piwik no script img

Deutsches Entsetzen über Sylt-VideoDas Versagen liegt in der Mitte

Kommentar von Ruben Gerczikow

Die Deutschen sind wieder gut geworden? Die AfD im Bundestag, anti-israelische Studierende oder eine rassistische Party auf Sylt stellen das infrage.

Die Party im Pony-Club ist nicht der Rechte Rand, sondern Teil eines strukturellen Problems Foto: Lea Sarah Albert/dpa

J unge Menschen ausgelassen am Feiern. Saltburn und Gossip Girl-Vibes. Doch diese Partygesellschaft tanzt auf der Terrasse des Pony in Kampen (Sylt). Es ist Pfingsten. Ein Video, das sie dort aufgenommen haben, war am Wochenende in etlichen Medien zu sehen. Die Zeilen des rechtsextremen Trends „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ zur Melodie von Gigi D’Agostinos „L’Amour Toujours“ reichten bis ins Kanzleramt.

Dies und den angedeuteten Hitlergruß sowie Hitlerbart kommentierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als „eklig“. Der digitale Volksmob stürzt sich nach und nach auf die identifizierten „rich Kids“ aus dem Video. Dass das Genre „Eat the rich“ en vogue ist, spiegelt sich auch hier wider. Das Verhalten wird entweder vehement verurteilt oder relativiert – doch es fehlt ein Punkt in der Debatte.

Extrem rechtes Gedankengut ist zunehmend ein Teil der sogenannten Mitte der Gesellschaft geworden. Das belegt mitunter die „Mitte“-Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem vergangenen Jahr. Die „Mitte der Gesellschaft“ in der Shoa-Witze und Hitler-Bildchen von der Schulklasse bis in den Polizei-Chat reichen, kann sich weder vom Antisemitismus noch vom Rassismus freisprechen.

Zeit für radikale Selbstkritik

Die beiden Ideologien sind fest in der postnazistischen Gesellschaft verankert, die sich selbst als „Erinnerungsweltmeister“ feiert. Zu oft hat sie das, im Sinne der Extremismustheorie, lediglich auf die politischen Ränder verwiesen. Das ist ein Fehler, der auch nicht mit der Forderung nach einem verpflichtenden Besuch zum nächstgelegenen Konzentrationslager wett gemacht werden kann.

Es ist an der Zeit für radikale Selbstkritik. Die Mehrheit in Deutschland glaubt, ihre Vorfahren hätten Jü­din­nen*­Ju­den während der Shoa geholfen. Dass die tatsächliche Anzahl der helfenden Deutschen im Promillebereich gelegen hat, stört das wiedergutgewordene Selbstbild nicht. In Zeiten, in der die Wirksamkeit der Erinnerungskultur durch die AfD im Bundestag, von anti-israelischen Studierenden an Universitäten oder eben in einem Club auf Sylt infrage gestellt wird, muss Deutschland sich fragen, wie glaubwürdig es den nächsten Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus begehen kann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

37 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Käptn Blaubär , Moderator*in

    Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.

  • Deutschland den Ausländern, Deutsche raus!

    • @Troll Eulenspiegel:

      Rheinländer rein, und Rausländer auch.

      Die Güte eines Menschen steht dabei nie im Pass.

  • Die Mitte ist nicht rechts oder links, sie ist opportunistisch im negativen Sinn. Wie eh und jeh,

  • Der Versuch, alles Arge an Einstellungen einfach mal "den Migranten" zuzuweisen, dürfte spätestens jetzt ein feistes Fragezeichen bekommen zu haben.



    Wohlstandverwahrlosung gab es schon immer, doch sollte die Scham nun wieder einsetzen, sie auch öffentlich zu zeigen.

  • "Extrem rechtes Gedankengut ist zunehmend ein Teil der sogenannten Mitte der Gesellschaft geworden. "

    Nein, sie kommt aus der Mitte der deutschen Gesellschaft, zuvor stark latent und jetzt zunehmend sichtbarer.

  • Ein Teil des Problems ist auch, dass Deutschland nach wie vor eine ziemlich klassistische und im Vergleich gerade zu unseren nordwesteuropäischen Nachbarn auch sexistische und patriarchale Gesellschaft ist.



