Die These: Nie mehr SPD
Unsere Autorin hat über Jahrzehnte sozialdemokratisch gewählt. Schon um ihrem Vater eins auszuwischen. Aber nun reicht es ihr endgültig.
M eine erste Annäherung an die SPD war eine kleine Rebellion. Ich steckte damals mitten in der Pubertät, als mein Vater sich entschied, in die Politik zu gehen. Er war viele Jahre Kreisdirektor gewesen, nun wollte er für das Amt des Regionspräsidenten in den Wahlkampf ziehen. Aber nicht für die SPD, wie ich es mir gewünscht hätte, sondern für die CDU.
Er hatte schon als Schüler ein Problem mit linken Gruppierungen wie dem Marxistischen Studentenbund (MSB) Spartakus gehabt, und so gründete er in der Oberstufe einen Ableger der Jungen Union. Später studierte er Jura an einer altehrwürdigen Universität, danach arbeitete er in der Justiz, der Verwaltung – und jetzt also dieser neue Schritt.
Keine einfache Entscheidung, auch für die Familie nicht. Ich bekam jedes Mal ein heißes, brennendes Gesicht, wenn er mich mit seinem Wahlkampfbus von der Schule abholte. Nicht weil ich mich nicht gerne von ihm chauffieren ließ, sondern weil der Bus mit seinem riesigen Konterfei bedruckt war, dazu das Motto „In der Region zu Hause“. Das war für mich als Teenagerin natürlich schwer auszuhalten, also rebellierte ich mit allem, was mir als wohlerzogenem Bürgerkind zur Verfügung stand: Mit der Punkband WIZO auf den Ohren und einer hochgegelten Super-Sonic-Frisur, die zumindest das heile Familienbild beim Fotoshooting mit der Lokalpresse empfindlich störte.
Mein Vater erlitt schließlich eine Wahlniederlage, kurz danach verabschiedete er sich aus der Politik. Doch mein Umfeld blieb politisch und färbte sich immer stärker rot. Das hatte sicher auch damit zu tun, dass mein damaliger Freund mich in einen SPD-Haushalt einführte. Seine Mutter war langjährige Genossin, gleichzeitig war sie die coolste Frau, die ich bis dato kannte. Alleinerziehend, berufstätig und Hannes-Wader-Fan.
Mit gefährlichem Halbwissen
Die SPD hatte es mir also schon als Jugendlicher angetan. Mit gefährlichem Halbwissen interpretierte ich von Klassenkampf bis zu gelebter Gleichberechtigung alles Mögliche in sie hinein. In meiner Vorstellung waren die Roten die Guten, schon allein deshalb, weil sie in vielem das Gegenteil von dem zu verkörpern schienen, womit ich aufgewachsen war.
Doch dann erlebte ich meine erste, große Enttäuschung mit der SPD in Gestalt eines sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten. Er war der erste, dem ich wahrhaftig begegnet bin. Wenn er einen Raum betrat, duckten sich alle weg, seine autoritäre Aura fand ich einschüchternd. Hinzu kam eine gewisse Vorliebe für teuren Wein und Delikatessen, daneben wirkte mein wesentlich bescheidenerer, bodenständiger Vater wie der viel größere Sozialdemokrat.
Aber: Die Partei der Altnazis – so nannten meine linksalternativen Freund:innen die CDU – konnte und wollte ich nicht wählen, also wählte ich nach meinem 18. Geburtstag so, wie wir es uns ausgeknobelt hatten: strategisch. Das erste Kreuzchen bekam die SPD, weil die damals einfach die größere Chance auf ein Direktmandat hatte.
Das zweite Kreuzchen ging an die Grünen, damit auch von denen möglichst viele ins Parlament einzogen. Dass ich der SPD ideologisch nahestand, hatte mir übrigens auch der Wahl-O-Mat ausgespuckt, und so stimmte ich gutgläubig für einen Spitzenkandidaten, der seine Ehefrauen wechselte wie andere ihre Autos. Und der in der zweiten Legislaturperiode – für die ich ja nun mitverantwortlich war – mit seiner Agenda 2010 exorbitanten Sozialabbau betrieb, unter dem bis heute viele leiden.
SPD aka Sammelbecken für skrupellose Machtpolitiker
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Meine Güte war das ein großmäuliger Mann, denke ich auch heute wieder, wenn ich mir seinen verblendeten Auftritt nach der Wahlschlappe gegen Angela Merkel angucke. Dieser Mann war, da muss ich so manchem Konservativen recht geben, wirklich mit Haut und Haaren „Champagnersozialist“.
Und ich? Ich bin bis heute maßlos enttäuscht davon, dass selbst die SPD, die im Laufe ihrer Geschichte ja so viel für die Arbeiter:innen- und Frauenrechte getan hat, zugleich ein solches Sammelbecken für skrupellose, wirtschaftsaffine Machtpolitiker geworden ist. Oder war sie das schon immer, nur hatte ich es nicht mitbekommen, weil ich mich weder in der Schule noch im Studium wirklich intensiv mit ihr auseinandergesetzt hatte?
