbst und eigenhändig mein dürres taz-Gehalt in die Luft zu jagen. Weil: Böse Geister gibt es gerade genug zu verjagen. Tatsächlich also freue ich mich in diesen Tagen zum ersten Mal über jedes Fünkchen Leuchten.

An echte Erleuchtung, enlightenment gar – glaube ich nach der erbärmlichen Performance, die Stu­den­t:in­nen und Prä­si­­dentin­nen ehemaliger Leuchttürme wie Harvard und Co kürzlich abgeliefert haben, nicht mehr. Erst waren jüdische Studierende nach dem 7. Oktober drangsaliert, bedroht, beschimpft worden, woraufhin die Präsidentinnen von drei der international bekanntesten Ivy-League-Universitäten vor einen Ausschuss des Repräsentantenhauses geladen wurden. Dort konnten auch die sich zu keinem klaren Bekenntnis der Solidarität oder zum Schutz der jüdischen Stu­den­t:in­nen durchringen. Sie faselten von „Kontext“.

Die Befragung war nur eine Inszenierung rechter Abgeordneter, die die Debatten über den Krieg gegen die Hamas für ihren Wahlkampf nutzen wollen, sagen viele. Das mag sogar sein, greift aber trotzdem viel zu kurz.

Und zwar schlicht, weil die Kategorien „links“ und „rechts“ in diesem Konflikt einfach nicht funktionieren. Weil Rechte da plötzlich Partei ergreifen für eine angegriffene Minderheit, die sie sonst natürlich verachten – Juden, Israelis – einfach nur, weil es ihnen einen Vorwand bietet, gegen Muslime zu hetzen. Und weil Linke, zumindest enttäuschend große Teile der Linken einer kindisch-binären Weltsicht anheimgefallen sind, in der es nur Unterdrücker und Unterdrückte gibt. Das wird nur jetzt, nach dem 7. Oktober endlich in seiner ganzen Falschheit deutlich.

Dafür biegen selbst Intellektuelle wie Masha Gessen sich die Tatsachen zurecht, dass es nur so kracht, vergleichen Gaza mit dem Ghetto und verkennen den eklatanten Unterschied zwischen Rassismus und Antisemitismus. Und jammern später, wie so rechte Boomer, auf allen Edelkanälen, dass sie ja nichts sagen dürften. Schlimmer noch, sie werden sogar mit Preisen beworfen.

Diese Art Gaslighting, die völlige Verwirrung der Tatsachen, hat diese Art Linke natürlich mit Rechten wie Trump gemein. Noch so ein böser Geist, der schon vor Anbruch des neuen Jahres mit den Hufen scharrt. Wie viele Knaller braucht es, damit er nicht wieder Präsident wird?

Die endgültige Verwirrung

Wobei – so grotesk wie dieses Jahr war, kann ich mir sogar vorstellen, dass er – erst einmal wieder Präsident – den Palästinensern einen guten Deal macht und sie unverhofft doch noch einen eigenen Staat bekommen. Das wäre famos, würde zugleich all diejenigen „Linken“, die ein Massaker einer islamofaschistischen Terrororganisation gebraucht haben, um sich „Free Palestine“ zu wünschen (ohne den Zusatz: „from Hamas“ hinterherzuschieben), ziemlich verwirren. Grund genug, sich dieses Szenario herbeizuwünschen.

Aber auch der einzige. Die Ukraine muss schon jetzt um die dringend nötigen Hilfen bangen, ich mag mir nicht ausmalen, was passiert, wenn Mr. America First wieder am Hilfshebel sitzt. Dann müssen wir vielleicht nächstes Jahr unser Böllergeld zusammenkratzen, um die Ukraine und den Rest von Europa gegen die loose cannon im Kreml zu verteidigen.

Damit es nicht so weit kommt, investieren Sie bitte all ihre guten Vorsätze in die Vertreibung böser Geister. Mit Sicherheit fallen Ihnen (so wie auch mir) noch viele weitere unliebsame Ge­sel­l:in­nen ein, die Sie im kommenden Jahr nicht mehr sehen wollen. Über ein AfD-Verbot etwa haben wir noch gar nicht gesprochen. Aber das Jahr fängt ja gerade erst an. Möge es für Sie und uns alle ein gutes werden.

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