    Ich weiß, dass meine Vorfahren keinen potenziellen Opfern geholfen haben. Einfach deshalb, weil es verhältnismäßig arme Schlucker waren, die selbst froh sein mussten, über die Runden zu kommen. Akademiker:innen gab es in meinem Milieu erst, als nach 1968 zumindest junge Männer aus der Arbeiterklasse Abitur machen und studieren konnten. Das stagniert aber auch und es bleibt in Deutschland unwahrscheinlich, dass Arbeiterkinder Akademiker:innen werden.



    Die schlagenden Verbindungen dürfen an den Universitäten weiterhin ziemlich ungestört ihr Unwesen treiben, voller Nationalismus, Rassismus und toxischer Männlichkeit. Ganz zu schweigen davon, dass die Wiedervereinigung die Familienpolitik in den neuen Ländern um mindestens 30 Jahre zurückgeworfen hat. Und immer noch muss um jeden Fortschritt zu einer liberalen Gesellschaft heftig gerungen werden, weil die wohlhabenden Profiteure des Status Quo sich und ihre gefährlichen Ansichten ganz selbstverständlich reproduzieren dürfen.

  • Mir persönlich fehlt in der Aufzählung dessen, was im Kommentar von Ruben Gerczikow unter dem Stichwort „Extremismus der Mitte” subsumiert wird, ein Hinweis auf die neorechte Strategie, den Kampf gegen Antisemitismus - mit Verweis auf linken oder muslimischen Judenhass - nun für sich zu reklamieren.



    Von CDU und Springer-Medien kennt man ja diesen einseitigen, enggeführten Begriff von Israel-Solidarität - dass nun ausgerechnet die AfD sich zum Gralshüter des Philosemitismus geriert - und dem öffentlich kaum vehement widersprochen wird - irritiert da schon.

  • Der Fisch stinkt immer vom Kopfe her. Der politische Rechtsruck kam schon immer und kommt auch heute von oben und nicht nur in Deutschland.

    Man höre sich nur die immer wiederkehrenden ausländer- oder sozialrassistischen Phrasen von CDU-, SPD- und FDP-Politiker:innen an. Das sind quasi die Vortänzer:innen für die Ereignisse von Rostock-Lichtenhagen bis Sylt.

    Deren hetzerische Ideologien sind im Grunde immer der Versuch, Sündenböcke und gleichzeitig Rechtfertigungen für gesellschaftliche Spaltungen zu suchen.

  • Ich mus ganz ehrlich sagen, dass mich dieser Rechtsruck überhaubt nicht verwundert.



    Unsere Parteien leiden durch die Bank unter einer Profilneurose.



    In Folge dessen werden von der gelben Seite dringend notwendige Reformen verhindert frei nach dem Motto "wir sind wichtig! Können zwar nichts bewegen aber kräfitg ausbremsen"



    Und von Rot und Grün läßt man sich auf die abstrusesten Kompromisse ein blos damit man wenigstens irgendwas vorzuweisen hat.

    Eines ist Beiden gemein: Es schadet unserem Land.

    • @Bolzkopf:

      Na ja, wenn Volksvertreter von der CDU von Zahnarzt Terminen singen - fängt der Pöbel, egal ob auf einer Insel oder in den Bergen - auch an....



      Es macht Fassungslos! !

    • @Bolzkopf:

      Na ja, wenn Volksvertreter de

  • Danke an denjenigen, der das Video der Presse zugeschickt und Rassismus aus Westdeutschland offen gelegt hat. Sonst schiebt man es immer dem Osten zu. Aber die Hinterleute sind schon immer aus dem Westen gekommen. Höcke hat mit Thüringen nichts zu tun und ebenso die reichen Hintermänner, die alles finanzieren, stammen alle zwangsläufig aus dem Westen. Nach der Wende waren sie ganz plötzlich auf den Straßen im Osten zu sehen und haben ihren Schund verteilt.

    • @Michael 202222:

      Sie wollen aber jetzt nicht sagen, dass den Ostdeutschen das rechte Gedankengut erst von den Wessis eingetrichtert wurde?

    • @Michael 202222:

      "Aber die Hinterleute sind schon immer aus dem Westen gekommen. "



      Sorry, aber das ist für mich typisches Ost/West Klischee-Denken. Wann hören wir endlich auf in solchen Kategorien zu denken.