Auch heute fühle ich mich jedes Mal schlecht, wenn ich pauschal über Parteien urteilen soll – außer, es ist die AfD. Aber leider fällt mir schon länger auf, dass die SPD keine gute Figur macht. Wo sind denn all die Politiker:innen mit Format, die Clara Zetkins und Regine Hildebrandts unserer Zeit, um ausnahmsweise auch mal auf die bedeutsamen Frauen der SPD-Geschichte hinzuweisen? Was ja nicht gerade oft vorkommt. Und wenn es sie denn gibt: In welcher Reihe haben sie sich versteckt?
Selbst ein Kevin Kühnert, der ja viele vernünftige Ansichten hat, scheint, seit er zu den „Erwachsenen“ übergelaufen ist, irgendwie gesetzter, unscheinbarer geworden zu sein. Dafür bleiben andere durch ihr unangemessenes Verhalten in Erinnerung. Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel zum Beispiel, der die Ausbeutung der Fleischindustriearbeiter:innen als Wirtschaftsminister noch kritisiert hatte und sich nach dem Ende seiner politischen Laufbahn ausgerechnet von Corona-Tönnies als Berater engagieren und fürstlich entlohnen ließ.
Der Rücktritt von Andrea Nahles
Oder Familienministerin Franziska Giffey, die trotz der eventuellen Aberkennung ihres Doktortitels als Regierende Bürgermeisterin ins Rote Rathaus von Berlin einziehen will. Ach ja, und dann wäre da noch diese höchst pikante Angelegenheit rund um die mecklenburg-vorpommersche Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und Nord Stream 2, an deren Bau ja auch ein gewisser Gerhard Schröder nicht ganz unbeteiligt ist.
Alles äußerst unschön! Aber wie gesagt, die SPD in meinem Kopf und die SPD in der Realität waren schon immer zwei grundverschiedene Dinge, von denen die Letztere in den drei großen Koalitionen als kleiner Bündnispartner an Angela Merkels Seite mehr und mehr verblasste, bis sie irgendwann fast unsichtbar geworden ist. Trotzdem wählte ich sie – aus Mangel an Alternativen.
Doch dann kam der Rücktritt von Andrea Nahles, dessen Begleitmusik mich bis heute verstört. Zum einen, weil sie die erste Parteichefin in der Geschichte der SPD war, nach der verpatzten Europawahl dann aber bitte auch schnell wieder gehen sollte – so, als ob sie allein dafür verantwortlich gewesen wäre. Zum anderen irritierte mich, dass sie viele ihrer Genoss:innen wohl auch wegen ihres rüden Tons nicht mehr unterstützen wollten. Dabei wirkte Nahles – seien wir mal ehrlich – doch gar nicht so viel anders als der ein oder andere männliche Genosse. Aber wenn eine Frau mal etwas vulgärer wird, geht das gar nicht, schon klar.
Und jetzt will ein so dröger Pragmatiker wie Olaf Scholz, der damals ja auch die unglückselige Agenda 2010 mit installiert hat, wirklich aus dem Merkel’schen Schatten treten und als SPD-Kanzlerkandidat für Aufbruch und Erneuerung stehen? Es hilft auch nicht, dass Scholz in seinem kürzlich vorgestellten Wahlprogramm für eine längst überfällige Erhöhung des Mindestlohns eintritt, für größere Umverteilung und mehr Klimaschutz.
Kollektives Wegschnarchen beim Wahlkampf
Denn das tun andere Parteien auch – und sie tun es mit mehr Esprit. Gegen ein kollektives Wegschnarchen beim SPD-Wahlkampf können auch die vielen Jusos und Menschen mit Migrationsgeschichte nichts mehr ausrichten, die von der SPD als Direktkandidat:innen aufgestellt worden sind. Sollen die wirklich so lange in ihren Parlamentssitzen versauern, bis auch aus ihnen das letzte bisschen Leben gewichen ist?
Da hätte man doch lieber mal junge Talente ins Spiel bringen können. Wenn ein 34-jähriger Maturant wie Sebastian Kurz einen Staat lenken „kann“, dann kann das eine 45-jährige gestandene Geschäftsfrau wie Serpil Midyatli, stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, schon lange und tausendmal besser – und das sage ich ohne Ironie.
Stattdessen schraubt zum Auftakt des SPD-Parteitags, so sah ich es im Onlinestream, bloß ein junger DJ betont lässig an seinem Turntable herum. Schon klar, man braucht die Jungen, Ungestümen, Kreativen – aber nur, um sich mit ihnen zu schmücken. Und als ich sowieso schon die Nase voll habe, fällt mein Blick auf eine Wahlwerbung der SPD in meiner eigenen Zeitung: Da haben sich die Kampagnenverantwortlichen doch tatsächlich eine überdimensionale Deutschlandflagge ausgedacht und auf den roten Streifen in der Mitte „Die Mitte ist wieder rot“ geschrieben. Ist das euer Ernst, werte Genossinnen und Genossen? Wen, bitte schön, soll das abholen außer fußballverrückte Hooligans und irgendwelche deutschtümelnden Patr:idioten?!
Zwanzig Jahre habe ich euch die Treue gehalten, aber jetzt ist es wirklich genug. Macht’s gut, ciao.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“