    • @Michael 202222:

      Sorry, aber Nazi-Skins gab's schon vor der Wende. Und kein Ostdeutscher muss auf reiche "Hintermänner" aus dem Westen hören. Machen die schon freiwillig.

  • Es war ja so beruhigend: Nazis gab es nur im Anschlussgebiet.



    Aber auf einmal findet der Wessi die Truppe in der eigenen Komfortzone.



    Doof. Wo man doch immer genau wusste, dass man weder Stasispitzel noch SA-Schläger geworden wäre.

    • @Nansen:

      Fünf Deppen findest überall. Abstrafen, fertig.

    • @Nansen:

      Vergessen wird Hessen und Bayern. Bayern hat insgesamt ca. 35% rechtsradikale Stimmen aufgebracht! Bayern, Baden Württemberg und Hessen waren die 3 westdeutschen Bundesländer, in denen die AfD sofort die 5% Hürde schaffte! Die Naziregionen in Hessen, die Wehrsportgruppe Wagner usw. sind irgendwie vergessen! Achja, viele glauben immer noch, dass Herr Höcke ein Urthüringer ist!

      • @Dr. Enseleit Jürgen:

        Protestwähler würde ich nicht zu Nazis rechnen. Dass man die AfD nicht wählen sollte, versteht sich von selbst. Emotional kann ich die Wut aber teils nachvollziehen.

  • Es gibt kein Volk, das gut oder böse ist. Es gibt wohl Staaten, die ihre Interessen haben, welche man als gut oder böse einstufen kann und irgendwelche "Mehrheitskulturen", die regional sehr unterschiedlich sein können und gewisse Verhaltensweisen begünstigen, aber eine Volkszugehörigkeit basiert doch im Endeffekt auf dem Gefühl. Im neunzehnten Jahrhundert erwachten Nationalgefühle und die fühlenden vererbten das an ihre Nachfahren, die mitunter ihr Nationalgefühl wechselten, dieses seither aber weitervererben, bis sich in der Zukunft wieder was ändert und es opportun wäre anders zu fühlen. So spalten sich eher Nationen auf als zueinander zu finden und vereint sind sie im Gefühl der gleichen Untergruppe anzugehören. Und doch fühlen sie politisch nicht alle dasselbe

  • Wer in den 68zigern studiert hat, weiß viel rechtes Gedankengut in dieser Zeit in der Gesellschaft vorhanden war. Erst die nachfolgenden Jahre haben eine Änderung gebracht, mit dem Familiengründen der Protestgeneration. Dann kam die Wiedervereinigung und ab da waren die Rechten wieder präsent. Omnipräsent und äußerst gewaltätig (Hoyerswerda). Und - die Strafverfolgung war ein Witz gemessen am Aufwand der RAF-Fandung. So konnte die Rechte wachsen, sich ethablieren, Stützpunkte anlegen und "geistige" Führer hervorbringen. Dosierte, regelmäßige Tabubrüche im politischen Diskurs ließen rechtes Gedankengut wieder in die Alltagssprache sickern, bis dann eben auf Sylt Wohlstandsverwahrloste Nazi-Parolen singen. So geht's, wenn man die Rechten gewähren läßt. Und fragt man die ethablierte Politik nach einem AFD-Verbot, so kneift sie.

    • @shitstormcowboy:

      Kleiner Tipp, die Nazis waren weder im Osten noch im Westen nie weg. Sie waren nur gut getarnt und geschützt.

  • Dazu kann ich nur eins sagen

    Wo Faschisten und Multis das Land regieren,



    wo Leben und Umwelt keinen interessieren,



    wo alle Menschen ihr Ich verlieren,



    da kann eigentlich nur noch eins passieren !

    • @Jungle Warrior:

      "Faschisten" regieren das Land? Wtf? Und was sollen Multis sein?

      • @Wonneproppen:

        Songtext von Slime „Deutschland muss sterben“

        • @Puky:

          Und zur Erklärung; Multis sind "international tätige Großkonzerne" und mit den Faschisten ist wohl z.B. Filbinger (CDU) gemeint gewesen so ca. 1980.

  • Schwierig. Trotz allen Aufwands über Jahrzehnte und der Einbettung in eine globalere Welt kommt das Nazidenken bei immer mehr Menschen und weit in die Mitte ausgreifend zurück !? Man könnte fast auf die Idee kommen, dass Nazidenken eine tiefe, menschliche Urkraft ist, die man nicht wirklich beseitigen kann.

    Ich würde Nazidenken nicht soweit aufwerten. Ein Teil scheint mir zu sein, dass bei Widersprüchen in einer Gesellschaft sich eine Gruppe gerne der Symbole bedient, die gegenerischen Gruppen besonders verhasst sind. Die zugrundeliegenden gesellschaftlichen Konflikte können ganz anders gelagert sein und vielleicht sollte man sich mehr auf diese als auf die Symbole konzentrieren. Mehr als universell-ewigpotente Nazis geht es glaube ich um die Unfähigkeit mit widersprüchlichen Interessen in einer Gesellschaft umzugehen.

  • Ich finde es völlig unangemessen, redliche Studenten die für die Einhaltung der Menschenrechte und des Völkerrechtes an den Uni`s gegen Israel demonstrieren, die mit der offensichtlich geschichtsvergessenen Schicki-Micki - Bande auf Sylt gleichzusetzten. Geht gar nicht!

    • @Nico Frank:

      Wer "from the river to the sea ..." brüllt, Israel das Existenzrecht abspricht und rote Dreiecke an Wände schmiert (ein Nazi Symbol, mit dem die Hamas-Terroristen jüdische Ziele markieren), hat mit Menschenrechten und dem Völkerrecht nicht viel im Sinn.

    • @Nico Frank:

      Wahre Worte

    • @Nico Frank:

      Terrorismusunterstützer und Hamas Unterstützer/Relativierer kommen aus der selben dunklen Ecke wie die geschichtsvergessene Schickimicki-Micki - Bande. Was allerdings nicht korrekt ist, dass die gesellschaftliche Mitte wieder verantwortlich sein soll, obwohl diese nicht im Pony feiert oder Unis besetzt und verwüstet.

  • Zum Glück gibt es "die" Deutschen nicht. Es gibt einen Trend das junge Menschen (vorzugsweise Männer) nach rechts abdriften und verstärkt die AfD unterstützen, es gibt autoritäre Linke die antisemitische Positionen vertreten und offensichtlich eine Sympathie für Terrororganisationen hegen, die sie als Widerstandskämpfer ansehen und es gibt die sogenannte "bürgerliche" Mitte, der in Teilen Minderheiten aller Coloeur von Migranten bis Queer schon immer suspekt waren.

    Insofern sind rechtsextreme und ausländerfeindliche Parolen oder noch häufiger versteckte rassistische, diskriminierende oder antisemitische Anspielungen kein neues Phänomen in der Gesellschaft. Dummheit und Ignoranz sterben nie aus, nicht nur in Deutschland.

    Aber bei aller schwarzseherei sollte nicht übersehen werden, es gibt auch einen großen Anteil in der Gesellschaft die all das ablehnt und sich in Teilen sogar dagegenstellt und engagiert. Darauf sollten die Hoffnungen ruhen, das dieses auch in Zukunft so bleibt.

  • Wie kommt der Kommentator darauf, dass die Mehrheit glaubt, unsere Vorfahren hätten den Juden geholfen?

    • @A.S.:

      Das steht da gar nicht.



      Sie glauben IHRE Vorfahren haben Juden geholfen.



      Also: "Alle Nazis außer Opa"



      Ein gewaltiger Unterschied.

    • @A.S.:

      Es soll Umfragen geben, die belegen, dass die Mehrheit der Deutschen glaubt, von der Minderheit abzustammen, die im dritten Reich eine weiße Weste hatte

    • @A.S.:

      "Die Mehrheit" ist natürlich völlig aus der Luft gegriffen.

      Er meint wahrscheinlich das hier:

      "Dass dieses Konzept letztlich erinnerungspolitisch fatale Konsequenzen hat, zeigt etwa die MEMO-Studie von 2020, wonach ein Drittel der Deutschen glaubt, dass ihre Vorfahren während des Nationalsozialismus potentiellen Opfern geholfen haben"

      www.hsozkult.de/we...iew/id/reon-135112